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Spartakist Nummer 158

Frühjahr 2005

Rassistische Unterdrückung verstärkt Sklaverei durch Familie

Der Mord an Hatun Sürücü

Frauen und Revolution

Am 7. Januar wurde Hatun Sürücü in Berlin-Tempelhof erschossen. Ihr Kopf und Körper waren von Kugeln durchlöchert, sie starb noch am Tatort. Sie wurde von ihren Verwandten nach höchst konservativ-religiöser Tradition begraben; dies stand im Gegensatz zu der von ihr gewählten Lebensweise. Lediglich ihre drei Brüder waren beim Begräbnis nicht anwesend. Sie sitzen im Gefängnis unter der Anschuldigung des „Ehren“mordes, angeblich begangen, um die Ehre der Familie wiederherzustellen, die durch das Verhalten ihrer Schwester zerstört worden sei. Hatun Sürücü hatte ihren Ehemann verlassen, einen Cousin, mit dem sie 16-jährig in Istanbul eine von der Familie arrangierte Ehe eingegangen war; sie war nach Berlin zurückgekehrt, lebte mit ihrem Sohn in einem Frauenhaus, der Disziplin der Familie entzogen; sie hatte sich eine Lehre als Elektroinstallateurin gesucht und stand kurz vor dem Abschluss; sie legte das Kopftuch ab und zog sich nach ihrem Geschmack an, traf sich auch mit deutschen Männern und wählte ihre Freunde selbst, was dazu hätte führen können, dass sie ihren nächsten Mann ohne Zustimmung ihrer Familie selbst auswählt.

Dies ist der sechste „Ehren“mord, über den in Berlin in den letzten vier Monaten berichtet wurde. Dieser Mord hat die Gesellschaft entsetzt und polarisiert und die explosive Mischung aus Frauenunterdrückung und Rassismus entzündet. Die Hinrichtung und die damit verbundene Frage des „Ehren“mordes wurden in die öffentliche Debatte gebracht durch die empörende Sympathie, die einige Schüler der Thomas-Morus-Hauptschule in Neukölln für die Mörder äußerten. Ihre Rechtfertigung: „Sie hat ja wie eine Deutsche gelebt“ (junge Welt, 25. Februar). Der schockierte Rektor der Schule beantwortete das höhnische Gejohle mit einem offenen Brief an alle Schüler, Eltern und Lehrer. Die überwältigende Mehrheit der Schüler dieser Schule, auch diejenigen mit nahöstlicher Abstammung und muslimischem Hintergrund, lehnten den Mord eindeutig ab. Aber die empörende Haltung einiger weniger drückt nicht einfach Macho-Gehabe aus, sondern zeigt die Methode, wie türkische und kurdische Mädchen und Frauen in den vorgegebenen Grenzen gehalten werden.

Zur gleichen Zeit macht die bürgerliche Presse ein Geschrei über Fundamentalismus, ausländische Gebräuche und türkische Immigranten. Der Berliner SPD-Oberbürgermeister Wowereit fordert: „Diejenigen, die gekommen sind, müssen den Willen zeigen, sich integrieren zu lassen“ (Tagesspiegel, 22. Februar). Dies ist die neue Fassung von Kanzler Schröders Drohung 1998: Wer „unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: Raus, und zwar schnell“. Mit Abscheu (aber ohne große Überraschung) vernehmen wir, dass Berlin-Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) den Mord an Hatun Sürücü benutzt, um seine Kampagne für Zwangsassimilierung fortzusetzen. Buschkowsky gab der faschistischen Jungen Freiheit ein Interview und attackierte darin „Multikulti“-Politik von rechts: Er hetzte, dass „viele Menschen angeblich weit mehr empört seien, wenn Ausländer rechtsextremer Gewalt zum Opfer fielen, als wenn türkische Frauen für die Familienehre erschossen würden“ (tip, 24. März).

Am 5. März rief Terre des Femmes (TdF) zusammen mit SPD-, PDS- und Grünen-Politikern und anderen zu einer Demonstration gegen Gewalt gegen Frauen auf, deren Anlass die jüngsten „Ehren“morde waren. Etwa eintausend Leute demonstrierten in den Straßen Kreuzbergs. Der Spartakist mit der Überschrift „Volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben!“ erregte Aufmerksamkeit und Verkäufe gingen sehr flott, speziell wenn wir auch den früheren Artikel „Nein zum rassistischen Kopftuchverbot!“ anboten. Zu einem Zeitpunkt standen sich kleine Gruppen von Demonstranten gegenüber und diskutierten aufgeregt über die Frage: Soll man den rassistischen Staat anbetteln, immigrierte Frauen gegen den Islam zu verteidigen, oder soll man das Kopftuch als solches verteidigen. Das ist eine falsche Polarisierung. Der Schleier bzw. das Kopftuch ist ein Symbol für die Unterwerfung der Frau unter den Mann, und die Kirche/Moschee/Synagoge ist eine der Hauptinstitutionen zur Unterdrückung der Frau. Trotzdem verteidigen wir das Recht ethnischer Minderheiten, ihre Religion zu praktizieren, und wir wissen, dass staatliche Verfolgung nicht nur unterdrückte Frauen zurück an den Herd treibt, sondern auch zu mehr rassistischer Gewalt auf den Straßen aufstachelt. Dies ist eine der offensichtlichsten Folgen des antiislamischen „Kriegs gegen den Terror“, der von der US- und den EU-Regierungen seit dem 11. September 2001 geführt wird. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gibt es unter Immigranten und in der gesamten „Dritten Welt“ eine Zunahme von Elend – wachsende Arbeitslosigkeit, Ghettoisierung, Krieg – und von Hoffnungslosigkeit. Dadurch bekommt der Fundamentalismus Auftrieb als eine scheinbare Alternative.

Viele Sozialarbeiter, die an der TdF-Demo teilnahmen, haben Sisyphusarbeit gegen die Moscheen und den Staat geleistet bei dem Versuch, jungen immigrierten Frauen zu helfen, sie zu verstecken und sie zu verteidigen. Sie erzählten einer Spartakist-Verkäuferin, dass es ein Konflikt für sie war, auf diese Demo zu gehen, während gerade eine antiislamische Hexenjagd stattfindet. Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) hatte den Aufruf zur Demo auf seine Website gestellt. Aber drei Tage nach der Demonstration gab das TBB-Frauenforum eine Presseerklärung heraus, in der es vor „undifferenzierten und pauschalen Aussagen, die Vorurteile und rassistische Tendenzen gegenüber der türkischen Community und anderen Minderheiten verstärken könnten“, warnte.

Hatuns Hinrichtung war eine äußerst brutale Aktion, aber ihre Lebensumstände waren fürchterlich normal. Eine Studie des Familienministeriums zeigt, was Sozialarbeiter nur vermuten konnten: „49 Prozent der türkischen Frauen sagten, dass sie physische und sexuelle Gewalt in der Ehe erfahren haben. Ein Viertel von denen, die mit einem türkischen Mann verheiratet sind, gab an, dass sie ihren Bräutigam zum ersten Mal bei ihrer Heirat trafen. Die Hälfte sagte, dass sie unter Druck gesetzt wurden, einen Partner zu heiraten, der von ihren Verwandten ausgesucht wurde und 17 Prozent waren der Meinung in eine solche Partnerschaft gezwungen worden zu sein“ (Spiegel online, 2. März). Dass Hatun die Stärke (und Unterstützung) hatte, sich den Weg aus dieser Situation zu erkämpfen, war außergewöhnlich. Sozialarbeiter von Papatya, einer Einrichtung, die ein geheimes Wohnheim unterhält und die darauf spezialisiert ist, jungen Frauen zu helfen, die vor ihrer Familie fliehen, haben oft die Erfahrung gemacht, dass viele der jungen Frauen, die nach Hilfe fragen, dann doch wieder zu ihrer Familie zurückkehren. Eine junge Frau muss sehr entschlossen oder sehr verängstigt sein, um vollständig mit ihrer Familie zu brechen und in diesem rassistischen Land ihren Weg allein oder gar als allein stehende Mutter zu gehen.

Das Konzept der „Familienehre“, d. h. die Kontrolle der Familie über die Sexualität der Frau, ist nicht ausschließlich islamisch, sondern verbunden mit einer Produktionsweise, in der ein Clan, eine Reihe miteinander verwandter Großfamilien, Land gemeinsam besitzen und bearbeiten. Marx zitierend erklärt Friedrich Engels die Geschichte der Unterdrückung der Frau in seinem klassischen Werk Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884):

„,Die moderne Familie enthält im Keim nicht nur Sklaverei (servitus), sondern auch Leibeigenschaft, da sie von vornherein Beziehung hat auf Dienste für Ackerbau. Sie enthält in Miniatur alle die Gegensätze in sich, die sich später breit entwickeln in der Gesellschaft und in ihrem Staat.‘

Eine solche Familienform zeigt den Übergang der Paarungsehe in die Monogamie. Um die Treue der Frau, also die Vaterschaft der Kinder, sicherzustellen, wird die Frau der Gewalt des Mannes unbedingt überliefert: Wenn er sie tötet, so übt er nur sein Recht aus.“

Diese marxistische Sicht, dass die Unterdrückung der Frau verbunden ist mit dem Privateigentum und speziell mit der unterdrückerischen Institution der Familie, war ein integraler Bestandteil des Programms und der Strategie der Bolschewiki, den Sozialismus international aufzubauen. Lenin unterstrich: „Man kann aber nicht die Massen in die Politik einbeziehen, ohne die Frauen in die Politik einzubeziehen“ („Der Internationale Frauentag“, 8. März 1921). Nach Erreichen der gesetzlichen Gleichheit gilt: „Der zweite und wichtigste Schritt ist die Abschaffung des Privateigentums am Grund und Boden, an den Fabriken und Werken. Dadurch und nur dadurch wird die Bahn frei gemacht für die vollständige und tatsächliche Befreiung der Frau, für ihre Befreiung von der ,häuslichen Sklaverei‘ durch den Übergang vom vereinzelten Kleinhaushalt zum vergesellschafteten Großhaushalt“. Der junge Sowjetstaat unternahm selbst angesichts schrecklicher Armut und imperialistischer Einkreisung heldenhafte Bemühungen, um öffentliche Erziehung, Kinderversorgung, Wäschereien, Gesundheitseinrichtungen und Kantinen sowohl in den Fabriken als auch auf dem Land zu organisieren. Bolschewistische Organisatorinnen gingen freiwillig nach Zentralasien, um die Frauen dort über ihre Rechte zu informieren und sie für ihre Klasseninteressen gegen Familieninteressen und „Ehre“ zu mobilisieren.

Vieles an der bolschewistischen Politik wurde revidiert unter der Herrschaft von Stalins nationalistischer bürokratischer Kaste, die 1923/24 die Macht usurpierte und die leninistische internationalistische Perspektive verriet im Namen des „Sozialismus in einem Land“ und der „friedlichen Koexistenz“ mit dem Imperialismus. Auch die Familie wurde wieder propagiert als „kämpfende Einheit für den Sozialismus“. Trotz aller Deformationen wurde Zentralasien durch die Kollektivierung der Landwirtschaft aus einer Produktionsweise, die das 7. Jahrhundert reflektierte, herausgeholt ins 20. Jahrhundert, und so wurde es Frauen möglich, den Schleier wegzuwerfen, Bildung zu bekommen, am sozialen Leben teilzunehmen, ihre Ehemänner selbst zu wählen und Mittel zur Geburtenkontrolle zu erhalten. Ihre Schwestern in Afghanistan dagegen blieben gekettet an jahrhundertealte Bräuche und traditionelle Gewalt in der Familie, bis 1979 ein linkes, säkulares, prosowjetisches Regime mit Unterstützung der Roten Armee sie kurzzeitig aus diesem Elend erlöste; dagegen finanzierten und bewaffneten die imperialistischen Mächte (und alle parlamentarischen Parteien in Deutschland) die islamischen Fundamentalisten, einschließlich der Taliban. Es war das erste Mal in der modernen Geschichte, dass in einem Krieg Frauenrechte zentral waren. Im Gegensatz zu den meisten „Linken“ sagten wir schon zur Zeit des sowjetischen Einmarsches 1979: „Hoch die Rote Armee! Weitet die Errungenschaften des Oktobers auf die Völker Afghanistans aus!“ 1989 zog Gorbatschow die sowjetischen Truppen ab. Wir verurteilten diesen Verrat der sowjetischen Bürokratie. Mit der Zerstörung der Sowjetunion 1991/92 kommt der ganze alte Dreck wieder hoch.

Immigranten und Mitglieder nachfolgender Generationen der türkischen und kurdischen ethnischen Minderheit in Deutschland sind zwar nicht mit der Landwirtschaft in Deutschland verbunden, aber da sie meist keine oder nur eine Staatsbürgerschaft auf Widerruf haben, bleiben sie oft mit der Land- und Familienstruktur in der Türkei verbunden. Oft ersetzt die Familienorganisation die sozialen Maßnahmen, die die meisten Europäer vom Staat und öffentlichen Institutionen erwarten. Das Geld für einen Transporter, um damit einen Gemüseladen zu betreiben, kommt vom Onkel, nicht von einer Bank oder einer staatlichen Beihilfe. Der erste Job ist meistens in einem Familienunternehmen, oder man bekommt ihn durch Familienbeziehungen in einer Fabrik vermittelt. Durch diese verstärkte Bindung an die Familie werden die ganzen alten unterdrückerischen Traditionen erhalten.

Es ist allgemein bekannt, dass Frauen die großen Verlierer der Konterrevolution sind. In der DDR standen 90 Prozent der Frauen im Arbeitsleben, sie wuchsen mit dem Bewusstsein auf, dass sie für sich selbst und ihre Kinder sorgen und im Beruf vorwärts kommen können, ob nun mit oder ohne Mann. Aber Ingenieurinnen, Kellnerinnen und Atomphysikerinnen fanden sich plötzlich auf der Straße wieder und zurück in der Küche, als die verstaatlichten Fabriken eine nach der anderen zerstört wurden. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen sind im Osten doppelt so hoch wie im Westen und für Frauen doppelt so hoch wie für Männer. Aber in den türkischen Vierteln Berlins ist die Arbeitslosenrate genau so hoch wie in Ostdeutschland. In dieser Atmosphäre von Arbeitslosigkeit und Isolation blühen Religion und Frauenunterdrückung auf.

Türkische Feministinnen haben kürzlich mehr Gehör in der Öffentlichkeit gefunden: Serap Cileli schrieb vor einigen Jahren ihre Autobiografie Wir sind eure Töchter, nicht eure Ehre! und verfilmte sie auch; Seyran Ates bekam den Berliner Frauenpreis für ihre Autobiografie Große Reise ins Feuer, und Necla Keleks Bestseller Die fremde Braut entlarvt die Zwangsheiraten. Diese Frauen haben Namus (Ehre) ans Licht gezerrt und entlarvt, und sie nehmen es auch mit dem Rassismus derjenigen Liberalen auf, die „kulturellen Relativismus“ predigen, welcher Frieden mit den abscheulichsten Praktiken gegen Frauen schließt und behauptet, es sei rassistisch, einen Aspekt einer anderen Kultur zu kritisieren. So bleiben sie tatenlos, wenn z. B. somalische Frauen Opfer von Genitalverstümmelungen werden und tibetanische Mädchen Opfer der traditionellen Kindestötungen, wenn afghanische Frauen unter die erstickende Burka gesteckt und türkische, kurdische, indische, pakistanische und viele andere Frauen in Zwangsehen gepresst und Opfer von „Ehren“morden werden. Seyran Ates sagte in einem Interview mit der tageszeitung (28. Februar): „Die Linken und Liberalen und Feministinnen sind immer nur ratlos und veranstalten Tagungen und suchen den Konsens – das ist zu wenig.“ Sie sagte, dass türkische Frauen „Sklavinnen auf dem muslimischen Ehemarkt“ sind. Ates macht die gleichen Vorschläge wie Necla Kelek und Terre des Femmes: mehr sichere Frauenhäuser und strengere Strafgesetze.

Aber die SPD/Grünen-Regierung stellt Papatya und anderen Frauenhäusern nicht mehr Geld zur Verfügung, genauso wenig wie der SPD/PDS-Senat in Berlin. Öffentliche Mittel für missbrauchte Frauen werden massiv gekürzt wie alle anderen sozialen Ausgaben. Wir sind gegen diese Kürzungen, gleichzeitig ist uns klar, dass diese Häuser, die von entschlossenen, hart arbeitenden und oft mutigen Sozialarbeitern geführt werden, nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sind im Vergleich dazu, was Frauen brauchen, die versuchen dem Missbrauch durch die Familie in Deutschland, Europa und weltweit zu entkommen.

Eine der Forderungen der Feministinnen ist: „Keine Strafmilderung aufgrund eines möglichen Migrationshintergrundes der Täter! Gewalt gegen Frauen darf nicht relativiert werden“ (TdF-Demoaufruf). In Deutschland gelten „Ehren“morde nicht automatisch als Mord, sondern sind schon als Totschlag abgetan worden, „weil dem Täter seine kulturelle Prägung angerechnet wurde“ (siehe taz-Interview mit Seyran Ates). Dies richtet sich gegen Frauen und ist rassistisch und es ist kein Wunder, dass türkische Feministinnen darüber wütend sind. In den Augen von Kommunisten und der Arbeiterklasse (und eigentlich von jedem, der die Errungenschaften der Französischen Revolution schätzt) ist es Mord, eine Frau zu ermorden.

Feministinnen: Staat greif ein!

Es ist eine gefährliche Illusion, zu glauben, dass der rassistische kapitalistische deutsche Staat eine positive Rolle bei der Befreiung von immigrierten Frauen spielen könnte. Gesetze der zentralisierten Staatsgewalt werden in völlig rassistischer und undemokratischer Weise durchgesetzt und treffen am Ende nicht nur Opfer des Rassismus, sondern auch die Opfer von „Ehren“morden und anderer patriarchalischer Brutalität. Wäre Hatun bewaffnet gewesen und hätten ihre Mörder gewusst, dass sie eine Waffe hat und sie zu benutzen weiß, wäre sie vielleicht noch am Leben.

Die heutige Kampagne von Terre des Femmes ist zwar weit entfernt von der breiten Unterstützung, die es für die französische feministische Organisation „Weder Huren noch unterwürfige Frauen“ gab, die 2003 am Internationalen Frauentag 20 000 auf die Straße brachte; aber ihre Strategie hat doch viele Ähnlichkeiten. Wie unsere französische Schwesterorganisation, die Ligue trotskyste de France (LTF) in Le Bolchévik (Frühjahr 2003) schrieb:

„Es ist kriminell, die Wut und den Mut dieser jungen Frauen zu kanalisieren in Aufrufe an den Klassenfeind, den bürgerlichen Staat, sie zu beschützen! Man kann die durch die ökonomische Krise noch verschärfte Pathologie der Ghettos, in denen soziale Rückständigkeit verstärkt wird durch die systematische Abtrennung von Wohnvierteln der Minderheiten, nicht bekämpfen durch den Ruf nach für mehr Polizeirepression in den Ghettos.“

Seyran Ates, eine ehemalige Hausbesetzerin, ruft den kapitalistischen Staat dazu auf, die Immigrationsgesetze der rechtsgerichteten konservativen Regierung Dänemarks zu übernehmen, nach denen „nur ins Land darf, wer sich der dänischen Kultur unterwirft“ (taz-Interview). Necla Kelek stimmt damit überein. In Die fremde Braut ruft sie offen dazu auf, das verhasste „Ausländergesetz“ so zu ändern, „dass Familienzusammenführungen aufgrund von Eheschließung nur genehmigt werden, wenn beide Partner mindestens das 21., so die Niederländer, oder nach dem dänischen Modell das 24. Lebensjahr vollendet haben“. Der immigrationspolitische Sprecher der PDS-Fraktion Giyasettin Sayan benutzt die Gelegenheit, eine Überprüfung der Finanzen islamischer Organisationen zu fordern: „In manchen Vereinen ist der Einfluss ausländischer Extremistengruppen sehr groß“ (taz, 28. Februar). Der Kampf gegen den wahren Horror der Unterdrückung der Frauen wird verzerrt zu einer Begründung für imperialistische Reaktion, wird ein Teil der rassistischen antiislamischen Kampagne, die angeblich für Frauenrechte eintritt. Der kapitalistische Staat – die Polizei, Gerichte und Gefängnisse – existiert nicht, um junge Frauen vor ungewollten Ehen zu schützen oder vor den Folgen, wenn sie diesen Ehen entkommen. Genauso wenig wie die prokapitalistischen Politiker der SPD oder PDS, von den Grünen ganz zu schweigen. Die SPD/Grünen-Regierung hat den ersten Kriegseinsatz deutscher Truppen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem Balkan zu verantworten und sie hat Truppen in Afghanistan. Der deutsche Staat nutzt feministische Sympathien mit der Not von „importierten Bräuten“ aus, um eines der letzten legalen Schlupflöcher für Immigration zu schließen; und die Einkerkerung afghanischer Frauen unter der Burka wurde als Grund für die Bombardierung Afghanistans benutzt, um die Taliban-Regierung loszuwerden, die ursprünglich mit Unterstützung der US-Regierung und aller westeuropäischen Regierungen an die Macht kam.

All diese Lügen müssen auseinander genommen und entlarvt werden. Uralte Bräuche wie der Brautpreis, Zwangsheirat und „Ehren“verbrechen existieren in Ländern, die durch imperialistische Dominierung rückständig gehalten werden, und in den belagerten Ghettos deutscher Städte, wo fehlende Staatsbürgerrechte und Aufenthaltsrechte es jungen Frauen fast unmöglich machen, sich von ihren Familien zu lösen. Necla Kelek dokumentiert die Not junger Frauen der zweiten und dritten Generation, die mit Cousins aus der Türkei verheiratet wurden: „Die Aufenthaltsgenehmigung einer Person geht nach § 44 des Ausländergesetzes verloren, wenn sie ,aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist‘. Spätestens nach sechs Monaten erlischt die Möglichkeit, nach Deutschland zurückzukehren. Wenn die junge Frau das nicht weiß und keine Möglichkeit hat, sich bei deutschen Behörden zu melden, muss sie für immer in der Türkei bleiben.“ Aber schaut euch all die Feministen, Reformisten und so genannten Sozialisten mit ihrer Arroganz und ihren Illusionen in den deutschen imperialistischen Staat an – keiner von ihnen unterstützt unsere einfache demokratische Forderung „Volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben“. Warum? Weil sie den deutschen Staat akzeptieren und die Eigentumsformen, die er beschützt. Und sie glauben, dass sie SPD oder PDS nach links drücken können, um alle notwendigen Reformen durchzusetzen, oder dass sie sie als „kleineres Übel“ unterstützen müssen, um weitere Angriffe zu verhindern. Im Gegensatz dazu ist unser Vorbild die Russische Revolution, nicht zuletzt wegen der Errungenschaften für die Frauen, die immer ein guter Gradmesser für die Entwicklung einer Gesellschaft als Ganzes sind. Eine Revolution ist nötig, um dies zu erreichen, und das bedeutet, die politisch bewusstesten Arbeiter, einschließlich des bedeutenden Anteils von Immigranten, davon zu überzeugen, dass die Sozialdemokratie, ob SPD oder PDS, nicht nur der Revolution, sondern auch jedem elementaren Lebensbedürfnis von Arbeitern, Frauen und Immigranten im Wege steht.

Seit Jahrzehnten hat Women and Revolution (langjährige Zeitschrift der Spartacist League/U.S., unserer amerikanischen Schwesterorganisation; Artikel unter dem Kopf „Frauen und Revolution“ erscheinen in der theoretischen Zeitschrift der IKL, Spartacist, und in der Presse der IKL-Sektionen) die Schrecken der Behandlung von Frauen wie Genitalverstümmelung, Witwenverbrennung, Zwangsheirat und Kinderehen verurteilt und dagegen mobilisiert. Wir Kommunisten sehen diese Abscheulichkeiten als einen Teil der unterdrückerischen Institution der Familie, die aufrechtzuerhalten notwendig ist für Klassengesellschaften und die nur bekämpft werden kann durch das soziale Gewicht der Arbeiterklasse. Wir brauchen die Mobilisierung der Gewerkschaften, um Frauen in die gesellschaftliche Produktion zu bringen, wo sie teilhaben an der sozialen Macht ihrer Klasse, weg von der häuslichen Isolation. Das ist besonders wichtig für immigrierte Frauen. Der Arbeitsplatz ist der Ort, wo die Sprache wirklich gelernt wird, wo an Streikpostenketten und durch Kämpfe Bindungen entstehen, wo die Vorurteile zwischen Arbeitern deutscher und anderer Herkunft, zwischen Männern und Frauen mit dem unterschiedlichsten Hintergrund durchbrochen werden. Die Befreiung der Frau beginnt im Klassenkampf und wird letztlich dadurch beendet werden, dass die Arbeiterklasse die Macht übernimmt und Frauen von der uralten Familiensklaverei befreit und die Gesellschaft im Interesse aller Unterdrückten reorganisiert. Die Familie kann nicht einfach abgeschafft werden, ihre sozialen Funktionen wie Hausarbeit, Kindererziehung, Kochen und Bildung müssen durch gesellschaftliche Institutionen ersetzt werden.

Für uns als Trotzkisten ist der Ausgangspunkt, um all dies zu erreichen, der Aufbau einer multiethnischen Avantgardepartei, welche die bolschewistischen Führer Lenin und Trotzki als ihre eigene Partei anerkennen würden. In Deutschland bedeutet das heute unter anderem den Kampf für volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben, egal wo sie selbst, ihre Eltern oder Großeltern geboren wurden oder welchen religiösen Hintergrund sie haben. Durch den täglichen Kampf gegen Rassismus und Frauenunterdrückung wird sich eine revolutionäre Partei die Autorität unter den Arbeitern aufbauen, um sie gegen alle Arten von rückständigem Bewusstsein zu mobilisieren, inklusive dem Missbrauch von Frauen.

Wie Engels sagte, ist die Befreiung der Frau die Vorbedingung für „die Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie, und daß dies wieder erfordert die Beseitigung der Eigenschaft der Einzelfamilie als wirtschaftlicher Einheit der Gesellschaft“. Solch eine Veränderung setzt die Abschaffung des Privateigentums voraus:

„Mit dem Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum hört die Einzelfamilie auf, wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft zu sein. Die Privathaushaltung verwandelt sich in eine gesellschaftliche Industrie. Die Pflege und Erziehung der Kinder wird öffentliche Angelegenheit.“

Erst wenn dies erreicht ist, wird eine neue Generation von Frauen heranwachsen, „die nie in den Fall gekommen sind, weder aus irgendwelchen andern Rücksichten als wirklicher Liebe sich einem Mann hinzugeben, noch dem Geliebten die Hingabe zu verweigern aus Furcht vor den ökonomischen Folgen“ (Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats).

Spartakist Nr. 158

Spartakist Nr. 158 

Frühjahr 2005

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