Nachfolgend drucken wir das Schlusskapitel des Dokuments über die permanente Revolution ab, das von der Internationalen Konferenz angenommen wurde.

Das Hauptziel des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (Komintern oder KI) von 1920 bestand darin, den Bruch mit der Sozialdemokratie zu vertiefen und festzuschreiben: die Reihen der KI von politischen Anhängern der II. Internationale zu säubern und gleichzeitig ultralinke Tendenzen in der kommunistischen Bewegung zu bekämpfen. Eines der Mittel, diesem Ziel näher zu kommen, war die nationale und koloniale Frage. Die von Lenin verfassten „Bedingungen der Aufnahme“ in die Komintern forderten:

„Jede Partei, die der III. Internationale anzugehören wünscht, ist verpflichtet, die Kniffe ‚ihrer‘ Imperialisten in den Kolonien zu entlarven, jede Freiheitsbewegung in den Kolonien nicht nur in Worten, sondern durch Taten zu unterstützen, die Verjagung ihrer einheimischen Imperialisten aus den Kolonien zu fordern, in den Herzen der Arbeiter ihres Landes ein wirklich brüderliches Verhältnis zu der arbeitenden Bevölkerung der Kolonien und zu den unterdrückten Nationen zu erziehen und in den Truppen ihres Landes eine systematische Agitation gegen jegliche Unterdrückung der kolonialen Völker zu führen.“ (Unsere Hervorhebung)

Die „Grundidee“ in den von Lenin verfassten „Leitsätzen und Ergänzungsthesen über die National- und die Kolonialfrage“ des II. Weltkongresses war, wie Lenin selbst bei der Vorstellung der Leitsätze erklärte, „der Unterschied zwischen den unterdrückten und den unterdrückenden Nationen. Wir heben diesen Unterschied hervor – im Gegensatz zur II. Internationale und zur bürgerlichen Demokratie.“ Die Komintern sah in der kolonialen und halbkolonialen Welt, die die überwältigende Mehrheit der Menschheit bildete, ein immenses Reservoir an revolutionärer Energie für den Kampf gegen die imperialistische Unterjochung.

Der zweite Hauptgedanke der Thesen sei, so Lenin, dass das Verhältnis der Staaten zueinander im weltpolitischen System bestimmt werde durch den Kampf zwischen der kleinen Zahl imperialistischer Mächte und der Sowjetbewegung, die von Sowjetrussland angetrieben würde. Die weltpolitische Lage setzte so die Diktatur des Proletariats im unterjochten, wirtschaftlich rückständigen Osten ebenso wie im fortgeschrittenen Westen auf die Tagesordnung. Mit Blick auf die unterentwickeltsten Länder des Ostens erklärte Lenin mit Nachdruck:

„Das wichtigste Merkmal dieser Länder ist, dass dort noch vorkapitalistische Zustände herrschen, und deshalb kann dort von einer rein proletarischen Bewegung nicht die Rede sein. Es gibt dort fast gar kein Industrieproletariat. Trotzdem haben wir in ihnen die führende Rolle übernommen und übernehmen müssen.“ (Unsere Hervorhebung)

In der Tat legte der Weltkongress als zentrale Aufgabe der Kommunisten in den unterjochten Nationen den Kampf um die Führung der nationalen Befreiungsbewegung gegen die einheimische Bourgeoisie und die proimperialistische Sozialdemokratie fest. In den Leitsätzen heißt es, dass die Kommunistischen Parteien die revolutionäre Bewegung in den abhängigen Nationen und Kolonien direkt unterstützen müssen, da sonst der Kampf gegen die Unterdrückung „ein lügnerisches Aushängeschild [bleibt], wie wir dies bei den Parteien der Zweiten Internationale sehen“. Das Dokument betonte die Notwendigkeit, gegen den reaktionären und mittelalterlichen Einfluss der Geistlichkeit und der christlichen Missionen sowie gegen den Panislamismus und die panasiatische Bewegung zu kämpfen, die versuchten, den nationalen Befreiungskampf mit der Stärkung des lokalen Adels, der Großgrundbesitzer und der Geistlichkeit zu verknüpfen und an die Interessen der konkurrierenden Imperialisten zu binden. Es sei notwendig, wo auch immer möglich die Bauern und alle Ausgebeuteten in Sowjets zu organisieren, „und so eine möglichst enge Verbindung zwischen dem westeuropäischen kommunistischen Proletariat und der revolutionären Bewegung der Bauern im Osten, in den Kolonien und den rückständigen Ländern herzustellen“.

Die Kommunisten in den unterjochten Ländern müssten die Massen zu dem Bewusstsein erziehen, dass es ihre besondere Aufgabe ist, um die Führung der bürgerlich-demokratischen Bewegung in ihrer eigenen Nation zu kämpfen. In den Leitsätzen hieß es:

„Die Kommunistische Internationale soll ein zeitweiliges Zusammengehen, ja selbst ein Bündnis mit der revolutionären Bewegung der Kolonien und der rückständigen Länder herstellen, darf sich aber nicht mit ihr zusammenschließen, sondern muss unbedingt den selbständigen Charakter der proletarischen Bewegung – sei es auch in ihrer Keimform – aufrechterhalten.“

Lenin verkündete in seinem „Referat über die internationale Lage und die Hauptaufgaben der Kommunistischen Internationale“ auf dem II. Weltkongress:

„Der Weltimperialismus muss fallen, sobald der revolutionäre Ansturm der ausgebeuteten und unterdrückten Arbeiter in jedem Lande den Widerstand der kleinbürgerlichen Elemente und den Einfluss der wenig zahlreichen Oberschichten der Arbeiteraristokratie [die soziale Basis des Reformismus] besiegt, sich mit dem revolutionären Druck von Hunderten von Millionen der Menschheit vereinigt, die bisher außerhalb der Geschichte standen, nur als ihr Objekt betrachtet wurden.“

Die „Leitsätze zur Orientfrage“ des IV. Weltkongresses von 1922 erweiterten und konkretisierten die auf dem II. Weltkongress festgelegten allgemeinen Leitlinien. Die Leitsätze entlarven die Rolle der einheimischen herrschenden Klassen als das Haupthindernis für die nationale Befreiung. Diese Kräfte zielen darauf ab, die Bestrebungen der werktätigen Massen zu nutzen, um nur ihre eigenen Interessen als besitzende Klasse voranzutreiben und gleichzeitig sich mit dem Imperialismus zu versöhnen. In dem Maße, wie der Kampf die Form einer revolutionären Massenbewegung annimmt, werden sich die einheimischen Herrscher gegen sie wenden und Schutz bei ihren imperialistischen Herren suchen.

Die Leitsätze erklären, dass der Imperialismus in seinem Streben nach Superprofiten die Entwicklung der von ihm unterjochten Länder hemmt und die feudalen und wucherischen Formen der Ausbeutung der Arbeitskraft so lange wie möglich aufrechterhält. Der Kampf um die Befreiung des Landes von den feudalen Verhältnissen nimmt somit den Charakter eines Kampfes um die nationale Befreiung an. Doch die bürgerlichen Nationalisten werden aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Imperialismus und ihrer Verbindungen zu den Großgrundbesitzern alles daransetzen, die agrarischen Parolen zu verwässern und die revolutionäre Erhebung der Bauernmassen, d. h. die Bauernrevolution, zu verhindern. Die Leitsätze stellen als Aufgabe: „Dieses Wanken und Schwanken muss von allen revolutionären Elementen zu systematischer Kritik und zur Entlarvung der Halbheit der bürgerlichen Führer der nationalistischen Bewegungen ausgenutzt werden.“

Mit den Lehren der Oktoberrevolution und insbesondere durch die Arbeit des III. Weltkongresses, der die Losung der Einheitsfront propagierte, weitete der IV. Weltkongress diese Taktik auf alle unterdrückten Nationen aus: die antiimperialistische Einheitsfront. Die „Leitsätze zur Orientfrage“ erklären:

„Die Zweckmäßigkeit dieser Losung ergibt sich aus der Perspektive eines dauernden und langwierigen Kampfes mit dem Weltimperialismus, der die Mobilisierung aller revolutionären Elemente erfordert. Diese Mobilisierung ist umso notwendiger, als die einheimischen herrschenden Klassen geneigt sind, mit dem ausländischen Kapital Kompromisse zu schließen, die sich gegen die Lebensinteressen der Volksmassen richten. Und wie die Losung der proletarischen Einheitsfront im Westen zur Entlarvung des sozialdemokratischen Verrates an den Interessen des Proletariats beigetragen hat und weiter noch beiträgt, so wird die Losung der anti-imperialistischen Einheitsfront zur Entlarvung des Schwankens der einzelnen Gruppen des bürgerlichen Nationalismus beitragen. Diese Losung wird auch die Entwicklung des revolutionären Willens und die Klärung des Klassenbewusstseins der werktätigen Massen fördern und sie in die vordersten Reihen der Kämpfer nicht nur gegen den Imperialismus, sondern auch gegen die Überbleibsel des Feudalismus stellen.“

Die IKL hat immer behauptet, sich an die ersten vier Weltkongresse der Komintern zu halten, da sie die Kontinuität des Leninismus repräsentieren, aber wir haben im Hinblick auf die koloniale Frage den II. und IV. Weltkongress davon ausgenommen. Die Grundlage für unsere Ablehnung dieser Leitsätze ist unsere Revision von Trotzkis permanenter Revolution. Die grundlegende Kritik am II. Weltkongress wurde 1998 in den „Bemerkungen zur nationalen und kolonialen Frage“ von Genosse Robertson dargelegt (veröffentlicht in Marxist Studies Nr. 9, August 2003). Er argumentierte:

„In den Augen der Genossen auf dem II. Weltkongress hatte die koloniale Frage keine proletarische Komponente, und die Kommunistische Internationale basierte auf der proletarischen Zentralität, also schien dies ein großer Widerspruch zu sein. Die Position, die sie annahmen, bestand mehr oder weniger darin – und noch einmal, recht vage, weil es keinen Zusammenhang gab –, koloniale Aufstände anzufeuern mit der Begründung, dass sie die imperialistischen Großmächte schwächen und daher in diesem Maße der proletarischen Revolution helfen würden… Aber es gab – aus ziemlich guten Gründen – keine Ausweitung der Erfahrung des Zarenreiches auf die koloniale Welt: Bis zum Ersten Weltkrieg findet man überhaupt außerhalb dieses schwachen Gliedes [sowohl imperialistisch als auch halbkolonial] des Zarenreiches kaum Industrie in den Kolonialländern.“ (Unsere Hervorhebung, Klammern im Original)

Das ist eine sozialdemokratische Kritik am II. Weltkongress. Die Verurteilung der Leitsätze als „Anfeuerung kolonialer Aufstände“ ist nicht nur ein Zerrbild des Programms der jungen Komintern, sondern auch eine Ablehnung der Rolle der nationalen Befreiung als wesentlicher Hebel für die proletarische Revolution. Sie ist deshalb der Verzicht auf die Führung dieser Kämpfe. Die „Erfahrung des Zarenreichs“, d. h. die Erfahrung von 1917, spricht für den grundlegenden Kern der permanenten Revolution, was nichts anderes bedeutet als die Notwendigkeit einer kommunistischen Führung des demokratischen Kampfes, in erster Linie der nationalen Befreiung. Genau das ist es, was die Leitsätze sowohl des II. wie auch des IV. Weltkongresses als die Hauptaufgabe der Kommunistischen Parteien in den unterdrückten Ländern darstellten. Wie bereits oben gezeigt, betonte Lenin die Notwendigkeit, auch in den Ländern, in denen es überhaupt kein Proletariat gab, um die Führung des antiimperialistischen Kampfes zu kämpfen. Tatsächlich gründete sich die Komintern nicht auf eine objektive „proletarische Zentralität“ (die Existenz einer „lebensfähigen proletarischen Konzentration“, wie es in so vielen IKL-Artikeln heißt), sondern auf den Kampf um die proletarische Führung.

Es ist kein Zufall, dass der eingefleischte Zentrist Giacinto Serrati auf dem II. Weltkongress die Spartacist-Kritik an den Leitsätzen des II. Weltkongresses (und in der Tat auch an denen des IV.) quasi buchstabengetreu formulierte:

„Überhaupt ist jede von bürgerlich-demokratischen Gruppen unternommene nationale Befreiungsaktion, selbst wenn sie zum Mittel des Aufstands greift, keine revolutionäre Aktion.

Sie wird zugunsten eines in der Entwicklung begriffenen nationalen Imperialismus oder im Kampf des kapitalistischen Imperialismus eines neuen Staats gegen den früher herrschenden Staat unternommen…

Die wahre Befreiung der geknechteten Völker kann nur durch die proletarische Revolution und die Sowjetordnung und nicht durch einen zeitweiligen und zufälligen Bund kommunistischer Parteien mit den revolutionär genannten bürgerlichen Parteien durchgeführt werden.“

Tatsächlich bringt Serratis Verurteilung der Leitsätze des II. Weltkongresses die Spartacist-Karikatur der permanenten Revolution getreu zum Ausdruck: eine orthodox klingende Formel, die in Wirklichkeit die Diktatur des Proletariats der nationalen Befreiung und jedem demokratischen Kampf entgegenstellt – das genaue Gegenteil des Trotzkismus.

Für die antiimperialistische Einheitsfront!

Da die Spartacist-Tendenz die permanente Revolution in ihr Gegenteil verkehrt hatte, behaupteten wir bisher, dass Trotzki seine Theorie erst auf Grundlage der Erfahrung der Chinesischen Revolution von 1925–27 über die Grenzen des ehemaligen Zarenreichs hinaus „erweitert“ habe. Genosse Robertson stellt in seinen oben zitierten Bemerkungen Trotzkis Buch Die permanente Revolution, dessen verschiedene Abschnitte zwischen 1928 und 1930 geschrieben wurden, den Thesen des II. Weltkongresses gegenüber: „Ich glaube“, erklärte er, „dass es 1920 tatsächlich nicht möglich war, zu der Position zu gelangen, die Trotzki erst nach der Niederlage der Chinesischen Revolution und schriftlich um 1930 aufstellen konnte.“

In dem Artikel „Die Ursprünge des chinesischen Trotzkismus“ im deutschsprachigen Spartacist Nr. 19, Winter 1997/98, wird es sogar so dargestellt, als ob es eine – wenn auch nur teilweise – Kontinuität zwischen dem Stalinismus und den „Leitsätzen zur Orientfrage“ gäbe: „Es war natürlich ein steiler Abstieg von diesen opportunistischen Impulsen, die auf dem IV. Weltkongress der revolutionären Komintern zum Ausdruck kamen, bis zu dem voll entwickelten, katastrophalen Verrat, den später Stalin und Bucharin in China begingen.“ Die historische Spartacist-Position stellte die Welt auf den Kopf: Trotzkis permanente Revolution war in der jungen Komintern nicht vorhanden, während Stalins Verrat auf dem IV. Weltkongress bereits im Keim angelegt war!

Gegen die „Leitsätze zur Orientfrage“ des IV. Weltkongresses argumentierte unser Artikel:

„Die Leitsätze legten es nahe, zu einem politischen Block mit dem bürgerlichen Nationalismus aufgrund eines Minimalprogramms von demokratischen Forderungen aufzurufen. Implizit stellten sie ein menschewistisches Zwei-Etappen-Programm für die koloniale Revolution auf, wobei die erste Etappe ein demokratischer Kampf gegen den Imperialismus war (die ‚anti-imperialistische Einheitsfront‘).“

Der „Beweis“ für diese „menschewistische Abweichung“ war, so Spartacist, der folgende Satz der Leitsätze:

„Das Proletariat unterstützt und stellt auch selbst Teilforderungen auf, wie z. B. die Forderung einer unabhängigen demokratischen Republik, die Beseitigung der Rechtlosigkeit der Frauen usw., insofern das gegenwärtig bestehende Kräfteverhältnis es ihm nicht gestattet, die Verwirklichung seines Sowjetprogramms zur Gegenwartsaufgabe zu machen.“

Aber der obigen Passage gingen unmittelbar die folgenden zwei Sätze voraus, in denen auf der Notwendigkeit der Klassenunabhängigkeit bestanden wurde:

„Die Arbeiterbewegung in den kolonialen und halbkolonialen Ländern muss sich vor allem die Stellung eines selbständigen revolutionären Faktors in der anti-imperialistischen Gesamtfront erkämpfen. Erst wenn ihr diese selbständige Bedeutung zuerkannt wird und sie sich dabei ihre politische Unabhängigkeit bewahrt, sind zeitweilige Verständigungen mit der bürgerlichen Demokratie zulässig und notwendig.“ (Hervorhebung hinzugefügt)

Aber egal wie viele Klauseln der Leitsätze des II. und IV. Weltkongresses auf der Notwendigkeit proletarischer Klassenunabhängigkeit bestehen, selbst die Idee, dass Kommunisten sich in demokratischen Kämpfen engagieren – in zeitweiligen Bündnissen mit nationalistischen Kräften, damit sie um die Führung der werktätigen Massen wetteifern –, stellte nach Ansicht von Spartacist eine Ablenkung von „der Klassenfrage“ dar, mit anderen Worten, sie sei nur ein menschewistisches Schema.

Wie die „Leitsätze zur Orientfrage“ verdeutlichen, ist es notwendig für die Kommunisten, zeitweilige Abkommen mit der nationalen Bourgeoisie zu schließen – antiimperialistische Einheitsfronten –, solange diese ihre Hegemonie über den nationalen Befreiungskampf behält. So können die Schwankungen und Kapitulationen der nationalen Bourgeoisie im Kampf entlarvt werden. Nur so kann man einen Keil zwischen die Arbeiterklasse und die Bauernmassen auf der einen und die neokoloniale Bourgeoisie auf der anderen Seite treiben, und man kann beweisen, dass die Trotzkisten nicht nur die besten, sondern die einzigen konsequenten Kämpfer für die nationale Befreiung sind.

Im Gegensatz zur Komintern, deren Programm die bürgerlichen und reformistischen Führungen der demokratischen Kämpfe herausforderte, um die Massen hinter dem kommunistischen Banner zu versammeln, bestand das Programm der IKL bisher darin, den bürgerlichen Nationalismus in den unterdrückten Ländern als einfach nur reaktionär anzuprangern. Zweifellos haben linke Gruppen aller Couleur den Kampf für die proletarische Diktatur verraten, indem sie im Namen der antiimperialistischen Einheitsfront die werktätigen Massen der Bourgeoisie unterordneten. Doch die sektiererische Ablehnung dieser Taktik durch die IKL tut überhaupt nichts, um die Bourgeoisie vor den Arbeitern und Bauern zu entlarven. Vielmehr festigt sie die Unterordnung der Massen unter die Bourgeoisie noch weiter, denn sie zeigt, dass „Kommunisten“ gegenüber nationaler Emanzipation, Landreform und anderen demokratischen Fragen völlig unsensibel sind.

Die Leitsätze von 1922 polemisieren direkt gegen das Programm und die Methodik der IKL:

„Die Weigerung der Kommunisten der Kolonien, am Kampf gegen die imperialistische Vergewaltigung teilzunehmen, unter Vorgabe angeblicher ‚Verteidigung‘ selbständiger Klasseninteressen, ist Opportunismus schlimmster Sorte, der die proletarische Revolution im Osten nur diskreditieren kann.“

Das war genau die Rechtfertigung, mit der wir die nationalen Befreiungskämpfe in Québec, Griechenland, Mexiko usw. verunglimpft haben. Der Hauptunterschied zum obigen Zitat: Wir schulmeisterten, in den meisten Fällen, von den imperialistischen Ländern aus die unterdrückten Massen der neokolonialen Welt.

Die antiimperialistische Einheitsfront war damals unerlässlich und ist es auch heute noch in allen Ländern, in denen der nationale Befreiungskampf in den Händen der Bourgeoisie liegt. Damit die Kommunisten den Griff der Bourgeoisie auf den Kampf brechen können, ist es notwendig, einen entscheidenden Einfluss auf das Proletariat, die Bauern und die unteren Schichten des städtischen Kleinbürgertums zu gewinnen. Und dazu ist es notwendig, nicht als unbefleckte Kritiker am Rande des Kampfes in der Luft zu schweben, sondern sich mitten ins Getümmel zu stürzen. Wir müssen Einfluss und Ansehen im nationalen und demokratischen Kampf gegen die Fremdherrschaft gewinnen, und das kann nur dadurch gelingen, dass wir den Massen gegenüber die Schwächen, Mängel und den Verrat der nationalen Bourgeoisie enthüllen. Das ist der Zweck der antiimperialistischen Einheitsfront: die Massen zu gewinnen, um dem unvermeidlichen offenen Konflikt mit der nationalen Bourgeoisie im Kampf gegen den Weltimperialismus den Boden zu bereiten.

Trotzki kontra IKL über Lenins „Demokratische Diktatur“

Von 1905 bis 1917 bestand zwischen Trotzkis permanenter Revolution und Lenins strategischer Linie, die in der Formel von der „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ zum Ausdruck kam, eine wesentliche Identität, da beide in den ungelösten demokratischen Aufgaben, vor allem der Agrarrevolution, die treibende Kraft der kommenden russischen Revolution sahen. Im Gegensatz zu den Menschewiki erkannten beide den äußerst reaktionären Charakter der liberalen Bourgeoisie, die bereit stand, einen Kompromiss mit dem Zarismus einzugehen. Und sie kamen beide zu derselben revolutionären Schlussfolgerung: der Notwendigkeit der proletarischen Führung des demokratischen Kampfes an der Spitze der Bauernschaft, in Opposition zur liberalen Bourgeoisie. Darüber hinaus waren sie beide der Meinung, dass eine Diktatur der Arbeiter und Bauern das notwendige Instrument der bürgerlich-demokratischen Revolution war. Aus diesen Gründen liefen ihre strategischen Linien zusammen.

Der Unterschied bestand darin, dass Trotzki in seiner Analyse der Klassenposition der Bauernschaft als Bestandteil des heterogenen Kleinbürgertums die Ansicht vertrat, dass diese unfähig sei, eine unabhängige revolutionäre Rolle zu spielen: Sie könne nur entweder dem Proletariat oder der Bourgeoisie folgen. Lenin erläuterte zwar stets die einzigartige revolutionäre Rolle des Proletariats, ließ aber die Möglichkeit der Entwicklung einer sowohl vom Proletariat als auch von der Bourgeoisie unabhängigen Bauernpartei offen. Er weigerte sich daher, a priori die konkreten Formen festzulegen, die das notwendige Bündnis von Arbeitern und Bauern annehmen würde, die konkreten Regierungsformen, die aus der von diesen beiden Klassen durchgeführten Revolution hervorgehen würden. Das ist der einzige Unterschied zwischen Trotzkis Formel, der Diktatur des Proletariats unterstützt von der Bauernschaft, und Lenins algebraischer Formel.

Wie Trotzki selbst in Die permanente Revolution rückblickend erklärte, waren diese beiden Formeln Prognosen, welche einer historischen Prüfung bedurften. Es handelte sich um einen Unterschied von Nuancen in der revolutionären Tendenz des russischen Marxismus. Der Ausbruch des revolutionären Prozesses im Februar 1917 löste die Gleichung ein für alle Mal und zeigte Lenin die tatsächliche Klassendynamik. Die algebraische Formel hatte sich überlebt. Um die Interessen der Arbeiter und Bauern durchzusetzen, musste die Algebra durch die Arithmetik ersetzt werden. „Keine Unterstützung für die Provisorische Regierung!“, „Alle Macht den Sowjets!“, „Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern!“ usw. wurden zu den Parolen des Kampfes für die Diktatur des Proletariats, unterstützt von der Bauernschaft.

Lenins Formel war kein Dogma, sondern ein Aufruf zum Handeln: das revolutionäre Bündnis von Arbeitern und Bauern für den allumfassenden Kampf nicht nur gegen die Autokratie und den Landadel, sondern gegen die liberale Bourgeoisie selbst – die Notwendigkeit einer Diktatur der revolutionären Klassen, die aus einem siegreichen Aufstand hervorgeht. Lenins strategische Linie lässt sich nicht von seinem Kampf für den Aufbau der bolschewistischen Partei trennen, der revolutionärsten Partei der Geschichte. Die wirkliche programmatische Differenz zwischen Lenin und Trotzki betraf nicht die Aussichten der russischen Revolution, sondern gerade die Parteifrage in Bezug auf die Einheit mit dem Opportunismus. Trotzkis Prognose war zwar brillant, doch hatte er jahrelang versucht, die Bolschewiki und Menschewiki wieder zu vereinigen. Sobald er dieses Problem verstanden hatte, gab es, so Lenin, keinen besseren Bolschewiken als Trotzki.

Lenins Kampf innerhalb der bolschewistischen Partei, der in seinen Aprilthesen von 1917 und den „Briefen über die Taktik“ kodifiziert wurde, um die Partei durch das Aufgeben der algebraischen Formel als überholt wieder zu bewaffnen, entsprang Lenins eigener strategischer Linie und nicht einer Ablehnung dieser Formel. Die Stalinisten haben die Losung der „demokratischen Diktatur“ wiederbelebt, indem sie sie aus dem „Archiv der ‚bolschewistischen‘ Antiquitäten“ ausgruben, in das Lenin sie 1917 übergeben hatte. Dadurch wollten sie ihre Unterordnung der Kommunistischen Partei Chinas unter die bürgerliche Guomindang verdecken. Der stalinistische Verrat an der Chinesischen Revolution von 1925–27 war das genaue Gegenteil von Lenins strategischer Linie, es war Menschewismus in Reinkultur.

In ausdrücklichem Widerspruch zu allem, was Lenin und Trotzki zu diesem Thema geschrieben haben, heißt es in unserer Grundsatzerklärung, Lenins „demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ sei „eine mangelhafte Losung, die das Bild eines Staates vermittelte, der die Interessen zweier verschiedener Klassen verteidigt“, und dass die Bolschewiki es versäumt hätten, diese „ausdrücklich zurückzuweisen“ (deutschsprachiger Spartacist Nr. 20, Sommer 1998). Das ist wiederum eine sozialdemokratische Denunzierung Lenins, die sogar das Bündnis zwischen den Arbeitern und Bauern und die frühe Sowjetregierung, die dieses Bündnis verkörperte, zurückweist. Das läuft darauf hinaus, den Oktober selbst in eine Karikatur zu verwandeln.

Unsere Entgegenstellung von Lenin und Trotzki vor 1917 konnte nur auf einer Perversion der permanenten Revolution basieren, die den Trotzkismus in das sozialdemokratische Geschwafel eines Serrati oder Levi verwandelt: indem sie die zentrale Bedeutung des demokratischen Kampfes verleugnet. Das sind die reaktionären Schlussfolgerungen aus unserer Linie. Der grundlegende Hebel des Oktobers war in erster Linie die Agrarfrage. Die frühe Sowjetregierung hat in Wirklichkeit die Interessen der Arbeiter und Bauern dadurch verteidigt, dass sie den Bauernkrieg unter der Führung des Proletariats entfesselte. Ohne die Verteidigung der Interessen der Bauernschaft hätte die Diktatur keinen einzigen Tag überlebt. Wie Trotzki in Die permanente Revolution warnte, muss man „Lenin auf Leninsche Art, und nicht auf die der Epigonen, betrachten“. In Bezug auf die „demokratische Diktatur“ erklärte Trotzki weiter:

„Die bolschewistische Parole hatte sich in der Tat verwirklicht – nicht als morphologische Anspielung, sondern als größte historische Realität. Nur hat sie sich nicht vor dem Oktober, sondern nach dem Oktober verwirklicht. Der Bauernkrieg hat, nach einem Ausdruck von Marx, die Diktatur des Proletariats gestützt. Die Zusammenarbeit der zwei Klassen wurde durch den Oktober in gigantischem Maßstabe verwirklicht. Jetzt begriff und fühlte jeder finstere Bauer, sogar ohne die Kommentare Lenins, dass sich die bolschewistische Parole im Leben durchgesetzt hatte. Und auch Lenin selbst hat diese Oktoberrevolution – ihre erste Etappe – als die wahre Verwirklichung der demokratischen Revolution, und damit auch als die wahre, wenn auch veränderte Realisierung der strategischen Parole der Bolschewiki eingeschätzt.“