Der postsowjetische Revisionismus der IKL
Das nachfolgende Dokument wurde von der VIII. Internationalen Konferenz der Internationalen Kommunistischen Liga angenommen.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion bedeutete eine grundlegende Veränderung der Weltlage. Da die Existenz der Sowjetunion die Politik der Linken fast 75 Jahre lang bestimmt hatte, erforderte ihre Zerstörung eine gründliche Neubewertung der Weltlage und der Aufgaben von Kommunisten. In den Jahren nach dieser Katastrophe führte die IKL zahlreiche Diskussionen und veröffentlichte wesentliche Dokumente mit diesem erklärten Ziel – das Dokument der internationalen Konferenz von 1992, das Dokument der SL/U.S.-Konferenz von 1994, das IEK-Memorandum von 1996 und die „Grundsatzerklärung und einige Elemente des Programms“ von 1998. Diese Dokumente sind konsistent in ihrer Analyse der Weltereignisse und bezüglich der Aufgaben, die sie für die Partei darlegten. Sie sind jedoch weit davon entfernt, eine Verteidigung des Marxismus in den ersten Jahren der postsowjetischen Ära zu sein, sondern sie sind von Grund auf revisionistisch. Die der Partei gestellten Aufgaben schwanken zwischen einem rein liberalen Minimalprogramm und einem Maximalprogramm, das darin besteht, abstrakte marxistische Formeln für die Zukunft zu bewahren. Die Dokumente leugnen alle – manchmal explizit, meist aber implizit –, dass das kommunistische Programm in den Kämpfen der gegenwärtigen Periode irgendeine entscheidende Rolle zu spielen hat.
Die Weltlage
Der Marxismus kann die Arbeiterklasse in ihren Kämpfen leiten, weil er sich auf ein wissenschaftliches Verständnis ihrer Klasseninteressen gründet – sowohl der unmittelbaren als auch der historischen. Eine Partei, die behauptet, marxistisch zu sein, aber keine korrekte politische und wirtschaftliche Einschätzung der gegenwärtigen Periode hat, kann die Arbeiterklasse nicht in Übereinstimmung mit ihren Klasseninteressen führen. Losgelöst von einer materialistischen Grundlage werden die Aufgaben, die sie sich selbst und dem Proletariat stellt, zwangsläufig die Interessen anderer Klassen widerspiegeln.
Das Verständnis der IKL von der postsowjetischen Epoche war in praktisch allen Punkten falsch, angefangen bei der Art und Weise, wie sie die internationale Situation beschrieb. Der Zusammenbruch der Sowjetunion bedeutete den Triumph des US-Imperialismus und eröffnete eine Periode relativer geopolitischer Stabilität, in der die imperialistischen Mächte unter dem Schirm der amerikanischen Hegemonie gemeinsam die Welt ausplünderten. Für die IKL galt hingegen:
Diese Analyse, die in völligem Widerspruch zu den tatsächlichen Ereignissen in der Welt stand, wurde von der IKL während dieses Zeitraums durchgehend aufrechterhalten, einschließlich in ihrer Grundsatzerklärung:
Diese völlig falsche Analyse hat ihren Ursprung nicht in einem Mangel an verfügbaren Fakten oder der Komplexität der politischen Dynamik jener Zeit, sondern in der Art und Weise, wie die IKL ihre Aufgaben konzipierte. Nirgendwo in den Hunderten von Seiten, auf denen die Aufgaben der IKL dargelegt werden, wird aufgezeigt, dass das marxistische Programm die wesentlichen Antworten auf die politische und wirtschaftliche Situation liefert, mit der die Arbeiterklasse in der postsowjetischen Periode konfrontiert ist. Ob Streikwellen in Frankreich, die Situation in Deutschland nach der Konterrevolution oder der Bauernaufstand in Chiapas in Mexiko, unsere Darstellung der Ereignisse führte nicht zu der Schlussfolgerung, dass trotzkistische Führung entscheidend ist. Wir haben diese Tatsache zwar behauptet, aber solche Behauptungen wurden lediglich auf die Ereignisse aufgepfropft, anstatt sich aus der Darstellung der Kämpfe selbst zu ergeben, in denen der Konflikt zwischen den Klasseninteressen des Proletariats und dem Programm seiner Führung auf Schritt und Tritt deutlich wurde. Die IKL antwortete vielmehr auf die Welle des liberalen Triumphalismus und den Defätismus der Linken, indem sie verkündete: „Der Kommunismus lebt in den Kämpfen der Werktätigen und im Programm seiner revolutionären Avantgarde.“ Von einem wissenschaftlichen Programm, das die Arbeiterklasse auf dem Weg zur Macht führen soll, wurde der Marxismus in idealistischen Geist der Rebellion verwandelt.
Von diesem Ausgangspunkt aus überging die Analyse der Weltlage durch die IKL notwendigerweise die Widersprüche der postsowjetischen Periode zugunsten von Impressionismus und liberaler Entlarvung, wie im Konferenzdokument von 1992:
Die Lebensbedingungen im Kapitalismus sind sicherlich brutal, aber die Darstellung dieser Bedingungen ist keine ausreichende Grundlage, um die Notwendigkeit einer sozialen Revolution zu begründen. Empirische Daten, die das menschliche Elend zeigen, können durch empirische Daten gekontert werden, die den sozialen Fortschritt zeigen – insbesondere in den 1990er- und 2000er-Jahren. Der Unterschied zwischen einem UNICEF-Flugblatt und einem kommunistischen Programm besteht darin, dass Ersteres Fakten präsentiert, die liberale Empörung hervorrufen, während Letzteres die Klassendynamik des Weltgeschehens erklärt, um die Arbeiterklasse in ihrem Kampf zum Sturz des Imperialismus anzuleiten. Da die Methode und das Ziel des Programms der IKL dem UNICEF-Flugblatt näherstanden als dem kommunistischen Programm, brach ihre Analyse der Welt einfach die herrschende Ideologie durch ein marxoides Prisma. Das Ergebnis war ein Verständnis der Welt völlig losgelöst von der Realität und eine Kapitulation vor dem Liberalismus.
Der Liberalismus als Papiertiger
Der Sieg des US-Imperialismus über die Sowjetunion äußerte sich ideologisch in Form eines liberalen Triumphalismus. Der Liberalismus wurde zur vorherrschenden Ideologie in der ganzen Welt und übte einen enormen Druck auf die Arbeiterbewegung aus. Die IKL erkannte die Bedrohung durch den liberalen Triumphalismus, aber nur um sie bereits 1992 als unbedeutend abzutun:
Die IKL stellte stattdessen die Welt so dar, als ob sie von der rechten Reaktion definiert wäre:
Daraus und aus allem anderen, was in dieser Zeit von unserer Tendenz geschrieben wurde, würde man darauf schließen, dass das Haupthindernis, mit dem wir in der Arbeiterbewegung konfrontiert waren, die chauvinistische Reaktion war, ähnlich wie im Europa der 1930er-Jahre. Daraus ergibt sich, dass die IKL ihre Aufgabe darin sah, Reaktion und Rückständigkeit zu bekämpfen, und sich in dieser Hinsicht als völlig einzigartig darstellte.
Dies war, gelinde gesagt, verwirrend.
Indem wir die Welt als ein dunkles Zeitalter chauvinistischer Reaktion darstellten, in dem nur die IKL die demokratischen Rechte verteidigt, konnten wir die grundlegendsten liberalen Forderungen als inhärent revolutionär darstellen:
Aber warum sollten sich die Massen einer kleinen kommunistischen Organisation anschließen, um Abtreibung zu verteidigen oder Rassismus zu bekämpfen, wenn es Massenbewegungen und bürgerliche Parteien gibt, die behaupten, für dieselben liberalen Prinzipien zu stehen? Die einzige Möglichkeit, die Unterdrückten für die kommunistische Führung zu gewinnen, besteht darin, aufzuzeigen, wie ihre derzeitige Führung – in diesem Fall die Liberalen – ihren Kampf aufgrund ihrer Loyalität zum Kapitalismus auf Schritt und Tritt paralysiert und untergräbt. Dies erforderte jedoch einen Kampf gegen den Liberalismus! Da die IKL leugnete, dass der Liberalismus überhaupt eine Kraft war – in der Grundsatzerklärung wird der Liberalismus nicht einmal erwähnt –, baute sie nicht nur keinen kommunistischen Pol in den verschiedenen Kämpfen dieser Zeit auf, sondern sie kapitulierte völlig vor ihren liberalen Führungen und lief diesen einfach nur hinterher. In dem Maße wie die verschiedenen programmatischen Dokumente der IKL in der postsowjetischen Periode überhaupt eine bestimmte Intervention in die Welt vorschlugen, war es im Allgemeinen nichts anderes als liberaler Aktivismus oder gewerkschaftlicher Ökonomismus.
Marxistischer Jargon und die kommunistische Zukunft
Es wäre jedoch verfehlt zu behaupten, dass die IKL in der postsowjetischen Zeit einfach nur liberal war. Die IKL definierte ihre Rolle nicht nur auf der Grundlage eines Minimalprogramms des Liberalismus; sie strebte auch die mehr historische Rolle der Weitergabe des kommunistischen Programms an künftige Generationen an. Die Grundsatzerklärung beschreibt diese Perspektive wie folgt:
Aber was meinte die IKL mit ihrem „vollen Programm“? In eben dem IEK-Memorandum, in dem behauptet wurde, die IKL sei einzigartig im Kampf gegen Homophobie, bekräftigen wir erneut die Notwendigkeit einer kommunistischen Intervention:
Solche Bekräftigungen abstrakter kommunistischer Prinzipien sind in der Propaganda der IKL weit verbreitet. Während jeder einzelne Satz formale marxistische Orthodoxie ist, ist der Absatz völlig abstrakt und gibt keinen Hinweis auf die politischen Hindernisse, um die Arbeiterklasse zu revolutionärem Bewusstsein zu bringen. Die Frage der revolutionären Führung kann nur konkret gestellt werden in Opposition zum Programm und zur Ideologie der dominierenden Kräfte in der Arbeiterbewegung. Aber da die IKL den Einfluss des Liberalismus in der Arbeiterbewegung leugnete, konnten wir noch so viele „Übergangsforderungen“ aufstellen, es konnte die Arbeiterklasse nicht zu revolutionärem Bewusstsein führen.
Dieses Hin- und Herpendeln zwischen liberalem Aktivismus und maximalistischem Jargon bestimmte die Arbeit der IKL in den letzten 30 Jahren. Wenn die Partei auf dem Weg der offenen Kapitulation vor dem Liberalismus zu weit ging, zog sie sich im Allgemeinen auf eine sektiererische Bekräftigung der Ziele und der Weltanschauung des Kommunismus zurück. Diese Tendenz war bereits im Dokument der internationalen Konferenz von 1992 vorhanden:
Diese Aussage bringt die Perspektive der IKL nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sehr deutlich auf den Punkt. Wir versuchten, die kommunistische Bewegung „wiederzubeleben“, indem wir den Bankrott des Stalinismus und die Schrecken des Kapitalismus aufdeckten und die Freuden der kommunistischen Zukunft predigten. Aber losgelöst von einem Kampf gegen die tatsächlichen Hindernisse, mit denen die Arbeiterklasse heute konfrontiert ist, liefen die Bekräftigungen selbst der radikalsten kommunistischen Prinzipien auf nichts anderes als liberale Utopien hinaus.
IG und IKL: Zwei Satelliten in der Umlaufbahn des Liberalismus
Die bedeutendste Spaltung in der Geschichte der IKL ist diejenige, die zur Gründung der Internationalistischen Gruppe (IG) im Jahr 1996 führte. Daher ist es wichtig zu bewerten, ob angesichts des Revisionismus der IKL in der postsowjetischen Periode die IG die revolutionäre Kontinuität des Marxismus repräsentiert. In einem der Gründungsdokumente der IG, „From a Drift Toward Abstentionism to Desertion from the Class Struggle“ [Vom Abdriften in den Abstentionismus zur Flucht vor dem Klassenkampf] (abgedruckt in der gleichnamigen Broschüre vom Juli 1996), üben der ehemalige Workers-Vanguard-Redakteur Jan Norden und das langjährige SL/U.S.-Mitglied Marjorie Stamberg die folgende Kritik an der IKL:
Das ist im Wesentlichen richtig. Die IKL hat nicht völlig aufgehört, in den Klassenkampf zu intervenieren – was die IG selbst anerkannte –, aber in den Auseinandersetzungen mit Norden und später mit der IG argumentierte die IKL im Wesentlichen, dass die kommunistische Intervention aufgrund des „Rückschritts des Bewusstseins“ in der postsowjetischen Periode keine entscheidende Rolle im gegenwärtigen Verlauf der Ereignisse spielen könne.
Ein Beispiel dafür und ein Kernstück des Kampfes mit Norden 1995/96 war, dass die IKL jede „Umgruppierungsperspektive“ mit der Kommunistischen Plattform (KPF) – einer Gruppierung innerhalb der PDS, dem Überbleibsel der stalinistischen Regierungspartei der DDR – als inhärent opportunistisch anprangerte. 1995 bekannte sich die PDS unter dem Druck einer bösartigen antikommunistischen Hexenjagd der deutschen Bourgeoisie offen zur Sozialdemokratie. In diesem Zusammenhang war es denkbar, dass die eher linken Elemente der PDS gewonnen werden konnten für den Trotzkismus als einziges Programm, das die kapitalistische Reaktion zurückschlagen konnte. Unabhängig davon, wie wahrscheinlich ein solches Szenario war, war es die Pflicht von Revolutionären, so hart wie möglich gegen die Konsolidierung dessen zu kämpfen, was einige Jahre später zur Partei Die Linke werden sollte, indem man deren beste Elemente für ein revolutionäres Programm gewinnt und den Rest zur direkten Auflösung in die SPD treibt. Die Ablehnung jeglicher Perspektive gegenüber der KPF durch die IKL war ein sektiererischer Verrat. Was den Kampf gegen Norden in dieser Frage angeht, so war er demagogisch und falsch.
Im Mittelpunkt des Kampfes stand die Rede, die Norden im Januar 1995 an der Humboldt-Universität vor einem KPF-Publikum hielt. In dem Artikel, der den Ausschluss Nordens und seiner Unterstützer rechtfertigte, argumentierte die IKL: „Unter Berufung auf das trotzkistische Programm präsentierte Norden eine liquidatorische Vorstellung, die die Rolle der IKL als bewusste revolutionäre Avantgarde leugnete, indem er wiederholt vorbrachte, dass 1989/90 in Deutschland ‚das Schlüsselelement fehlte, die revolutionäre Führung‘ “ (zitiert aus Spartakist Nr. 124, September/Oktober 1996). In Wahrheit leugnete Nordens Rede nicht die Rolle, die die IKL in der DDR spielte, und es stimmte, dass das Element, das 1989/90 fehlte, die revolutionäre Führung war. Die IKL kämpfte mit aller Kraft um die Führung der Arbeiterklasse während der kurzzeitigen Öffnung, die sie hatte, wurde aber bei diesem Versuch besiegt und die Konterrevolution setzte sich durch. Es wurden zahlreiche weitere Vorwürfe erhoben, dass die Rede weich gegenüber dem Stalinismus sei, die sich alle auf spezifische Formulierungen stützten, die nicht per se prinzipienlos waren.
Dass die Angriffe gegen Nordens Rede von 1995 falsch waren, bedeutet jedoch nicht, dass ihr Inhalt prinzipienfest war, noch dass die unter seiner Führung verfolgte Ausrichtung der deutschen Sektion auf die KPF prinzipienfest war. Das eigentliche Problem in Nordens Rede ist, dass es kein einziges Argument dafür gibt, warum der Trotzkismus 1995 notwendig war. Es war richtig, zu versuchen, Teile der KPF für den Trotzkismus zu gewinnen – allein die Tatsache, dass sie sich eine Rede des Redakteurs von Workers Vanguard anhörten, spricht dafür. Aber dazu reichte es nicht aus, einfach über die vergangenen großen Taten der IKL zu sprechen, sondern es war notwendig, sie mit dem Kampf um die revolutionäre Führung im wiedervereinigten imperialistischen Deutschland zu verbinden. Trotzkismus kontra Stalinismus im Jahr 1989 hervorzuheben war nur insofern wichtig, um diese Frage dazu zu benutzen, Trotzkismus kontra Sozialdemokratie im Jahr 1995 zu motivieren. Aber das war nicht die Perspektive der Rede, weil es nicht die Perspektive der IKL war. Die IKL konnte nicht erklären, warum der Trotzkismus eine qualitative Bedeutung für die Kämpfe im postsowjetischen Deutschland hatte, und Norden konnte das auch nicht.
Norden und später die IG waren in den ersten Jahren nach der Konterrevolution keineswegs gegen die Perspektive der IKL, sondern stimmten mit deren Grundlinien überein – ein Punkt, auf dem sie konsequent und wahrheitsgemäß bestanden. Norden spielte eine zentrale Rolle bei der Erstellung des Dokuments der internationalen Konferenz von 1992, und die IG beruft sich maßgeblich auf dieses Dokument. Die Gründungskader der IG stimmten für das SL/U.S.-Konferenzdokument von 1994. Was das IEK-Memorandum von 1996 betrifft, so lehnte Norden nur die vier Absätze ab, die sich auf den Kampf gegen ihn in Deutschland beziehen. Er charakterisiert den Rest des Dokuments als „sehr gut in der Beschreibung der Periode, die nach den gewaltigen Niederlagen für die Arbeiterklasse durch die Konterrevolution in der Sowjetunion und Osteuropa kommt“ (zitiert in „The Post-Soviet Period: Bourgeois Offensive and Sharp Class Battles“ [Die postsowjetische Periode: Bürgerliche Offensive und scharfe Klassenkämpfe], in der Broschüre vom Juli 1996). Dies sind genau die Dokumente, die die oben dargelegten revisionistischen Aufgaben und Perspektiven für die IKL umrissen haben. Jeder opportunistische Fehler oder jede sektiererische Dummheit der IKL in den letzten 30 Jahren kann auf diese Dokumente zurückgeführt werden.
In dem Artikel, der die Publikation der IG lancierte, wurden daher die wichtigsten Elemente der völlig falschen Weltanschauung der IKL wiedergegeben:
Die IG behauptet zwar, den Kampf um die revolutionäre Führung gegen die IKL aufrechtzuerhalten, doch in Wahrheit war sie genauso desorientiert, wenn es darum ging, wie dies in der postsowjetischen Periode konkret gestellt war.
Das Problem ist nicht, dass die IG nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion scharfen Klassenkampf vorhersagte. Der Klassenkampf ist 1991 nicht gestorben, und es gab große Kämpfe in der ganzen Welt, welche wichtige Möglichkeiten für kommunistische Interventionen boten (Südafrika 1994, Italien 1994, Frankreich 1995, Mexiko 1999 usw.). Die zentrale Frage für Kommunisten ist der politische Inhalt dieser Interventionen. Während die IKL dazu neigte, sich zu verstecken und Taktiken und Übergangsforderungen abzulehnen, stellte die IG Übergangsforderungen auf, die nicht dazu beitrugen, einen Keil zwischen die Arbeiterklasse und ihre opportunistische Führung zu treiben. „Aktives Eingreifen in den Klassenkampf“ ist nicht revolutionär, wenn dies der Arbeiterklasse nicht hilft, die Hindernisse zu überwinden, die sich ihr in den Weg stellen. Und trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtung hatten weder die IG noch die IKL eine Antwort auf den Liberalismus, die international vorherrschende Ideologie und das wichtigste politische Hindernis, mit dem die Arbeiterbewegung konfrontiert war. Kurz gesagt, keine von beiden bot eine revolutionäre Führung.
Viele der wichtigsten Auseinandersetzungen zwischen der IKL und der IG drehten sich um Länder, die unter nationaler Unterdrückung leiden: Brasilien, Mexiko, Puerto Rico, Haiti, Bolivien, Griechenland, Québec. Während die IG zu Recht einige der eklatantesten Fälle des Verrats der IKL in Bezug auf diese Länder anprangerte (Haiti-Verrat 2010, Weigerung, für die Unabhängigkeit von Puerto Rico zu kämpfen usw.), hält sie das historische Programm der IKL aufrecht, das im Grunde die Quelle dieser Kapitulationen ist (siehe „Zur Verteidigung der permanenten Revolution“, Seite 76). Die IG – genau wie die IKL in der Vergangenheit – bekämpft den bürgerlichen Nationalismus in unterdrückten Nationen auf der Grundlage sektiererischer Klassenreinheit, anstatt zu versuchen, seinen Einfluss auf die Massen zu brechen, indem sie zeigt, wie er ein Hindernis sowohl für die soziale als auch für die nationale Befreiung darstellt. Dieser Ansatz steht in völligem Gegensatz zu der trotzkistischen Theorie der permanenten Revolution. Er lehnt den Kampf um die revolutionäre Führung der demokratischen Kämpfe ab und führt zwangsläufig zu chauvinistischer Kapitulation.
Die IKL und die IG haben fast drei Jahrzehnte damit verbracht, sich in Polemiken zu ergehen, die von Haarspalterei und gegenseitigen Verleumdungen geprägt waren, während sie im Grunde genommen parallele Wege verfolgten. Dies ging zu Lasten der politischen Klarheit in der internationalen Arbeiterbewegung. Der Kampf, der 1995/96 gegen die Gründungskader der IG geführt wurde, war politisch prinzipienlos. Was die organisatorischen Maßnahmen gegen diese ehemaligen Mitglieder anbelangt, so müssen die Dinge richtiggestellt werden. Eine ordnungsgemäße Untersuchung ist Pflicht. Auch die Frage des einseitigen Abbruchs der brüderlichen Beziehungen zwischen der IKL und der Luta Metalúrgica/Liga Quarta-Internacionalista do Brasil (LM/LQB) muss geklärt werden. Diese brüderlichen Beziehungen waren mit den internen parteipolitischen Auseinandersetzungen der IKL verflochten, und unser Artikel, der unseren Bruch mit der LM/LQB rechtfertigte, liefert keine prinzipienfeste Begründung für unser Vorgehen („Abbruch brüderlicher Beziehungen mit Luta Metalúrgica“, Spartakist Nr. 124, September/Oktober 1996).
Die IKL ist entschlossen, den Status quo zu durchbrechen, eine ernsthafte politische Klärung und Debatte mit der IG zu führen und so weit wie möglich gemeinsame Aktionen zur Verteidigung der grundlegenden Interessen der Arbeiterbewegung zu unternehmen. Trotz erheblicher programmatischer Unterschiede stehen sich die IKL und die IG in vielen Fragen relativ nahe. In der entscheidenden Frage Chinas sind wir beide fast einzigartig mit unserer erklärten Position zur bedingungslosen Verteidigung des Arbeiterstaates und zur politischen Revolution. Beide Tendenzen sind sich darüber im Klaren, dass wir in eine Periode intensiver Turbulenzen und Konflikte in der Welt eintreten. Der Verlauf der Ereignisse und Kämpfe wird die Linke mit Sicherheit erschüttern, und es ist die Pflicht beider Organisationen, die politische Klarheit über Fragen der revolutionären Strategie in dieser neuen Periode voranzutreiben. Der Kampf um die Wiederschmiedung der Vierten Internationale ist dringender denn je. Dabei kann man keine Vertuschung, Demagogie, Schlammschlacht oder Sektierertum dulden. Wie Trotzki im Übergangsprogramm (1938) schrieb:
Wie lässt sich die Degeneration der IKL erklären?
Die Zerstörung der Sowjetunion bedeutete eine große Wende für die IKL. Während der endgültige Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion die stärksten Qualitäten der IKL zum Vorschein brachte – standhafter sowjetischer Defensismus, revolutionäre Entschlossenheit, Internationalismus und taktische Flexibilität in der Aktion –, traten in der folgenden Periode ihre Schwächen zutage – Außerachtlassen des Liberalismus, Revision der permanenten Revolution, Amerikazentriertheit und doktrinäre Starrheit. Die IKL war eine winzige, in den imperialistischen Ländern konzentrierte Internationale, deren Wachstum bereits seit einigen Jahren stagniert hatte. Die Konterrevolution brachte eine Welle der Demoralisierung mit sich, und die Partei brach unter dem Druck dieser neuen Periode zusammen. Tatsache ist, dass sie nicht in der Lage war, die geforderte Wende zu vollziehen.
Weder war dies ein vorherbestimmtes Ergebnis noch war es unumkehrbar. In den letzten 30 Jahren gab es viele Wendepunkte, die zu einer gründlichen Neubewertung des Kurses der IKL hätten führen müssen. Es war für niemanden ein Geheimnis, dass wir zunehmend desorientiert waren. Aber je mehr die Jahre vergingen, desto tiefer verfestigten sich Konservatismus und Opportunismus. Die historischen Kader der Partei erwiesen sich als unfähig, unseren Kurs zu korrigieren.
Doch die IKL war nicht tot. Trotz jahrzehntelanger Ablehnung der Aufgabe, eine revolutionäre Führung aufzubauen, gelang es der Partei immer noch, international einige Handvoll Kader zu rekrutieren, die sich mit aller Kraft dem Kampf für den Kommunismus verschrieben haben und die von der IKL durch ihre revolutionäre Vergangenheit angezogen waren. Es bedurfte einer weltweiten Pandemie, des Zusammenbruchs der Organisation und eines dreijährigen Kampfes, aber die Ereignisse haben gezeigt, dass in der IKL immer noch genügend revolutionäre Kraft vorhanden war – darunter auch bei einigen hartnäckigen alten Hasen –, um die Partei grundlegend neu auszurichten und sich erneut auf den beschwerlichen Weg des revolutionären Kampfes zu begeben.