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Spartakist Nummer 179

September 2009

Spartakist-Jugend

The Man in the Mirror

Michael Jackson und der rassistische US-Kapitalismus

Der nachfolgende Artikel ist übersetzt aus Workers Vanguard Nr. 940, 31. Juli, Zeitung der Spartacist League/U.S.

Am 25. Juni starb Michael Jackson, schwarzer Megastar und Musikidol, in seinem Haus in Los Angeles. Der „König des Pop“, wie er jahrzehntelang auch genannt wurde, war einer der erfolgreichsten Musiker aller Zeiten und war auf der ganzen Welt außerordentlich beliebt. Nach seinem Tod kam es zu spontanen Zusammenkünften von Fans, die in Harlem zu seiner Musik tanzten und den „Moonwalk“ aufführten oder in so entfernten Orten wie Mexiko-Stadt, Hongkong und Paris Ehrungen abhielten. Der Bürgermeister von Rio de Janeiro kündigte die Errichtung einer Michael-Jackson-Statue in den Slums an, wo dieser eines seiner Videos zu „They Don’t Care About Us“ gedreht hatte. In Algier führten Hunderte von Sängern und Tänzern aus allen Teilen des afrikanischen Kontinents „Blame It on the Boogie“ der Jackson Five auf.

Das Tragische an Jacksons Tod ist, dass eine äußerst einflussreiche Musikerkarriere durch eine über ein Jahrzehnt andauernde schonungslos rassistische und puritanische Hexenjagd fast zerstört wurde. Die Massenhysterie, die gegen Jackson unter der Beschuldigung des „Kindesmissbrauchs“ entfesselt worden war, ist ein Armutszeugnis dieser sexfeindlichen, bigotten kapitalistischen Gesellschaft, in der die Tatsache, dass jemand ein exzentrischer, prominenter Schwarzer ist, dem Staat genügt, um ihm irgendetwas anzuhängen. Die atemberaubende Heuchelei der bürgerlichen Medien – die Jackson zu Lebzeiten als „Pädophilen“ verfolgten und zum Sündenbock stempelten, selbst als er von allen Anklagen freigesprochen worden war, dann aber, nach seinem Tode, nur so in Bewunderung und Anerkennung schwelgten – wurde in einem Artikel in der Los Angeles Times (27. Juni) aufs Korn genommen: „Die Boulevardpresse, die ihn gnadenlos gehetzt hatte und ihn wegen seiner Launenhaftigkeit, seines zunehmend befremdlichen Aussehens und wegen Beschuldigungen des Kindesmissbrauchs ,Wacko Jacko‘ [der verrückte Jacko] genannt hatte, überschlug sich plötzlich mit Lobpreisungen für einen Mann, der ,den Soundtrack für eine Milliarde Menschen geschrieben hat‘.“

Opfer einer rassistischen Hetzkampagne

Während seiner im grellen Licht der Öffentlichkeit stattfindenden Karriere – begonnen im Alter von nur elf Jahren als Leadsänger der Jackson Five bei Motown Records bis hin zu seiner Solokarriere als Songschreiber, Musiker und Darsteller bis zum Alter von schließlich 50 Jahren – war Michael Jackson nicht nur für sein Talent und seine Vielseitigkeit berühmt, sondern auch dafür, dass er sowohl Rassen- als auch sexuelle Identitäten in Frage stellte. Im Geiste anderer „Crossover“-Künstler wie Chuck Berry – der als einer der ersten Künstler vor einem multirassischen Publikum auftrat – war Jackson dafür bekannt, Rassenschranken niederzureißen, und erhielt als erster Schwarzer reichlich Sendezeit bei MTV.

Doch die „unverzeihliche“ Rassenschranke, die er niederzureißen versuchte, war sein Aussehen. Ob infolge von Vitiligo [Pigmentstörung] oder durch Hautaufhellung, Tatsache ist, dass seine allmähliche „Weißwerdung“ und seine plastischen Operationen nichts dazu beitrugen, ihn in den Augen des rassistischen Amerika weniger schwarz erscheinen zu lassen – eine verzerrte Bestätigung des Wesens der Unterdrückung der Schwarzen als einer durch ihre Hautfarbe definierten Kaste. Kein Geld der Welt, kein Wechsel des „rassischen“ Erscheinungsbildes kann etwas an der Tatsache ändern, dass das kapitalistische Amerika sicherstellen wird, einen von Geburt her Schwarzen in seine Schranken zu weisen. In einem Land, in dem die weiße Herrenmenschenideologie von der „Reinheit“ der Rasse zu der „Ein-Tropfen-schwarzes-Blut“-Regel führte, wurde Jacksons körperliche Verwandlung zu einem Vergehen, das ihm die bürgerlichen Medien und die „öffentliche Meinung“ nicht durchgehen lassen würden.

Es gibt eine echte Verbundenheit zwischen Schwarzen und jemandem, der sich, egal was er tat, immer nach den Erwartungen dieser Gesellschaft richten musste, wie ein Schwarzer aussehen sollte, wie er sich zu benehmen und mit wem er zu schlafen habe. Selbst im Tod wird dieser ungeheuer talentierte und eigentümliche Mann noch mit Schmutz beworfen, während die meisten Schwarzen ihm entschlossen zur Seite springen. In den letzten paar Wochen kam es nicht selten vor, dass Fernseh- und Radiokommentatoren fragten, weshalb sich Schwarze mit Michael Jackson identifizieren, wo er doch „weiß aussah“. Das fanatische Ekelpaket, Fox-News-Kommentator Bill O’Reilly, ereiferte sich in seiner Show The O’Reilly Factor über Schwarze, die Jackson für einen der ihren ansehen, obwohl er weiß aussah und „sich dafür entschieden habe, weiße Kinder zu haben“. In echter O’Reilly-Manier war dies ein beißendes und unverfälschtes Zeugnis der amerikanischen bürgerlichen Psyche.

Rasse und Sex in Amerika

Wie wir in unserem Artikel „Stoppt die Hexenjagd gegen Michael Jackson!“ (Spartakist Nr. 154, Frühjahr 2004) erklärten: „Im Fall von Jackson treffen offene Anti-Schwulen-Hetze, reaktionäre, staatlich erzwungene Stigmatisierung von Sex zwischen den Generationen und rassistische Vorurteile aufeinander.“ Die hochgradige Diffamierung Michael Jacksons diente dem Zweck der Bourgeoisie, Hysterie über Rasse und Sexualität hochzupeitschen, was nur allzu gebräuchlich ist in einem Land, in dem man Schwarzen (ob berühmt oder nicht) häufig erfundene Anklagen mit sexuellem Bezug anhängt. Im Jahre 1913 wurde der schwarze Boxer Jack Johnson inhaftiert, weil seine Beziehungen zu weißen Frauen als Verletzung des Mann Acts gegen die Beförderung von Frauen „zu unmoralischen Zwecken“ über Bundesstaatsgrenzen hinweg angesehen wurden. Im Jahre 1960 wurde der schwarze Rock’n’Roll-Künstler Chuck Berry ebenfalls aufgrund des Mann Acts verurteilt, wegen der Beförderung einer Minderjährigen über Staatsgrenzen hinweg. In jüngerer Vergangenheit wurde der Rhythm & Blues-Sänger R. Kelly aufgrund von Anklagen mit sexuellem Bezug durch die Gerichte gezerrt. Besessenheit mit der Sexualität des schwarzen Mannes ist ein roter Faden, der sich durch die amerikanische Kultur zieht und der lange als Rechtfertigung von Lynchjustizterror diente.

Viele Persönlichkeiten des schwarzen Establishments, die normalerweise um einen strittigen „Sex“-Fall einen weiten Bogen machen würden, fühlten sich verpflichtet, für Michael Jackson Stellung zu beziehen. Am Tag nach Jacksons Tod ersuchten die schwarzen Abgeordneten Jesse Jackson Jr. und Diane Watson das Repräsentantenhaus um eine Schweigeminute zum Gedenken an Michael Jackson, worauf mindestens ein Kongressmitglied unter Protest den Saal verließ. Als die demokratische Abgeordnete Sheila Jackson Lee eine Resolution einbrachte, die Jackson „eine amerikanische Legende, ein musikalisches Idol und einen Vertreter des Humanitätsgedankens von Weltrang“ nannte, wurde sie prompt von der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi abgewürgt, zur Freude des republikanischen Abgeordneten Peter King. Niederträchtigerweise nannte King die Medienberichterstattung über Jacksons Tod eine „Orgie“ und zog in einem YouTube-Beitrag über Jackson als „Pädophilen“ und „Perversen“ her.

Michael Jackson war das Opfer einer verkommenen Gesellschaftsordnung mit einem verdorbenen und grausamen „Moral“begriff. Und all diese Politiker – ob Schwarze oder Weiße, Demokraten oder Republikaner – sind entschiedene Verfechter genau dieser Gesellschaftsordnung, d. h. des amerikanischen Kapitalismus.

Amerikas puritanische Wertvorstellungen

Als Michael Jackson aufgrund von Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern zweimal durch die Gerichte geschleift wurde, verteidigten wir ihn während seiner juristischen Schwierigkeiten. Die Prozesse basierten auf Gerüchten, widersprüchlichen Zeugenaussagen und einem völligen Fehlen objektiver Beweise. Wie wir in „Michael Jackson Defeats Racist, Anti-Sex Vendetta“ (Workers Vanguard Nr. 851, 8. Juli 2005) erklärten:

„Jackson bleibt unerschütterlich dabei, dass seine Beziehungen zu Jungen asexueller Natur waren, was sicherlich möglich ist – doch für uns ist das irrelevant. Die staatliche Hexenjagd gegen Jackson basierte auf sexualfeindlichen Gesetzen, die wir aus Prinzip ablehnen…

Sex ist eine natürliche menschliche Aktivität – selbst bei Kindern. Wir glauben, dass bei jeglicher Art sexueller Beziehung das leitende Prinzip ein tatsächliches gegenseitiges Einverständnis sein sollte ungeachtet des Alters, des Geschlechts oder der Rasse. Das bedeutet: Wenn die Beteiligten das, was auch immer sie tun wollen, tatsächlich verstehen und wünschen, sollte es damit sein Bewenden haben. Wir sind gegen die willkürliche und reaktionäre Einmischung des Staates in solch intime Angelegenheiten.“

Unsere unerschütterliche Verteidigung der Privatsphäre und der sexuellen Freiheit, im allgemeinen und speziell im Fall Michael Jacksons, hat uns die Verachtung der Liberalen und der reformistischen Linken eingebracht, die ihren Spaß daran haben, sich als „Moralpolizei“ aufzuspielen, wenn es um sexuelle Dinge geht. Das drastischste Beispiel hierfür lieferte die Sozialistische Alternative (SAV) – die Schwestergruppe der Socialist Alternative in den USA und wie diese Mitglied im Komitee für eine Arbeiterinternationale von Peter Taaffe –, als sie unsere Genossen in Deutschland von ihrer Veranstaltung „Sozialismustage“ ausschloss (siehe „SAV: Kein Sex, kein Spaß, kein Spartakist!“, Spartakist Nr. 158, Frühjahr 2005). Für die Taaffe-Leute hat alles, was nicht mit den chauvinistischen und repressiven Wertvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft konform geht, politische Zensur verdient. In unverschämter Weise verleumdeten die Taaffe-Leute unsere Position im Michael-Jackson-Fall als „Verteidigung von Vergewaltigern“ und „Relativierung von Kindesmissbrauch“! Ob offen oder unterschwellig, ein Großteil der Linken machte im Jackson-Fall mit Freude bei der Kampagne „sonderbar bedeutet schuldig“ mit und zeigte so, dass sie prüde bürgerliche Moralvorstellungen und eine grundlegende Loyalität zur gegenwärtigen Gesellschaftsordnung verinnerlicht haben.

Michael Jacksons Sexualleben ging niemanden etwas an außer ihn selbst. Doch genauso wie die zahllosen Menschen in diesem Land, die als „Sexualstraftäter“ gebrandmarkt werden, obwohl sie kein Verbrechen begangen und niemandem etwas zuleide getan haben, und denen durch bürgerliche Gesetze und Medienhysterie das Leben zur Hölle gemacht wird, hatte Jackson den Versuchen der Bourgeoisie standzuhalten, ihn aufgrund falscher Beschuldigungen zu verurteilen, weil er nicht den Normen dieser Gesellschaft entsprach. Heute, nach seinem Tod, sind die Medien voll von Diskussionen über seine Finanzen, das Sorgerecht für seine Kinder und die Razzia in der Praxis seines Arztes wegen Totschlagverdachts.

Der schwarze Demokrat Al Sharpton ist ein politischer Gauner, der sich darauf spezialisiert hat, die Wut der Schwarzen über rassistische Ungerechtigkeiten in Unterstützung für die Demokratische Partei umzumünzen. Doch bei Jacksons aufwendiger, prächtiger und ergreifender Trauerfeier hatte er einen aufrichtigen Moment, als er sagte: „Ich will, dass seine drei Kinder wissen, an eurem Daddy war nichts Befremdliches. Es war befremdlich, was er zu ertragen hatte.“ Dass der hochtalentierte Michael Jackson zu einer der größten Skandalquellen und einem der häufigsten Angriffsziele in der Unterhaltungsbranche wurde, ist kein Hinweis auf sein Leben, sondern auf die kranke Gesellschaft, in der er lebte.

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