Spartakist Nr. 163

Sommer 2006

 

Wehrmacht, Holocaust und "Kollektivschuld"

Arbeiterrevolution wird Opfer des Holocaust rächen!

Die Rote Armee zerschlug das Nazi-Regime!

Korrektur im Anhang

Diesem Artikel liegt eine Schulung der Spartakist-Arbeiterpartei über die Wehrmacht zugrunde. Anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung gab es um den 8. Mai letzten Jahres eine breite Auseinandersetzung in der Gesellschaft über das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg. Die deutsche Bourgeoisie und ihre SPD/Grünen-Regierung nutzten die verschiedenen Gedenkfeiern aus, um die Interessen des deutschen Imperialismus voranzubringen. Im Gegensatz zur herrschenden Klasse Japans, die ihre Schlächter jedes Jahr wieder ehrt – so wie es auch Kohl und Reagan mit den SS-Mördern in Bitburg 1985 taten –, hat die deutsche Bourgeoisie sich aber entschieden, im Angesicht ihrer unsäglichen fürchterlichen Verbrechen bei Gedenkveranstaltungen usw. eher ein paar Krokodilstränen zu vergießen. Mit dazu gehört auch, das Holocaust-Mahnmal in der Mitte Berlins zu bauen oder sich alle paar Jahre mal wieder ein antifaschistisches Mäntelchen umzuhängen durch einen „Aufstand der Anständigen“, wenn der tägliche rassistische Terror, der vom Staat geschürt wird, mal wieder droht, das Image Deutschlands zu schädigen. Zentrales ideologisches Mittel dazu ist, die Schuld aller Deutschen an den Verbrechen der Nazis zu predigen, die Kollektivschuld, um damit die wirklich Schuldigen zu entlasten, die damals und heute herrschende Klasse, die deutsche Bourgeoisie. Es ging und geht darum, dass die deutsche Bourgeoisie eine Weltmachtrolle spielen will, und so manipuliert sie zynisch die Erinnerungen an ihre Verbrechen zur Förderung dieses Ziels.

Mit der kapitalistischen Wiedervereinigung und der konterrevolutionären Zerstörung des deformierten Arbeiterstaates DDR 1990 und des degenerierten Arbeiterstaates Sowjetunion 1991/92 ist der deutsche Imperialismus erstarkt. Er unternimmt nun die ersten Schritte, gegen die weltweite Vormachtstellung des US-Imperialismus zu konkurrieren. Im Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika und bald auch im Kongo werden wieder „deutsche Interessen“ vertreten. Schröder und Fischers „Nie wieder Auschwitz“ 1999, womit die Teilnahme am Krieg der US-geführten NATO gegen Serbien gerechtfertigt wurde, diente nur dem einzigen Zweck, den ersten Kriegseinsatz des deutschen Imperialismus seit Ende des Zweiten Weltkriegs durchzusetzen, der Bundeswehr praktische Erfahrungen zu vermitteln und Truppen auf dem Balkan zu stationieren. Die Heuchelei der Bourgeoisie von Auschwitz und ihrer jeweiligen Machthaber dient nur dazu, der nächsten Runde zum gefährlichen Wiederaufstieg des deutschen Nationalismus den Weg zu bahnen.Kollektivschuld“ fesselt die Arbeiterklasse an ihre eigene Bourgeoisie und hindert sie daran, mit deren Verbrechen abzurechnen.

Am 8. Mai letzten Jahres, bei der Demo des so genannten Spasibo-Bündnisses gegen die Nazis in Berlin, hielt der jüdische Stalinist und Kämpfer der bürgerlichen französischen Résistance, Peter Gingold, eine Rede (die Einiges an Beifall erhielt). Diese entsprach einem Beitrag in der Südbadener Stattzeitung vom März 2005 unter dem Titel: „Für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung war die Niederlage der Nazis ihre eigene Niederlage“. Diese infame Behauptung „bewies“ Gingold damit, dass die Deutschen „1933 nicht verhindert“ hätten, also die Machtübernahme der Nazis. Doch das deutsche Proletariat war in seiner überwältigenden Mehrheit in KPD und SPD sowie in den Ende der 20er-Jahre mehrheitlich sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften organisiert. Die Bourgeoisie brachte die Faschisten an die Macht, weil sie eine Arbeiterrevolution fürchtete. Die Faschisten basierten sich aufs Kleinbürgertum (Bauern, Polizisten, Studenten, die Intelligenz, Beamte etc. pp.), das durch die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er-Jahre ruiniert wurde, und auf das Lumpenproletariat, also Dauerarbeitslose und völlig Verelendete, die die Verbindung zur Arbeiterbewegung verloren hatten. Der Faschismus war das letzte Mittel, die Klassenherrschaft der Bourgeoisie zu retten.

Im Übergangsprogramm, dem Gründungsdokument der Vierten Internationale von 1938, entlarvte der russische Revolutionär Leo Trotzki, neben Lenin der Führer der Oktoberrevolution, die stalinistischen Lügen. Trotzki stellte die Niederlage in Deutschland 1933 den Erfahrungen von Russland 1905 gegenüber und zeigte auf, wer die Verantwortung für den Sieg der Nazis trägt:

„Die Fraktion der Bolschewiki war damals noch nicht drei Jahre alt. Ganz anders stand die Sache in Deutschland, wo die Führung in den Händen zweier mächtiger Parteien lag, wovon die eine siebzig, die andere nahezu fünfzehn Jahre bestand. Diese beiden Parteien, hinter denen Millionen Wähler standen, waren schon vor der Schlacht moralisch gelähmt und haben sich kampflos ergeben… Das deutsche Proletariat wurde nicht im Kampf vom Feind geschlagen geschlagen. Es wurde durch die Feigheit, die Niedertracht und den Verrat seiner eigenen Parteien vernichtet. Kein Wunder, dass es den Glauben an alles verlor, woran es seit beinahe drei Generationen zu glauben gewohnt war... Die andauernde Erfolglosigkeit der revolutionären Arbeit in Italien und Deutschland ist weiter nichts als der Preis für die verbrecherische Politik der Sozialdemokratie und der Komintern.“

Revolutionäre Tradition der deutschen Arbeiterbewegung

Die SPD war mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs offen auf die Seite der eigenen Bourgeoisie übergegangen, indem sie am 4. August 1914 den Kriegskrediten des Kaisers zustimmte und dann die Arbeiterklasse auf die Schlachtbank des Ersten Weltkriegs trieb. Die SPD war das, was Lenin als eine bürgerliche Arbeiterpartei bezeichnete, d. h. sie hatte ein bürgerliches Programm, voll im Rahmen des Kapitalismus, aber eine proletarische Basis. Es war strategisch notwendig, die Arbeiterbasis der SPD von ihrer bürgerlichen Führung zu spalten. Die Verantwortung für die Niederlage der revolutionären Nachkriegswelle trägt die SPD, deren Verrat der Schlüssel dazu war, die Herrschaft der Bourgeoisie zu retten. Die SPD ertränkte die Revolution im Blut und ließ die Führung der KPD, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Leo Jogiches und Eugen Leviné ermorden. Auch war die junge, gerade erst gegründete kommunistische Partei zu unerfahren. 1923 erkannte die KPD-Führung, die von Stalin vom Kampf um die Macht entmutigt wurde, zu spät die revolutionäre Krise und machte die Ausrufung des Aufstands von der Zustimmung des linken Flügels der SPD abhängig, was einer drittklassigen Beerdigung der Revolution gleichkam (siehe auch Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 22, Sommer 2001). Das Kleinbürgertum radikalisierte sich nach rechts, weil die Versuche der deutschen Arbeiterklasse, inspiriert durch die Oktoberrevolution 1917, einen Ausweg aus der kapitalistischen Krise durch eine proletarische Revolution zu schaffen, gescheitert waren.

Die Niederlage der Revolution in Deutschland 1923 besiegelte vorerst die Isolation des jungen sowjetischen Arbeiterstaates. Die Enttäuschung und Apathie, die sich unter den erschöpften sowjetischen Massen breit machte, wurde von der sich formierenden Bürokratie genutzt, die unter Stalins Führung die Kontrolle und Macht über die Bolschewistische Partei Ende 1923, Anfang 1924 an sich riss. Statt des bolschewistischen Internationalismus und des Kampfes für Weltrevolution wurde nun von Stalin der „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“ verkündet. Die Kommunistische Internationale, gegründet als Partei der Weltrevolution, wurde in ein Instrument verwandelt, das entscheidend war, die Arbeiter an ihre Bourgeoisie zu ketten, für die Illusion einer friedlichen Koexistenz der Sowjetunion mit dem Imperialismus. Diese Konterrevolution war eine politische und keine soziale; die stalinistische Bürokratie basierte auf den kollektivierten Eigentumsformen, die durch die Oktoberrevolution geschaffen worden waren. Der Staat blieb ein Arbeiterstaat, wenn auch ein bürokratisch degenerierter, und es war die Pflicht des internationalen Proletariats, ihn gegen den Klassenfeind zu verteidigen. Gegen die Zerstörung der Partei führte die trotzkistische Internationale Linke Opposition einen jahrelangen Kampf gegen Stalin und Co., um die Komintern auf ihr revolutionäres Programm zurückzuführen.

Der Verrat von SPD und KPD 1933

Die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er-Jahre und die Niederlagen der Arbeiterrevolutionen ließen die Nazis aufsteigen. Doch die Arbeiter wollten kämpfen und die Bourgeoisie sah sich nicht mehr in der Lage, mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie die Gefahr der Revolution einzudämmen. Es kam zu einer Massenradikalisierung. Brühning 1930, Papen 1932, Schleicher 1932/33: Drei aufeinander folgende bonapartistische Regime konnten die Krise nicht für die Bourgeoisie in den Griff bekommen. Sie setzten zunehmend auf den Terror der Nazis gegen die Arbeiterbewegung und sahen in der Zerschlagung der Arbeiterbewegung die einzige Möglichkeit, ihre Klassenherrschaft zu retten. Die SPD-Führung fürchtete sich, die Arbeiter zu mobilisieren, denn hätte erst einmal die Arbeiterklasse gegen die Nazis mobil gemacht, würde sie sich weiter radikalisieren und der Kontrolle der SPD und ihrem Programm von Klassenzusammenarbeit entgleiten. Die KPD-Führung unter Thälmann und Stalin jedoch weigerte sich, der SPD eine Einheitsfront aufzuzwingen, ja sie erklärte sie sogar für „sozialfaschistisch“ und gab die Parole aus „Nach Hitler kommen wir“. Das war nichts als eine Kapitulationserklärung gegenüber der drohenden Zerschlagung der Arbeiterbewegung und der Machtübernahme der Faschisten.

Die trotzkistische Linke Opposition hingegen warnte vor der Gefahr der Machtübernahme der Nazis und kämpfte darum, die Arbeiter in proletarischen Einheitsfronten zu organisieren und die Nazis so zu schlagen. Der Verrat der Stalinisten und Sozialdemokraten war unglaublich: Da gab es vorher täglich Straßenschlachten und Kämpfe, die Arbeiter waren zu Hunderttausenden in Parteimilizen organisiert, kämpften gegen die Nazis, zum Teil zusammen, und dann, als die Nazis an die Macht kamen, fiel kein Schuss. Der Verrat der KPD wiegt doppelt schwer, denn sie wurde als die Partei der Russischen Revolution angesehen und in ihr war die Avantgarde des Proletariats organisiert. Nichts ist demoralisierender als eine kampflose Niederlage. Als sich nach diesem historischen Verrat keinerlei Kritik in den Reihen der Dritten Internationale erhob, kämpften die Trotzkisten nun für den Aufbau einer neuen revolutionären Internationale, während die Stalinisten 1935 den Aufbau von Volksfronten proklamierten, Bündnissen der Arbeiterparteien mit Teilen der Bourgeoisie gegen den Faschismus. Basierend auf Klassenzusammenarbeit ist die Volksfront ein Hindernis zum Klassenkampf gegen den Kapitalismus, der die Nazis hervorbringt, und bahnt ihnen damit in Wirklichkeit den Weg. Dies kam am deutlichsten in der verbrecherischen Erdrosselung der Spanischen Revolution Mitte der 30er-Jahre durch die Stalinisten zum Ausdruck, die in der Machtübernahme der Franco-Faschisten resultierte.

Es war die Rote Armee, die das Naziregime zerschlug und den Holocaust – die industrielle Ermordung von Millionen Juden, Roma und Sinti – und die Verfolgung und Ermordung von Kommunisten und unzähligen anderen beendete. Nach dem Sieg der Roten Armee war die Lüge von der „Kollektivschuld aller Deutschen“ am Holocaust und den anderen Nazi-Gräueltaten ein zentrales Mittel zur Verteidigung der Herrschaft der deutschen Bourgeoisie in Westdeutschland. Damit wurde die Verantwortung der Bourgeoisie, die Hitler an die Macht gebracht hatte, um die Arbeiterklasse zu zerschlagen, abgewälzt auf „das Volk“. Und wenn alle schuld waren, war es in Wirklichkeit keiner, insbesondere nicht die Bourgeoisie. In seinen Memoiren Und unsere Fahn’ ist rot beschrieb der deutsche Trotzkist Oskar Hippe machtvoll den Zweck der Kollektivschuldlüge nach dem Zweiten Weltkrieg:

„Auch die Proklamation der Kollektivschuld des deutschen Volkes gehört in diesen Bereich des Kampfes gegen das Proletariat, da man von vornherein das Proletariat, die überwiegende Mehrheit des Volkes, diskriminieren, ihm sein Versagen als Minderwertigkeitskomplex einimpfen und ihm ein für alle Mal weismachen wollte, es sei unfähig, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen und die Gesellschaft zu revolutionieren.“

Die Führungen von KPD und SPD hatten nach dem Krieg ganz eigene Gründe, sich die Kollektivschuldlüge zu Eigen zu machen. Sie konnten damit die Verantwortung für ihren eigenen Verrat durch ihre kampflose und feige Kapitulation vor den Nazis 1933 auf die Schultern der von ihnen verratenen deutschen Arbeiterklasse abschieben. Wenn heute DKPler die Verantwortung für die Machtübernahme der Nazis der mangelnden Kampfbereitschaft des „deutschen Volkes“, also den Arbeitern, in die Schuhe schieben wollen, ist das ein empörendes Weißwaschen des Verrats der KPD-Führung. Das Programm, das dahinter steckt, ist das aus dem Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945:

„Wir sind der Auffassung, dass der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland.

Wir sind vielmehr der Auffassung, dass die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk.“

Also ein Eintreten für die – natürlich demokratische – Herrschaft der Bourgeoisie. Ein Artikel der DKP-Zeitung unsere zeit (uz) vom 10. Juni letzten Jahres erklärte über dieses Dokument: „Der Aufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945 gehört zu den herausragenden und kreativsten Texten, die die deutschen Kommunisten in ihrer Geschichte veröffentlicht haben.“

Tatsächlich jedoch flohen Naziführer und Bourgeoisie aus Ostdeutschland, wo die Rote Armee herrschte, zu den Imperialisten gen Westen. Mit der zunehmenden Konfrontation der Sowjetunion mit ihren imperialistischen „demokratischen“ Alliierten der Kriegszeit, die im ersten Kalten Krieg gipfelte, wurde in Ostdeutschland Ende der 40er-Jahre, so wie auch im restlichen Osteuropa, die Bourgeoisie als Klasse enteignet und der deformierte Arbeiterstaat DDR nach dem Vorbild des bürokratisch degenerierten Arbeiterstaats Sowjetunion errichtet.

Der Zweite Weltkrieg – ein imperialistischer Krieg

Ein zentraler Punkt in der stalinistischen und sozialdemokratischen Propaganda zum Zweiten Weltkrieg und in der Kollektivschuld-Propaganda ist, den Charakter des Zweiten Weltkrieges als einen Krieg zwischen Demokratie und Faschismus darzustellen. Aber der Zweite Weltkrieg war wie der Erste ein imperialistischer Krieg, er war nur seine Fortsetzung. In Bezug auf die Sowjetunion hatten die Trotzkisten eine Seite, nämlich mit der Sowjetunion. Ebenso unterstützten sie Aufstände der kolonial unterdrückten Völker, wenn sie gegen die imperialistische Vorherrschaft gerichtet waren, sei es in Indien gegen Britannien, in China gegen Japan und USA, in Indochina gegen Frankreich usw. Das Bewusstsein aller Klassen Europas nach dem Ersten Weltkrieg war geprägt von dem Sieg der proletarischen Revolution in Russland. Und Revolutionen wurden im Grunde sowohl von der Bourgeoisie als auch von den Trotzkisten als Ergebnis eines neuen Weltkriegs erwartet. Die kapitalistischen Herrscher hatten aus der Revolution ihre Lehren gezogen. Zum Beispiel hat die Reichswehrführung anfangs die Solidarisierung von deutschen Soldaten mit den russischen im Dezember 1917 an der Ostfront als eine Auflösungserscheinung der russischen Armee gesehen. In der Ausstellung im Museum der Roten Armee in Berlin-Karlshorst kommentiert ein Foto mit dem Titel „Verbrüderung deutscher und russischer Soldaten“:

„… im Rückblick nach der Novemberrevolution in Deutschland [wurde] diese Annäherung von Soldaten als Beginn der Zersetzung durch den Bolschewismus gewertet. Diese Vorstellung ging später in die Befehle der nationalsozialistischen Kriegführung gegen die Sowjetunion ein.“

Die Trotzkisten hatten sich sehr gründlich auf einen neuen Weltkrieg vorbereitet. Ihr Vorbild war der Kampf von Karl Liebknecht und den Bolschewiki im Ersten Weltkrieg. Die prinzipielle Politik wurde im entscheidenden programmatischen Dokument, Trotzkis „Krieg und die Vierte Internationale“ von 1934 dargelegt. Den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg umzuwandeln ist die „allgemeine strategische Aufgabe, der die gesamte Arbeit der proletarischen Partei während des Krieges untergeordnet werden muss“. Dort wird ausgeführt:

„18. Die Lüge der nationalen Verteidigung deckt sich in allen Fällen, wo es angängig ist, mit der ergänzenden Lüge von der Verteidigung der Demokratie. Wenn die Marxisten heute, in der imperialistischen Epoche, Demokratie mit Faschismus nicht gleichsetzen und in jedwedem Augenblick bereit sind, dem die Demokratie bedrängenden Faschismus Widerstand zu leisten, soll da das Proletariat nicht auch im Kriegsfalle die demokratischen Regierungen gegen die faschistischen unterstützen?

Ein grober Sophismus: Die Demokratie beschützen wir vor dem Faschismus mittels der Organisationen und Methoden des Proletariats… Stehen wir aber schon in Friedenszeiten unversöhnlich in Opposition zur ,demokratischsten‘ Regierung, können wir da auch nur den Schatten einer Verantwortung für sie in Kriegszeiten übernehmen, wo alle Niedertracht und alle Verbrechen des Kapitalismus viehischste und blutrünstigste Gestalt annehmen?

19. Ein moderner Krieg zwischen Großmächten ist kein Aufeinanderprall von Demokratie und Faschismus, sondern der Kampf zweier Imperialismen zur Neuaufteilung der Welt.“

Das revolutionäre Programm wurde gegenüber dem Ersten Weltkrieg nur in einem Punkt ergänzt: Verpflichtung des Weltproletariats zur bedingungslosen militärischen Verteidigung der Errungenschaften der Oktoberrevolution, trotz der Übernahme der politischen Macht durch die Bürokratenkaste unter Stalin:

„8. … Die Verteidigung der Sowjetunion gegen die Anschläge seitens der kapitalistischen Feinde ist, unabhängig von den Umständen und unmittelbaren Ursachen des Zusammenstoßes, elementare und gebieterische Pflicht jeder ehrlichen Arbeiterorganisation.“

Die Trotzkisten in der Sowjetunion, die in Stalins Lagern gefangen waren, haben sich zum Zeitpunkt des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion freiwillig gemeldet, um die Sowjetunion mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Und als das von der stalinistischen Bürokratie abgelehnt wurde, weil sie zu viel Angst hatte, haben die Trotzkisten auf einige ihrer Rechte verzichtet und haben ihren Arbeitstag auf 12 Stunden ausgedehnt, damit die Sowjetunion im Krieg siegt.

Über die Frage der Verteidigung der Sowjetunion gab es Kämpfe innerhalb der Vierten Internationale, am klarsten und besten dokumentiert in der amerikanischen Sektion, der Socialist Workers Party. Dort wollte die kleinbürgerliche Opposition von Shachtman, Burnham und Abern unter dem Eindruck der kleinbürgerlichen öffentlichen Empörung über den Hitler-Stalin-Pakt und den sowjetisch-finnischen Krieg die Verteidigung der Sowjetunion aufgeben, spaltete die Partei 1940 und nahm dabei 40 Prozent der Mitgliedschaft mit sich. Trotzki erklärte 1938 in „Eine frische Lehre – über den Charakter des kommenden Krieges“ die zentrale Frage, was eigentlich bürgerliche Demokratie ist:

„Demokratie kann nur so lange aufrechterhalten werden, wie die Klassenwidersprüche nicht einen explosiven Zustand erreichen. Um die sozialen Spannungen abzuschwächen, ist die Bourgeoisie gezwungen, Extra-Futter an eine breite Schicht von kleinbürgerlichen Intellektuellen zu geben und an die Bürokratie und die Arbeiteraristokratie. Je mehr es an Extra-Futter gibt, desto schlimmer ist der Sozialpatriotismus. Das Durchfüttern der Reformisten gibt es heute nur noch in den Ländern, die in der Lage waren, in der Vergangenheit einen riesigen Reichtum anzusammeln auf der Grundlage der Ausbeutung des Weltmarkts und der Plünderung der Kolonien. Mit anderen Worten: Unter den Bedingungen des kapitalistischen Niedergangs gibt es ein demokratisches Regime (für eine gewisse Zeit) nur für die am meisten aristokratische Bourgeoisie. Die Basis des Sozialpatriotismus bleibt koloniale Sklaverei.“ (unsere Übersetzung)

Ganz im Einklang mit ihrer Volksfrontpolitik und ihrer Unterstützung der Bourgeoisien der „demokratischen“ imperialistischen Alliierten der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg haben die Stalinisten Deutschland die Schuld am Zweiten Weltkrieg gegeben. Aber „deutsche Schuld“ am Krieg hat es nie gegeben, denn es war ein imperialistischer Krieg. Wie Lenin schon im Ersten Weltkrieg erklärte, ist für Marxisten die Frage, wer zuerst schießt, irrelevant für die Beurteilung eines Krieges. Deutschland und Japan waren die Länder, die es erst Ende des 19. Jahrhunderts in die Reihen der imperialistischen Großmächte geschafft hatten. So kamen sie zu spät bei der Aufteilung der Welt. Sie hatten weniger Reserven und versuchten, die Kolonien zu kriegen, die Britannien und Frankreich ausplünderten. Die USA blieben in Wartestellung, um am Ende abzusahnen. Ihr Krieg gegen Japan ging vor allen Dingen um die Frage, wer China und Asien ausbeuten und knechten darf.

Die Verteidigung der Sowjetunion

Das stalinistische Volksfrontmärchen vom antifaschistischen Krieg der Demokratien hat nur dazu gedient, die amerikanische und westeuropäische Arbeiterklasse an ihre eigenen Bourgeoisien zu ketten. Die Bolschewiki hatten 1917 als einzigen Ausweg für das Überleben der Russischen Revolution ihre Ausweitung auf die fortgeschrittenen imperialistischen Länder gesehen. Insbesondere setzten sie auf die deutsche Arbeiterklasse, die stärkste und bestorganisierte in Europa. Doch das deutsche Proletariat war von seiner Bourgeoisie besiegt worden und junge deutsche Arbeiter, in Wehrmachtsuniform gesteckt, rückten nun gegen die Sowjetunion vor. Allein die Trotzkisten kämpften damals für eine unabhängige Klassenpolitik in der Tradition von Lenin und Liebknecht. James P. Cannon, herausragender Führer der amerikanischen Trotzkisten, hat 1942 dazu gesagt:

„Wir machen einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Sowjetunion und ihren ,demokratischen‘ Alliierten. Wir verteidigen die Sowjetunion. Die Sowjetunion ist ein Arbeiterstaat, wenn auch degeneriert unter der totalitären Herrschaft der Kremlbürokratie. Nur Verräter können dem sowjetischen Arbeiterstaat die Unterstützung in seinem Krieg gegen das faschistische Deutschland verweigern. Die Sowjetunion zu verteidigen, trotz Stalin und gegen Stalin, heißt das verstaatlichte Eigentum zu verteidigen, das durch die Oktoberrevolution errichtet worden ist. Das ist ein progressiver Krieg.“ („A Statement on the War“ [Eine Erklärung zum Krieg], Fourth International, Januar 1942, Hervorhebung im Original)

Es war die Sowjetunion, die die Hauptlast dieses Krieges zu tragen hatte. Auch als sie ein Bündnis mit den USA und Britannien hatte, standen der Sowjetunion fast immer 90 Prozent der deutschen Truppen gegenüber (und zu keinem Zeitpunkt des Krieges weniger als zwei Drittel), und was die Wirtschaftsunterstützung betrifft, die sie vor allem von den USA erhielt, so machte diese höchstens zehn Prozent der eigenen Industrieleistungen aus. Und es war die Rote Armee, die das Nazi-Regime zerschlug. Sie setzte dem Holocaust ein Ende. Sie befreite Europa von der Versklavung und blutigen Unterdrückung durch die Nazis.

Die Politik der stalinistischen Bürokratie, die über dem Sowjetstaat thronte und jede Initiative der Massen verhinderte, hat zu den verheerenden Verlusten von 27 Millionen Sowjetbürgern geführt. Drei Millionen starben allein in den ersten drei Monaten. Stalin vertraute seinem 1939 geschlossenen Pakt mit Hitler, obwohl er gewarnt worden war, z. B. durch die heldenhaften Sowjetspione Richard Sorge und Ozaki Hozumi (siehe auch Spartakist Nr. 116, Januar/Februar 1995). Vieles kann man auch in Chruschtschows Geheimrede mit dem merkwürdigen Titel „Über den Personenkult“ nachlesen, die er 1956 auf dem Parteitag der KPdSU gehalten hat, außer dass sie nicht die Frage beantwortet, wo eigentlich Genosse Chruschtschow selber gewesen war. In der Rede zeigte er auf, dass Stalin demoralisiert war und sich nach dem deutschen Überfall die ersten zehn Tage feige verkroch. Eine der Hauptschwächungen, die er der Sowjetunion zugefügt hatte, war die Vernichtung praktisch des kompletten Offiziersstabs drei, vier Jahre vorher, was z. B. die Ermordung Tuchatschewskis einschloss. Rokossowski, einer der wichtigsten Generäle des sowjetischen Kampfes für die Befreiung Europas, war glücklicherweise nicht ermordet, sondern nur versetzt worden, und konnte deshalb wieder aktiviert werden. Auch Schukow war damals gesäubert worden, weil es aber nicht genug Offiziere gab, wurde er wieder eingesetzt. Es ist ein Riesenmythos aufgebaut worden, wie Stalin den „Großen Vaterländischen Krieg“ geführt hat, tatsächlich waren das aber seine Generäle und die Soldaten der Roten Armee, die den Sieg trotz Stalin errangen. Stalins Lieblingsgeneral war der spätere Verräter Wlassow, der zu Hitler überlief.

Es war eine politisch entscheidende Wende, als von der stalinistischen Bürokratie propagiert wurde, dass der Krieg gegen Deutschland ein „Großer Vaterländischer“ Krieg sei, zur Verteidigung von „Mütterchen Russland“. Am 22. Juni 1941 war der Überfall auf die Sowjetunion, Stalins erste Rede war am 3. Juli:

„Den Krieg gegen das faschistische Deutschland darf man nicht als gewöhnlichen Krieg betrachten… Er ist zugleich der große Krieg des ganzen Sowjetvolkes gegen die faschistischen deutschen Truppen. Dieser vaterländische Volkskrieg gegen die faschistischen Unterdrücker hat nicht nur das Ziel, die über unser Land heraufgezogene Gefahr zu beseitigen, sondern auch allen Völkern Europas zu helfen…“ (Ausstellungskatalog Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945)

Also wurde der Krieg von Anfang an unter das Motto von russischem Nationalismus gestellt. Und das hat verhindert, dass es massive Überläufe deutscher Einheiten gegeben hat, um an der Seite ihrer sowjetischen Klassenbrüder gegen den gemeinsamen Klassenfeind, die deutsche Bourgeoisie, zu kämpfen. Damit schafften es die Stalinisten auch, die Oktoberrevolution als die Identifikation für die sowjetische Arbeiterklasse durch den Großen Vaterländischen Krieg zu ersetzen. Dies stand in einer Reihe mit der Auslöschung der gesamten Schicht von Bolschewiki, die die Oktoberrevolution geführt haben, durch die Stalinbürokratie. Die Propaganda, die in die Rote Armee und in die Arbeiterklasse hinein getragen wurde, besagte, dass die Deutschen alle Faschisten sind, dass die Wehrmacht eine faschistische Armee ist usw. Deshalb gab es zum Beispiel in Stalingrad, was auch im Museum in Berlin-Karlshorst dokumentiert ist, in russischer Sprache Plakate und Aufschriften wie „Wie viele Deutsche hast du heute getötet?“ und „Kein Deutscher darf lebend aus Stalingrad rauskommen“. Später hat die Rote Armee Flugblätter an die deutschen Soldaten verteilt, damit sie kapitulieren, aber das Beispiel, das sie darin brachten, war der Hitler treu ergebene und erzreaktionäre Generalfeldmarschall Paulus, der die deutschen Truppen in Stalingrad kommandiert hatte. Sie gründeten dann das Nationalkomitee Freies Deutschland, mit Graf von Einsiedel an der Spitze, um gemäß der Volksfrontpolitik zu zeigen, dass sie nicht die Revolution wollten, sondern den Ausgleich mit der Bourgeoisie. Andere Flugblätter sagten, dass diejenigen Soldaten, die nicht kapitulieren, getötet werden.

Das hatte also nichts mit revolutionärer internationalistischer Propaganda zu tun. Diese würde ausnutzen, dass die Soldaten, die ihnen gegenüber standen, deutsche Arbeiter waren, eventuell Kinder von Kommunisten oder vielleicht sogar selbst Kommunisten. Es gab diese ganze antideutsche Hetze von Ilja Ehrenburg, einem jüdisch-sowjetischen Schriftsteller, der zum Sprachrohr von Stalins nationalistischer Hetze wurde. Diese wurde zwar fallen gelassen, nachdem die Rote Armee Deutschland erreicht hatte, was aber nichts Wesentliches am tatsächlichen Inhalt der stalinistischen Politik änderte. Es war sehr schwierig, überzulaufen. Trotzdem gab es Überläufer. Gerhard Bögelein zum Beispiel war ein deutscher Arbeiter, der übergelaufen ist und Soldat in der Roten Armee wurde. Gleich nach der Wiedervereinigung 1990 wurde er von der rachsüchtigen westdeutschen Justiz in Hamburg ins Gefängnis geworfen. Und Karl Kielhorn hat in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager ein Antifa-Komitee organisiert. Dort haben sie Marx gelesen und er ist dann zur KP rekrutiert worden. Wir Spartakisten haben Bögelein und Kielhorn gegen die Rache des Vierten Reiches verteidigt. Heinz Kessler, der später die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR aufbaute, Armeegeneral und dann Verteidigungsminister wurde, war als Wehrmachtsoldat zur Sowjetunion übergelaufen. Wir sind stolz, ihn gegen die antikommunistische Hexenjagd nach der kapitalistischen Konterrevolution verteidigt zu haben.

Der Überfall auf die Sowjetunion hat einen riesigen Widerstand mobilisiert, und das ist die Hauptbasis, auf der die Sowjetunion schließlich siegen konnte. Die Nazis und die Wehrmachtführung haben geglaubt, dass nach vier Monaten der Sieg erreicht ist. Deshalb brauchten die deutschen Soldaten keine Winterkleidung, weil nach Meinung der Wehrmachtführung die Sowjetunion im Winter schon zusammengefallen wäre wie ein Kartenhaus. Die Verteidigung Leningrads unterschied sich von der Bedeutung her vom übrigen Kampf in der Sowjetunion. Es gab in Leningrad ein hohes Bewusstsein davon, dass hier die Geburtsstätte der Oktoberrevolution verteidigt wurde. Hitler und seine Wehrmachtführung wollten Leningrad gerade wegen der Oktoberrevolution völlig auslöschen und die Bevölkerung verhungern lassen, selbst wenn sie versuchen sollte zu kapitulieren. Keine Kapitulation anzunehmen lautete der Befehl. 900 Tage dauerte die Belagerung und es sind mehr Menschen bei Leningrads Verteidigung und in Leningrad selbst, ca. 1 Million, gestorben als Soldaten der amerikanischen und britischen Imperialisten im Zweiten Weltkrieg zusammen, nämlich 800 000. Aber die Nazis konnten Leningrad nicht besiegen. Eine psychologische Wende in diesem Krieg war der Sieg in Stalingrad, und die militärische Wende war die Schlacht am Kursker Bogen 1943. Die Sowjetunion trug die Last des Kampfes gegen die Nazis und konnte schließlich die deutschen Armeen zurückschlagen. Die Westalliierten zielten darauf ab, dass ihr imperialistischer Konkurrent Deutschland und der degenerierte Arbeiterstaat Sowjetunion sich gegenseitig auf dem Schlachtfeld zerstören, deshalb gab es die „zweite Front“ erst im Juni 1944 mit der Landung in der Normandie. Die Westalliierten haben erst dann diese zweite Front aufgerichtet, um den sowjetischen Einfluss in Europa zurückzudrängen, als sie Angst hatten, dass die Rote Armee ganz Deutschland befreien würde.

Ein gutes Beispiel für die Haltung der deutschen Bevölkerung zur Sowjetunion ist im Ausstellungskatalog Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945 durch Berichte des SD (Sicherheitsdienst beim Reichsführer SS) aufgezeigt. Dort gibt es ein Dokument über die Reaktion der Bevölkerung auf die Hetze gegen „sowjetische Untermenschen“. Es gab eine Ausstellung der Nazis darüber in Berlin, gegen die von der Widerstandsgruppe um den jüdischen Kommunisten Herbert Baum eine Bombe gelegt wurde. Die Nazipropaganda versuchte das Bild von „Untermenschen“, Juden oder Slawen oder Kommunisten, zu vermitteln und ließ dazu Menschen in Konzentrationslagern fotografieren, die sie selber fast haben verhungern lassen, als typisches Beispiel für die Völker, die sie auslöschen wollten. Es gibt einen SD-Bericht vom April 1943, worin steht, dass sich das Bild der Deutschen geändert hat, weil jetzt Hunderttausende von Ostarbeitern und Kriegsgefangenen in Deutschland arbeiten. Darin gibt es Beispiele dafür, wie die Zwangsarbeiter – unter ihnen viele hoch ausgebildete Facharbeiter – von der Bevölkerung unterstützt wurden, so dass nachher selbst darauf die Todesstrafe stand, Zwangsarbeiter oder Ostarbeiter zu unterstützen. Trotzdem gab es weiterhin Unterstützung. Es gibt Beispiele, wo polnische und andere Zwangsarbeiter auf dem Lande praktisch in die Familien aufgenommen wurden. Ein anderes Beispiel ist, als die Nazis versuchten, die Erschießung der 4000 polnischen Offiziere in Katyn auszuschlachten. Sie öffneten die Gräber der polnischen Offiziere, die beim polnisch-deutschen Krieg 1939 von der Roten Armee in Ostpolen gefangen genommen worden waren. Die polnischen Offiziere waren sicher verhärtete Konterrevolutionäre, was nicht bedeutet, dass wir ihre Erschießung durch den NKWD gutheißen. Aber die Goebbels-Propaganda versuchte das auszuschlachten. Der SD berichtete, dass in Deutschland Leute gesagt haben: „Wir haben kein Recht, uns über diese Maßnahme der Sowjets aufzuregen, weil deutscherseits in viel größerem Umfang Polen und Juden beseitigt worden sind.“ Das passt natürlich nicht ins Zerrbild der Kollektivschuld-Propaganda, wonach eben alle Deutschen irgendwie doch Nazis waren und sie unterstützt haben.

Trotzkisten im Zweiten Weltkrieg

Die Trotzkisten haben während des Zweiten Weltkriegs unter der Nazibesatzung Widerstand geleistet (siehe auch die Broschüre Prometheus Research Series Nr. 2, „Documents on the ,Proletarian Military Policy‘“ [Dokumente über die „proletarische Militärpolitik“], Februar 1989). Oskar Hippe führt in seinem Buch ein paar Beispiele davon an. Die politischen Fragen, die dabei auftauchten, haben die Trotzkisten oft in Probleme gestürzt. Einige kapitulierten politisch vor dem bürgerlich-nationalen Widerstand, andere haben mit dem trotzkistischen Programm in die andere Richtung gebrochen. Sie leugneten, dass irgendein Aspekt der nationalen Frage im Nazi-besetzten Europa existierte. Andere, wie die holländischen Trotzkisten des Committee of Revolutionary Marxists (CRM) haben diese Fehler vermieden, und ihr Kampf ist beispielhaft. Das CRM erkannte, dass es einen Aspekt von nationaler Unterdrückung gab, lehnte aber richtigerweise jede politische Zusammenarbeit mit den Organisationen, die den Sieg der Alliierten wollten, scharf ab. Es erklärte, dass die Aufgabe des Proletariats in jedem besetzten Land der Kampf gegen jede Art sozialer und nationaler Unterdrückung und für das Recht auf nationale Selbstbestimmung ist, in Zusammenarbeit mit dem Proletariat des unterdrückenden Landes. Die Politik der KPN (Kommunistische Partei der Niederlande) wurde vom CRM als nationalistisch verurteilt:

„Sie betreiben die niederträchtigste nationalistische Propaganda und versuchen glauben zu machen, ihre schändliche verräterische Politik sei ,leninistisch‘. Diese schamlosen Agenten der imperialistischen Alliierten betreiben eine Propaganda, die offen den britischen Imperialismus unterstützt. Sie machen Propaganda für eine englische ,Befreiung‘ und Intervention. Alles, was Lenin über den amerikanischen und britischen Imperialismus schrieb, wird ignoriert… Gemeinsam mit der nationalen Bourgeoisie versuchen sie den Klassenwiderspruch zu verwischen.“

Gegen Illusionen in den nationalistischen Widerstand hielt das CRM proletarischen Internationalismus:

„Es war immer eine vereinte und gemeinsame Überzeugung, dass nur die Arbeiterklasse durch den Kampf aus eigener Kraft den Sieg erreichen kann, die sozialistische Gesellschaft. Deshalb haben wir nicht und werden auch nicht einen antideutschen, sondern einen antifaschistischen Standpunkt einnehmen. Nicht als Kämpfer für die nationale Befreiung der Niederlande, sondern als Kämpfer für die internationale Befreiung des Weltproletariats durch sozialistische Revolution sind unsere Genossen gefallen. Daher ergibt sich ihre große Bedeutung. In diesem Geiste wird unsere neue Zeitung, De Rode October, schreiben und das Proletariat wird den Sieg erringen.“ (De Rode October Nr. 1, Juni 1942)

Und das CRM hat immer die Wiedergeburt der deutschen Arbeiterbewegung als zentral angesehen.

„Ein gesunder Geist des Widerstands lebt im holländischen Proletariat. Die kommenden Ereignisse werden entscheiden, ob die deutsche Revolution oder die Alliierte Konterrevolution diesen Geist nutzen kann.“ (Alle Zitate über das CRM aus Wim Bot, „Generals without troops“ [Generäle ohne Truppen], Revolutionary History, Winter 1988/89)

Ein anderes Modell für diesen revolutionären Internationalismus war die Arbeit der französischen Trotzkisten unter den Wehrmachtsoldaten in Brest, die mit ihrer deutschsprachigen Zeitung Arbeiter und Soldat für die Verbrüderung französischer und deutscher Arbeiter, die in Hitlers Armee dienen mussten, kämpften. Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen dem proletarischen Internationalismus der Trotzkisten und dem, was die französischen Stalinisten betrieben. Deren Propaganda muss man übersetzen mit: „Die einzigen guten Deutschen sind tote Deutsche“ oder „Jedem sein Kraut“. Dieser üble Nationalismus konnte nur dazu dienen, die Kontrolle der deutschen herrschenden Klasse und der Nazis über das deutsche Proletariat zu verstärken. Die chauvinistische Politik der Stalinisten, die ihre eigene Bourgeoisie im Namen der Demokratie unterstützten, war eine Barriere, um die deutschen Arbeiter und Soldaten vom Nationalismus zu brechen, und eine Barriere für die revolutionären Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa, wofür die Trotzkisten gekämpft haben.

Wehrmacht, eine imperialistische Armee

Wenn man die Frage der Wehrmacht diskutiert, so ist das Entscheidende dabei, dass im Laufe des Krieges 18 Millionen Deutsche in ihr waren. Das bedeutet, dass zu irgendeinem Zeitpunkt jeder zweite männliche Deutsche in der Wehrmacht gewesen ist. Es gab fünf Millionen tote deutsche Soldaten. Die Wehrmacht war eine Zwangsorganisation, eine imperialistische Armee, die von Anfang an blutige Massaker durchführte. Aber in diesem Punkt hat sie sich nicht von den anderen imperialistischen Armeen unterschieden. Es gibt eine Darstellung von Ulrich von Hassel, der mit zum Offizierswiderstand vom 20. Juli 1944 gehörte. Dieser bestand überwiegend aus Hitler-Offizieren, die enttäuscht waren, dass sie mit Hitler den Krieg nicht gewinnen konnten. Zum Teil waren sie aber auch von menschlicher Empörung über die Verbrechen im Osten motiviert, was vor allem über von Treskow und von Stauffenberg bekannt ist. Ulrich von Hassel hat am 18. August 1941, zwei Monate nach dem Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion, geschrieben:

„Der ganze Krieg im Osten entsetzlich, allgemeine Verwilderung. Ein junger Offizier erhielt den Befehl, 350 in einer großen Scheune zusammengetriebene Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, niederzumachen, weigerte sich zunächst, wurde darauf hingewiesen, was auf Gehorsamsverweigerung stehe, erbat sich zehn Minuten Bedenkzeit und tat es schließlich, indem er mit einigen Leuten Maschinengewehrfeuer durch das geöffnete Scheunentor in die Menge prasseln ließ…“ (Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945)

Dieser Offizier hat dann mit einer leichten Verletzung dafür gesorgt, dass er nie wieder an die Front kommt. Und es gibt einen Feldpostbrief von einem Unteroffizier, in dem steht:

„Man erzählt, ein Befehl des Führers sei herausgekommen, dass Gefangene und solche, die sich ergeben, nicht mehr erschossen werden dürfen. Das freut mich. Endlich!“ (ebd.)

Und dann beschreibt er noch den ganzen Horror, den es für ihn bedeutet hat. Immer wieder werden Feldpostbriefe von Soldaten zitiert, die beweisen, dass Soldaten auch die Nazi-Ideologie teilten. Das verwundert überhaupt nicht, waren die Nazis doch eine kleinbürgerliche Massenbewegung; und von Gegnern der Nazis zu erwarten, dass sie offen ihre Opposition in Briefen von der Front, die der Militärzensur unterlagen, ausdrückten, ist einfach illusorisch. Der Soldat Kurt Vogeler war entsetzt über den brutalen Krieg: „Welch ein unseliger Krieg ist dieses Menschenmorden im Osten Europas! Ein Frevel an der Menschheit!“ Helmut Altner beschrieb die Alternative für Soldaten so: „Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten. Tod durch eine Kugel des Gegners oder durch die Schergen der SS“ (zitiert in: Stephen G. Fritz, Hitlers Frontsoldaten).

Die Führung der Wehrmacht jedoch teilte voll und ganz die Völkermordpolitik und war völlig verwoben mit den Nazis. Schon vor dem Angriff auf die Sowjetunion, am 6. Juni 1941, gab es den „Kommissarbefehl“ von Keitel, in dem es heisst:

„Die Truppe muss sich bewusst sein:

1.) In diesem Kampfe ist Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme diesen Elementen gegenüber falsch…

2.) Die Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden sind die politischen Kommissare. Gegen diese muss daher sofort und ohne Weiteres mit aller Schärfe vorgegangen werden.

Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen.“ (Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945)

Die Aufgabe von Revolutionären war, die Soldaten der Wehrmacht für ein revolutionäres Programm zu gewinnen. Sie war eine Zwangsarmee, und im Zweiten Weltkrieg gab es keine Möglichkeit, der Wehrpflicht zu entgehen. Zuerst hat die Wehrmacht politisch Unzuverlässige nicht gezogen, später aber doch. Es wurden auch politische Gefangene aus den KZs in so genannten Strafbataillonen an die Front geschickt, die dann nur leichte Waffen bekamen und meist vor der deutschen Front Minen suchen mussten. Das war ein Todesjob. Der Historiker Omer Bartov hat in seinem Buch Hitlers Wehrmacht beeindruckend die Widersprüche in der Wehrmacht illustriert:

„Während die kaiserlichen Heere im Ersten Weltkrieg nur 48 Soldaten aus den eigenen Reihen exekutierten, wurden im Zweiten Weltkrieg zwischen 13 000 und 15 000 Mann von der eigenen Armee hingerichtet… Sehen wir einmal von den vielen Tausenden ab, die in Strafbataillone versetzt wurden, so erhielten zwischen Ende August 1939 und Mitte 1944 nicht weniger als 23 124 Soldaten langjährige Zuchthausstrafen, während 83 346 zu Gefängnisstrafen von über einem Jahr und weitere 320 042 zu Gefängnisstrafen von unter einem Jahr verurteilt wurden.“

Andere berichten von 20 000 Wehrmachtsoldaten, die dafür hingerichtet worden sind, dass sie desertierten oder Befehle verweigert haben.

Bei diesen gewaltigen Zahlen muss man sich zusätzlich vor Augen halten, dass der Druck auf die Soldaten noch dadurch erhöht wurde, dass Hingerichteten, wie Bartov beschreibt, die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, damit die Hinterbliebenen keine Rentenansprüche hätten. Viele fürchteten zu Recht Repressionen gegen ihre Angehörigen. Dies ist eine eindruckvolle Illustration davon, dass die Armee immer die Widersprüche einer Gesellschaft wie in einem Brennglas konzentriert. Die Klassenlinie zwischen Soldaten, die Arbeiter in Uniform waren, und Offizieren, die die Interessen der Bourgeoisie durchsetzen, könnte nicht deutlicher werden. Das alles hält Bartov allerdings nicht davon ab, am Ende des Buches für die Kollektivschuld zu argumentieren. Im Wesentlichen muss er sich dabei aber auf Aussagen von Nazigrößen und auf reinen Moralismus stützen. Es gelingt ihm nicht, zu belegen, dass alle Soldaten hinter dem Naziregime standen, wie er behauptet.

Eine der wichtigsten Kollektivschuldkampagnen der letzten Jahre, zumindest was die Wehrmacht angeht, war die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht l941 bis 1944“. Hannes Heer, der Leiter der ersten Ausstellung, unterstützt in seinem Buch Vom Verschwinden der Täter (2004) die Aussage von Jan Philipp Reemtsma:

„Und der Leiter des Instituts unterstrich diesen Gedanken von der Wehrmacht als Quersumme der Volksgemeinschaft und als der Schnittstelle von Bevölkerung und Naziverbrechen, als er bei der Eröffnung der Ausstellung am 5. März 1995 ausführte, dass ihre Brisanz gerade darin bestehe, dass sie nicht, wie üblich geworden, die verbrecherische Rolle der Eliten in der NS-Zeit vorführe, sondern ,potentielle Verbrechen des Jedermann, Verbrechen von jedermanns Mann, Vater, Bruder, Onkel, Großvater.‘ Die Ausstellung leiste damit einen Beitrag zur Beantwortung der Frage ,wie „ganz normale Menschen“ (in der Regel Männer, aber nicht nur) „so was“ tun konnten.‘ “ (Krieg ist ein Gesellschaftszustand, hrsg. vom Hamburger Institut für Sozialforschung, Hamburg 1998)

Die Wehrmachtsausstellung hatte also den gleichen Zweck, wie Goldhagens Buch: die Schuld an den Naziverbrechen der so genannten „Volksgemeinschaft“, den „ganz normalen Menschen“ in die Schuhe zu schieben. Sprich: Kollektivschuld. Aber sie versuchte nicht wie Goldhagen, die Leute mit Tausend Seiten pseudoakademischer dröger Abhandlungen zu traktieren. Hier hatte man entsetzliche Bilder von Verbrechen, auf denen teilweise auch Soldaten zu sehen waren, in einer Ausstellung arrangiert. Damit erreichte man nicht nur ein paar gestählte Historiker, sondern eine breite Öffentlichkeit. Von ihrer Eröffnung am 5. März 1995 bis zu ihrer endgültigen Schließung am 31. März 2004 wurde sie in 34 deutschen und österreichischen Städten gezeigt. Knapp eine Million haben sie besucht, noch mehr haben über sie gelesen und gestritten. Die Ausstellung polarisierte zutiefst das ganze Land, weit mehr noch als 1996 Goldhagens Hitlers willige Vollstrecker – Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust (siehe dazu „Holocaust, ,Kollektivschuld‘ und deutscher Imperialismus“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 20, Sommer 1998).

Im Kern versucht die Ausstellung, die Kollektivschuld dadurch zu beweisen, dass sie sagt, die Wehrmacht sei am Holocaust beteiligt gewesen, daher bestehe kein Unterschied zwischen dem einfachen Soldaten und den Wehrmachtoffizieren sowie der SS. Ein Abschnitt der Ausstellung zeigte daher Bilder der Massenerschießungen von mehr als 30 000 jüdischen Frauen, Kindern, Alten und Männern in Babi Jar 1941. In diesem Fall war es der Sicherheitsdienst (SD) der SS, der den Massenmord durchführte, und nicht Wehrmachtsoldaten. Die Wehrmacht hat Massaker an Zivilisten durchgeführt, sei es in der Sowjetunion durch Beteiligung an der „Partisanenbekämpfung“ oder in Griechenland, Serbien und anderswo. Aber die eigentliche Frage ist, was das Einzigartige am Holocaust war – denn einzigartig war er tatsächlich. Natürlich war Babi Jar der Anfang vom Holocaust in gewisser Weise, denn es wurde gezielt die jüdische Minderheit der Kiewer Bevölkerung ermordet. Aber andererseits hat es Massaker an unschuldiger Zivilbevölkerung in vielen imperialistischen Kriegen gegeben. Zum Beispiel die Massaker der US-Truppen an philippinischen Minderheiten Anfang des 20. Jahrhunderts. Eines der schrecklichsten Beispiele, das ein noch größeres Ausmaß hat als Babi Jar, war das japanische Massaker in Nanking 1937. 300 000 chinesische Zivilisten sind abgeschlachtet, 80 000 Frauen vergewaltigt worden. Das heißt, es gab andere schreckliche Verbrechen, wie die Massaker der britischen Armee in Indien. Und es gab den Krieg der USA im Pazifik, der auf rassistischer Ebene gegen die Japaner geführt wurde; dort sollte im Zweiten Weltkrieg die „gelbe Gefahr“ bekämpft werden.

Das Besondere, Einzigartige am Holocaust ist, dass die Vernichtung von ganzen Völkern, Juden, Roma und Sinti, industriemäßig organisiert wurde. Der deutsche Imperialismus hat im Laufe des Zweiten Weltkriegs unter der Naziführung elf Millionen Menschen ermordet. Und davon einen großen Teil industriell. Er hat es anders nicht mehr geschafft. Wissenschaftler, Verwaltungsfachleute, technische Spezialisten und Bauingenieure, kurzum ein riesiger Verwaltungsapparat, wurden eingesetzt, um die Todesfabriken zu organisieren. Das ist ein Verbrechen, das bisher einzigartig ist – bisher, denn es ist im Wesentlichen ein Ausdruck des Kapitalismus in seinem Todeskampf. Und die Ideologie der Nazis von Götterdämmerung und Weltuntergang war eben ein Ausdruck davon, dass die Bourgeoisie ihre Macht nicht freiwillig abgeben wird, selbst wenn es den Untergang der ganzen Menschheit bedeutet.

Die Konservativen bis hin zu den Faschisten liefen wortwörtlich Sturm gegen die Wehrmachtsausstellung; kaum eine Stadt, in der die Ausstellung ohne einen Nazi-Aufmarsch stattfand. Ein Höhepunkt war München 1997, als 5000 gegen die Ausstellung aufmarschierten, mobilisiert von der gutbürgerlichen CSU gemeinsam mit den Nazis. 15 000 protestierten gegen die Nazis trotz eines riesigen Polizeiaufgebots, das die Nazis schützte. Es war klar, dass Linke die Wehrmachtsausstellung gegen die Provokationen der Nazis verteidigten, die den Holocaust leugnen (oder gutheißen) und für neuen Völkermord mit Bannern wie „Sieg und Ehre der Waffen-SS!“ mobilisieren! Linke Antifa-Gruppen organisierten Demos gegen den Nazi-Abschaum. Doch aufgrund ihrer Volksfront-Politik ist das politische Programm der Antifa völlig bürgerlich. Und genau wie jeder bürgerliche Antifaschist weist sie die Arbeiterklasse zurück. So schürt die Antifa objektiv Illusionen in die bürgerliche Demokratie. Statt auf klassenkämpferische Arbeiter/Immigranten-Mobilisierungen, um die Nazis zu zerschlagen, setzt sie auf individuellen Widerstand. Das führt sie auch dazu, jedem deutschen Individuum die Verantwortung für den Holocaust zu geben. Und genau deshalb können die antikommunistischen, prozionistischen „Antideutschen“ aus dem Antifa-Milieu rekrutieren. Von der Zurückweisung einer Klassenkampfperspektive gegen den Faschismus und das kapitalistische System, das ihn ausbrütet, ist es kein so großer Schritt, einen imperialistischen Schlächter wie Bomber Harris zu unterstützen. Das Gleiche gilt für den Übergang von der Verbreitung der Kollektivschuldlüge hin zur Unterstützung des zionistischen Staatsterrors Israels gegen das palästinensische Volk.

Mit ihrer Propaganda für die „Kollektivschuld“ entschuldigen Linke nicht nur die Bourgeoisie von Auschwitz, sondern bereiten auch den Nazis das Feld. Die Nazis griffen die Wehrmachtsausstellung an, weil sie Verbrechen von SS und Wehrmacht zeigte, besonders im Krieg gegen die Sowjetunion. Um dafür Unterstützung in der Bevölkerung zu mobilisieren, hielten sie der Kollektivschuld Parolen wie „Opa war kein Verbrecher“ entgegen. Aufgrund ihrer Zurückweisung des Proletariats hatten Linke wie die Hamburger autonome Gruppe AVANTI dem nichts anderes entgegenzusetzen als „Unsere Großväter waren Verbrecher!“ (Redebeitrag von AVANTI, 27. März 2004). Die Aussage, dass die wehrpflichtigen Soldaten konterrevolutionärer Abschaum und Nazis wurden, weil sie gezwungen wurden, Massaker durchzuführen, verwischt die Klassenlinie, die in jeder imperialistischen Wehrpflichtigenarmee zwischen dem bürgerlichen Offizierskorps und den einfachen Soldaten verläuft, die hauptsächlich aus der Arbeiterklasse kommen. Und es verwischt die Differenz zwischen der Zwangsorganisation Wehrmacht und den freiwilligen Eliteeinheiten von Hitlers Regime wie SS, SD und Gestapo. Die deutsche Bourgeoisie hat auf die Nazis gesetzt, um ihre Klassenherrschaft zu retten. Der Historiker Ulrich Herbert bejubelt das ideologische Rollback der Linken in einem Interview in der tageszeitung am 6. Juni hin zur Kollektivschuld heute. Dabei hat er nur Verachtung für die Kapitalismuskritik der Linken in den 60-Jahren: „Seit 1968 setzte sich die westdeutsche Linke nicht mehr mit der NS-Vergangenheit auseinander, sondern sie betrieb ,Faschismusanalyse‘ in der Tradition der kommunistischen Linken. Das NS-Regime wurde auf diese Weise zu einer Variante ,bürgerlicher Herrschaft‘. Das kann man eine Phase der zweiten Verdrängung nennen – diesmal von der Linken.“

Warum die Bourgeoisie heute Kollektivschuld mag? Um ihre eigenen wirklichen Verbrechen abzudecken: Wenn jeder schuldig ist, ist sie es dann nicht mehr. Und die deutsche Armee war schon im Ersten Weltkrieg schrecklich. Karl Liebknecht berichtete das schon über das preußische Militär. Es war ein imperialistischer Krieg. Und der Krieg gegen die Sowjetunion 25 Jahre später war ein konterrevolutionärer Krieg, der sich qualitativ nicht von den Kolonialkriegen der Imperialisten unterschied. Man sollte sich nur mal ansehen, was das imperialistische Belgien im Kongo angerichtet hat. In den ersten Jahren der belgischen Kolonialherrschaft wurden schätzungsweise zehn Millionen Menschen – rund 50 Prozent der ursprünglichen Bevölkerung – ermordet. Im Kampf gegen die Unabhängigkeit Algeriens töteten die französischen Imperialisten Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre eine Million Menschen, ein Zehntel der Gesamtbevölkerung. Und 1945 äscherten der britische und amerikanische Imperialismus Dresden ein und die USA warfen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Hunderttausende unschuldiger Zivilisten wurden so kaltblütig abgeschlachtet. All dies sind Verbrechen der imperialistischen Bourgeoisien und nicht der Arbeiterklasse desjeweiligen Landes.

Revolutionäre Nachkriegswelle in Europa

Wie von den Bourgeoisien befürchtet worden war, gab es nach dem Zweiten Weltkrieg eine revolutionäre Welle. In Italien hatte die KPI-geführte Partisanenbewegung die Mussolini-Faschisten gestürzt, die Arbeiterklasse war bewaffnet. Doch im Rahmen ihrer Volksfrontpolitik bejubelte die KPI die Amerikaner als ihre Verbündeten, entwaffnete die Partisanen und ließ zu, dass wieder ein bürgerlicher Staat aufgebaut wurde. Nur dank des Verrats der Stalinisten konnte die Revolution abgewendet werden. In Griechenland schlug der britische Imperialismus die bewaffnete Partisanenbewegung blutig nieder. In Frankreich hatte die Bourgeoisie ebenso wie in Deutschland jeden Kredit in den Augen der Arbeiter verloren. Denn sie hatte sich Hitler in die Arme geworfen, damit er ihr Problem mit der Arbeiterklasse löst. Ihr überwiegender Teil gehörte zum Vichy-Regime, installiert nach der Besetzung Frankreichs, das mit den Nazis zusammenarbeitete, z. B. bei der Vernichtung der französischen Juden. Übrigens war in Frankreich wie auch in Italien die Alliiertenhaltung, dass Faschismus etwas rein Deutsches sei, nicht sehr überzeugend. In diesen Ländern waren die stalinistischen KPen, die mit der Autorität des sowjetischen Sieges ausgestattet waren, das Instrument um die Herrschaft der Bourgeoisie zu retten.

Deutschland war, was die revolutionäre Nachkriegskrise anging, keine Ausnahme. Der Schlüssel ist, zu verstehen, dass die Soldaten, die die Verbrechen begingen, dazu gezwungen wurden. Es waren eben nicht ihre Verbrechen, wie die Kollektivschuld-Moralisten behaupten. Natürlich wurden einige zu abgestumpften Schlächtern. Aber auch eine andere Schlussfolgerung war daraus möglich, nämlich Wut. Mit Wut zurückzukommen und diese deutsche Bourgeoisie und ihr kapitalistisches System zu zerschlagen. Die Sieger schreiben die Geschichte. Und die Geschichte, die heute über den Zweiten Weltkrieg erzählt wird, ist entstanden, nachdem die revolutionäre Nachkriegswelle in Europa, die auch Deutschland erschütterte, besiegt worden war. Nachdem die Kollektivschuld-Gehirnwäsche stattgefunden hat. Nachdem den Arbeitern nach der kapitalistischen Wiedervereinigung von SPD und PDS beigebracht wurde, dass man nichts ändern kann, nichts machen kann und der Kapitalismus für immer währt. Aber die Arbeiter, die zurückkamen, und die Arbeiter, die hier waren, die diesen Krieg erlebt hatten, die wollten Sozialismus. Jede Partei nach 1945 sprach von Sozialismus, sogar die CDU, nur die KPD sprach sich dagegen aus.

Darüber, was unmittelbar nach dem Krieg in Deutschland los war, gibt es eine Menge Berichte, die man nicht in der offiziellen Geschichtsschreibung findet. Der Historiker Wolfram Wette, der meist in Richtung Kollektivschuld tendiert, hat ein Buch über die Wehrmacht geschrieben. Dieses Buch ist ziemlich nützlich, weil es auch Beispiele bringt, die Wettes eigener Kollektivschuldlinie widersprechen. So schreibt er einerseits, dass sich Millionen auch nach dem Krieg mit der Wehrmacht identifizierten, dass die Wehrmacht ja nicht so schlecht gewesen sei und dass das alles nur Hitler und die SS waren. Und dann schreibt er, völlig im Gegensatz dazu:

„Die Wehrmacht war die Gewaltorganisation, die den Krieg gleichsam verkörperte. Wer immer das Ende des schrecklichen Krieges begrüßte, der weinte auch der nun zwangsweise aufgelösten Wehrmacht keine Träne nach. Die Millionen einfacher Soldaten empfanden gewiss auch Genugtuung darüber, dass den Offizieren, die ihnen gegenüber – kraft des militärischen Befehls – jahrelang als Herren über Leben und Tod aufgetreten waren, nun diese Macht genommen war. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg, als Millionen von Menschen sich in der Parole ,Nie wieder Krieg!‘ einig wussten, artikulierten viele Deutsche jetzt ein sehr viel radikaleres und konkreteres Schlagwort. Es lautete: Nie wieder Militär!“ (Wolfram Wette, Die Wehrmacht)

1949 gab es eine Meinungsumfrage, in der gefragt wurde, wer für eine neue Wehrmacht ist, für die Wiederaufrüstung. Dafür waren sechs Prozent, dagegen waren 71 Prozent. Diese pazifistische Opposition konnte die Wiederaufrüstung des deutschen Imperialismus aber überhaupt nicht verhindern. Um den deutschen Militarismus zu besiegen, ist es notwendig, die deutsche Bourgeoisie durch sozialistische Revolution zu stürzen. Die Kollektivschuld-Ideologie hat nicht zuletzt dank der SPD/Grünen-Regierung dafür gesorgt, dass die Bundeswehr wieder auf den Balkan und sonst wohin geschickt werden konnte.

In seinem anfangs erwähnten Beitrag zum 8. Mai letzten Jahres brachte Peter Gingold noch ein weiteres Argument für die Kollektivschuld und die angebliche Unterstützung für Hitler bis zuletzt: „Auch nicht einmal, als ganz Deutschland befreit war bis auf Berlin, selbst da gab es nicht den Aufstand, Schluss mit dem Kämpfen! 30 000 Sowjetsoldaten mussten noch sterben, um diese Stadt zu befreien.“ Eine gute Antwort im unmittelbareren Sinne gibt die Resolution des Europäischen Exekutivkomitees der Vierten Internationale vom Dezember 1945:

„Das deutsche Proletariat selbst aber hat sich trotz des Versagens seiner Führung heroisch geschlagen. Allein die Abertausende von Blutzeugen aus seinen Reihen machen die Gesamtschuldthese zu einer Beleidigung der Besten des deutschen Proletariats. Noch bis zuletzt, als schon die Bombenteppiche der alliierten Armeen auch über die Arbeiterviertel fielen und mit zur Lähmung eines ernsten Widerstandes gegen Hitler beitrugen, haben deutsche revolutionäre Arbeiter in Streiks und Demonstrationen gegen den Faschismus gekämpft. Deutsche Deserteure zusammen mit ausländischen Arbeitern erhoben sich gegen die SS. An manchen Orten haben die Arbeiter in kühnem Aufstand vor dem Eintreffen der alliierten Armeen sogar die Macht erobert.“

Es gibt eine Reihe von Beispielen über Kämpfe zwischen Wehrmacht und SS am Ende des Krieges. Oskar Hippe beschreibt in seiner Autobiografie, dass er sich in seiner Gruppe dafür eingesetzt hat, zusammen mit anderen Arbeiterparteien „Widerstandsgruppen militärischer Art aufzubauen, die, wenn die alliierten Truppen deutschen Boden erreicht haben würden, in die Kämpfe gegen die Wehrmacht eingreifen könnten“, damit das deutsche Proletariat nicht passiv auf die Befreiung wartet – was die Politik der Stalinisten war. 1945/46 gab es in der Vierten Internationale eine Auseinandersetzung über die deutsche Arbeiterklasse. Ernest Mandel, der damals noch echter Trotzkist war, schrieb eine nützliche Polemik. 1953 wurde er einer der Führer der pabloistischen Tendenz, die mit dem authentischen Trotzkismus brach. Sie war gekennzeichnet von politischem Impressionismus und der Suche nach nichtproletarischen Ersatzkräften. Mandel leugnete dann die Notwendigkeit des Aufbaus revolutionärer Arbeiterparteien. Aber im Dezember 1945 argumentierte er richtig in seiner Polemik, im Abschnitt „Die Legende der vollständigen Passivität des deutschen Proletariats“ (alles unsere Übersetzung):

„Wir wissen, dass mit dem Annähern der Roten Armee die Landarbeiter von Mecklenburg ihr Land besetzt haben, was sie seit Jahrhunderten wollten. Wir wissen, dass zur gleichen Zeit die Arbeiter von Sachsen rote Fahnen über ihren Fabriken hissten und wirkliche Sowjets wählten. Einer der belgischen Trotzkisten hat teilgenommen an einem dieser Fabrikkomitees, die geschaffen wurden, als die Rote Armee Dresden erreichte. Wir wissen, dass in diesem Komitee mehrere linke Kommunisten waren, die gegen den Stalinismus opponierten. Wir wissen, dass es lokale Bürgerkriege gab, fast überall, zwischen der SS auf der einen und dem Volkssturm und der Wehrmacht auf der anderen Seite. Wir wissen, dass schon 1943 in Hamburg ein Aufstand versucht und zerschmettert wurde. Und schließlich wissen wir das Wichtigste überhaupt: dass in dem Moment, wo der Nazi-Apparat kollabierte, die imperialistischen Armeen und die Armee der Sowjetbürokratie einen viel stabileren und nicht weniger brutalen Polizeiapparat in allen Teilen des Landes errichteten. Unter diesen Bedingungen wäre es eine Schande, das mutige Verhalten des deutschen Proletariats als ,allgemeine Passivität‘ zu bezeichnen.“

Andere Beispiele werden u. a. in Richard Pritchards empfehlenswertem Buch The making of the GDR – From Antifascism to Stalinism [Der Aufbau der DDR – Vom Antifaschismus zum Stalinismus] gegeben. Und dann gibt es noch in Spartakist Nr. 59 (November/Dezember 1988) ein Beispiel über Hamburger Hafenarbeiter, die 1938 Juden geholfen und Sammlungen für sie veranstaltet haben. Der Artikel zitiert aus Alltag der Entrechteten von Harald Focke und Uwe Reimer: „In Eimsbüttel jagten die Arbeiter eines Betriebes den nationalsozialistischen Plünderern das gestohlene Gut wieder ab und erstatteten es den Eigentümern zurück.“

Das Manifest der Internationalistischen Kommunisten Buchenwalds

Die sehr wichtige Erklärung der Internationalistischen Kommunisten Buchenwalds vom 20. April 1945, auch nachgedruckt im Spartakist sowie im Spartacist, stellte ein Programm für die Arbeiterrevolution in Deutschland auf. Sie hatte allerdings die wichtige programmatische Schwäche, dass sie nicht die Notwendigkeit der bedingungslosen militärischen Verteidigung der Sowjetunion erklärte und den Klassencharakter des Sowjetstaates offen ließ. Zu ihren Losungen gehörten:

„Auflösung der Wehrmacht und ihre Ersetzung durch Arbeitermilizen!

Sofortige freie Wahl von Arbeiter- und Bauernräten in ganz Deutschland und Einberufung eines allgemeinen Rätekongresses!…

Keinen Mann, keinen Pfennig für die Kriegs- und Reparationsschulden der Bourgeoisie!

Die Bourgeoisie muss zahlen!

Für die gesamtdeutsche sozialistische Revolution, gegen eine Zerstückelung Deutschlands!

Revolutionäre Verbrüderung mit den Proletariern der Besatzungsarmeen!

Für ein Räte-Deutschland in einem Räte-Europa!

Für die proletarische Weltrevolution!“ (20. April 1945)


Korrektur

Der Artikel „Wehrmacht, Holocaust und ‚Kollektivschuld‘“ (Spartakist Nr. 163, Sommer 2006) erklärte bezüglich Stalins massiver Säuberung des sowjetischen Offizierskorps am Vorabend des Zweiten Weltkriegs: „Rokossowski, einer der wichtigsten Generäle des sowjetischen Kampfes für die Befreiung Europas, war glücklicherweise nicht ermordet, sondern nur versetzt worden, und konnte deshalb wieder aktiviert werden. Auch Schukow war damals gesäubert worden, weil es aber nicht genug Offiziere gab, wurde er wieder eingesetzt.“ Tatsächlich wurde K. K. Rokossowski im August 1937 unter brutalen Bedingungen inhaftiert, im März 1940 entlassen und sofort wieder ins Militärkommando aufgenommen. G. K. Schukow wurde zwar während der Säuberungen verhört, aber nicht selbst gesäubert. Außerdem wurde der Autor von The Making of the GDR, 1945–53: From Antifascism to Stalinism [Der Aufbau der DDR, 1945–53: Vom Antifaschismus zum Stalinismus] fälschlicherweise als Richard Pritchard identifiziert. Der richtige Name ist Gareth Pritchard.