Zur Verteidigung des II. und IV. Weltkongresses der Komintern
Nachfolgend drucken wir das Schlusskapitel des Dokuments über die permanente Revolution ab, das von der Internationalen Konferenz angenommen wurde.
Das Hauptziel des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (Komintern oder KI) von 1920 bestand darin, den Bruch mit der Sozialdemokratie zu vertiefen und festzuschreiben: die Reihen der KI von politischen Anhängern der II. Internationale zu säubern und gleichzeitig ultralinke Tendenzen in der kommunistischen Bewegung zu bekämpfen. Eines der Mittel, diesem Ziel näher zu kommen, war die nationale und koloniale Frage. Die von Lenin verfassten „Bedingungen der Aufnahme“ in die Komintern forderten:
Die „Grundidee“ in den von Lenin verfassten „Leitsätzen und Ergänzungsthesen über die National- und die Kolonialfrage“ des II. Weltkongresses war, wie Lenin selbst bei der Vorstellung der Leitsätze erklärte, „der Unterschied zwischen den unterdrückten und den unterdrückenden Nationen. Wir heben diesen Unterschied hervor – im Gegensatz zur II. Internationale und zur bürgerlichen Demokratie.“ Die Komintern sah in der kolonialen und halbkolonialen Welt, die die überwältigende Mehrheit der Menschheit bildete, ein immenses Reservoir an revolutionärer Energie für den Kampf gegen die imperialistische Unterjochung.
Der zweite Hauptgedanke der Thesen sei, so Lenin, dass das Verhältnis der Staaten zueinander im weltpolitischen System bestimmt werde durch den Kampf zwischen der kleinen Zahl imperialistischer Mächte und der Sowjetbewegung, die von Sowjetrussland angetrieben würde. Die weltpolitische Lage setzte so die Diktatur des Proletariats im unterjochten, wirtschaftlich rückständigen Osten ebenso wie im fortgeschrittenen Westen auf die Tagesordnung. Mit Blick auf die unterentwickeltsten Länder des Ostens erklärte Lenin mit Nachdruck:
In der Tat legte der Weltkongress als zentrale Aufgabe der Kommunisten in den unterjochten Nationen den Kampf um die Führung der nationalen Befreiungsbewegung gegen die einheimische Bourgeoisie und die proimperialistische Sozialdemokratie fest. In den Leitsätzen heißt es, dass die Kommunistischen Parteien die revolutionäre Bewegung in den abhängigen Nationen und Kolonien direkt unterstützen müssen, da sonst der Kampf gegen die Unterdrückung „ein lügnerisches Aushängeschild [bleibt], wie wir dies bei den Parteien der Zweiten Internationale sehen“. Das Dokument betonte die Notwendigkeit, gegen den reaktionären und mittelalterlichen Einfluss der Geistlichkeit und der christlichen Missionen sowie gegen den Panislamismus und die panasiatische Bewegung zu kämpfen, die versuchten, den nationalen Befreiungskampf mit der Stärkung des lokalen Adels, der Großgrundbesitzer und der Geistlichkeit zu verknüpfen und an die Interessen der konkurrierenden Imperialisten zu binden. Es sei notwendig, wo auch immer möglich die Bauern und alle Ausgebeuteten in Sowjets zu organisieren, „und so eine möglichst enge Verbindung zwischen dem westeuropäischen kommunistischen Proletariat und der revolutionären Bewegung der Bauern im Osten, in den Kolonien und den rückständigen Ländern herzustellen“.
Die Kommunisten in den unterjochten Ländern müssten die Massen zu dem Bewusstsein erziehen, dass es ihre besondere Aufgabe ist, um die Führung der bürgerlich-demokratischen Bewegung in ihrer eigenen Nation zu kämpfen. In den Leitsätzen hieß es:
Lenin verkündete in seinem „Referat über die internationale Lage und die Hauptaufgaben der Kommunistischen Internationale“ auf dem II. Weltkongress:
Die „Leitsätze zur Orientfrage“ des IV. Weltkongresses von 1922 erweiterten und konkretisierten die auf dem II. Weltkongress festgelegten allgemeinen Leitlinien. Die Leitsätze entlarven die Rolle der einheimischen herrschenden Klassen als das Haupthindernis für die nationale Befreiung. Diese Kräfte zielen darauf ab, die Bestrebungen der werktätigen Massen zu nutzen, um nur ihre eigenen Interessen als besitzende Klasse voranzutreiben und gleichzeitig sich mit dem Imperialismus zu versöhnen. In dem Maße, wie der Kampf die Form einer revolutionären Massenbewegung annimmt, werden sich die einheimischen Herrscher gegen sie wenden und Schutz bei ihren imperialistischen Herren suchen.
Die Leitsätze erklären, dass der Imperialismus in seinem Streben nach Superprofiten die Entwicklung der von ihm unterjochten Länder hemmt und die feudalen und wucherischen Formen der Ausbeutung der Arbeitskraft so lange wie möglich aufrechterhält. Der Kampf um die Befreiung des Landes von den feudalen Verhältnissen nimmt somit den Charakter eines Kampfes um die nationale Befreiung an. Doch die bürgerlichen Nationalisten werden aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Imperialismus und ihrer Verbindungen zu den Großgrundbesitzern alles daransetzen, die agrarischen Parolen zu verwässern und die revolutionäre Erhebung der Bauernmassen, d. h. die Bauernrevolution, zu verhindern. Die Leitsätze stellen als Aufgabe: „Dieses Wanken und Schwanken muss von allen revolutionären Elementen zu systematischer Kritik und zur Entlarvung der Halbheit der bürgerlichen Führer der nationalistischen Bewegungen ausgenutzt werden.“
Mit den Lehren der Oktoberrevolution und insbesondere durch die Arbeit des III. Weltkongresses, der die Losung der Einheitsfront propagierte, weitete der IV. Weltkongress diese Taktik auf alle unterdrückten Nationen aus: die antiimperialistische Einheitsfront. Die „Leitsätze zur Orientfrage“ erklären:
Die IKL hat immer behauptet, sich an die ersten vier Weltkongresse der Komintern zu halten, da sie die Kontinuität des Leninismus repräsentieren, aber wir haben im Hinblick auf die koloniale Frage den II. und IV. Weltkongress davon ausgenommen. Die Grundlage für unsere Ablehnung dieser Leitsätze ist unsere Revision von Trotzkis permanenter Revolution. Die grundlegende Kritik am II. Weltkongress wurde 1998 in den „Bemerkungen zur nationalen und kolonialen Frage“ von Genosse Robertson dargelegt (veröffentlicht in Marxist Studies Nr. 9, August 2003). Er argumentierte:
Das ist eine sozialdemokratische Kritik am II. Weltkongress. Die Verurteilung der Leitsätze als „Anfeuerung kolonialer Aufstände“ ist nicht nur ein Zerrbild des Programms der jungen Komintern, sondern auch eine Ablehnung der Rolle der nationalen Befreiung als wesentlicher Hebel für die proletarische Revolution. Sie ist deshalb der Verzicht auf die Führung dieser Kämpfe. Die „Erfahrung des Zarenreichs“, d. h. die Erfahrung von 1917, spricht für den grundlegenden Kern der permanenten Revolution, was nichts anderes bedeutet als die Notwendigkeit einer kommunistischen Führung des demokratischen Kampfes, in erster Linie der nationalen Befreiung. Genau das ist es, was die Leitsätze sowohl des II. wie auch des IV. Weltkongresses als die Hauptaufgabe der Kommunistischen Parteien in den unterdrückten Ländern darstellten. Wie bereits oben gezeigt, betonte Lenin die Notwendigkeit, auch in den Ländern, in denen es überhaupt kein Proletariat gab, um die Führung des antiimperialistischen Kampfes zu kämpfen. Tatsächlich gründete sich die Komintern nicht auf eine objektive „proletarische Zentralität“ (die Existenz einer „lebensfähigen proletarischen Konzentration“, wie es in so vielen IKL-Artikeln heißt), sondern auf den Kampf um die proletarische Führung.
Es ist kein Zufall, dass der eingefleischte Zentrist Giacinto Serrati auf dem II. Weltkongress die Spartacist-Kritik an den Leitsätzen des II. Weltkongresses (und in der Tat auch an denen des IV.) quasi buchstabengetreu formulierte:
Tatsächlich bringt Serratis Verurteilung der Leitsätze des II. Weltkongresses die Spartacist-Karikatur der permanenten Revolution getreu zum Ausdruck: eine orthodox klingende Formel, die in Wirklichkeit die Diktatur des Proletariats der nationalen Befreiung und jedem demokratischen Kampf entgegenstellt – das genaue Gegenteil des Trotzkismus.
Für die antiimperialistische Einheitsfront!
Da die Spartacist-Tendenz die permanente Revolution in ihr Gegenteil verkehrt hatte, behaupteten wir bisher, dass Trotzki seine Theorie erst auf Grundlage der Erfahrung der Chinesischen Revolution von 1925–27 über die Grenzen des ehemaligen Zarenreichs hinaus „erweitert“ habe. Genosse Robertson stellt in seinen oben zitierten Bemerkungen Trotzkis Buch Die permanente Revolution, dessen verschiedene Abschnitte zwischen 1928 und 1930 geschrieben wurden, den Thesen des II. Weltkongresses gegenüber: „Ich glaube“, erklärte er, „dass es 1920 tatsächlich nicht möglich war, zu der Position zu gelangen, die Trotzki erst nach der Niederlage der Chinesischen Revolution und schriftlich um 1930 aufstellen konnte.“
In dem Artikel „Die Ursprünge des chinesischen Trotzkismus“ im deutschsprachigen Spartacist Nr. 19, Winter 1997/98, wird es sogar so dargestellt, als ob es eine – wenn auch nur teilweise – Kontinuität zwischen dem Stalinismus und den „Leitsätzen zur Orientfrage“ gäbe: „Es war natürlich ein steiler Abstieg von diesen opportunistischen Impulsen, die auf dem IV. Weltkongress der revolutionären Komintern zum Ausdruck kamen, bis zu dem voll entwickelten, katastrophalen Verrat, den später Stalin und Bucharin in China begingen.“ Die historische Spartacist-Position stellte die Welt auf den Kopf: Trotzkis permanente Revolution war in der jungen Komintern nicht vorhanden, während Stalins Verrat auf dem IV. Weltkongress bereits im Keim angelegt war!
Gegen die „Leitsätze zur Orientfrage“ des IV. Weltkongresses argumentierte unser Artikel:
Der „Beweis“ für diese „menschewistische Abweichung“ war, so Spartacist, der folgende Satz der Leitsätze:
Aber der obigen Passage gingen unmittelbar die folgenden zwei Sätze voraus, in denen auf der Notwendigkeit der Klassenunabhängigkeit bestanden wurde:
Aber egal wie viele Klauseln der Leitsätze des II. und IV. Weltkongresses auf der Notwendigkeit proletarischer Klassenunabhängigkeit bestehen, selbst die Idee, dass Kommunisten sich in demokratischen Kämpfen engagieren – in zeitweiligen Bündnissen mit nationalistischen Kräften, damit sie um die Führung der werktätigen Massen wetteifern –, stellte nach Ansicht von Spartacist eine Ablenkung von „der Klassenfrage“ dar, mit anderen Worten, sie sei nur ein menschewistisches Schema.
Wie die „Leitsätze zur Orientfrage“ verdeutlichen, ist es notwendig für die Kommunisten, zeitweilige Abkommen mit der nationalen Bourgeoisie zu schließen – antiimperialistische Einheitsfronten –, solange diese ihre Hegemonie über den nationalen Befreiungskampf behält. So können die Schwankungen und Kapitulationen der nationalen Bourgeoisie im Kampf entlarvt werden. Nur so kann man einen Keil zwischen die Arbeiterklasse und die Bauernmassen auf der einen und die neokoloniale Bourgeoisie auf der anderen Seite treiben, und man kann beweisen, dass die Trotzkisten nicht nur die besten, sondern die einzigen konsequenten Kämpfer für die nationale Befreiung sind.
Im Gegensatz zur Komintern, deren Programm die bürgerlichen und reformistischen Führungen der demokratischen Kämpfe herausforderte, um die Massen hinter dem kommunistischen Banner zu versammeln, bestand das Programm der IKL bisher darin, den bürgerlichen Nationalismus in den unterdrückten Ländern als einfach nur reaktionär anzuprangern. Zweifellos haben linke Gruppen aller Couleur den Kampf für die proletarische Diktatur verraten, indem sie im Namen der antiimperialistischen Einheitsfront die werktätigen Massen der Bourgeoisie unterordneten. Doch die sektiererische Ablehnung dieser Taktik durch die IKL tut überhaupt nichts, um die Bourgeoisie vor den Arbeitern und Bauern zu entlarven. Vielmehr festigt sie die Unterordnung der Massen unter die Bourgeoisie noch weiter, denn sie zeigt, dass „Kommunisten“ gegenüber nationaler Emanzipation, Landreform und anderen demokratischen Fragen völlig unsensibel sind.
Die Leitsätze von 1922 polemisieren direkt gegen das Programm und die Methodik der IKL:
Das war genau die Rechtfertigung, mit der wir die nationalen Befreiungskämpfe in Québec, Griechenland, Mexiko usw. verunglimpft haben. Der Hauptunterschied zum obigen Zitat: Wir schulmeisterten, in den meisten Fällen, von den imperialistischen Ländern aus die unterdrückten Massen der neokolonialen Welt.
Die antiimperialistische Einheitsfront war damals unerlässlich und ist es auch heute noch in allen Ländern, in denen der nationale Befreiungskampf in den Händen der Bourgeoisie liegt. Damit die Kommunisten den Griff der Bourgeoisie auf den Kampf brechen können, ist es notwendig, einen entscheidenden Einfluss auf das Proletariat, die Bauern und die unteren Schichten des städtischen Kleinbürgertums zu gewinnen. Und dazu ist es notwendig, nicht als unbefleckte Kritiker am Rande des Kampfes in der Luft zu schweben, sondern sich mitten ins Getümmel zu stürzen. Wir müssen Einfluss und Ansehen im nationalen und demokratischen Kampf gegen die Fremdherrschaft gewinnen, und das kann nur dadurch gelingen, dass wir den Massen gegenüber die Schwächen, Mängel und den Verrat der nationalen Bourgeoisie enthüllen. Das ist der Zweck der antiimperialistischen Einheitsfront: die Massen zu gewinnen, um dem unvermeidlichen offenen Konflikt mit der nationalen Bourgeoisie im Kampf gegen den Weltimperialismus den Boden zu bereiten.
Trotzki kontra IKL über Lenins „Demokratische Diktatur“
Von 1905 bis 1917 bestand zwischen Trotzkis permanenter Revolution und Lenins strategischer Linie, die in der Formel von der „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ zum Ausdruck kam, eine wesentliche Identität, da beide in den ungelösten demokratischen Aufgaben, vor allem der Agrarrevolution, die treibende Kraft der kommenden russischen Revolution sahen. Im Gegensatz zu den Menschewiki erkannten beide den äußerst reaktionären Charakter der liberalen Bourgeoisie, die bereit stand, einen Kompromiss mit dem Zarismus einzugehen. Und sie kamen beide zu derselben revolutionären Schlussfolgerung: der Notwendigkeit der proletarischen Führung des demokratischen Kampfes an der Spitze der Bauernschaft, in Opposition zur liberalen Bourgeoisie. Darüber hinaus waren sie beide der Meinung, dass eine Diktatur der Arbeiter und Bauern das notwendige Instrument der bürgerlich-demokratischen Revolution war. Aus diesen Gründen liefen ihre strategischen Linien zusammen.
Der Unterschied bestand darin, dass Trotzki in seiner Analyse der Klassenposition der Bauernschaft als Bestandteil des heterogenen Kleinbürgertums die Ansicht vertrat, dass diese unfähig sei, eine unabhängige revolutionäre Rolle zu spielen: Sie könne nur entweder dem Proletariat oder der Bourgeoisie folgen. Lenin erläuterte zwar stets die einzigartige revolutionäre Rolle des Proletariats, ließ aber die Möglichkeit der Entwicklung einer sowohl vom Proletariat als auch von der Bourgeoisie unabhängigen Bauernpartei offen. Er weigerte sich daher, a priori die konkreten Formen festzulegen, die das notwendige Bündnis von Arbeitern und Bauern annehmen würde, die konkreten Regierungsformen, die aus der von diesen beiden Klassen durchgeführten Revolution hervorgehen würden. Das ist der einzige Unterschied zwischen Trotzkis Formel, der Diktatur des Proletariats unterstützt von der Bauernschaft, und Lenins algebraischer Formel.
Wie Trotzki selbst in Die permanente Revolution rückblickend erklärte, waren diese beiden Formeln Prognosen, welche einer historischen Prüfung bedurften. Es handelte sich um einen Unterschied von Nuancen in der revolutionären Tendenz des russischen Marxismus. Der Ausbruch des revolutionären Prozesses im Februar 1917 löste die Gleichung ein für alle Mal und zeigte Lenin die tatsächliche Klassendynamik. Die algebraische Formel hatte sich überlebt. Um die Interessen der Arbeiter und Bauern durchzusetzen, musste die Algebra durch die Arithmetik ersetzt werden. „Keine Unterstützung für die Provisorische Regierung!“, „Alle Macht den Sowjets!“, „Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern!“ usw. wurden zu den Parolen des Kampfes für die Diktatur des Proletariats, unterstützt von der Bauernschaft.
Lenins Formel war kein Dogma, sondern ein Aufruf zum Handeln: das revolutionäre Bündnis von Arbeitern und Bauern für den allumfassenden Kampf nicht nur gegen die Autokratie und den Landadel, sondern gegen die liberale Bourgeoisie selbst – die Notwendigkeit einer Diktatur der revolutionären Klassen, die aus einem siegreichen Aufstand hervorgeht. Lenins strategische Linie lässt sich nicht von seinem Kampf für den Aufbau der bolschewistischen Partei trennen, der revolutionärsten Partei der Geschichte. Die wirkliche programmatische Differenz zwischen Lenin und Trotzki betraf nicht die Aussichten der russischen Revolution, sondern gerade die Parteifrage in Bezug auf die Einheit mit dem Opportunismus. Trotzkis Prognose war zwar brillant, doch hatte er jahrelang versucht, die Bolschewiki und Menschewiki wieder zu vereinigen. Sobald er dieses Problem verstanden hatte, gab es, so Lenin, keinen besseren Bolschewiken als Trotzki.
Lenins Kampf innerhalb der bolschewistischen Partei, der in seinen Aprilthesen von 1917 und den „Briefen über die Taktik“ kodifiziert wurde, um die Partei durch das Aufgeben der algebraischen Formel als überholt wieder zu bewaffnen, entsprang Lenins eigener strategischer Linie und nicht einer Ablehnung dieser Formel. Die Stalinisten haben die Losung der „demokratischen Diktatur“ wiederbelebt, indem sie sie aus dem „Archiv der ‚bolschewistischen‘ Antiquitäten“ ausgruben, in das Lenin sie 1917 übergeben hatte. Dadurch wollten sie ihre Unterordnung der Kommunistischen Partei Chinas unter die bürgerliche Guomindang verdecken. Der stalinistische Verrat an der Chinesischen Revolution von 1925–27 war das genaue Gegenteil von Lenins strategischer Linie, es war Menschewismus in Reinkultur.
In ausdrücklichem Widerspruch zu allem, was Lenin und Trotzki zu diesem Thema geschrieben haben, heißt es in unserer Grundsatzerklärung, Lenins „demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ sei „eine mangelhafte Losung, die das Bild eines Staates vermittelte, der die Interessen zweier verschiedener Klassen verteidigt“, und dass die Bolschewiki es versäumt hätten, diese „ausdrücklich zurückzuweisen“ (deutschsprachiger Spartacist Nr. 20, Sommer 1998). Das ist wiederum eine sozialdemokratische Denunzierung Lenins, die sogar das Bündnis zwischen den Arbeitern und Bauern und die frühe Sowjetregierung, die dieses Bündnis verkörperte, zurückweist. Das läuft darauf hinaus, den Oktober selbst in eine Karikatur zu verwandeln.
Unsere Entgegenstellung von Lenin und Trotzki vor 1917 konnte nur auf einer Perversion der permanenten Revolution basieren, die den Trotzkismus in das sozialdemokratische Geschwafel eines Serrati oder Levi verwandelt: indem sie die zentrale Bedeutung des demokratischen Kampfes verleugnet. Das sind die reaktionären Schlussfolgerungen aus unserer Linie. Der grundlegende Hebel des Oktobers war in erster Linie die Agrarfrage. Die frühe Sowjetregierung hat in Wirklichkeit die Interessen der Arbeiter und Bauern dadurch verteidigt, dass sie den Bauernkrieg unter der Führung des Proletariats entfesselte. Ohne die Verteidigung der Interessen der Bauernschaft hätte die Diktatur keinen einzigen Tag überlebt. Wie Trotzki in Die permanente Revolution warnte, muss man „Lenin auf Leninsche Art, und nicht auf die der Epigonen, betrachten“. In Bezug auf die „demokratische Diktatur“ erklärte Trotzki weiter: