Spartakist Nr. 166 |
Frühjahr 2007 |
Freiheit für die Gefangenen aus der RAF!
Seit Monaten kochen in der bürgerlichen Presse Berichte, Lügen und Hetze über die ehemalige Rote Armee Fraktion (RAF) und die noch eingekerkerten Ex-Mitglieder der RAF. Diese wurden in den 70er- und 80er-Jahren nach Schauprozessen zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Sie wurden beschuldigt, Symbolfiguren des deutschen Imperialismus angegriffen zu haben, was in den Augen der Arbeiterklasse kein Verbrechen ist. Der wahre Terrorist ist dieser kapitalistische Staat, dessen Geschichte eine Geschichte blutiger Unterdrückung von Arbeitern und Immigranten ist, von Kriegen und Ausbeutung. Sein Vorgehen gegen die RAF ist ein weiteres Kapitel davon. Er trampelte auf den elementarsten demokratischen Rechten von RAF-Angeklagten herum, folterte sie mit Isolationshaft, legte schwarze Listen von linken Militanten an. 1974 schickte der Staat Holger Meins und 1976 Ulrike Meinhof angeblich Selbstmord durch Erhängen in den Tod. Im Oktober 1977 starben Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Dunkel der Nacht bei einem angeblichen geplanten Gruppenselbstmord mit Pistolen und Messern im rund um die Uhr videoüberwachten Hochsicherheitstrakt von Stammheim, in dem alle Zellen permanent durchsucht wurden. Die einzige Überlebende dieser Nacht, Irmgard Möller, erlitt lebensgefährliche Messerstichverletzungen, die sie sich angeblich selbst zugefügt haben soll. Sie selbst hat immer betont, dass sie in dieser Nacht von einem staatlichen Mordkommando überfallen wurde. 1993 wurde Wolfgang Grams Opfer des bürgerlichen Klassenterrors. Am Boden liegend, festgehalten von mehreren GSG-9-Bullen, wurde er öffentlich mit aufgesetzter Pistole hingerichtet. Insgesamt tötete der Staat bei seiner RAF-Hatz 26 Menschen. Wir haben die RAF-Gefangenen gegen den bürgerlichen Staat verteidigt. Wir fordern sofort und bedingungslos: Freiheit für Christian Klar, Eva Haule und Birgit Hogefeld! Schluss mit der Hexenjagd gegen die Ex-RAF-Mitglieder!
Auch heute lechzt die rechte bürgerliche Presse nach Blut. Die B.Z. titelte: RAF-Terroristin läuft durch Berlin, und beschrieb minutiös mit heimlich geschossenen Fotos Tagesablauf und Aufenthaltsorte von Eva Haule, die Freigängerin ist. Bild gab am 19. Februar bekannt, welchen Ort Brigitte Mohnhaupt, die am 25. März nach 24 Jahren Haft entlassen wurde, bei ihren Freigängen gerne aufsuchte. Das ist bewusste Einladung zu mörderischen Anschlägen! Es erinnert an die Hetze der Springer-Presse, die dazu führte, dass Rudi Dutschke im April 1968 auf offener Straße von einem Nazi angeschossen und lebensgefährlich verletzt wurde.
Gegen den seit 24 Jahren eingekerkerten Christian Klar, dessen Entlassung nach bürgerlichem Gesetz 2009 ansteht und der vielleicht schon vorher durch ein Gnadengesuch an Bundespräsident Köhler freikommen könnte, erreichte eine bösartige Medienkampagne ihren Höhepunkt, als ein Grußwort von Klar an die Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt im Januar in Berlin aufgegriffen wurde. Dieses Grußwort sprach im Rahmen recht allgemeiner antikapitalistischer Formulierungen davon, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen. CSU-Generalsekretär Söder geiferte darauf, Klar müsse bis ans Ende seines Lebens hinter Schloss und Riegel bleiben (Spiegel Online, 26. Februar) Reminiszenzen an Forderungen aus der CDU/CSU während des deutschen Herbstes 1977, die Todesstrafe wieder einzuführen, sowie an damalige Überlegungen von Franz-Josef Strauß, inhaftierte RAF-Mitglieder als Geiseln zu erschießen. Diese Kampagne, dass jemand mit antikapitalistischen Positionen es verdiene, im Knast zu verrotten, ist ein Angriff auf die gesamte Arbeiterbewegung, die gesamte Linke, und muss zurückgeschlagen werden! Klar bemerkte zu Recht: Niemand von diesen Meinungsblockwarten fand es [das Grußwort] interessant, bis eben genau einen Tag vor der Vollzugsplankonferenz in der JVA Bruchsal (Tagesspiegel, 3. März). Die Hafterleichterungen, über die dort entschieden werden sollte, wurden inzwischen abgesagt und Baden-Württembergs FDP-Justizminister Ulrich Goll ordnete ein erneutes psychiatrisches Gutachten über Klar an.
Mit am finstersten sind Artikel u. a. vom Spiegel (22. Januar), die versuchen, den RAF-Gefangenen Antisemitismus zuzuschreiben. Dazu bringen sie als Beweis die Entführung eines Air-France-Flugzeugs 1976 nach Entebbe in Uganda durch ein Kommando der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) unter Führung zweier Mitglieder der Revolutionären Zellen. Diese Entführung war ein nicht zu verteidigender Akt wahllosen Terrors, willkürlich gegen Menschen aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft gerichtet. Es wurde nie eine Verbindung zwischen der RAF und den Entebbe-Entführern bewiesen und die RAF hat sich von dem Akt immer distanziert. Das hindert jedoch Spiegel und Co. nicht daran, im Dienste der BRD und ihres Krieges gegen die RAF und andere Linke, mit Dreck gegen die RAF-Gefangenen zu werfen: Die Entführer nahmen eine Selektion der Juden im Stil der Gestapo vor; die nichtjüdischen Passagiere wurden freigelassen. Die Gleichsetzung zwischen palästinensischen Nationalisten und dem Nazi-Regime, welches den industriellen Mord von 6 Millionen Juden organisierte, ist grotesk. Wie der scheinheilige und zynische Protest der israelischen Militaristen und ihrer westlichen imperialistischen Protektoren nach Entebbe dient dieser Vergleich der Weißwaschung des israelischen Staatsterrors gegen das palästinensische Volk. Heute überbieten sich die deutschen bürgerlichen Medien auf ekelerregende Weise, Lobesreden auf Hanns Martin Schleyer zu halten!
Ihren Ursprung hatte die RAF, beginnend Mitte der 1960er-Jahre, gerade in ihrem berechtigten Hass auf die Bourgeoisie von Auschwitz und die alten Nazis wie Lübke, Kiesinger, Schleyer, Filbinger und viele andere, die in Schlüsselstellungen im neuen westdeutschen Staat, dem selbst erklärten Nachfolgestaat des Dritten Reichs, fest im Sessel saßen. Ebenso hasste sie den konterrevolutionären Kolonialkrieg der US-Imperialisten in Vietnam. Dabei standen die USA mit der BRD-Regierung in einer antisowjetischen Allianz und wurden daher auch im Vietnamkrieg von ihr unterstützt. Der Staat reagierte mit seinem ganzen Gewaltapparat, und nicht nur gegen die RAF. So ermordete der Polizist Kurras am Abend des 2. Juni 1967 bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Iran den Studenten Benno Ohnesorg mit einem Kopfschuss.
Wir machten von Anfang an klar, dass wir die RAF gegenüber dem Wüten der bürgerlichen Repression verteidigen. Aber ihr politisches Programm, ein Sammelsurium blanquistischer, populistischer und maostalinistischer Konzeptionen, basierend auf mangelndem Vertrauen in das revolutionäre Potenzial der Arbeiterklasse, war eine Sackgasse. So schrieben wir in der Kommunistischen Korrespondenz Nr. 20, dem Vorläufer des Spartakist, im Artikel Schluss mit der ,Terroristen-Hatz! Westdeutsche Linke kapituliert vor der Hexenjagd im November 1977:
Statt das Proletariat zum militanten Kampf zur Verteidigung seiner Klasseninteressen anzuspornen, verurteilt die Politik des individuellen Terrors die Massen im günstigsten Fall zu passiver Beobachtung aus dem Abseits.
Wir erklären offen, dass die RAF nicht die historischen Interessen des Proletariats repräsentiert; dennoch leugnen wir nicht unser Gefühl der Solidarität mit ihrem Haß gegen den Imperialismus, der sie dazu treibt, blind draufloszuschlagen. Insoweit, wie sie an die Beseitigung der durch den Kapitalismus erzeugten sozialen Unterdrückung glauben, sind unsere Bestrebungen ähnlich. Aber die Aktionen der RAF liegen nicht auf dem Weg zum Sozialismus und stehen im Gegensatz zur proletarischen Revolution.
Im September 1977 entführte die RAF Hanns Martin Schleyer, Präsident der Unternehmerverbände und ehemaliger SS-Offizier, um die restlichen inhaftierten RAF-Mitglieder freizubekommen. Zuvor schon hatte es Attentate gegen Generalbundesanwalt Buback und den Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank Jürgen Ponto gegeben. Viele der drakonischen Gesetze, die heute gegen Arbeiter, Immigranten und Linke benutzt werden, haben hier ihren Ursprung. Die radikale Einschränkung der Rechte der RAF-Verteidiger, das Kontaktsperregesetz, die Legalisierung des Todesschusses, der Gesinnungsparagraph 129a mit dem der Staat jeden linken Opponenten als Unterstützer einer terroristischen Vereinigung denunzieren und verfolgen kann und der Hochsicherheitsknast Stuttgart-Stammheim: alles eingeführt durch die damalige SPD/FDP-Regierung unter Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher. Der Ausbau des Repressionsapparates hatte den Zweck, die wirklichen Gegner des bürgerlichen Staates einzuschüchtern, das Proletariat und diejenigen, die es im Kampf gegen das kapitalistische System führen würden. RAF-Sympathisanten war das Codewort, mit dem imperialistische Medien hysterisch gegen alle hetzten, die sich irgendwie gegen die Wut der staatlichen Maßnahmen wandten auch Heinrich Böll zählte dazu.
Die bürgerliche Gesellschaft ist heute über die Frage der linken politischen Ex-RAF-Gefangenen polarisiert. Während Christdemokraten sie auf ewig wegsperren wollen, treten die Grünen wie Claudia Roth, Antje Vollmer und Christian Ströbele für die Freilassung von Klar ein. Auch Teile der SPD, der PDS sowie der FDP fordern, die Normen des deutschen Rechtssystems einzuhalten und die ehemaligen RAF-Unterstützer fristgemäß zu entlassen, da von ihnen keine Gefahr mehr ausgehe. Angesichts der Zerstörung der Sowjetunion und des angeblichen Tod des Kommunismus denken sie, man solle nun das Kapitel RAF abschließen, und strecken ihre Hand aus für die Integration auch dieser 68er-Linken ins System. Dem demokratischen Image des deutschen Imperialismus, das sie aufbauen wollen, ist es nicht zuträglich, mit Schaum vor dem Mund herumzulaufen und der Welt die Rachegelüste der deutschen Bourgeoisie gegen die RAF und alle, die sie als Bedrohung ihrer Herrschaft ansehen, zu verkünden. Es zeigt sich aber ganz klar an der ehemaligen SPD/Grünen-Regierung, wie das Gerede von Demokratie und Menschenrecht keinem anderen Zweck dient, als das blutige System von rassistischer kapitalistischer Unterdrückung zu kaschieren. Vom imperialistischen Krieg gegen Serbien 1999 bis zur Entführung und Folter im Krieg gegen den Terror (siehe Kurnaz-Artikel, Seite 2) diese Regierung von Alt-68ern wie Fischer und Schily hat dem deutschen Imperialismus treu gedient.
Die linke Opposition von Linkspartei/WASG ist letztendlich genauso bemüht, die Integrität des repressiven bürgerlichen Staatsapparats zu bewahren. Dafür, dass er anders als viele PDS/WASG-Spitzen nicht die Grußadresse von Klar an die Rosa-Luxemburg-Konferenz denunziert, erntete Oskar Lafontaine tobenden Beifall von der jungen Welt (19. März): Chef der Linksfraktion verteidigt Kapitalismuskritik aus dem Knast. Gleichzeitig erklärte er im Interview mit dem Lifestyle-Magazin Vanity Fair: Wir verurteilen jeden Terror: ob er von der früheren RAF ausgeübt wurde oder heute von Bush und Blair im Irak (Website der Linksfraktion, 15. März). Damit setzt er die linke RAF, deren Anschläge sich gegen Symbole des Imperialismus richteten, mit dem kolonialen Massenterror der Imperialisten gleich. So will er das Ansehen des deutschen Imperialismus aufpolieren, den er als vernünftiger und demokratischer als die USA darstellt. Und was den Terror gegen die irakische Zivilbevölkerung angeht, so ist Lafontaine einer der größten Befürworter der UNO, deren zehnjährige Hungerblockade gegen den Irak 1,5 Millionen Iraker, vor allem Alte und Kinder, das Leben kostete und die das Land sturmreif für die US-Imperialisten machte.
Besonders unappetitlich sind selbsternannte Linke, die gegenüber der RAF vom Standpunkt des Staates aus argumentieren. Die Sozialistische Alternative (SAV) fragt auf ihrer Website: RAF: Vorzeitige Freilassung von Mohnhaupt und Klar? [Fragezeichen im Original] Noch nicht genug der Rache? Nach einigem Suchen findet man schließlich, dass sie für die Freilassung der Inhaftierten sind mit der Begründung: Christian Klar wird keine weiteren Straftaten mehr begehen, die RAF gibt es faktisch seit Anfang der 90er, offiziell seit 1998 nicht mehr... Die Linke muss eindeutig Stellung beziehen: Mohnhaupt und Klar, aber auch Eva Haule und Birgit Hogefeld müssen freigelassen werden, sie müssen die Chance haben zu leben, mit anderen Menschen zu reden. Wenn Christian Klar weiter im Knast schmoren müsste, wäre das ein Angriff auf rechtsstaatliche Prinzipien und auf die demokratischen Rechte aller. Nach dieser Logik war es also richtig, sie damals, als sie für bewaffneten Kampf standen, einzukerkern! Ihre Berufung auf rechtsstaatliche Prinzipien bringt ihre grundlegende sozialdemokratische Unterstützung dieses kapitalistischen Staates zum Ausdruck, mit dem sie damals im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion und die deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas eine Seite bezogen.
Wir Spartakisten verteidigen die RAF und andere Linke gegen den bürgerlichen Staat und argumentieren auf dieser Basis politisch gegen sie, um die besten der Linken für eine revolutionäre proletarische Perspektive zu gewinnen. Die SAV dagegen benutzt ihre politische Ablehnung des individuellen Terrors zu Gunsten ihrer reformistischen Perspektive der Umverteilung und der Unterstützung der Polizeigewerkschaft GdP dazu, ihre Weigerung zu begründen, linke politische Gefangene aus Prinzip gegen den bürgerlichen Staat zu verteidigen. Die marxistische Position, dass der bürgerliche Staat mit seinen besonderen Formationen bewaffneter Menschen einzig zu dem Zweck besteht, das kapitalistische Ausbeutungssystem zu verteidigen, dass Polizisten Schläger und Streikbrecher des Kapitals sind, die in der Gewerkschaft nichts verloren haben diese revolutionäre Position ist der SAV grundlegend fremd. Kein Wunder, ihre Vorläufer um die Zeitung Voran steckten tief in der SPD, und selbst das Wüten des bürgerlichen Staates im deutschen Herbst war für sie keinerlei Anlass, auszutreten. Im Gegenteil, die Jusos (in denen die Voran-Leute hauptsächlich saßen) sagten: Terroristischen Aktionen kann und muß mit rechtsstaatlichen Methoden begegnet werden. Jedes Abgehen vom rechtsstaatlichen Weg entspricht gerade dem Kalkül der Terroristen, deren zentrales Ziel es ja ist, den Rechtsstaat als bloße Illusion darzustellen (Frankfurter Rundschau, 16. September 1977).
Die IKL kämpfte 1989/90 gegen die kapitalistische Wiedervereinigung, für ein rotes Rätedeutschland. Als nach der Konterrevolution in der DDR Anfang 1990 zehn ehemalige Mitglieder der RAF, darunter Susanne Albrecht und Inge Viett, in verschiedenen Städten der DDR verhaftet wurden, wo sie seit Jahren ein normales Leben geführt hatten, übernahm die SPD die Führungsrolle in einer Hetzkampagne gegen RAF-Stasi-Verbindungen, die das Ziel hatte, die DDR als einen kriminellen Staat zu brandmarken, der den Terroristen Unterschlupf gewährt habe. Besonders die SPD-nahen Zeitungen Der Spiegel und Die Zeit (damaliger Herausgeber: Helmut Schmidt) hetzten gegen den Terroristen-Hort (siehe dazu z. B.: Schluss mit Hexenjagd gegen Ex-RAF!, Spartakist Nr. 73, 3. Juli 1990). Und immer noch kuschelte sich die SAV in den Bauch ihrer Mutterpartei SPD, die sie erst Anfang der 90er-Jahre gegen die PDS austauschte.
Im Gegensatz zu den staatstragenden Erläuterungen der SAV und diverser anderer linker Gruppen ist die Aktion der Belegschaft/des Betriebsrats des Berliner Ensembles, unterstützt von dessen Intendanten Claus Peymann, Klars Freilassung zu fordern und ihm eine Praktikantenstelle als Bühnentechniker anzubieten, ein anständiger Akt der Solidarität. Nötig ist aber, dass die gesamte organisierte Arbeiterbewegung die Forderung nach sofortiger Freilassung der noch inhaftierten Ex-RAF-Mitglieder und aller linken politischen Gefangenen aufgreift und dafür eintritt.