Spartakist Nr. 171

Mai 2008

 

Junge Welt zensiert Mumia-Interview

In einem Interview (nebenstehend vollständig abgedruckt) mit Fred Hampton jr. vom Prisoners of Conscience Committee (POCC) am 7. April äußerte sich Mumia Abu-Jamal zum ersten Mal zur empörenden Entscheidung des Dritten Bundesberufungsgerichts, das die abgekartete Verurteilung aufrechterhält. Stillschweigend strichen Jürgen Heiser und die junge Welt (12. April) das Interview in ihrer Veröffentlichung massiv zusammen und editierten kräftig daran. Minister für Information JR stellte die Frage:

„Um anzufangen, Mumia, wir haben vor kurzem mit der Entscheidung des Dritten Bundesberufungsgerichts einen Rückschlag erlitten. Was ist deine Antwort und wie sieht die Situation zu diesem Zeitpunkt aus?“

Daraus macht die junge Welt:

„Wie schätzen Sie die Entscheidung des US-Bundesberufungsgerichts vom 27. März ein, die zwar eine Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft möglich macht, aber die Verurteilung wegen Mordes festschreibt?“

Von einem „Rückschlag“ ist keine Rede mehr. Genauso geht’s weiter bei der nächsten Frage von JR:

„Ich weiß, es gibt einige Hörer, die das einen Sieg nennen. Kannst du erklären, wieso das kein Sieg ist, sondern ein Rückschlag?“

Und die junge Welt druckt:

„Manche sehen in der Entscheidung auch einen Sieg. Können Sie das erklären?“

Die Frage wurde in ihr Gegenteil verkehrt, aus „kein Sieg …, sondern ein Rückschlag“ wird ein „Sieg“.

Nicht nur die Fragen werden verfälscht, sondern auch Mumias Antworten. So berichtete Mumia:

„Gerade gestern habe ich etwas darüber geschrieben, dass wir eine Geschichte haben, die wir manchmal vergessen. Eine Geschichte, dass die Gerichte auf der Seite der Unterdrückung sind, nicht auf der Seite der Freiheit, sondern auf der Seite der Versklavung. Das ist buchstäblich, worum es bei Dred Scott ging. Das ist, worum es bei Plessy vs. Ferguson ging, wenn du dir das anschaust.“

In der jungen Welt ist das völlig verschwunden. Mumia sagt (Hervorhebungen von uns):

„Viele Leute, selbst die, die sich für radikal und revolutionär halten, wurden für einen Moment im Schlaf erwischt. Entweder hörten oder lasen sie über die Anhörung oder waren dabei, und sie sagten: ,Hey, er hat was erreicht!‘“

Jürgen Heiser und die junge Welt machen daraus:

„Viele Leute haben sich für einen Moment wieder in Sicherheit wiegen lassen. Sie haben von der mündlichen Anhörung vor dem Bundesberufungsgericht am 17. Mai 2007 gehört und gesagt: Toll, er hat was erreicht!“

Durch Weglassung bis hin zu echter Verdrehung spielen die junge Welt und Heiser herunter, dass das Urteil des Dritten Bundesberufungsgerichts ein Rückschlag war und kein Sieg – und dies ist der Hintergrund, vor dem das Interview von Mumia Abu-Jamal stattfand. Aber das geht nicht gut runter bei der jungen Welt, die selber das Urteil hochgejubelt und getitelt hatte: „Todesurteil aufgehoben“ (28. März).

Die junge Welt, Jürgen Heiser, das Berliner Bündnis für Mumia Abu-Jamal oder die Hörbuchgruppe erheben seit langem die Forderung nach einem „neuen, fairen Prozess“, was ihr bankrottes liberales Programm des Vertrauens in den bürgerlichen Staat zum Ausdruck bringt. Verlogen haben sie behauptet, sie würden für Mumia sprechen. Vor wenigen Monaten griff uns das Berliner Bündnis für Mumia Abu-Jamal bösartig an, weil wir darauf bestehen, dass die zentrale Forderung des Kampfes für Mumia Abu-Jamal die Forderung nach seiner Freiheit sein muss, im Gegensatz zum Vertrauen in den bürgerlichen Staat. Wie wir in unserer „Antwort auf das ,Statement zum KfsV‘ des Berliner Bündnis für Mumia“ erklärten: „Sie greifen uns dafür an, dass wir darauf bestehen, dass Mumia unschuldig ist und Opfer eines rassistischen Komplotts, und für unser ,eiserne[s] Bestehen auf der Forderung nach Mumias sofortiger Freilassung‘. Wir bekennen uns schuldig im Sinne der Anklage!“ (nachgedruckt in Spartakist Nr. 169, Winter 2007/2008).

Jetzt hat das Urteil des Dritten Bundesberufungsgerichts es jedem, der sehen möchte, kristallklar gemacht, dass Vertrauen in die bürgerlichen Gerichte fatal ist. Unsere Warnungen waren richtig. Und nun gibt Mumia ein Interview, in dem er die Entscheidung des Berufungsgerichts als Rückschlag verurteilt und sich über diejenigen beschwert, „die sich für radikal und revolutionär halten“ und Illusionen in das Dritte Bundesberufungsgericht hatten. Die Reaktion der Reformisten der jungen Welt besteht darin, Mumias machtvolle Stimme … „stumm“ zu machen, indem sie seine politisch schärfsten Aussagen in der klassischen Tradition der Stalinschen Fälscherschule wegretouchieren.

Wie Rachel Wolkenstein vom Partisan Defense Committee auf der KfsV-Veranstaltung im Berliner IG-Metallhaus am 12. Mai letzten Jahres erklärte:

„Um Mumia jetzt freizubekommen, um ihn vor der Hinrichtung zu retten oder vor dem langsamen Tod eines Lebens im Gefängnis, ist es notwendig, auf Grundlage einer klassenkämpferischen Verteidigung zu organisieren. Während das bedeutet, alle irgend möglichen rechtlichen Schritte nachzuverfolgen, basiert klassenkämpferische Verteidigung auf einem Verständnis des Charakters des kapitalistischen Staates, dass es kein Vertrauen auf dessen Gerichte geben kann, sondern dass alles Vertrauen auf die Macht der Mobilisierung der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten gelegt werden muss.“ (nachgedruckt in Spartakist Nr. 167, Sommer 2007)