EINLEITUNG

Das nachfolgende Dokument wurde von der VIII. Internationalen Konferenz der IKL angenommen.

Gemessen an der Weltgeschichte waren die 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in jeder Hinsicht Jahre relativer Stabilität. Zwar gab es auch in dieser Zeit Krisen und blutige Konflikte, doch waren sie eher die Ausnahme als die Regel und hatten nicht das Ausmaß der Umwälzungen des 20. Jahrhunderts. Bewaffnete Konflikte waren von geringerer Intensität, der Lebensstandard von Millionen Menschen verbesserte sich, und in vielen Teilen der Welt fand eine soziale Liberalisierung statt. Wie war dies nach der Zerstörung der UdSSR, einer katastrophalen Niederlage für die internationale Arbeiterklasse, möglich?

Die imperialistische herrschende Klasse und ihre Speichellecker verkündeten, dass diese Entwicklungen eindeutig die Überlegenheit des liberalen US-Kapitalismus über den Kommunismus bewiesen. Was war die Antwort derjenigen, die den Mantel des Marxismus für sich beanspruchten? Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) wurde zum Bannerträger der wirtschaftlichen Globalisierung, sie ging auf Schmusekurs mit der Welthandelsorganisation (WTO) und degradierte den Sozialismus auf rein zeremonielle Zwecke. Viele Pro-Moskau-Stalinisten haben sich einfach aufgelöst. Was die trotzkistischen Gruppierungen betrifft, so liefen sie liberalen Bewegungen gegen Krieg, Austerität und Rassismus hinterher und waren nicht in der Lage, die Notwendigkeit einer revolutionären Partei zu begründen. Während einige „Marxisten“ weiterhin den Sozialismus für die Zukunft predigten, baute niemand eine revolutionäre Opposition zum liberalen Triumphalismus auf.

Heute ist dem Liberalismus der Wind aus den Segeln genommen. Die Covid-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine markieren einen Wendepunkt in der Weltlage. Die Krise wird zur Regel und die Stabilität zur Ausnahme. Da die Hegemonie der USA bedroht ist und alle stabilitätsfördernden Faktoren schwinden, haben nur sehr wenige die Illusion, dass die vor ihnen liegende Periode ruhig verlaufen wird. Der Liberalismus hat zwar immer noch seine Verteidiger – nicht zuletzt in der Arbeiterbewegung –, aber sie sind nicht mehr zuversichtlich und in der Offensive, sondern hysterisch und reaktiv, da sie spüren, wie ihnen der Boden unter den Füßen wegbricht. Der Liberalismus sieht sich jetzt echten Herausforderern gegenüber, vom Rechts- und Linkspopulismus über den Islamismus und den Hindu-Nationalismus bis hin zum chinesischen Stalinismus. Die Liberalen selbst zerfleischen sich gegenseitig über Kriterien für politische Korrektheit und Identitätspolitik. Doch während sich die Wolken verdichten und der US-Imperialismus und seine Verbündeten versuchen, die Initiative wiederzuerlangen, bleibt die Avantgarde des Proletariats desorganisiert und desorientiert.

Der Kampf für den Bruch der Arbeiterbewegung vom Opportunismus, der von Lenin begonnen und von Trotzki fortgesetzt wurde, muss wieder aufgenommen und auf die Aufgaben und die Dynamik der heutigen Welt angewandt werden. Die VIII. Internationale Konferenz der IKL und dieses Dokument streben an, eine Grundlage für diesen Kampf zu geben, indem sie eine Kritik der postsowjetischen Periode des liberalen Triumphalismus vorlegen und einige grundlegende Elemente der Analyse und des Programms für die heutige neue Ära skizzieren, die durch den Niedergang der US-Hegemonie gekennzeichnet ist. Da die Arbeiterklasse der Welt mit Katastrophen und Konflikten konfrontiert ist, besteht mehr denn je die dringende Notwendigkeit einer revolutionären internationalen Avantgardepartei, die fähig ist, die Arbeiterklasse zur Macht zu führen.

I. URSPRÜNGE DER UNIPOLAREN WELT

Die Vereinigten Staaten gingen aus dem Zweiten Weltkrieg als unangefochtene Führer der kapitalistischen Welt hervor. Ihre Binnenwirtschaft erwirtschaftete 50 Prozent des globalen BIP. Sie besaßen 80 Prozent der weltweiten Hartwährungsreserven, hatten das stärkste Militär und waren der größte Gläubiger der Welt. Sie nutzten diese Vormachtstellung, um die internationale Ordnung neu zu gestalten. Im Rahmen des Bretton-Woods-Systems wurde der US-Dollar als globale Reservewährung eingeführt und es wurden eine ganze Reihe von Institutionen gegründet (UNO, IWF, Weltbank, NATO), um die Vorherrschaft der USA zu festigen und die Grundlage für eine liberal-kapitalistische Weltordnung zu schaffen.

Trotz der überwältigenden Wirtschaftsmacht der USA stellte die UdSSR ein wichtiges Gegengewicht dar. Die Rote Armee war eine gewaltige Macht und ihre Kontrolle erstreckte sich über ganz Osteuropa. Trotz der Versuche Stalins, ein dauerhaftes Abkommen mit dem US-Imperialismus zu erzielen, war keine Einigung möglich. Allein schon die Existenz und Stärke der Sowjetunion stellte eine Herausforderung für die Vorherrschaft des amerikanischen Kapitalismus dar. Weltweit waren die antikolonialen Kämpfe in vollem Gange und antiimperialistische Kräfte suchten politische und militärische Unterstützung von der UdSSR. Die siegreiche Chinesische Revolution von 1949 erhöhte das Gewicht der nicht-kapitalistischen Welt noch weiter und löste in den USA Hysterie und Panik aus. Die Welt war effektiv in zwei konkurrierende Einflusssphären aufgeteilt, die zwei rivalisierende Gesellschaftssysteme repräsentierten.

Während die anderen imperialistischen Mächte sich wieder aufbauten und die USA sich in ein antikommunistisches Militärabenteuer nach dem anderen stürzten, zeigten sich die ersten deutlichen Anzeichen einer Überdehnung. Die Niederlage der USA in Vietnam war ein Wendepunkt, der eine Periode wirtschaftlicher und politischer Unruhen im In- und Ausland einleitete. Anfang der 1970er-Jahre gab es gute Gründe für die Annahme, dass das so genannte „amerikanische Jahrhundert“ vorzeitig zu Ende gehen würde. Aber die revolutionären Möglichkeiten der späten 60er- und frühen 70er-Jahre – Frankreich (1968), die Tschechoslowakei (1968), Québec (1972), Chile (1970-73), Portugal (1974/75), Spanien (1975/76) – endeten alle in einer Niederlage. Indem die opportunistische Führung der Arbeiterklasse für diese Niederlagen sorgte, verschaffte sie dem Imperialismus den nötigen Spielraum, um sich zu stabilisieren. Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre ging er wieder in die Offensive und läutete damit die neoliberale Ära der Privatisierung und wirtschaftlichen Liberalisierung ein. 1981 versetzte Reagan der amerikanischen Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage, als er den Streik der Fluglotsengewerkschaft PATCO niederschlug. Es folgten weitere Niederlagen für die internationale Arbeiterklasse, vor allem die der britischen Bergarbeiter im Jahr 1985. In dieser Zeit wurde immer mehr Druck auf die UdSSR ausgeübt, der Kalte Krieg wurde auf neue Höhen getrieben und die USA nutzten die chinesisch-sowjetische Spaltung durch ihr antisowjetisches Bündnis mit China aus.

Ende der 80er-Jahre befanden sich die UdSSR und der Ostblock in großer wirtschaftlicher und politischer Bedrängnis. Der Rückzug der Roten Armee aus Afghanistan und der konterrevolutionäre Sieg von Solidarność in Polen demoralisierten die herrschende Bürokratie in Moskau zusätzlich. Nachdem Moskau die DDR verraten und der deutschen Wiedervereinigung zugestimmt hatte, dauerte es nicht lange, bis die Bürokratie die Sowjetunion selbst verriet. Der Druck des Weltimperialismus in Verbindung mit der Demoralisierung der Arbeiterklasse durch jahrzehntelangen stalinistischen Verrat führte zur endgültigen Liquidierung der Errungenschaften der Oktoberrevolution. Mit dem Jahr 1991 hatte sich das internationale Gleichgewicht der Klassenkräfte entscheidend zu Gunsten des Imperialismus und zu Lasten der Arbeiterklasse und der Unterdrückten der Welt verschoben.

II. REAKTIONÄRER CHARAKTER DER POSTSOWJETISCHEN PERIODE

Ultraimperialismus made in the USA

Mit dem Zusammenbruch der UdSSR wurde die Weltordnung nicht mehr durch den Konflikt zweier Gesellschaftssysteme bestimmt, sondern durch die Hegemonie der Vereinigten Staaten. Es gab kein Land und keine Ländergruppe, die es mit den USA aufnehmen konnten. Ihr BIP war fast doppelt so hoch wie das ihres nächsten Rivalen Japan. Sie kontrollierten den globalen Kapitalfluss. Militärisch konnte keine Macht auch nur annähernd mithalten. Das amerikanische Modell der liberalen Demokratie wurde zum Gipfel des Fortschritts erklärt, dem sich alle Länder annähern sollten.

In vielerlei Hinsicht ähnelte die entstandene Ordnung dem „Ultraimperialismus“, einem System, in dem sich die Großmächte darauf einigen, die Welt gemeinsam auszuplündern. Dies geschah nicht durch die friedliche Entwicklung des Finanzkapitals, wie von Karl Kautsky prognostiziert, sondern durch die Vorherrschaft einer einzigen Macht, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Asche des europäischen und japanischen Imperialismus errichtet worden war. Die USA bauten diese Imperien aus ihren Überresten wieder auf und vereinigten sie während des Kalten Krieges in einem antikommunistischen Bündnis. Als der Kalte Krieg zu Ende ging, wurde diese imperialistische Einheitsfront nicht aufgelöst, sondern in vielerlei Hinsicht gestärkt. So führte beispielsweise die deutsche Wiedervereinigung nicht, wie von vielen befürchtet, zu einer Verschärfung der Spannungen in Europa, sondern wurde mit dem Segen der USA und der NATO vollzogen.

Die außergewöhnliche Stabilität der postsowjetischen Periode lässt sich durch die überwältigenden Vorteile der USA gegenüber ihren Konkurrenten in Verbindung mit der Öffnung großer Teile zuvor unerschlossener Märkte für das Finanzkapital erklären. 1989 lebte ein Drittel der Weltbevölkerung in nicht-kapitalistischen Ländern. Die Welle der Konterrevolution, die in jenem Jahr begann, führte zur vollständigen Zerstörung vieler Arbeiterstaaten oder – wie im Falle Chinas zur Öffnung für das imperialistische Kapital, während die Grundlagen einer kollektivierten Wirtschaft erhalten blieben. Diese Entwicklungen verhalfen dem Imperialismus zu neuem Schwung. Anstatt sich gegenseitig im Kampf um Marktanteile zu zerfleischen, arbeiteten Deutschland, Frankreich, Britannien und die USA zusammen, um Osteuropa in den politischen und wirtschaftlichen Schoß des Westens zu holen. Die Europäische Union (EU) und die NATO wurden nacheinander bis an die Grenzen Russlands erweitert. In Asien gab es eine analoge Situation: Die USA und Japan arbeiteten zusammen, um die wirtschaftliche Liberalisierung in China und den übrigen ost- und südostasiatischen Ländern zu fördern und auszunutzen.

Die Einheitsfront der Großmächte ließ dem Rest der Welt kaum eine andere Wahl, als sich dem politischen und wirtschaftlichen Diktat der USA zu beugen. In einem Land nach dem anderen schrieben der IWF und die Weltbank die Regeln nach den Interessen des US-Finanzkapitals um. Dieser „Neoliberalismus“ war bereits in den 80er-Jahren in vollem Gange, aber die Zerstörung der Sowjetunion gab ihm neuen Auftrieb. Die wenigen Länder, die sich weigerten oder daran gehindert wurden, dem von den USA vorgezeichneten Weg zu folgen (Iran, Venezuela, Nordkorea, Kuba, Irak, Afghanistan), stellten keine nennenswerte Bedrohung für die globale Ordnung dar.

Dieses günstige Kräfteverhältnis schuf nicht nur lukrative Investitionsmöglichkeiten für die Imperialisten, sondern verringerte auch die mit dem Außenhandel verbundenen Risiken. Die Kapitalisten konnten im Ausland investieren und Handel treiben, weil sie wussten, dass die politische und militärische Dominanz der USA sie vor einem größeren Konflikt oder einer allzu feindseligen Regierung schützte. Diese Faktoren führten zu einer erheblichen Zunahme des internationalen Handels, zur massiven Verlagerung der Produktion ins Ausland und zu einer Explosion des internationalen Kapitalverkehrs, d. h. zur Globalisierung.

Eine marxistische Antwort auf die Globalisierung

Die Befürworter des liberalen Imperialismus führen den erheblichen Anstieg des Lebensstandards in vielen Teilen der Welt und allgemein niedrigere Preise für Konsumgüter auf die Globalisierung zurück. Es ist unbestreitbar, dass die Ausweitung der globalen Arbeitsteilung in den letzten 30 Jahren international zu einer Entwicklung der Produktivkräfte geführt hat. So hat sich beispielsweise der Pro-Kopf-Energieverbrauch in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen mehr als verdoppelt, die weltweite Alphabetisierungsrate ist auf fast 90 Prozent gestiegen, und die Automobil- und Stahlproduktion hat sich mehr als verdoppelt. Auf den ersten Blick scheinen diese fortschrittlichen Entwicklungen im Widerspruch zur marxistischen Imperialismustheorie zu stehen, die besagt, dass der Kapitalismus sein Endstadium erreicht hat, in dem die Herrschaft des Monopolkapitals zu Parasitismus und langfristigem Verfall führt. Die marxistische Analyse steht jedoch keineswegs im Widerspruch zu den Ereignissen, sondern nur sie kann diese vollständig erklären und dabei zeigen, dass die liberale Weltordnung nicht zu einem allmählichen sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt, sondern zu sozialem Elend führt.

Zunächst einmal ist es keineswegs notwendig, dem Finanzkapital eine progressive Rolle zuzuschreiben, um ein anhaltendes Wachstum der Produktivkräfte zu erklären. Die Bedingungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – geringere militärische Bedrohung, geschwächte Arbeiterbewegung, geringeres Risiko bei Auslandsinvestitionen, weit verbreitete Liberalisierung – ermöglichten es dem Imperialismus eine Zeit lang, seine Tendenz zum Niedergang zu überwinden. Tatsächlich hat Trotzki selbst diese Möglichkeit vorausgesehen:

„Theoretisch ist natürlich auch ein neues Kapitel eines allgemeinen kapitalistischen Fortschritts in den besonders mächtigen, herrschenden und führenden Ländern nicht ausgeschlossen. Dazu müsste der Kapitalismus jedoch erst ungeheure sowohl klassenmäßige als auch zwischenstaatliche Barrieren überwinden. Er müsste für lange Zeit die proletarische Revolution abwürgen. Er müsste China endgültig versklaven, die Sowjetrepublik stürzen usw.“

Die Dritte Internationale nach Lenin (1928)

Genau das ist geschehen. Nach einer dramatischen Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen zu Lasten des Proletariats hat der Kapitalismus einen neuen Auftrieb bekommen. Dies konnte jedoch nur eine vorübergehende Atempause in der allgemeinen Tendenz des Imperialismus zum Niedergang sein, die nun zur Norm zurückkehrt.

Zweitens wollen die Verfechter des Kapitalismus die Überlegenheit der freien Märkte gegenüber der Planwirtschaft beweisen, indem sie die Lebensstandards in den deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas mit denen von heute vergleichen (Polen ist das Standardbeispiel). Tatsächlich lässt sich diese Behauptung widerlegen, selbst wenn man davon absieht, dass sich die Bedingungen in bestimmten Bereichen – Ungleichheit, Stellung der Frau, Massenauswanderung usw. – tatsächlich verschlechtert haben. Die orthodoxen Marxisten – d.h. die Trotzkisten – haben stets argumentiert, dass die Planwirtschaften der isolierten Arbeiterstaaten trotz ihrer enormen Vorteile die Wirtschaft der fortgeschrittenen kapitalistischen Mächte aufgrund deren höherer Produktivität und ihrer internationalen Arbeitsteilung nicht übertreffen können. Die Stalinisten behaupteten, dass die Sowjetunion allein (und später mit ihren Verbündeten) die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder durch eine „friedliche Koexistenz“ mit dem Imperialismus überholen könne. Aber gerade die Unmöglichkeit der friedlichen Koexistenz schließt dies aus.

Die imperialistischen Mächte haben stets extremen wirtschaftlichen und militärischen Druck auf die UdSSR und andere Länder des Warschauer Paktes ausgeübt. Deren Wirtschaftsleistung wurde durch diese Angriffe beeinträchtigt, wobei noch die bürokratische Misswirtschaft hinzukam, die zwangsläufig mit dem Versuch einhergeht, den „Sozialismus“ unter Bedingungen der Isolation und Armut „aufzubauen“. Das anhaltende Wirtschaftswachstum im kapitalistischen Polen ist auf seine vollständige Integration in den Welthandel zurückzuführen – eine Möglichkeit, die der zerstörten Nachkriegswirtschaft der Volksrepublik Polen verschlossen war. Man kann den Lebensstandard einer belagerten Burg nicht mit dem einer nicht belagerten Burg vergleichen. Die Überlegenheit der Planwirtschaften ist klar ersichtlich, wenn man die unglaublichen Fortschritte betrachtet, die trotz des feindlichen internationalen Umfelds, in dem sie sich befanden, erzielt wurden. Das gilt für Polen ebenso wie für die Sowjetunion, Kuba, China und Vietnam.

Drittens argumentieren die Verfechter der liberalen Weltordnung, dass die Intensität und die Zahl der Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg abgenommen haben und seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch weiter zurückgegangen sind, was beweise, dass Liberalismus und Globalisierung allmählich zum Frieden führen. Auch wenn einige sachliche Aspekte dieser Behauptung angefochten werden können, so ist doch unbestreitbar, dass kein Konflikt in den letzten 75 Jahren auch nur annähernd an das industrielle Gemetzel der beiden Weltkriege heranreicht. Bis heute ist die „Erhaltung des Friedens in Europa“ das Hauptargument zur Verteidigung der EU. Die Wahrheit ist, dass das Ausbleiben eines neuen Weltkriegs nur darauf zurückzuführen ist, dass die USA ihre Rivalen turmhoch überragen – ein notwendigerweise vorübergehendes Kräfteverhältnis. Wie Lenin erklärte:

„Denn unter dem Kapitalismus ist für die Aufteilung der Interessen- und Einflusssphären, der Kolonien usw. eine andere Grundlage als die Stärke der daran Beteiligten, ihre allgemeinwirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Stärke, nicht denkbar. Die Stärke der Beteiligten aber ändert sich ungleichmäßig, denn eine gleichmäßige Entwicklung der einzelnen Unternehmungen, Trusts, Industriezweige und Länder kann es unter dem Kapitalismus nicht geben…

‚Interimperialistische‘ oder ‚ultraimperialistische‘ Bündnisse sind daher in der kapitalistischen Wirklichkeit, und nicht in der banalen Spießerphantasie englischer Pfaffen oder des deutschen ‚Marxisten‘ Kautsky, notwendigerweise nur ‚Atempausen‘ zwischen Kriegen – gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden, ob in der Form einer imperialistischen Koalition gegen eine andere imperialistische Koalition oder in der Form eines allgemeinen Bündnisses aller imperialistischen Mächte.“

Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1916)

Zu akzeptieren, dass in der postsowjetischen Zeit relativer Frieden herrschte, ändert nichts an der Tatsache, dass es zahlreiche Kriege gab, die sehr brutal waren. Das US-Militär hat fast ununterbrochen Kriege niedriger Intensität geführt, um seine militärische Macht zu behaupten und sein Recht zu sichern, unzählige Millionen Menschen durch die Expansion des Finanzkapitals „friedlich“ zu unterjochen. Weit davon entfernt, zum Weltfrieden zu führen, bereitet diese Dynamik nur neue Kriege von unvorstellbarer Brutalität vor, um die Welt erneut aufzuteilen.

Viertens hat sich das Wachstum der Produktivkräfte nicht aufgrund irgendeines mythischen Freihandels vollzogen, sondern unter dem Joch und entsprechend den Interessen des von einigen wenigen Großmächten kontrollierten Monopolkapitals. Das bedeutet, dass jeder kurz- oder mittelfristige Fortschritt in bestimmten Regionen der Welt mit einer zunehmenden Abhängigkeit von den finanziellen Launen der imperialistischen Mächte, insbesondere der USA, einherging. So lässt sich zum Beispiel anhand verschiedener sozio-ökonomischer Indikatoren eine Verbesserung des Lebensstandards in Mexiko seit den 1990er-Jahren feststellen. Dies geschah jedoch um den Preis einer viel tieferen wirtschaftlichen Unterordnung unter die USA und einer verheerenden Situation bestimmter Bevölkerungsschichten, insbesondere der Bauernschaft. Diese Situation bedeutet, dass die Imperialisten in Zeiten des Wachstums riesige Profite aus den von ihnen abhängigen Ländern ziehen und in Krisenzeiten erpresserische politische und wirtschaftliche Zugeständnisse verlangen können, was deren nationale Unterdrückung weiter vertieft. All dies zeigt, dass kurzfristiges Wirtschaftswachstum den Preis der Versklavung durch den Imperialismus nicht wert ist.

Schließlich und vor allem hat der Zusammenbruch der Sowjetunion nicht eine höhere Phase des menschlichen Fortschritts eingeläutet, sondern den Triumph des US-Imperialismus, was nichts anderes bedeutet als die Herrschaft der US-Finanzrentiers über die Welt. Es ist gerade die Herrschaft dieser Klasse, die die Weiterentwicklung der Produktivkräfte begrenzt und zum sozialen Abstieg führt. Dies gilt in erster Linie für die USA selbst. In Imperialismus erklärte Lenin:

„Die Kapitalausfuhr, eine der wesentlichsten ökonomischen Grundlagen des Imperialismus, verstärkt diese völlige Isolierung der Rentnerschicht von der Produktion noch mehr und drückt dem ganzen Land, das von der Ausbeutung der Arbeit einiger überseeischer Länder und Kolonien lebt, den Stempel des Parasitismus auf.“

Dies beschreibt perfekt den Charakter der US-Wirtschaft. Das beispiellose Wachstum ihrer internationalen Finanzinteressen hat die eigentliche Quelle der globalen Macht der USA, ihre einst mächtige industrielle Basis, ausgehöhlt. Verlagerungen, chronisch unzureichende Investitionen in die Infrastruktur, astronomische Wohnungspreise, eine blutsaugende Gesundheitsindustrie, ein überteuertes und minderwertiges Bildungswesen: All das sind Produkte des zunehmend parasitären Charakters des amerikanischen Kapitalismus. Selbst die militärische Macht der USA wird durch die Aushöhlung der Industrie untergraben.

Die amerikanische herrschende Klasse hat versucht, den wirtschaftlichen Niedergang des Landes durch wilde Spekulationen, billige Kredite und das Drucken von Geld zu kompensieren. Wie Trotzki bemerkte: „Je ärmer die Gesellschaft wird, desto reicher erscheint sie sich selber im Spiegel dieses fiktiven Kapitals“ („Die wirtschaftliche Weltkrise und die neuen Aufgaben der Kommunistischen Internationale“, Juni 1921). Damit kündigt sich eine wirtschaftliche Katastrophe an. Das gesamte soziale Gefüge des Landes verfault und immer mehr Schichten der Arbeiterklasse und der Unterdrückten werden ins Elend gestürzt.

Dieser innere Verfall geht einher mit einem sinkenden wirtschaftlichen Gewicht in der Welt. Während die US-Wirtschaft 1970 noch 36 Prozent des weltweiten BIP ausmachte, sind es heute weniger als 24 Prozent. Dieser Trend setzte sich in allen imperialistischen Ländern fort. Während 1970 die fünf größten Mächte (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Britannien) zusammen 60 Prozent des Welt-BIP ausmachten, sind es heute nur noch 40 Prozent. Einerseits hat die phänomenale Zunahme des internationalen Kapitalexports zu einem Verfall geführt, andererseits hat sie viele Länder weiter in die modernen kapitalistischen Verhältnisse integriert und ein gigantisches Proletariat in Ostasien und anderen Teilen der Welt geschaffen.

Es sind die sogenannten Länder mit mittlerem Einkommen und insbesondere China, die ihr Gewicht in der Weltwirtschaft erhöht haben. Doch trotz dieses wirtschaftlichen Fortschritts bleiben diese Länder dem internationalen Finanzkapital untergeordnet. Wenn es um die Finanzmacht geht, sind die USA nach wie vor unangefochten: Der Dollar ist nach wie vor das Maß aller Dinge, die USA kontrollieren die wichtigsten internationalen Institutionen, und 14 der 20 größten Vermögensverwaltungsfirmen sind amerikanisch und kontrollieren zusammen ein Kapital von 45 Billionen Dollar, was etwa der Hälfte des weltweiten BIP entspricht. (Die anderen sechs führenden Vermögensverwaltungsfirmen sind ansässig entweder in der Schweiz, Frankreich, Deutschland oder Britannien. Von den 60 führenden Vermögensverwaltern kommt keiner aus China, Südkorea oder einem der anderen sogenannten „Schwellenländer“.) Der wachsende Widerspruch zwischen der nach wie vor hegemonialen Stellung der USA und ihrer sinkenden realen Wirtschaftskraft ist unhaltbar und die Hauptursache für die zunehmende wirtschaftliche und politische Instabilität in der Welt.

Das Wachstum des Welthandels, die Industrialisierung der neokolonialen Länder, die Entwicklung Chinas – all diese Faktoren untergraben die Hegemonie der USA. Um ihre Position zu halten, müssen die USA die derzeitige Dynamik umkehren. Das bedeutet, dass sie die Grundlagen der Globalisierung angreifen müssen, indem sie China konfrontieren, Druck auf die Neokolonien ausüben, die Zollschranken erhöhen und die Brosamen, die sie ihren Verbündeten geben, reduzieren. Das grundlegendste Argument gegen die Globalisierung ist, dass die Entwicklung der Produktivkräfte den Interessen der Klasse zuwiderläuft, auf die sich die Globalisierung stützt: der amerikanischen imperialistischen Bourgeoisie. Dies allein beweist, dass der Versuch, die liberale Weltordnung aufrechtzuerhalten oder zu „reparieren“, nichts als eine reaktionäre Fantasie ist.

Das soll nicht heißen, dass es den USA nicht wie 1989 gelingen könnte, ihre Position zu festigen. Jedoch wäre dies nur um den Preis katastrophaler Niederlagen für die internationale Arbeiterklasse zu erreichen und würde den unumgänglichen Niedergang des Imperialismus nicht aufhalten. Die einzige Kraft, die der imperialistischen Tyrannei ein Ende setzen und eine wirklich höhere Entwicklungsstufe einleiten kann, ist die Arbeiterklasse. Die Globalisierung hat in der Tat das revolutionäre Potenzial des Proletariats gestärkt, so dass es heute mächtiger, internationaler und national unterdrückter ist als je zuvor. Dies hat sich jedoch bisher nicht in einer größeren politischen Stärke niedergeschlagen. In dieser Hinsicht hat die postsowjetische Periode die Arbeiterbewegung in der Tat sehr weit zurückgeworfen.

III. LIBERALISMUS UND POSTSOWJETISCHE WELT

Liberaler Triumphalismus

Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat nicht nur zu großen Veränderungen im wirtschaftlichen, politischen und militärischen Gleichgewicht der internationalen Kräfte geführt, sondern auch zu großen ideologischen Veränderungen. Während des Kalten Krieges präsentierten sich die herrschenden Klassen des Westens als die Verteidiger der Demokratie und der individuellen Rechte gegen die Tyrannei des „totalitären Kommunismus“. Im Wesentlichen war dies eine ideologische Rechtfertigung für die Feindschaft gegenüber den deformierten Arbeiterstaaten und antikolonialen Kämpfen. Mit dem Zusammenbruch des Sowjetblocks wurde der Kommunismus für tot erklärt, und der liberale Triumphalismus wurde zur vorherrschenden Ideologie, was den Wechsel der imperialistischen Prioritäten von der Konfrontation mit dem „Kommunismus“ zum Vordringen in die neu geöffneten Märkte in Osteuropa und Asien widerspiegelt.

Francis Fukuyamas Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? (1992) verkörpert die Arroganz und den Triumphalismus der frühen postsowjetischen Zeit. Der liberale Kapitalismus wurde zum Gipfel der menschlichen Zivilisation erklärt, der sich weltweit verbreiten würde. Hinter dieser fantastischen Vorstellung verbarg sich natürlich die sehr reale Ausbreitung des imperialistischen Kapitals in der ganzen Welt. Der liberale Triumphalismus war die ideologische Rechtfertigung für diesen Prozess. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten beherrschten die Welt im Namen des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts – eine modernisierte Version der „Bürde des weißen Mannes“.

Unter diesem ideologischen Deckmantel führten die USA ihre verschiedenen Militärinterventionen in der postsowjetischen Periode durch. Der erste Golfkrieg und die Intervention in Serbien sollten dem „Schutz kleiner Nationen“ dienen. Die Intervention in Somalia sollte „die Hungernden retten“. Diese Ideologie wurde von der UNO als „Schutzverantwortung“ (Responsibility to Protect, R2P) festgeschrieben. Wie der Name der Doktrin schon sagt, verkündet sie, dass die Großmächte die Verantwortung hätten, militärisch zu intervenieren, um die unterdrückten Völker der Welt zu schützen. Der Irak-Krieg von Bush Jr. wurde unter anderem deshalb so heftig abgelehnt, weil er nicht so ganz in diese Kategorie passte. In seinen Grundzügen unterschied er sich jedoch nicht von anderen US-Interventionen in dieser Zeit. Ihr Ziel bestand in erster Linie darin, die Hegemonie der USA über die Welt zu behaupten, und nicht darin, sich langfristige wirtschaftliche oder strategische Vorteile zu sichern. Die Verbündeten der USA, die sich gegen Interventionen wie die im Irak aussprachen, taten dies, weil sie es nicht für lohnenswert hielten, erhebliche Ressourcen zu investieren, um einmal mehr zu zeigen, dass die USA ein kleines Land vernichten können. Besser, die Vorteile der US-Ordnung zu ernten, ohne die Kosten zu tragen.

Viel bedeutender als die bewaffneten Konflikte dieser Periode war das wirtschaftliche Vordringen des imperialistischen Finanzkapitals in jeden Winkel der Erde. Der Prozess der Globalisierung wurde seinerseits von einer ganzen Reihe ideologischer Prinzipien begleitet und unterstützt. In den meisten westlichen Ländern wurde eine Art imperialistischer Internationalismus zum Konsens. Der Nationalstaat gehöre der Vergangenheit an, und Freihandel, offene Kapitalmärkte und ein hohes Maß an Einwanderung wurden als Weg zu Fortschritt und Weltfrieden angesehen. Einmal mehr spiegelten diese hohen Prinzipien die spezifischen Interessen der herrschenden Klasse wider und wurden eingesetzt, um die nationalen Rechte unterdrückter Länder mit Füßen zu treten, den Westen zu deindustrialisieren, billige Arbeitskräfte zu importieren und Märkte für imperialistisches Kapital und Waren zu öffnen.

Die Arbeiterbewegung in der postsowjetischen Periode

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verfügte die Arbeiterklasse nirgendwo über eine bewusste revolutionäre Avantgarde an ihrer Spitze. Dennoch konnte sie eine Reihe bedeutender Errungenschaften verbuchen: die Sowjetunion, die neuen Arbeiterstaaten der Nachkriegszeit (zu denen später China, Kuba, Vietnam und Laos hinzukamen) und eine starke Arbeiterbewegung in der kapitalistischen Welt. Letztere umfasste starke Gewerkschaften und Arbeiter-Massenparteien. Doch in jedem dieser Fälle wurden diese Hochburgen der Macht der Arbeiterklasse durch opportunistische, bürokratische Führungen ständig geschwächt und ausgehöhlt. Als die Gewerkschaften in den USA und Britannien in den 1980er-Jahren konzertierten und heftigen Angriffen ausgesetzt waren, erwiesen sich ihre Führungen als unfähig, diese Offensiven abzuwehren, obwohl die Arbeiter heldenhafte Opfer brachten. In Osteuropa gab die sowjetische Bürokratie kampflos eine Position nach der anderen auf, bis sie sich schließlich selbst liquidierte. Alles in allem haben diese Niederlagen der gesamten Position des internationalen Proletariats in der Nachkriegsperiode den Boden entzogen.

Diese Katastrophen wurden von den Kapitalisten ausgenutzt, die ihren Vorteil ausspielten und einer geschwächten und desorientierten Arbeiterbewegung immer mehr ihrer bisherigen Errungenschaften entrissen. Fast überall auf der Welt gingen die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften zurück, verstaatlichte Industrien und Versorgungsbetriebe wurden privatisiert, Arbeiterparteien wie die einst mächtige Kommunistische Partei Italiens lösten sich einfach auf, und im Westen wurden immer mehr Industrien stillgelegt. Diese objektiven Schläge gegen die Arbeiterklasse führten zu Demoralisierung und einem Rechtsruck in der Arbeiterbewegung.

In den imperialistischen Ländern bekannte sich ein Großteil der sozialdemokratischen Führer, der stalinistischen Überreste und der Gewerkschaftsspitzen offen zum liberalen Triumphalismus. Reformismus und Gewerkschaftsbewegung der alten Schule wurden als zu radikal für dieses neue Zeitalter angesehen. Der Klassenkampf galt als beendet, die Gewerkschaften mussten respektabel (d. h. machtlos) werden, und Sozialismus wurde bestenfalls als Utopie betrachtet. In der Arbeiterbewegung gab es Widerstand gegen Privatisierung und Freihandel, aber er war minimal und wurde durch die Überzeugung untergraben, dass beides unvermeidlich sei. Tony Blairs New-Labour-Projekt symbolisierte diesen Rechtsruck. Er wollte die britische Labour Party von einer gewerkschaftsbasierten Arbeiterpartei in eine Partei umwandeln, die der Demokratischen Partei der USA ähnelt. In der Regierung trieb er radikale neoliberale Reformen voran, die mit einem Anstrich von Modernismus und progressiven sozialen Werten versehen wurden. Da diese neuen „Arbeiterführer“ in Britannien und anderswo die Existenz einer Arbeiterbewegung und aller Prinzipien, auf denen sie aufgebaut war, ablehnten, wurden die traditionellen Organisationen weiter geschwächt und ausgehöhlt. Die Dominanz des Liberalismus in den Gewerkschaften und Arbeiterparteien lief im Wesentlichen darauf hinaus, dass sich die Arbeiterbewegung ihre eigenen Beine absägte, was sie in den heutigen geschwächten Zustand brachte.

Die vom Imperialismus unterdrückten Länder

Im Westen und in Japan wurde die Position der Arbeiterklasse durch Auslagerung der Industrie nach unten gedrückt. In vielen Ländern, die vom Imperialismus unterdrückt werden, boomte die Industrie jedoch, und dennoch verschlechterte sich die politische Position des Proletariats in der postsowjetischen Periode erheblich. Wie lässt sich diese Schwäche inmitten einer objektiven Stärkung der Arbeiterklasse erklären? Unter Berücksichtigung der großen Unterschiede zwischen den Ländern lässt sich doch ein allgemeiner Trend feststellen. Der internationale Kontext in den 80er- und 90er-Jahren führte dazu, dass der Imperialismus seinen Einfluss auf „Entwicklungs-“ und „Schwellenländer“ verstärkte. Dies wiederum begünstigte eine Stärkung des Liberalismus auf Kosten des Nationalismus der Dritten Welt und der kämpferischen Politik der Arbeiterklasse. Während der Liberalismus in sozialen Fragen wie Sexualität, Rasse und Religion im Allgemeinen keine großen Fortschritte machte, wurden der Wirtschaftsliberalismus (Neoliberalismus) und bis zu einem gewissen Grad der politische Liberalismus (formale Demokratie) dominant.

Auf politischer Ebene war die internationale Annäherung an die liberale Demokratie zum Teil das Ergebnis der US-Außenpolitik, die zunehmend demokratische Reformen als optimalen Weg zur Eindämmung sozialer Umwälzungen ansah. Aber die internen Regime der neokolonialen Länder waren auch von der Schwächung der internationalen Arbeiterbewegung stark betroffen. Die Eliten waren selbstbewusster in ihrer Position, was ihnen Spielraum für Zugeständnisse ließ, während die Unterdrückten die schlechteren Karten hatten, was den Druck auf sie erhöhte, auf radikale Veränderungen zu verzichten. Dies minderte die Schärfe der inneren Widersprüche und ermöglichte es Ländern wie Südkorea, Taiwan, Brasilien und Südafrika, quasi-totalitäre Diktaturen durch ein gewisses Maß an bürgerlicher Demokratie zu ersetzen. Für Regime, die sich mehr auf Klassenkollaboration als auf Repression verließen, verringerte der veränderte Kontext die Notwendigkeit von Zugeständnissen an die Arbeiterbewegung. In Mexiko zum Beispiel wurde die alte korporatistische Einparteienherrschaft, die 70 Jahre überdauert hatte, allmählich zerstört, und damit auch ein Großteil des Einflusses der Gewerkschaften.

Auf wirtschaftlicher Ebene hatte die Existenz der Sowjetunion es neokolonialen Ländern ermöglicht, zwischen den beiden Großmächten zu lavieren. Viele Regime verstaatlichten wichtige Sektoren ihrer Wirtschaft und hatten eine gewisse Kontrolle über die Kapitalströme in ihren Ländern. Diese Modelle waren ineffizient und korrupt, ermöglichten aber eine gewisse Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten und den anderen Imperialisten. Der Zusammenbruch der Sowjetunion besiegelte das Schicksal solcher Modelle. Neokoloniale Länder hatten kaum eine andere Wahl, als sich voll und ganz dem wirtschaftlichen Diktat der Imperialisten zu unterwerfen und ihre alten korporatistischen und staatsorientierten Strukturen auszurangieren.

Die Arbeiterbewegung in der neokolonialen Welt kapitulierte ebenfalls vor dem verstärkten liberalen Druck, wenn auch auf andere Weise als im Westen. In bestimmten Fällen wie Brasilien und Südafrika wurden die zuvor unterdrückten Arbeiterparteien, die Partido dos Trabalhadores (PT) und die Kommunistische Partei Südafrikas, zu Vollstreckern der neuen neoliberalen „demokratischen“ Regime. In Mexiko wurde der Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Neoliberalismus an die Partido de la Revolución Democrática (PRD) gekoppelt, eine links-populistische Abspaltung der Regierungspartei. Die PRD selbst war nicht gegen eine weitere Durchdringung Mexikos mit US-Kapital, sondern wollte lediglich bessere Bedingungen für die Vergewaltigung Mexikos. In vielen Ländern vermischte sich die Arbeiterbewegung mit der liberalen NGO[Nicht-Regierungsorganisation]-Welt und setzte sich eher für „Menschenrechte“ und „Millenniumsentwicklungsziele“ ein als für den Klassenkampf. Auf diese Weise entstand eine Situation, in der die Arbeiterklasse in vielen Ländern zwar an wirtschaftlicher Stärke gewann, wo sie aber politisch gelähmt war durch Führungen, die vor starken nationalen und internationalen Strömungen kapitulierten, die in Richtung Liberalismus und Integration mit dem Weltimperialismus drängten.

Neoliberalismus mit chinesischen Merkmalen

Die Aussichten für die Kommunistische Partei Chinas schienen nach der konterrevolutionären Welle, die von der DDR bis zur UdSSR rollte, düster. Die blutige Niederschlagung des Tiananmen-Aufstandes von 1989 hatte das Regime auf der Weltbühne isoliert. Für die USA und ihre Verbündeten war es nur eine Frage der Zeit, bis China dem Weg der Sowjetunion folgen und sich in das anwachsende liberal-demokratische Lager integrieren würde. Aber diesen Weg verfolgte die KPCh nicht. Die Lehre, die sie aus Tiananmen und den Konterrevolutionen im Ostblock zog, war, dass sie, um an der Macht zu bleiben, ein hohes Wirtschaftswachstum mit strenger politischer Kontrolle verbinden musste. Um dies zu erreichen, intensivierte sie den von Deng Xiaoping Ende der 70er-Jahre eingeschlagenen Weg der „Reform und Öffnung“, eine Liberalisierung der Märkte in Landwirtschaft und Industrie, Privatisierungen und Anwerbung ausländischen Kapitals. Gegenwärtig scheint die Kommunistische Partei die Macht fester denn je im Griff zu haben. Laut der KPCh und ihrer Unterstützer wird China durch die aufgeklärte Politik seiner Führer gut durch den Strom der Geschichte geleitet. Doch die wechselhaften Strömungen des Klassenkampfes werden deutlich machen, dass dieser scheinbare Erfolg mehr mit den stagnierenden Gewässern der postsowjetischen Periode zu tun hatte als mit den Steuerungsfähigkeiten der KPCh.

Nachdem die Bedrohung durch den „globalen Kommunismus“ scheinbar verschwunden war und Deng die Partei während seiner „Südtour“ 1992 erneut dazu verpflichtete, ausländisches Kapital willkommen zu heißen, strömten imperialistische Investitionen nach China. Die Sonderwirtschaftszonen boten ein dereguliertes Umfeld, würdig der besten neoliberalen Praktiken der freien Marktwirtschaft, und ein riesiges Reservoir an billigen Arbeitskräften, deren Unterwürfigkeit von der KPCh garantiert wurde, während die staatlich gelenkte Wirtschaft enorme Ressourcen für den Aufbau von Infrastruktur und Fabriken bereitstellte. Diese Kombination brachte dem Monopolkapitalismus riesige Gewinne, aber auch einen beispiellosen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in China. In den drei Jahren nach 2008 verbrauchte China mehr Zement als die Vereinigten Staaten im gesamten 20. Jahrhundert. Seit 1978 ist das BIP jährlich um durchschnittlich 9 Prozent gewachsen und 800 Millionen Menschen wurden aus der Armut befreit. Die Integration Chinas in die Weltwirtschaft hat enorme Produktivitätssprünge ermöglicht, einen gigantischen neuen Markt eröffnet und als Motor für das Wirtschaftswachstum und den Anstieg des Welthandels gedient. Der Aufstieg Chinas ist sowohl der größte Erfolg der postsowjetischen Ordnung als auch ihre größte Bedrohung.

Für Sozialdemokraten und liberale Moralisten ist die merkantilistische und repressive Politik der KPCh der Beweis dafür, dass China jetzt kapitalistisch oder sogar imperialistisch ist. Doch anders als in der UdSSR und in Osteuropa hat das stalinistische Regime in China die Kontrolle über Wirtschaft und Staat nie aufgegeben. Die wichtigsten wirtschaftlichen Hebel bleiben kollektiviert. In vielerlei Hinsicht ähnelt das Wirtschaftssystem in China derzeit einer extremen Version dessen, was Lenin als „Staatskapitalismus“ bezeichnete: die Öffnung bestimmter Wirtschaftsbereiche für die kapitalistische Ausbeutung unter der Diktatur des Proletariats.

Für eine marxistische Bewertung der Politik von Deng und seinen Nachfolgern kann man nicht einfach aus Prinzip Marktreformen oder jeden Kompromiss mit dem Kapitalismus ablehnen. Man muss sich die Bedingungen und Ziele der Vereinbarungen ansehen und prüfen, ob sie die Position der Arbeiterklasse insgesamt gestärkt haben. Auf dem III. Weltkongress der Komintern skizzierte Lenin seine Haltung zu ausländischen Konzessionen im sowjetischen Arbeiterstaat wie folgt:

„Wir gestehen ganz offen, verheimlichen es nicht: Konzessionen im System des Staatskapitalismus bedeuten Tribut an den Kapitalismus. Aber wir gewinnen Zeit, und Zeit gewinnen, heißt alles gewinnen, insbesondere in der Epoche des Gleichgewichts, in der Epoche, in der unsere ausländischen Genossen ihre Revolution gründlich vorbereiten. Je gründlicher sie aber vorbereitet wird, desto sicherer wird der Sieg sein. Bis dahin aber werden wir Tribut zahlen müssen.“

– „Referat über die Taktik der KPR“ (Juli 1921)

Lenin versuchte, ausländisches Kapital nach Russland zu locken, um die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und Zeit zu gewinnen, bis sich die Revolution international ausbreiten konnte. Die Kompromisse, zu denen er bereit war, beinhalteten nicht die geringste Andeutung, dass der Kampf gegen den Kapitalismus ins Abseits gestellt werden sollte. Im Gegenteil, er beharrte darauf:

„Dieser Kampf hat die Formen geändert, aber es ist ein Kampf geblieben. Jeder Konzessionär bleibt ein Kapitalist, und er wird danach trachten, die Sowjetmacht zu untergraben, aber wir müssen bestrebt sein, seine Gier auszunutzen.“

– „Referat über die Konzessionen in der Sitzung der Kommunistischen Fraktion des Gesamtrussischen Zentralrats der Gewerkschaften“ (11. April 1921)

Im Gegensatz dazu verkündete Deng Xiaoping, dass „es keinen grundlegenden Widerspruch zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft gibt“ (1985). Für Deng und seine Nachfolger ging es nie darum, Zeit für die Weltrevolution zu gewinnen, sondern um das Hirngespinst einer Entwicklung Chinas in wesentlicher Harmonie mit der kapitalistischen Welt.

Während die letzten 30 Jahre bei Betrachtung der wirtschaftlichen Rohdaten erstaunliche Ergebnisse erbracht haben, ergibt sich ein ganz anderes Bild, wenn man die Stärke des chinesischen Arbeiterstaates auf Klassenbasis bewertet. Die Entwicklung Chinas steht auf tönernen Füßen: „friedliche Koexistenz“ mit dem Weltimperialismus. Der Aufstieg Chinas birgt einen grundlegenden Widerspruch in sich: Je stärker es wird, desto mehr untergräbt es die Bedingung, die seinen Aufstieg ermöglichte – die wirtschaftliche Globalisierung unter US-Hegemonie. Doch anstatt die internationale Arbeiterklasse für den unvermeidlichen Kampf mit dem US-Imperialismus zu mobilisieren, setzte die KPCh jahrzehntelang auf „wirtschaftliche Interdependenz“, „Multilateralismus“ und „Win-Win-Kooperation“ als Mittel zur Konfliktvermeidung. Solche pazifistischen Illusionen haben die Volksrepublik China geschwächt, indem sie die Arbeiterklasse entwaffnet haben, die einzige Kraft, die den Imperialismus entscheidend besiegen kann.

Chinas Position wird zusätzlich untergraben durch die mächtige einheimische Kapitalistenklasse, die auf dem Festland entstanden ist und ein direktes Interesse an der Zerstörung des Arbeiterstaates hat. Weit davon entfernt, diese tödliche Bedrohung für das Gesellschaftssystem anzuerkennen, hat die KPCh das Wachstum dieser Klasse offen gefördert und ihren Beitrag zum Aufbau des „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“ hochgespielt. Man muss nicht Marx studiert haben, um zu verstehen, dass eine Klasse, deren Macht auf der Ausbeutung der Arbeiterklasse basiert, ein tödlicher Feind der Diktatur des Proletariats ist, eines Regimes, das auf der Staatsmacht der Arbeiterklasse beruht.

Für Lenin bestand das einzige Prinzip bei der Schaffung ausländischer kapitalistischer Konzessionen darin, die Macht des Proletariats zu erhalten und seine Bedingungen zu verbessern, selbst wenn dies „150 Prozent Profit“ für die Kapitalisten bedeutete. Er stützte seine gesamte Strategie auf das revolutionäre Potenzial des Proletariats, sowohl in Russland als auch im Ausland. Diese Sichtweise hat nichts mit derjenigen der KPCh-Bürokratie zu tun, die die Revolution wie die Pest fürchtet und vor allem politische Stabilität anstrebt, um ihre bürokratischen Privilegien zu erhalten. Weit davon entfernt, „gemeinsamen Wohlstand“ zu schaffen, hat die KPCh mit ihrer Politik versucht, die Bestrebungen der Arbeiterklasse zu unterdrücken und die Arbeitsbedingungen so miserabel wie möglich zu halten, um mit Arbeitern im Ausland zu konkurrieren und Kapitalinvestitionen zu sichern. Diejenigen, die davon profitiert haben, sind nicht die „Menschen, die hart arbeiten“, sondern eine kleine Clique von Bürokraten und Kapitalisten. Die Wahrheit ist, dass die KPCh mit den Kapitalisten im In- und Ausland gegen die Arbeiter in China und international zusammengearbeitet hat. Dieser im Namen des „Sozialismus“ begangene Verrat befleckt den Ruf der VR China in den Augen der internationalen Arbeiterklasse und untergräbt die Verteidigung der Revolution von 1949.

IV. LIBERALISMUS MIT LIBERALISMUS BEKÄMPFEN

Der starke politische Konsens im gesamten Westen nach 1991 bedeutete nicht, dass es keine abweichenden Stimmen von links und rechts gab. Im Allgemeinen stellte dieser Dissens jedoch nicht die grundlegenden ideologischen Prämissen der liberalen Weltordnung in Frage und noch weniger die materielle Basis dieser Ordnung: die Vorherrschaft des US-amerikanischen Finanzkapitals. Die verschiedenen Bewegungen, die in der Linken entstanden, kritisierten den Status quo auf der Grundlage liberaler Moral, d. h. von den grundlegenden ideologischen Fundamenten des Status quo aus. Ob sie sich nun gegen Freihandel, Krieg, Rassismus oder Austerität wandten, alle linken Bewegungen hatten zum Ziel, die Auswüchse des Imperialismus einzudämmen und das Gesamtsystem intakt zu halten, aber eben ohne seine brutalsten Aspekte. Wie Lenin über solche Kritiken am Imperialismus zu seiner Zeit erklärte, waren sie nichts weiter als „fromme Wünsche“, weil sie nicht „die unzertrennliche Verbindung des Imperialismus mit den Trusts und folglich auch mit den Grundlagen des Kapitalismus“ anerkannten (Imperialismus). Und so prangerten die verschiedenen linken Bewegungen in der postsowjetischen Periode viel an, reichten Petitionen ein, demonstrierten, sangen und aßen Tofu, scheiterten aber völlig daran, eine echte Opposition zum liberalen Imperialismus aufzubauen.

Die Antiglobalisierungsbewegung

Die Antiglobalisierungsbewegung kam bei den WTO-Protesten 1999 in Seattle so richtig in Fahrt. Es folgten verschiedene ähnliche Bewegungen in der ganzen Welt, aus denen schließlich das Weltsozialforum hervorging. Die Bewegung selbst war eine eklektische Mischung aus Gewerkschaften, Umweltschützern, NGOs, indigenen Gruppen, Anarchisten und Sozialisten. Dieses Sammelsurium hatte weder Kohärenz noch ein gemeinsames Ziel; es war eine Koalition der Verlierer der Globalisierung, die die Räder des Kapitalismus zum Stillstand bringen wollten, und des linken Flügels des Liberalismus, der versuchte, die kapitalistischen Zyklen weniger brutal zu gestalten.

In den Gewerkschaften wurde die Opposition gegen die Globalisierung durch den Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Verlust von Arbeitsplätzen durch Auslagerung angetrieben. Richtig kanalisiert hätte diese legitime Wut der Arbeiterklasse das Gleichgewicht der Klassenkräfte auf internationaler Ebene verändern und der Offensive des Finanzkapitals Einhalt gebieten können. Dazu wären starke Abwehrkämpfe erforderlich gewesen, direkt gegen die Interessen des Monopolkapitals gerichtet: Betriebsbesetzungen, Streiks, gewerkschaftliche Organisierungsoffensiven. Doch die Gewerkschaftsführer taten das Gegenteil.

In den USA stellten sie sich gegen Verlagerungen ins Ausland und NAFTA, feierten aber aktiv die Vorherrschaft des US-Kapitalismus über die Welt, zu der sie selbst durch ihr Engagement im „Kampf gegen den Kommunismus“ beigetragen hatten. Die Gewerkschaften konnten keinen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze führen und gleichzeitig weiterhin den Faktor unterstützen, der zu Verlagerungen führte – die imperialistische Dominanz der USA. Und das taten sie, von ihren protektionistischen Kampagnen gegen Mexiko und China bis hin zur Unterstützung von Bill Clinton als Präsidentschaftskandidat. In Europa war sogar der formale Widerstand gegen den Freihandel viel schwächer, und viele Gewerkschaften setzten sich aktiv für den Maastrichter Vertrag und die EU ein. Diejenigen, die dies nicht taten, weigerten sich – wie ihre amerikanischen Pendants –, gegen die herrschende Klasse zu kämpfen, die hinter der wirtschaftlichen Liberalisierung stand und strebten stattdessen einen Block zwischen Arbeit und Kapital auf nationaler Basis gegen „ausländische Interessen“ an. In beiden Fällen war das Ergebnis für die Arbeiterklasse äußerst verheerend, mit massiven Arbeitsplatzverlusten und dem Verfall ganzer Regionen.

Die andere Seite der Anti-Globalisierungsbewegung bestand aus verschiedenen NGOs, Anarchisten, Ökologen und sozialistischen Gruppen. Wie die meisten dieser Gruppen selbst betonten, waren sie nicht gegen die Globalisierung, sondern wollten eine „gerechtere“, „demokratische“ und „umweltfreundliche“ Globalisierung. Wie bereits erklärt, kann die Globalisierung unter dem Joch des Imperialismus nicht gerecht sein, und die neoliberale Offensive konnte nur durch die Stärkung der Position der internationalen Arbeiterklasse gestoppt werden. Die Antiglobalisierungsbewegung konnte dazu nichts beitragen, weil sie sich denselben liberalen Triumphalismus zu Eigen machte, dessen Folgen sie angeblich bekämpfte. Die Bewegung behauptete, der Klassenkampf sei vorbei und die Nationalstaaten seien durch internationale Konzerne ersetzt worden … also organisierte sie natürlich keinen Klassenkampf gegen die imperialistischen Staaten, die die Träger der Globalisierung waren.

Da die Bewegung die Globalisierung als grundsätzlich unvermeidlich ansah und die Arbeiterklasse bestenfalls als irrelevant betrachtete, unternahm sie nichts, um sich dem Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen entgegenzustellen. Die Linke prangerte den protektionistischen Chauvinismus bestimmter Gewerkschaftsbürokraten und reaktionärer Politiker an, ohne jedoch ein Programm zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen vorzulegen. Das bedeutete, ein linkes Echo der Bushs und der Clintons zu sein, die ebenfalls Protektionismus und Nativismus anprangerten, um die Expansion der USA im Ausland zu fördern. Die grundlegende Wahrheit, die von der Antiglobalisierungsbewegung abgelehnt wird, ist, dass eine echte Verteidigung der Arbeitsplätze in den USA und Europa nicht gegen die Interessen der Arbeiter der Dritten Welt gerichtet wäre, sondern deren Position stärken würde, indem sie die zunehmende imperialistische Ausplünderung bremst. Um internationalistisch zu sein, muss die Arbeiterklasse nicht „liberal“ und „aufgeklärt“ werden; sie muss sich vereinen, um den Imperialismus zu stürzen. Jeder Kampf gegen die imperialistische Bourgeoisie wird objektiv die internationale Arbeiterklasse zusammenführen und sie von ihren nationalistischen Führungen wegbrechen.

Der Antiglobalisierungsbewegung gelang es zwar, einige Unruhen auszulösen, doch waren diese keine Bedrohung für den liberalen Imperialismus. Gelähmt durch ihre grundsätzliche Treue zum Status quo, war die Bewegung letztlich nur eine Fußnote in der erdrückenden Offensive des Finanzkapitals in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren. Schließlich wurde sogar der formale Widerstand gegen NAFTA und die EU von praktisch der gesamten Arbeiterbewegung und Linken aufgegeben. Gerade die Ohnmacht der Kräfte, die sich der Globalisierung entgegenstellten, trieb Millionen von Arbeitern im Westen zu Demagogen wie Trump, Frankreichs Le Pen und Italiens Meloni.

Die Anti-Establishment-Linke in den USA und Europa nach 2008

Die Kreditblase von 2007 markierte den Höhepunkt der liberalen Weltordnung. Die anschließende Wirtschaftskrise stellte einen wichtigen Wendepunkt dar, als die Dynamik, die zu Stabilität und Wirtschaftswachstum beitrug – zunehmender Welthandel, Produktivitätssteigerung, politischer und geopolitischer Konsens – zusammenbrach und sich umkehrte. Die Krise und ihre Folgen beendeten zwar nicht die postsowjetische Ära, aber sie beschleunigten die Trends, die sie unterminierten. In weiten Teilen der westlichen Welt sorgten Millionen von Arbeitsplatzverlusten und Zwangsräumungen, gefolgt von einer Welle der Austerität, für tiefe politische Unzufriedenheit. Zum ersten Mal seit den 1990er-Jahren entstanden größere politische Bewegungen, die Grundpfeiler des postsowjetischen Konsensus angriffen. Auf der Rechten wurden Protektionismus, Ablehnung des „Multilateralismus“ und offener Chauvinismus zum Mainstream. Auf der Linken waren es die Opposition gegen Austeritätspolitik, die Forderung nach Verstaatlichungen und in bestimmten Kreisen Opposition gegen die NATO. Die Merkmale dieser Bewegungen sind sehr unterschiedlich, doch eine Schlussfolgerung drängt sich auf: Während die populistische Rechte nach einem gewissen Rückgang im Jahr 2020 heute wieder erstarkt ist, sind die Anti-Establishment-Bewegungen der Linken weitgehend zusammengebrochen. Wie ist dieses Scheitern zu erklären?

Die Anti-Establishment-Linke wurde durch jahrzehntelange neoliberale Angriffe in den Vordergrund gerückt, die sich nach 2008 noch verschärften, und im Falle der USA und Britanniens durch den Widerstand gegen die Militärinterventionen in Afghanistan und im Irak. Diese Bewegungen richteten sich zwar gegen den Status quo, brachen aber nicht entscheidend mit ihm. Jede war auf ihre Weise mit der imperialistischen Bourgeoisie verbunden, die für die Verschlechterung der sozialen Bedingungen verantwortlich ist. Die Bannerträger dieser Entwicklung waren Corbyn in Britannien, Sanders in den USA, Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien. Im Gegensatz zu ihnen ist Mélenchon in Frankreich noch nicht sichtlich gescheitert. Allerdings enthält seine Bewegung alle Bestandteile, die zum Scheitern ihrer ausländischen Pendants geführt haben.

Was Sanders betrifft, so ist er ein Vertreter der Demokratischen Partei, einer der beiden Parteien des US-Imperialismus. Seine Reden über „eine politische Revolution“ gegen die „Milliardärsklasse“ sind angesichts seiner Zugehörigkeit zu einer Partei, die Milliardäre repräsentiert, bedeutungslos. Außerdem war die große Reform, die Sanders als liberaler Reformpolitiker versprach, „Medicare for All“ [universelle Krankenversicherung], immer der Einheit mit den „fortschrittlichen“ demokratischen Kapitalisten gegen die reaktionäreren Republikaner untergeordnet. Im Namen des „Kampfes gegen Rechts“ verriet Sanders die Prinzipien, für die er zu stehen behauptete. Je mehr Sanders die Bestrebungen der von ihm vertretenen Bewegung mit Füßen trat, desto mehr stieg er im Establishment der Demokratischen Partei auf. Diejenigen, die heute diese Bewegung außerhalb der Demokratischen Partei und ohne Sanders neu erschaffen wollen, verstehen nicht, dass es das Programm des liberalen Reformismus selbst ist, das zur Kapitulation vor der herrschenden Klasse führt. Jedes Programm, das darauf abzielt, die Interessen der Arbeiterklasse mit der Aufrechterhaltung des US-Kapitalismus in Einklang zu bringen, wird zwangsläufig Unterstützung in einem der beiden Flügel des amerikanischen Kapitalismus suchen. Um den reaktionären Kreislauf der US-Politik zu durchbrechen und ihre Interessen wirklich voranzubringen, braucht die Arbeiterklasse ihre eigene Partei, die in totaler Opposition sowohl zu den Liberalen als auch den Konservativen aufgebaut wird.

Die Corbyn-Bewegung war der Bewegung für Sanders ähnlich, unterschied sich aber in zwei wichtigen Punkten. Der erste besteht darin, dass die Labour Party im Gegensatz zur Demokratischen Partei eine bürgerliche Arbeiterpartei ist. Ihre Arbeiterbasis erklärt zum Teil, warum Corbyn die Führung der Labour Party gewinnen konnte, während Sanders vom demokratischen Establishment gestoppt wurde. Der andere wichtige Unterschied ist, dass Corbyn in außenpolitischen Fragen rote Linien überschritten hat. Seine Ablehnung von NATO und EU, seine Kritik an dem von der NATO unterstützten Putsch in der Ukraine 2014, seine Unterstützung für die Palästinenser und seine Ablehnung von Atomwaffen waren für die herrschende Klasse völlig inakzeptabel.

Angesichts der wütenden Feindseligkeit des britischen Establishments und eines anhaltenden Aufstands gegen ihn in seiner eigenen Partei stand Corbyn vor der Alternative, sich der herrschenden Klasse direkt entgegenzustellen oder zu kapitulieren. Doch Corbyns Programm des Pazifismus und Labour-Reformismus zielt darauf ab, den Klassenkampf zu besänftigen, nicht ihn zu gewinnen. So versuchte Corbyn auf Schritt und Tritt, die herrschende Klasse und den rechten Flügel seiner Partei zu beschwichtigen, anstatt die Arbeiterklasse und die Jugend gegen sie zu mobilisieren. Corbyn kapitulierte bei der Erneuerung des Programms Atom-U-Boot-gestützter Tridentraketen, bei der Selbstbestimmung für Schottland, bei der Frage von Israel-Palästina, bei der NATO und ganz entscheidend beim Brexit. Das Beispiel Corbyns ist, mehr noch als das von Sanders, ein klassisches Beispiel für die völlige Ohnmacht des Reformismus, den Klassenkampf zu führen.

Der Fall von Syriza liegt anders, da die Partei in Griechenland durch den Massen-Widerstand gegen die von der EU aufgezwungene Austeritätspolitik an die Macht kam. Die Schnelligkeit ihres Aufstiegs wurde nur durch die Tiefe ihres Verrats übertroffen. Nachdem sie 2015 ein Referendum organisiert hatte, in dem das EU-Austeritätspaket mit überwältigender Mehrheit abgelehnt wurde, trat Syriza den Willen der Bevölkerung mit Füßen – sie willigte in imperialistische Forderungen nach noch härteren Angriffen auf die griechische arbeitende Bevölkerung ein. Der Grund für diesen Verrat liegt in dem Klassencharakter und dem Programm von Syriza. Die einzige Kraft, die dem Imperialismus in Griechenland die Stirn bieten kann, ist die organisierte Arbeiterklasse. Aber Syriza ist keine Partei der Arbeiterklasse. Sie behauptete, sie könne sowohl den griechischen Kapitalisten als auch den Arbeitern und Unterdrückten Griechenlands dienen … und das alles, während das Land in der EU bleibt. Dieser Mythos explodierte beim ersten Kontakt mit der Realität. Während der Großteil der Linken Syriza bis zu ihrem Verrat zujubelte, hielt sich die Kommunistische Partei raus und leugnete sogar, dass Griechenland vom Imperialismus unterdrückt wird. Die Folgen der Politik beider Seiten schlugen auf die griechische Bevölkerung ein. Dieses Debakel zeigt, dass in Griechenland dringend eine Partei nötig ist, die den Kampf für nationale Befreiung mit der Notwendigkeit von Klassenunabhängigkeit und Arbeitermacht verbindet.

Während die Welt in eine akute Krisenperiode eintritt, steht die Arbeiterbewegung im Westen politisch desorganisiert und demoralisiert da, verraten von den Kräften, in die sie ihr Vertrauen gesetzt hatte. Kurzfristig wird das zweifellos zu Gewinnen für die Rechte führen, aber ein neuer Aufschwung der Arbeiterklasse und der Massen wird erneut die Notwendigkeit politischer Alternativen zu den Vertretern des liberalen Status quo klar machen. Es ist wichtig, die Lehren aus dem Scheitern in der Vergangenheit zu ziehen, um einen neuen Zyklus von Niederlagen und Reaktion zu vermeiden.

Covid-19: Liberale Katastrophe

Während der Covid-19-Pandemie stellte die Linke noch nicht mal eine halbherzige Opposition gegen das liberale Establishment auf die Beine. Während die Bourgeoisien auf der ganzen Welt ihre Bevölkerung monatelang einsperrten und nichts unternahmen, um die maroden Gesundheitssysteme und die schrecklichen Lebensbedingungen zu verbessern, jubelte die Linke und forderte immer strengere Lockdowns. Jedem Angriff auf die Arbeiterklasse wurde im Namen der „Wissenschaft“ zugestimmt. Die grundlegende Einsicht, dass die Wissenschaft in der kapitalistischen Gesellschaft nicht neutral ist, sondern eingesetzt wird, um den Interessen der Bourgeoisie zu dienen, wurde selbst von denen, die sich als Marxisten bezeichneten, über Bord geworfen.

Das Ergebnis spricht für sich selbst. Millionen starben an dem Virus, Millionen verloren ihren Arbeitsplatz, Familien wurden auf Kosten von Frauen, Kindern und der geistigen Gesundheit in ihren Häusern eingeschlossen. Da die Wissenschaft benutzt wurde, um eine reaktionäre Politik nach der anderen zu rechtfertigen, wandten sich Millionen von Menschen gegen die „Wissenschaft“ und lehnten lebensrettende Impfstoffe ab. Wurde das Gesundheitssystem gerettet? Nein, es ist überall viel schlechter als vorher. Wurde die arbeitende Bevölkerung vor dem Virus geschützt? Nein, sie arbeiteten weiter unter gefährlichen Bedingungen. Wurden die älteren Menschen geschützt? Viele von ihnen starben in heruntergekommenen Pflegeheimen. Für diejenigen, die am Leben blieben, sanken Lebensqualität und Lebenserwartung aufgrund von sozialer Isolation und Bewegungsmangel. Die Krise in Pflegeheimen und Altenheimen ist schlimmer denn je.

Liberale und Linke argumentieren, dass es im Namen der „Rettung von Leben“ keine Alternative dazu gab, sich den Regierungen und der „Wissenschaft“ zu unterwerfen. Aber es gab eine. Die Arbeiterklasse hätte die Dinge selbst in die Hand nehmen und für eine ihren Klasseninteressen entsprechende Antwort sorgen müssen. Die Gewerkschaften hätten für sichere Arbeitsplätze kämpfen müssen und sich dagegen wehren müssen, dass sie einfach stillgelegt oder zu Todesfallen wurden. Solange Bosse und Regierungen die Sicherheit am Arbeitsplatz kontrollieren und nicht die Gewerkschaften, werden Arbeiter vermeidbare Todesfälle erleiden. Die Gewerkschaften im Gesundheitswesen und in den Schulen mussten für bessere Bedingungen kämpfen und nicht für spätere illusorische Erfolge Opfer bringen. Diese Opfer haben die öffentlichen Dienste nicht gerettet, sondern es der herrschenden Klasse ermöglicht, sie noch mehr auszuquetschen. Nur im Kampf gegen die herrschende Klasse und ihre Lockdowns hätten die sozialen Missstände, die der Krise zugrunde liegen, angegangen werden können, sei es in der Gesundheitsversorgung, im Wohnungsbau, bei den Arbeitsbedingungen, im öffentlichen Verkehr oder in der Altenpflege.

Die völlige Unterwerfung der Arbeiterbewegung unter die Lockdowns garantierte, dass jeglicher Widerstand gegen die katastrophalen Folgen der Pandemie von Rechten und Verschwörungstheoretikern dominiert wurde. Viele der Menschen, die an Massendemonstrationen gegen die Lockdowns oder an Protesten gegen Impfpflicht teilnahmen, taten dies aus berechtigter Wut über die sozialen Folgen der kapitalistischen Politik während der Pandemie. Anstatt diese Stimmungen aufzugreifen und sie in einen Kampf zur Verbesserung der Bedingungen der Arbeiterklasse zu kanalisieren, prangerte die Linke sie mit überwältigender Mehrheit an und bejubelte ihre Unterdrückung durch den Staat.

Die Grundlage für den völligen Verrat der Linken und Arbeiterbewegung während der Pandemie wurde während der gesamten postsowjetischen Periode gelegt. Als diese Krise von globalem Ausmaß ausbrach und die Bourgeoisie mehr denn je nationale Einheit brauchte, stand die Arbeiterbewegung stramm und versammelte die Arbeiterklasse loyal hinter „Wissenschaft“ und „gemeinsamen Opfern“. Die Regierungen und der Großteil der Linken versuchen jetzt, die Pandemie unter den Teppich zu kehren, aber sie werden nicht so leicht davonkommen. Die Folgen dieser Katastrophe haben bei der Arbeiterklasse und der Jugend tiefe Spuren hinterlassen und das treibt sie an, nach Antworten und Alternativen zu suchen.

V. DIE VERFALLENDE LIBERALE ORDNUNG

Hybris wird zur Hysterie

Von den 1980er- bis zu den frühen 2000er-Jahren begünstigte die Dynamik der Weltpolitik die relative Stärkung der Macht der USA. Je mehr die USA ihre wirtschaftliche, militärische und politische Position verbesserten, desto stärker wurde die zentripetale Kraft, die die liberale Weltordnung stützte. Diese sich selbst verstärkende Dynamik erreichte ihren Höhepunkt in der Zeit nach der Konterrevolution in der Sowjetunion. Sie ermöglichte eine weit verbreitete politische und wirtschaftliche Liberalisierung mit relativ begrenzter direkter Intervention der USA. Zu dieser Zeit schienen die Strömungen der Geschichte die Interessen des US-Kapitalismus zu fördern.

Aber in der Politik wie in der Physik gibt es auf jede Aktion eine Reaktion. Die Folgen der US-amerikanischen Hegemonie führten unweigerlich zu Gegenkräften. Die zunehmend abenteuerlichen militärischen Interventionen der USA waren geopolitische Katastrophen, die Ressourcen vergeudeten und den Widerstand gegen die amerikanische Außenpolitik im In- und Ausland verstärkten. Finanzielle Deregulierung und Deindustrialisierung höhlten die wirtschaftliche Macht der USA aus und stärkten ihre Konkurrenten, während sie gleichzeitig die gesamte Weltwirtschaft viel instabiler und krisenanfälliger machten. Je mehr sich die herrschende Klasse in den USA des Liberalismus bediente, um ihre reaktionären Interessen durchzusetzen, desto mehr förderte sie den Widerstand gegen den Liberalismus. Langsam aber sicher mehrten sich die Anzeichen dafür, dass die Dynamik, die die liberale Weltordnung begünstigte, schwächer und die Kräfte, die dagegen ankämpften, stärker wurden. Die Finanzkrise von 2008, der Putsch und Konflikt in der Ukraine 2014, die Wahl von Donald Trump und der Brexit im Jahr 2016 sind allesamt wichtige Anzeichen für diesen Trend.

Als die USA ihre Macht schwächer werden sahen, hat sich ihre Hybris in Hysterie verwandelt. Sie strengen sich immer stärker an, ihre Macht zu festigen, konfrontieren China und Russland, setzen Verbündete unter Druck und verhängen Sanktionen gegen immer mehr Länder. Doch diese Anstrengungen sind mit immer höheren Kosten und sinkenden Erträgen verbunden. Die Reaktion der USA hat den Niedergang bisher nicht aufgehalten, sondern nur noch verfestigt. Heute, mit der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine, ist es klar, dass sich die Dynamik der Weltpolitik umgekehrt hat. Sie deutet nun auf einen beschleunigten Zerfall der liberalen Weltordnung hin. Die NATO und Russland befinden sich in einem Stellvertreterkrieg. Die Beziehungen zwischen den USA und China befinden sich in einem permanenten Zustand der Feindseligkeit. In der nicht-imperialistischen Welt ist populistischer Nationalismus auf dem Vormarsch, der sowohl linke (Mexiko) als auch rechte (Indien, Türkiye) Ausdrucksformen annimmt. Die Politik im Westen polarisiert sich zunehmend zwischen denjenigen, die die imperialistische Vorherrschaft durch einen Bruch mit dem traditionellen Liberalismus stärken wollen (Trump, AfD, Le Pen, Meloni), und denjenigen, die sie durch eine Intensivierung des liberalen Kreuzzuges stärken wollen (Biden, Trudeau, deutsche Grüne).

Die wachsende Instabilität in der Welt ist für niemanden ein Geheimnis. Die Kontroverse dreht sich um die Natur des Konflikts. Für die Liberalen ist es ein Wettstreit zwischen Demokratie und Autokratie. Für die Wirtschaftsliberalen und Sozialdemokraten ist es ein Kampf zwischen dem freien Markt und staatlicher Intervention. Für Stalinisten und Leute, die sich auf die Dritte Welt beziehen, ist es ein Wettbewerb zwischen Hegemonie und Multipolarität. Alle liegen falsch. Die Antwort liegt in den einfachen, aber eindringlichen Worten des Kommunistischen Manifests: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Und so folgt auch die heutige, sich auflösende liberale Weltordnung den Gesetzen des Klassenkampfes. Der grundlegende Konflikt, der die Welt prägt, besteht nicht zwischen der KPCh und den US-Kapitalisten, Trump und Biden, Putin und der NATO oder Mexikos López Obrador (AMLO) und dem Yankee-Imperialismus; er besteht zwischen dem sozialen Zerfall des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium und den Interessen des Weltproletariats. Diejenigen, die sich nicht von diesem Verständnis leiten lassen, werden nicht in der Lage sein, sich in den bevorstehenden Turbulenzen zu orientieren, geschweige denn den Kampf für den menschlichen Fortschritt voranzutreiben.

Weltwirtschaft: Ein gigantisches Ponzi-Schema

Wie bereits erläutert, ermöglichte die Hegemonie der USA eine vorübergehende Verbesserung des Wachstumspotenzials des Imperialismus. Es war diese Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die die lang anhaltende Stabilität der kapitalistischen Welt in den letzten drei Jahrzehnten ermöglichte. Heute jedoch haben sich nicht nur die Expansionsmöglichkeiten erschöpft, sondern es kehren sich auch die Bedingungen um, die die frühere Expansion ermöglichten. Die Folge wird eine erhebliche Zerstörung von Produktivkräften sein, mit all der Instabilität, die damit einhergeht. Wie Trotzki in Die Dritte Internationale nach Lenin schrieb: „Denn die Staaten kämpfen ebenso wie die Klassen viel hartnäckiger um einen mageren, sich vermindernden Anteil als um einen reichlichen und anwachsenden.“ Dieser Faktor liegt der gegenwärtigen Weltlage zugrunde und wird dies auch weiterhin tun, sofern sich die Lage nicht grundlegend ändert.

Acht- bis zehnjährige Zyklen von Boom und Bust sind die normalen Schwankungen der kapitalistischen Wirtschaft. Auf wilde Spekulation und Überproduktion folgen Zusammenbruch und Panik. In der postsowjetischen Periode war das nicht anders. Als jedoch die realen Wachstumsmöglichkeiten zurückgingen, wurden Spekulation und Kredite zu den wichtigsten Mitteln, mit denen die USA ihre gesamte Ordnung zu stützen versuchten. Die Folgen der „Großen Rezession“ von 2008 haben dies deutlich gezeigt. Angesichts einer möglichen Depression koordinierten die USA eine historisch beispiellose Kredit- und Geldmengenexpansion. Dies führte zu einem kraftlosen Realwachstum, aber zu einem gigantischen Anstieg der Vermögenswerte. Selbst den meisten bürgerlichen Ökonomen ist klar, dass damit lediglich die Voraussetzungen für einen noch größeren Zusammenbruch in der Zukunft geschaffen wurden. Seit mehr als zehn Jahren wird bei jedem Anzeichen von Wachstumsschwäche nach dem gleichen Schema verfahren: Weite die Kreditvergabe aus und verschiebe so das Problem auf später. Während der Covid-19-Pandemie wurde das Ganze noch einmal auf ein Allzeithoch getrieben. Um die Folgen der Stilllegung großer Teile der Wirtschaft zu bewältigen, druckten die Kapitalisten einfach Geld. Das war zu viel, und schließlich sind die Möglichkeiten dieses Ansatzes mit der unvermeidlichen „Rückkehr der Inflation“ an ihre Grenzen gestoßen.

Der drastische Anstieg der Zinssätze in den Vereinigten Staaten saugt große Mengen an Liquidität aus dem Weltwirtschaftssystem ab. Wie Warren Buffett bekanntlich sagte: „Die Flut hebt alle Boote … erst wenn die Flut verschwindet, sieht man, wer nackt gebadet hat.“ Nach anderthalb Jahrzehnten des leichten Geldes haben riesige Teile der Wirtschaft zwangsläufig „nackt gebadet“. Wenn die Stunde der Wahrheit schlägt, werden die Folgen katastrophal sein. Da die USA an der Spitze der kapitalistischen Nahrungskette stehen und im Wesentlichen die internationalen Kreditbedingungen kontrollieren, werden sie selbst dann, wenn sich herausstellt, dass sie das Epizentrum der Krise sind, in der Lage sein, ihre dominante Position zu nutzen, um den Rest der Welt für die Folgen zahlen zu lassen. Besonders verheerend wird dies für Entwicklungsländer sein, von denen sich viele bereits in einer tiefen Krise befinden, wie Sri Lanka, Pakistan und Libanon. Aber die Folgen werden global sein und zwangsläufig zu weiteren Schlägen gegen die Weltordnung führen, auch von Mächten, die die USA heute als Verbündete betrachten.

Ein bedeutender Teil des wirtschaftlichen Establishments lügt entweder oder ist absichtlich blind gegenüber den Aussichten der Weltwirtschaft. Bestimmte Teile der sozialdemokratischen Linken haben argumentiert, dass hohe Staatsverschuldung kein großes Problem darstellt und dass die arbeitende Bevölkerung von niedrigen Zinsen und mehr Schulden mehr profitieren würde als von der derzeitigen Politik der höheren Zinsen. Dies ist ein Echo derjenigen in der Bourgeoisie, die alles noch ein weiteres Mal vor sich herschieben und aussitzen wollen, hoffentlich bis nach der nächsten Wahl. Die Wahrheit ist, dass alle politischen Alternativen – ob hohe Schulden, hohe Inflation oder Deflation – dazu benutzt werden, den Lebensstandard der Arbeiterklasse anzugreifen. Das grundlegende Problem ist das enorme Ungleichgewicht zwischen dem Kapital, das auf dem Papier existiert, und den tatsächlichen Produktionskapazitäten der Weltwirtschaft. Keine finanzielle Zauberei kann dieses Problem lösen. Der einzige Ausweg besteht darin, dass die Arbeiterklasse die politischen und wirtschaftlichen Zügel in die Hand nimmt und die Wirtschaft auf rationale Weise reorganisiert.

Für rechte Ökonomen besteht die Lösung darin, den freien Markt seine Arbeit tun zu lassen: Akzeptiert, dass es eine verheerende Krise geben wird, lasst die Schwachen sterben und die Starken gestärkt daraus hervorgehen. Aber die Zeiten des Kapitalismus der freien Marktwirtschaft sind längst vorbei. Die Weltwirtschaft wird von einer kleinen Zahl gigantischer Monopole beherrscht, die mit den Monopolen anderer Länder konkurrieren. Kein Staat ist bereit, seine Monopole zusammenbrechen zu lassen. Wenn Ford und GM in Konkurs gehen, würde dies nicht das freie amerikanische Unternehmertum wiederbeleben, sondern Toyota und Volkswagen stärken. Ungezügelter Kapitalismus führt nicht zu freien Märkten, sondern zu Monopolen. Einerseits spiegelt dies die Tendenz zu einer zentralisierten, geplanten Produktion im globalen Maßstab wider. Aber andererseits behindern Monopole im Imperialismus das Wachstum der Produktivkräfte und führen zu Verfall und Parasitentum.

Für Sozialdemokraten wie den Wirtschaftswissenschaftler Michael Hudson ist das Allheilmittel eine „gemischte Wirtschaft“ – Kapitalismus mit staatlicher Intervention und Regulierung. Während dies in den letzten Jahrzehnten in Wirtschaftsund Regierungskreisen als Ketzerei galt, kommt Planung wieder in Mode. Dies ist nicht Ergebnis einer Erleuchtung, sondern der Tatsache geschuldet, dass der nationale Kapitalismus Stützung benötigt, um Bankrott abzuwenden und mit China konkurrieren zu können. Während die Arbeiterklasse den Kapitalisten durch Klassenkampf Zugeständnisse abtrotzen kann, ist es nicht möglich, die Widersprüche des Imperialismus wegzuregulieren. Die Irrationalität und das Parasitentum des Systems sind in der Dynamik der kapitalistischen Akkumulation selbst verwurzelt. Die Regierung selbst ist kein Gegengewicht zu der winzigen Clique der kapitalistischen Finanziers, sondern dient als deren Exekutivkomitee. Wenn sie sich in wirtschaftliche Angelegenheiten einmischt, geschieht dies letztlich zum Nutzen der imperialistischen herrschenden Klasse.

Ukraine-Russland-Krieg: Militärische Herausforderung für die US-Hegemonie

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine ist die bei weitem größte Herausforderung für die Hegemonie der USA seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Dass eine Großmacht das Selbstvertrauen hatte, sich den USA so direkt zu widersetzen – und bisher damit durchgekommen ist –, deutet auf einen tiefen Umbruch hin. Dieser Krieg ist anders als alle Kriege der letzten Jahrzehnte. Es ist kein Krieg auf niedrigem Niveau, der sich gegen einen Aufstand richtet, sondern ein industriell geführter Krieg von hoher Intensität. Das Ergebnis wird nicht nur über das Schicksal der Ukraine entscheiden, sondern auch große Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis in Europa und auf internationaler Ebene haben.

Die beiden entscheidenden Akteure im Ukraine-Krieg sind Russland und die USA. Der Krieg brach als Folge der jahrzehntelangen NATO-Osterweiterung auf Länder aus, die Russland als in seinem Einflussbereich liegend betrachtet. Russland sieht in der Ukraine ein vitales strategisches Interesse und wird bereit sein, den Konflikt so lange zu eskalieren, bis es die Ukraine entweder fest in seiner Umlaufbahn hält oder selbst besiegt wird. Die amerikanische Position ist etwas komplizierter. Die Ukraine ist für die USA von geringem strategischen Wert und wird als marginales Hinterland Europas betrachtet. Für das westliche liberale Establishment geht es bei der „Verteidigung der Ukraine“ darum, die liberale Weltordnung zu verteidigen, d.h. das Recht der Vereinigten Staaten, überall zu tun, was sie wollen.

Die Niederlage der Ukraine durch Russland wäre ein demütigender Schlag für die USA. Sie würde Schwäche signalisieren, hätte destabilisierende Folgen für das politische Establishment Europas und würde die Zukunft der NATO in Frage stellen. Angesichts dieses hohen Einsatzes haben die USA und ihre Verbündeten den Krieg fortwährend eskaliert und der Ukraine immer mehr Waffen geliefert. Russland hat darauf mit einer Teilmobilmachung geantwortet und vernichtet die ukrainische Armee. Die USA haben zwar die Eskalation vorangetrieben, aber weder sie noch ihre Verbündeten haben sich bisher dazu verpflichtet, die russische Armee entscheidend zu besiegen und dafür zu einer Kriegswirtschaft überzugehen oder direkt zu intervenieren. Vorerst bleibt der Konflikt ein regionaler Konflikt um die Kontrolle über die Ukraine.

Die Führer der Arbeiterklasse haben das Proletariat überall hinter den Interessen seiner herrschenden Klasse versammelt. Aber die Saat der Revolte wird jeden Tag durch die sozialen Folgen des Krieges gesät. Für Marxisten ist es von äußerster Wichtigkeit, in diesen wachsenden Widerspruch zu intervenieren, um eine neue Führung aufzubauen, die die Interessen der Arbeiterklasse in diesem Konflikt voranbringen kann. Der wesentliche Ausgangspunkt muss sein, dass das imperialistische System selbst – heute definiert als die von den USA dominierte liberale Ordnung – für den Konflikt in der Ukraine verantwortlich ist. Das gesamte Weltproletariat hat ein Interesse daran, die imperialistische Tyrannei über die Welt zu beenden, und nur auf dieser Grundlage können sich die Arbeiter der Welt vereinigen, ob sie nun Russen, Ukrainer, Amerikaner, Chinesen oder Inder sind. Die Umsetzung dieser allgemeinen Perspektive nimmt jedoch je nach den Gegebenheiten in den einzelnen Ländern unterschiedliche konkrete Formen an.

Die russischen Arbeiter müssen verstehen, dass der Sieg ihrer eigenen Regierung dem Imperialismus keinen grundlegenden Schlag versetzen würde. Ein Sieg würde nicht die Unabhängigkeit Russlands vom Weltimperialismus voranbringen, sondern es zum Unterdrücker der Klassenbrüder und -schwestern in der Ukraine zugunsten der russischen Oligarchen machen. Auch wenn das der US-Außenpolitik eine kurzfristige Niederlage zufügen könnte, ist es den Preis nicht wert, zu Unterdrückern der ukrainischen Nation zu werden. Ein Dauerkonflikt zwischen Ukrainern und Russen würde die Kräfte des Weltimperialismus in der Region nur stärken. Eine gemeinsame revolutionäre Front der russischen und ukrainischen Arbeiter gegen ihre jeweiligen herrschenden Klassen, wie in der großen Oktoberrevolution, würde NATO und EU einen viel härteren Schlag versetzen. Richtet die Waffen gegen die russischen und ukrainischen Oligarchen! Für revolutionäre Einheit gegen den US-Imperialismus!

Die ukrainischen Arbeiter müssen begreifen, dass USA, EU und NATO nicht ihre Verbündeten sind, sondern diese die Ukraine als Spielball ihrer Interessen benutzen, um sie auszubluten und dann wegzuwerfen. Die nationale Unabhängigkeit der Ukraine wird nicht dadurch gesichert, dass sie sich hinter dem Imperialismus einreiht, denn dies würde eine Unterwerfung unter Washington bedeuten und eine ständige Feindschaft mit Russland garantieren. Die ukrainischen Arbeiter müssen auch die Unterdrückung der russischen Minderheiten durch ihre Regierung bekämpfen. Eine solche Verteidigung der russischen Minderheiten würde die Kriegsanstrengungen des Kremls millionenfach mehr untergraben als Selenskyjs Komplotte. Die Frage der Grenzen und die Rechte der nationalen Minderheiten könnten leicht und demokratisch geklärt werden, wenn es nicht die reaktionären Intrigen der Oligarchen und Imperialisten gäbe. Jeden Tag wird deutlicher, dass die ukrainischen Arbeiter unter dem Kommando Washingtons und zum Nutzen der Wall Street zur Schlachtbank geführt werden. Sie müssen sich mit der russischen Arbeiterklasse zusammenschließen, um diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen; alles andere wird nur zu weiterem Gemetzel und Unterdrückung führen. Für das Selbstbestimmungsrecht von Russen, Ukrainern, Tschetschenen und jeder anderen nationalen Minderheit!

Im Westen sind die Arbeiter mit Propaganda bombardiert worden, dass sie im Namen des NATO-Kreuzzugs für die Demokratie in der Ukraine Opfer bringen müssen. Das Beste, was das Proletariat in den USA, in Deutschland, Britannien und Frankreich tun kann, um seine eigenen Interessen und die der Arbeiter der Welt zu verteidigen, ist, sich gegen die Finanzparasiten und Monopole zu wehren, die sie zu Hause aussaugen. Dazu müssen sie den reaktionären Klüngel aus Gewerkschafts- und sozialdemokratischen Führern, die eben diesen Kräften treu ergeben sind, aus dem Weg räumen. Deren Ausverkauf im eigenen Land ist untrennbar mit ihrer Forderung verbunden, im Ausland mit NATO-Panzern und Bomben „Demokratie“ zu installieren. Diese Verräter wären längst weg, gäbe es nicht den pazifistischen und zentristischen Sumpf, der von „Frieden“, „gewerkschaftlichem Kampf“ und sogar „Sozialismus“ spricht, sich aber an die Fersen dieser Kriegstreiber und erklärten Diener des Imperialismus heftet. Eine Antikriegsbewegung ist nur dann etwas wert, wenn sie diejenigen aus der Arbeiterbewegung ausschließt, die den Sozialchauvinismus beschwichtigen wollen. Weg mit den Sanktionen gegen Russland! Nieder mit EU und NATO! Für die Vereinigten Sowjetstaaten von Europa!

Eine wachsende Zahl von Werktätigen in Lateinamerika, Asien und Afrika sieht in Russland eine Kraft gegen den Imperialismus. Dieser Irrglaube wird nicht dazu beitragen, sie vom Joch der USA, Westeuropas und Japans zu befreien. Putin ist kein Antiimperialist und wird kein Verbündeter im Kampf für die nationale Befreiung irgendeines Landes sein. Genau aus diesem Grund sind AMLO in Mexiko, Ramaphosa in Südafrika, Modi in Indien und Xi in China ihm wohlgesonnen oder nicht offen feindlich gesinnt. Die Unterstützung für Putin lullt die Arbeiterklasse des Globalen Südens mit der Illusion ein, dass sie ohne revolutionären Kampf ihre Lebensbedingungen verbessern und sich vom Imperialismus befreien kann. Beim geringsten Anzeichen eines Aufstands der unterdrückten Massen der Welt werden sich die reaktionären Führer des Globalen Südens an dieselben Imperialisten wenden, die sie heute anprangern. Die wahre antiimperialistische Kraft sind die Arbeiter in der Ukraine, in Russland und im Westen. Sie und die Arbeiter der Welt können nur dann unter einem gemeinsamen internationalistischen Banner vereint werden, wenn sie sich gegen jegliche nationale Unterdrückung wenden, sei es durch Großmächte oder durch Nationen, die selbst unterdrückt werden. Verstaatlicht das imperialistische Eigentum! Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!

China: Stalinistische Seidenstraße oder proletarischer Weg

Während sich die Dynamik, die China in den letzten 30 Jahren zu Wachstum und Wohlstand verholfen hat, immer schneller auflöst, bleibt das Vertrauen der KPCh in den globalen Kapitalismus der freien Marktwirtschaft unerschüttert. Auf dem Weltwirtschaftsforum 2022 in Davos äußerte sich Xi Jinping wie folgt:

„Die wirtschaftliche Globalisierung ist der Trend der Zeit. Auch wenn es in einem Fluss sicherlich Gegenströmungen gibt, so kann ihn doch niemand davon abhalten, ins Meer zu fließen. Die treibenden Kräfte verstärken den Schwung des Flusses, und der Widerstand kann seine Strömung noch verstärken. Trotz der Gegenströmungen und gefährlichen Untiefen auf dem Weg dorthin ist die wirtschaftliche Globalisierung nie vom Kurs abgekommen und wird es auch in Zukunft nicht. Die Länder auf der ganzen Welt sollten sich für einen echten Multilateralismus einsetzen. Wir sollten Barrieren abbauen und keine Mauern errichten. Wir sollten uns öffnen und nicht abschotten. Wir sollten uns um Integration bemühen, nicht um Abkopplung. Dies ist der Weg zum Aufbau einer offenen Weltwirtschaft. Wir sollten die Reformen des globalen Regierungssystems nach den Grundsätzen von Fairness und Gerechtigkeit ausrichten und das multilaterale Handelssystem mit der Welthandelsorganisation im Zentrum aufrechterhalten.“

Bedauerlicherweise für die KPCh hängt die Zukunft des „multilateralen Handelssystems“ in erster Linie vom Vorgehen der Vereinigten Staaten ab, und die USA können nicht zulassen, dass die gegenwärtigen Trends fortbestehen. Entweder werden sie den Rest der Welt zu Zugeständnissen zwingen, um ihre Position an der Spitze zu stützen, oder sie werden bei ihrem Fall das gesamte Gebäude zum Einsturz bringen.

Seit über einem Jahrzehnt nehmen die Spannungen zwischen den USA und China zu. Die USA haben Schritt für Schritt den Druck verstärkt, als immer deutlicher wurde, dass China nicht auf dem Weg zu liberaler Demokratie ist, sondern sich zu einem echten wirtschaftlichen und militärischen Konkurrenten entwickelt. Der zunehmende Druck trieb die KPCh dazu, ihre interne Kontrolle von Wirtschaft und politischem Dissens (z. B. in Hongkong) zu verstärken und ihre militärische Position auszubauen. Dies wiederum veranlasst die USA, die Schrauben noch fester anzuziehen. Diese sich beschleunigende Dynamik hat die Spannungen zwischen den USA und China auf einen seit Jahrzehnten nicht mehr gekannten Höchststand gebracht, so dass ein offener militärischer Konflikt droht.

Sollte das eintreten, wäre es die Pflicht des internationalen Proletariats, bedingungslos für die Verteidigung Chinas zu sein. Die Imperialisten stehen China zutiefst feindselig gegenüber, gerade wegen des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts, den der kollektivierte Kern seiner Wirtschaft ermöglicht hat. Das ist es, was die Arbeiterklasse verteidigen muss. Aber sie muss dies mit ihren eigenen Methoden und Zielen tun, nicht mit denen der parasitären KPCh-Bürokratie.

Trotzki erklärte in Bezug auf die UdSSR: „Die wirkliche Methode, die UdSSR zu verteidigen, besteht darin, die Positionen des Imperialismus zu schwächen und die Positionen des Proletariats und der Kolonialvölker in der ganzen Welt zu stärken“ (Verratene Revolution, 1936). Diese Strategie, die sich auf das heutige China voll und ganz anwenden lässt, könnte nicht unterschiedlicher sein als die der KPCh, die in erster Linie den Status quo aufrechterhalten will. Zunächst einmal versucht sie, die Beziehungen zu den USA wieder zu kitten, indem sie sich auf amerikanische Kapitalisten wie Bill Gates, Elon Musk und Jamie Dimon stützt – Vertreter derselben Klasse, die die Welt unterdrückt und China zu beherrschen trachtet. Solche Manöver können die Feindseligkeit der amerikanischen Arbeiter gegenüber China nur verstärken und den größten potenziellen Verbündeten der VR China im Kampf gegen den US-Imperialismus verprellen. Was die unterdrückten Völker des Globalen Südens betrifft, so steht die KPCh nicht für deren Befreiung, sondern für illusorische Bündnisse mit den Eliten dieser Länder. Diese eigennützigen Gauner werden China bei der ersten Schwierigkeit oder bei einem besseren Bestechungsangebot der Imperialisten mit Sicherheit im Stich lassen.

In der chinesischen Bürokratie gibt es Stimmen, die einen eher kriegerischen Ton anschlagen und in der Stärkung der Volksbefreiungsarmee (VBA) den sichersten Weg zur Verteidigung Chinas sehen. Man kann die Steigerung der technischen und kämpferischen Fähigkeiten der VBA nur begrüßen. Aber militärische Angelegenheiten lassen sich nicht von der Politik trennen, und auch in diesem Bereich untergraben die konservativen Interessen der herrschenden Kaste China. Ein wichtiger Pfeiler der Verteidigungsstrategie der VBA ist es, den USA den Zugang zur so genannten „ersten Inselkette“ um China zu verwehren, indem sie Langstreckenangriffsfähigkeiten entwickelt und die militärische Kontrolle über diese Inseln anstrebt. Doch in jedem Konflikt wäre die Unterstützung durch das Proletariat der umliegenden Länder viel entscheidender als der Besitz einer beliebigen Anzahl kleiner, unbewohnter Felsen.

Der einzige Weg, den US-amerikanischen und japanischen Imperialismus wirklich aus dem Ost- und Südchinesischen Meer zu vertreiben, ist ein antiimperialistisches Bündnis der Arbeiter und Bauern, das die gesamte Region umfasst. Doch die KPCh mit ihrer nationalistischen Strategie hat keinen Versuch unternommen, die Arbeiter auf den Philippinen, in Japan, Vietnam und Indonesien für ihre Sache zu gewinnen. Stattdessen hat sie der Anti-VR-China-Kampagne der Imperialisten in die Hände gespielt, indem sie sich nur auf kurzfristige militärische Vorteile konzentriert und dabei sowohl die nationalen Empfindlichkeiten als auch die internen Klassengegensätze der Nachbarländer außer Acht lässt.

Nirgendwo trifft dies mehr zu als in der Frage von Taiwan. Die Arbeiter Taiwans erleiden unter dem Stiefel ihrer Kapitalistenklasse brutale Unterdrückung. Doch anstatt sie zu ermutigen, für ihre eigenen Klasseninteressen gegen die Imperialisten und die lokale Bourgeoisie zu kämpfen, basiert die Strategie der KPCh darauf, letztere davon zu überzeugen, sich freiwillig ihrer Herrschaft zu unterwerfen und der Volksrepublik China beizutreten. Zu diesem Zweck verspricht die Partei, die kapitalistischen Wirtschaftsbeziehungen und die politische Verwaltung auf Taiwan im Rahmen ihrer Politik von „ein Land, zwei Systeme“ aufrechtzuerhalten. Den Arbeitern bietet die KPCh keine Befreiung, sondern Unterstützung für die fortgesetzte kapitalistische Ausbeutung und den stalinistischen Unterdrückungsstiefel. Es überrascht nicht, dass dieser Vorschlag, bei dem sie nur doppelt verlieren, wenig dazu beigetragen hat, die taiwanesischen Massen für die Wiedervereinigung zu gewinnen.

Der Plan B der KPCh ist eine direkte militärische Intervention, die zwar erfolgreich die Wiedervereinigung mit Taiwan erreichen könnte, aber mit enormen Kosten verbunden wäre, nicht zuletzt wenn dies auf die Feindseligkeit der lokalen Arbeiterklasse stößt. Sollte die KPCh diesen Weg einschlagen, würden Trotzkisten die VBA gegen die taiwanesischen Kapitalisten und die Imperialisten verteidigen, aber sie würden dabei für eine proletarisch-revolutionäre Strategie kämpfen. Gegen das bankrotte Schema „ein Land, zwei Systeme“ kämpfen Trotzkisten für eine revolutionäre Wiedervereinigung, d. h. für eine Wiedervereinigung durch eine soziale Revolution gegen den Kapitalismus in Taiwan und eine politische Revolution gegen die Bürokratie auf dem Festland. Diese Strategie würde die Arbeiter Chinas um ein gemeinsames Klassen- und nationales Interesse herum vereinigen. Sie würde nicht nur dem antikommunistischen Bündnis zwischen der US-amerikanischen und der taiwanesischen Bourgeoisie den Boden entziehen, sondern China zu einem Leuchtturm für die unterdrückten Völker in aller Welt bei ihrem Kampf gegen den Imperialismus machen.

Auch wenn die KPCh heute weiterhin ihre Loyalität sowohl zum Sozialismus als auch zum Kapitalismus verkündet, darf man nicht damit rechnen, dass dies noch lange der Fall sein wird. Es gibt mächtige Kräfte, die mit chinesischen und ausländischen Kapitalisten verbunden sind, die jede Spur von staatlicher Kontrolle beseitigen und China wieder der imperialistischen Plünderung öffnen wollen. Ein solcher Ausgang muss bis zum Tod bekämpft werden! Aber es gibt auch Strömungen innerhalb der herrschenden Kaste, die unter dem Druck der Unzufriedenheit der Arbeiterklasse die Partei weit nach links rücken könnten, hart gegen die Kapitalisten durchgreifen und die antiimperialistische und egalitäre Rhetorik des traditionellen Maoismus wieder aus der Mottenkiste holen könnten. Doch genau wie Dengs Marktreformen konnten auch Maos Versuche einer egalitären Autarkie auf Grundlage einer fieberhaften Massenmobilisierung nicht den wirtschaftlichen Würgegriff des Weltimperialismus über China überwinden. Tatsächlich brachten die katastrophalen Folgen von Maos Politik die VR China an den Rand des Zusammenbruchs und führten unmittelbar dazu, dass die KPCh zu „Reform und Öffnung“ überging.

Die Drehungen und Wendungen der KPCh spiegeln nur verschiedene Wege wider, mit denen die parasitäre bürokratische Kaste versucht, ihre privilegierte Stellung innerhalb der Grenzen eines isolierten Arbeiterstaates zu erhalten. Im Gegensatz zu den Behauptungen der KPCh von Mao bis Xi kann der Sozialismus nicht in einem Land aufgebaut werden, ebenso ist eine friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus unmöglich. Der einzige Weg vorwärts für die Arbeiterklasse Chinas besteht darin, sich in einer Partei zu vereinigen, die auf den wahren marxistisch-leninistischen Prinzipien der Klassenunabhängigkeit, des Internationalismus und der Weltrevolution aufbaut, und die eigennützigen KPCh-Bürokraten hinwegzufegen. Stürzt die Bürokraten! Verteidigt China gegen Imperialismus und Konterrevolution!

VI. DER KAMPF FÜR EINE REVOLUTIONÄRE FÜHRUNG

Während die Welt in eine neue historische Krisenperiode eintritt, ist die Arbeiterklasse politisch entwaffnet. Überall wird sie von Bürokraten und Verrätern geführt, die eine Niederlage nach der anderen angeleitet haben. Angesichts der sich abzeichnenden gigantischen Herausforderungen stellt sich mit größter Dringlichkeit die Aufgabe, Führungen der Arbeiterklasse zu schmieden, die ihre Interessen wirklich vertreten. Wie können solche Führungen geschmiedet werden? Das ist die zentrale Frage, mit der Revolutionäre heute konfrontiert sind. Die unvermeidlichen sozialen und politischen Umwälzungen in den kommenden Jahren werden die Massen gegen ihre derzeitigen Führer aufbringen und Gelegenheiten für radikale Neuausrichtungen in der Arbeiterbewegung bieten. Aber diese Gelegenheiten werden ohne bereits vorhandene revolutionäre Kader, die die gescheiterte Politik der letzten 30 Jahre abgelehnt haben und die Aufgaben von heute korrekt stellen, vergeudet werden.

Die zentrale Lektion des Leninismus

In Die permanente Revolution (1929) schrieb Trotzki über Lenin: „Der Kampf um die selbständige politische Partei des Proletariats bildete den Hauptinhalt seines Lebens.“ Es ist genau dieses Kernkonzept des Leninismus, das von jeder neuen Welle des Revisionismus verworfen wird. Auch wenn der Revisionismus je nach dem vorherrschenden Druck in der jeweiligen Epoche unterschiedliche Formen annimmt, besteht er im Grunde immer in der Unterordnung des Proletariats unter die Interessen fremder Klassen.

Lenins Konzeption der Avantgardepartei nahm ihre ausgereifte Form nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs an, als sich die Parteien der Zweiten Internationale, die geschworen hatten, sich dem Krieg zu widersetzen, mit überwältigender Mehrheit patriotisch hinter ihre eigenen Regierungen stellten. In seinen Werken während des Krieges zeigte Lenin, dass dieser historische Verrat nicht plötzlich aus dem Nichts erschien, sondern durch die vorangegangene Periode der imperialistischen Vorherrschaft vorbereitet wurde und in ihr wurzelte. Die Ausbeutung zahlloser Millionen durch einige wenige Großmächte führte zu Superprofiten, die zur Kooptierung der oberen Schichten der Arbeiterklasse genutzt wurden. In ihren Gewohnheiten, ihrer Ideologie und ihren Zielen stellt sich diese Schicht auf die Seite der Bourgeoisie gegen die Interessen der Arbeiterklasse. Die umfassende Kapitulation des größten Teils der Sozialdemokratie zeigte, dass die prokapitalistische Strömung in der Arbeiterbewegung nicht nur dominant geworden war, sondern auch die Mehrheit des ehemals revolutionären Flügels der Internationale gelähmt oder kooptiert hatte.

Aus dieser Erfahrung zog Lenin die Schlussfolgerung, dass die Einheit mit prokapitalistischen Elementen der Arbeiterbewegung eine politische Unterordnung unter die Kapitalistenklasse selbst bedeutete und notwendigerweise den Kampf für den Sozialismus verriet. Den größten Teil seines Feuers richtete er gegen die Zentristen in der Arbeiterbewegung, die die Prinzipien des Sozialismus zwar nicht offen ablehnten, aber dennoch um jeden Preis die Einheit mit offenen Verrätern der Arbeiterklasse aufrechterhalten wollten. Lenin bestand darauf, dass die Zentristen das Haupthindernis für den Aufbau einer Partei darstellten, die in der Lage ist, die Massen auf den Weg zur Revolution zu führen. Während diese Lektion für den Erfolg der Oktoberrevolution in Russland entscheidend war, führte in Deutschland das Versäumnis, sie rechtzeitig zu assimilieren, zur Niederlage des Spartakusaufstandes 1919. Aus der Asche von Krieg und Revolution wurde die Dritte Internationale auf dem Prinzip gegründet, dass jede Partei, die den Anspruch erhebt, für die Revolution zu kämpfen, sich politisch und organisatorisch vom prokapitalistischen und zentristischen Flügel der Arbeiterbewegung abspalten muss.

Als die revolutionäre Welle der Nachkriegszeit abebbte, folgte eine Periode der kapitalistischen Stabilisierung, die die Sowjetunion auf der Weltbühne isoliert zurückließ. In diesem Kontext entstand der Stalinismus, der den wesentlichen Bestandteil des Leninismus – die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse – zurückwies. Anstatt sich auf die Ausweitung der Revolution durch die internationale Arbeiterklasse zu verlassen, um die UdSSR zu verteidigen, stützte sich Stalin zunehmend auf andere Klassenkräfte. Ob es sich um die Kulaken, die Guomindang in China, die britische Gewerkschaftsbürokratie oder die Imperialisten selbst handelte, Stalin schloss Abkommen, die die langfristigen Interessen der Arbeiterklasse zugunsten vermeintlicher kurzfristiger Vorteile opferten. Weit davon entfernt, die Sowjetunion zu stärken, führte dies zu einer blutigen Katastrophe nach der anderen und schwächte die Gesamtposition des internationalen Proletariats.

Trotzkis Kampf für eine linke Opposition und für eine neue, Vierte Internationale war eine Fortsetzung des Leninismus, gerade weil er für den Aufbau einer internationalen Avantgardepartei gegen die sozialdemokratischen und stalinistischen Strömungen in der Arbeiterbewegung kämpfte. Die physische Vernichtung der Kader, darunter Trotzki selbst, führte zu politischer Desorientierung und zu Niederlagen der revolutionären Gelegenheiten, die sich nach dem Blutbad des Zweiten Weltkriegs eröffneten. Die Folge war das Erstarken des Stalinismus und des Weltimperialismus. Diese historischen Niederlagen und das Scheitern, die Vierte Internationale seither neu zu schmieden, haben zu weiteren katastrophalen Rückschlägen geführt, bis hin zur Zerstörung der Sowjetunion selbst.

Postsowjetische Periode: „Marxisten“ liquidieren sich in den Liberalismus

Zur Zeit der Konterrevolution in der Sowjetunion sahen die Kräfte, die den Mantel des Trotzkismus für sich beanspruchten, überwiegend tatenlos zu oder jubelten aktiv, als die letzten Errungenschaften der Oktoberrevolution zerstört wurden. Die IKL kämpfte als einzige für Trotzkis Programm der Verteidigung der Sowjetunion und der politischen Revolution gegen die stalinistische Bürokratie. Trotz ihrer winzigen Größe und ihrer politischen Schwächen (siehe Dokument Seite 76) war die IKL auf ihrem Posten, als sie mit der entscheidenden Prüfung der Epoche konfrontiert wurde. Aber ihre Schwäche und Isolation sprechen Bände über den miserablen Zustand der revolutionären Linken zu Beginn der neuen historischen Periode.

Die Folgen des Zusammenbruchs der Sowjetunion waren für alle, die sich als Marxisten bezeichneten, verheerend. Der schnelle Rechtsruck in der Welt – nicht zum Bonapartismus oder Faschismus, sondern zum Liberalismus – erzeugte einen enormen Druck in Richtung organisatorischer und politischer Liquidation. Angesichts dieser Wende in der Weltlage bestand die Aufgabe darin, auf der Grundlage der Lehren aus den jüngsten proletarischen Niederlagen und in politischer Opposition zum Liberalismus langsam und geduldig eine revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse wiederaufzubauen. Die IKL war zwar in der Lage, den Zusammenbruch der Sowjetunion zu erklären, aber wie der Rest der „marxistischen“ Linken lehnte sie den Aufbau einer revolutionären Alternative zum Liberalismus ab (siehe Dokument Seite 7).

Indem die „marxistische“ Linke sich dem Liberalismus anpasste und nicht für einen unabhängigen Weg der Arbeiterklasse nach vorn kämpfte, war sie angesichts der Stabilität und des relativen Wohlstands der neuen Periode ohne Kompass. Um ihre Existenz zu rechtfertigen, griff sie auf Krisenbeschwörung zurück und verwies auf spezifische Gräueltaten oder reaktionäre Politik, um zu „beweisen“, dass der Imperialismus seinen reaktionären Charakter beibehalten hat. Dies passte gut mit dem vorherrschenden Liberalismus zusammen, der kein Problem damit hatte, wenn Kritiker „Exzesse“ wie Krieg und Rassismus im Rahmen der „friedlichen“ Ausbeutung der Welt durch die Expansion des Finanzkapitals eindämmen wollten.

Kriege, Austerität und nationale und rassische Unterdrückung in der postsowjetischen Zeit waren natürlich für Arbeiter und Jugendliche ein Grund, sich aufzulehnen. Aber damit diese Rebellion einen revolutionären Inhalt bekommen konnte, musste man aufzeigen, wie die liberale Führung, die diese verschiedenen Kämpfe dominierte, ein Hindernis für deren Fortschritt darstellte. Es war notwendig, die Widersprüche zwischen den legitimen Gefühlen der Rebellion und der Loyalität der Liberalen gegenüber dem System, das diese Geißeln hervorbringt, zu verschärfen. Die Aufgabe bestand darin, diese Bewegungen von ihren liberalen Führungen zu brechen. Doch keine der sogenannten marxistischen Organisationen hat diese Aufgabe auch nur als solche erkannt. Stattdessen klammerten sich die „Revolutionäre“ an jede Welle der liberalen Opposition gegen den Status quo, die aufkam, und gaben den eigentlich bürgerlichen Bewegungen eine leicht marxistische Färbung.

Eher rechtsgerichtete „trotzkistische“ Organisationen gaben die meisten ihrer marxistischen Ansprüche auf und bauten den linken Flügel des Neoliberalismus auf, ob es sich nun um grüne Parteien, die Demokratische Partei der USA, die britische Labour Party oder die brasilianische PT handelte. Die französischen Mandel-Anhänger – die behaupteten, die Vierte Internationale zu sein – lösten ihre Ligue communiste révolutionnaire auf und ersetzten sie durch die amorphe Nouveau Parti anticapitaliste, deren erklärtes Ziel nicht mehr die Revolution der Arbeiterklasse war, sondern lediglich die Schaffung einer „strategischen Alternative zum milden Sozialliberalismus“ (Daniel Bensaïd). Andere zogen sich in die schlimmste Form des Sektierertums zurück. Die North-Anhänger (bekannt für ihre World Socialist Web Site) verkündeten, dass die Gewerkschaften in der Epoche der Globalisierung „einfach nicht in der Lage [sind], international organisierte Unternehmen ernsthaft herauszufordern“ und daher völlig reaktionär geworden seien. Bei all den radikalen Floskeln lässt diese gewerkschaftsfeindliche Position die liberale Führung der Gewerkschaften einfach unangefochten.

Die eher zentristischen Gruppen wie die IKL und die Internationalistische Gruppe verkündeten weiterhin die Notwendigkeit einer revolutionären Führung und des „Bruchs mit dem Reformismus“ im Allgemeinen, abstrahierten aber völlig von der Notwendigkeit, die Linke vom Liberalismus zu spalten, der wichtigsten politischen Aufgabe beim Aufbau einer revolutionären Partei in dieser neuen Epoche. So beruhten die Polemiken der IKL und der IG gegen den Rest der Linken (und gegeneinander) zwangsläufig auf zeitlosen Prinzipien und abstraktem Jargon, nicht darauf, wie man dem Klassenkampf entlang revolutionärer Linien Führung gibt.

Das Ergebnis von 30 Jahren der Desorientierung und Kapitulation vor dem Liberalismus spricht für sich selbst. Heute, am Beginn einer neuen Epoche, sind die Organisationen, die für sich in Anspruch nehmen, für die Revolution zu sein, zersplittert, schwach und sklerotisch (im wörtlichen wie im übertragenen Sinne) und haben kaum noch Einfluss auf den Verlauf der Arbeiterkämpfe. Sie bleiben in der gleichen Form stecken, in der sie jahrzehntelang erfolglos gearbeitet haben.

Der Kampf für die Vierte Internationale heute

Der Kampf für die Revolution heute muss sich auf ein korrektes Verständnis der wichtigsten Merkmale der Epoche stützen. Der US-Imperialismus ist nach wie vor die dominierende Macht, und die von ihm geschaffene Weltordnung bestimmt weiterhin die Weltpolitik. Sie wird herausgefordert nicht durch den aggressiven Aufstieg rivalisierender imperialistischer Mächte, sondern durch den relativen Verlust des wirtschaftlichen und militärischen Gewichts aller imperialistischen Länder zugunsten Chinas – eines deformierten Arbeiterstaates – und regionaler Mächte, die über eine gewisse Autonomie verfügen, aber weiterhin vom Weltimperialismus abhängig und unterdrückt sind. Die derzeitige Dynamik deutet auf eine zunehmende wirtschaftliche und politische Instabilität in der ganzen Welt und auf regionale Konflikte (Ukraine, Taiwan usw.) mit potenziell katastrophalen globalen Auswirkungen hin. Der Druck auf die Weltordnung nimmt rapide zu, ebenso wie der interne Druck in jedem Land.

Der offensichtlichste Weg für den US-Imperialismus, die Initiative wiederzuerlangen, wäre ein vernichtender Schlag gegen China. Die KPCh-Bürokratie hat enorme Widersprüche innerhalb Chinas gefördert, indem sie zwischen dem Weltimperialismus, einer wachsenden Kapitalistenklasse und dem mächtigsten Proletariat des Planeten balanciert. Die Krise des postsowjetischen Gleichgewichts wird diese Widersprüche noch verschärfen. Der Griff der KPCh ist nicht so stabil, wie es nach außen hin scheint, insbesondere angesichts der internen Unruhen (wie die kleinen, aber bedeutenden Proteste gegen die brutalen Lockdowns der KPCh gezeigt haben). Die Arbeiterklasse wird nicht untätig bleiben, wenn ihre wirtschaftlichen Bedingungen nicht nur stagnieren, sondern sich sogar noch verschlechtern. Auch die chinesischen Kapitalisten werden nicht tatenlos hinnehmen, dass sie von der Bürokratie unter Druck gesetzt werden. Letztendlich wird China entweder der Konterrevolution zum Opfer fallen wie die UdSSR, oder das Proletariat wird sich erheben, die Bürokratie hinwegfegen und durch eine politische Revolution eine proletarische Demokratie errichten. Wann dies der Fall sein wird, lässt sich unmöglich vorhersagen. Jeder entscheidenden Konfrontation wird mit Sicherheit ein rabiater Zickzackkurs der Bürokratie vorausgehen, die sowohl gegen Konterrevolutionäre als auch gegen die Unzufriedenheit der Arbeiterklasse hart vorgeht. Die Aufgabe von Revolutionären in Bezug auf China besteht darin, die Errungenschaften der Revolution von 1949 gegen Konterrevolution und imperialistische Aggression zu verteidigen und gleichzeitig aufzuzeigen, wie die Bürokratie diese Errungenschaften auf Schritt und Tritt untergräbt, indem sie den Kampf für die internationale Revolution verrät.

Der Kampf der USA und ihrer imperialistischen Verbündeten um die Aufrechterhaltung ihrer Kontrolle der Weltordnung wird für die Bevölkerung im eigenen Land mit immer höheren sozialen Kosten verbunden sein. Schon jetzt verfault das soziale Gefüge der imperialistischen Mächte von innen heraus. Das Gleichgewicht, das durch billige Kredite, Monopolprofite und Spekulationsblasen aufrechterhalten wird, ist nicht mehr haltbar, da der Lebensstandard immer weiter zu Boden gedrückt wird. In zahlreichen westlichen Ländern gibt es Anzeichen für eine wachsende Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse. Am explosivsten ist dies in Frankreich gewesen, aber sogar in Ländern wie den USA und Britannien ist ein Anstieg der gewerkschaftlichen Kämpfe zu verzeichnen.

Während den ersten Wellen dieser Kämpfe gerade Niederlagen zugefügt werden, wird der Druck an der Basis der Gewerkschaften nur weiter zunehmen. Es wird deutlicher werden, dass keines der Probleme, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert ist, durch lindernde Anpassungen des Status quo gelöst werden kann. Dadurch wird sich schärfer denn je die Notwendigkeit einer Gewerkschaftsführung, die die Arbeiterklasse auf den Weg des revolutionären Kampfes führen kann, herausstellen. Das Haupthindernis, das dieser Entwicklung im Wege steht, sind die sogenannten „Revolutionäre“, die marginal linkere, aber prokapitalistische Gewerkschaftsführer unterstützen, anstatt auf der Grundlage eines revolutionären Programms Oppositionen aufzubauen. Nur im Kampf gegen diesen Zentrismus wird es möglich sein, die Gewerkschaften von ihren derzeitigen prokapitalistischen Führungen zu brechen.

Je mehr sich die Bedrohungen häufen, desto wütender und hysterischer wird der Liberalismus. Dies spiegelt das verzweifelte Festhalten des liberalen Kleinbürgertums am Status quo wider. Aber es spiegelt auch die berechtigte Angst der Unterdrückten angesichts anwachsender rechter Reaktion wider. Revolutionäre im Westen müssen verstehen, dass es, um die aufkommende Reaktion zu bekämpfen, notwendig ist, den Liberalismus abzulehnen, der die Bewegungen zur Verteidigung von Immigranten, rassischen Minderheiten, Frauen und anderen sexuell Unterdrückten fesselt. Eine marxistisch klingende Kritik an bestimmten isolierten Elementen ihrer Programme, wie Polizeireform oder Appelle an den Staat, reicht nicht aus. Nur wenn wir in der Praxis zeigen, wie der Liberalismus ein direktes Hindernis für die Kämpfe der Unterdrückten ist, kann sein Einfluss auf die Massen gebrochen werden. Dies kann nicht von der Seitenlinie aus geschehen, sondern nur innerhalb des Kampfes, indem eine klassenkämpferische Antwort auf jede Manifestation der kapitalistischen Tyrannei gegeben wird.

Die Erschütterungen der Weltordnung werden die Länder am unteren Ende der Pyramide am stärksten treffen. Die Aussicht auf ein besseres Leben, die vor nicht allzu langer Zeit noch möglich schien, schließt sich nun für Hunderte von Millionen von Menschen. Die neuen Arbeiterschichten in Asien, Afrika und Lateinamerika stellen die größte Gefahr für den Kapitalismus dar. Die Massen des Globalen Südens haben zunehmend die Isolation der Dörfer verlassen und sind urbanisiert, gebildet und mit der Welt verbunden. Ihre wachsende Rolle in der Weltproduktion verleiht ihnen eine enorme Macht, doch ihre einzige Perspektive ist weitere Verelendung. Es ist diese Welle der Wut der Entrechteten, die populistischen Kräften Auftrieb gibt. Die schwachen Kapitalistenklassen dieser Länder müssen zwischen dem Druck von unten, der sie hinwegzufegen droht, und dem Druck der imperialistischen Zahlmeister, die die internationalen Kapitalströme kontrollieren, balancieren. Linke Demagogie und religiöser Obskurantismus haben sich bisher als wirksam erwiesen, um die soziale Unzufriedenheit im Zaum zu halten. Doch wenn dies nicht gelingt, ist die Militärdiktatur nicht mehr weit.

In den vom Imperialismus unterdrückten Ländern spielen der Kampf um die nationale Emanzipation aus dem Würgegriff der Großmächte und die Lösung anderer ganz grundlegender demokratischer Aufgaben eine entscheidende Rolle. In dem Maße, wie sich diese Kämpfe verschärfen, wird sich auf Schritt und Tritt zeigen, dass die nationalen Bourgeoisien eine verräterische Rolle spielen, indem sie die nationale Befreiung und die Emanzipation der Arbeiterklasse und der Bauernschaft auf dem Altar des Privateigentums opfern. Revolutionäre müssen in den Kampf eingreifen und auf Schritt und Tritt zeigen, dass nur die Arbeiterklasse an der Spitze aller Unterdrückten zur Befreiung führen kann.

Unter keinen Umständen kann der Kampf gegen autoritäre oder obskurantistische Regierungen auch nur das geringste Zugeständnis oder Bündnis mit proimperialistischen, liberal-modernisierenden Alternativen rechtfertigen. Das würde nur die Reaktion stärken und die Kräfte für demokratische Reformen an den Imperialismus binden. In Ländern, in denen sich die Bourgeoisie links und „antiimperialistisch“ gibt, ist es notwendig, ihre verlogene Heuchelei zu entlarven, indem der Kampf gegen den Imperialismus vorangetrieben wird. Nichts kann steriler und kontraproduktiver sein, als abseitszustehen und Revolution zu predigen. Es ist unsere Pflicht, jede Reform zu verteidigen, die die imperialistischen Interessen angreift. Dies darf aber auf keinen Fall eine Unterstützung des bürgerlichen Populismus rechtfertigen. Die Arbeiterklasse muss ihre Unabhängigkeit um jeden Preis verteidigen und dabei immer deutlich machen, dass sie den Imperialismus mit ihren eigenen Methoden und Zielen – denen des revolutionären Klassenkampfes – bekämpft.

Die Kräfte, die für die internationale Revolution kämpfen, sind heute winzig. Die Umgruppierung auf Grundlage eines klaren Programms und einer klaren Perspektive ist unerlässlich. Das vorliegende Dokument ist ein Beitrag zum Prozess des Wiederaufbaus und der Umgruppierung der Kräfte für die Vierte Internationale. Die IKL, die in interne Kontroversen und politische Desorientierung verstrickt war, geht mit der Zuversicht voran, dass der von ihr begonnene Konsolidierungsprozess ihr eine entscheidende Rolle in der kommenden Periode sozialer Unruhen und Konflikte verschaffen wird. Wie Trotzki erklärte:

„Der in den ersten Phasen sehr schwierige und quälende Kristallisationsprozess wird in Zukunft einen ungestümen und schnellen Charakter annehmen … Große Konflikte fegen alles Halbfertige und Künstliche weg und geben andererseits all dem Kraft, was funktionsfähig ist. Der Krieg lässt in den Reihen der Arbeiterbewegung nur Platz für zwei Tendenzen: den Sozialpatriotismus, der vor keinem Verrat haltmacht, und den revolutionären Internationalismus, der kühn und fähig ist, bis zum Ende zu gehen. Genau aus diesem Grund, aus Angst vor den bevorstehenden Ereignissen, führen die Zentristen einen wütenden Kampf gegen die Vierte Internationale. Sie haben auf ihre Weise Recht: In dem Kontext großer Erschütterungen wird nur jene Organisation überleben und sich entwickeln können, die ihre Reihen nicht nur vom Sektierertum gesäubert hat, sondern die sie systematisch im Geist der Verachtung aller ideologischen Schwankung und Feigheit ausgebildet hat.“

– „Sektierertum, Zentrismus und die Vierte Internationale“ (Oktober 1935)

Vorwärts zu einer wiedergeschmiedeten Vierten Internationale, Weltpartei der sozialistischen Revolution!