Spartakist Nr. 179

September 2009

 

DDR-Wirtschaft und der Kollaps des Stalinismus

Für internationale sozialistische Planwirtschaft!

Im Rahmen unserer Artikelreihe zu unserem Kampf gegen die Konterrevolutionen in der DDR, Osteuropa und der Sowjetunion, veröffentlichen wir den ersten Teil einer trotzkistischen Analyse der ökonomischen Probleme der DDR und der revolutionären Antwort auf sie.

Sieht man sich die Situation in Ostdeutschland fast 20 Jahre nach der kapitalistischen Konterrevolution an, kann man nur „Vae victis!“ – „Wehe den Besiegten!“ ausrufen. In den 1980er-Jahren unter den 20 größten Industrienationen, geplagt von chronischem Arbeitskräftemangel, sind die Ex-DDR-Gebiete heute eine deindustrialisierte Wüste, geprägt von Dauermassenarbeitslosigkeit und Hartz-IV-Armut. Stieg die Einwohnerzahl in Westdeutschland seit der Wiedervereinigung um knapp fünf Prozent, so sank sie im Osten um fast 12 Prozent. Über 1,7 Millionen Menschen sind abgewandert – vor allem junge Leute unter 30 Jahren und überproportional viele Frauen. Mit diesen Auswanderern verschwindet die Zukunft: Städte entvölkern sich und ganze Landstriche vergreisen und veröden – das ist die Realität der „blühenden Landschaften“, die 1989/90 der Arbeiterklasse in Ost und West von der deutschen Bourgeoisie verlogen versprochen wurden.

In Osteuropa und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion sieht es noch trostloser aus. In Russland ist die Lebenserwartung von Männern von 64,2 Jahren 1989 auf 59,2 Jahre 2008 gefallen, was dem Stand des zaristischen Russlands entspricht. In ganz Osteuropa wurde ein Großteil der Industrie vernichtet, in Russland sank das Bruttosozialprodukt von 1991 bis 1997 um 80 Prozent, Investitionen um 90 Prozent und Mitte der 90er-Jahre lebten 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb, 35 Prozent knapp über der offiziellen Armutsgrenze – Millionen hungerten. Geprägt von hoher Arbeitslosigkeit und Armut dienen diese Länder heute den imperialistischen Bourgeoisien als Reservoir gut ausgebildeter, billiger Arbeitskräfte und im Falle Russlands besonders als Rohstofflieferant. Unterdessen erlebt die Arbeiterklasse in ganz Westeuropa massive Angriffe auf ihren Lebensstandard, seit die Bourgeoisien ihrer Länder sich nicht mehr gezwungen sehen, mit den sozialen Errungenschaften von Osteuropa und Sowjetunion zu konkurrieren.

Für einen Aufschrei sorgte letztes Jahr eine Befragung von 5200 Schülern in Ost- und Westdeutschland, was sie über die DDR denken. Ein Ergebnis war: „Die Schüler lobten vor allem die SED-Sozialpolitik in ihren verschiedenen Facetten. Nur gut 30 % in den westlichen und sogar nur etwa 15 % in den östlichen Untersuchungsregionen fällten über sie ein negatives Urteil. Vor allem die in der DDR herrschende Arbeitsplatzsicherheit wurde von einer absoluten Mehrheit begrüßt.“ Prompt wurde mehr antikommunistische „Aufklärung“ in der Schule gefordert und ostdeutsche Lehrer und Eltern gescholten. Der Leiter der Untersuchung, der Berliner FU-Professor Klaus Schroeder, veröffentlichte nun eine Zusammenfassung der Tausenden Leserbriefe, die er und bürgerliche Zeitungen erhalten hatten. Überwiegend gegen die Hetze gegen die DDR gerichtet, geben sie einen Einblick in die tiefe Enttäuschung und Verbitterung, die unter der betrogenen Bevölkerung der ehemaligen DDR über die kapitalistische Wiedervereinigung herrschen:

„Ich habe keine Probleme, dass die DDR verbesserungswürdig war, darum bin ich ja als Erster mit auf die Straße gegangen. Nur dieses Monster BRD habe ich nicht gewollt!“

„Als man uns früher Filme in der Schule oder NVA [Nationale Volksarmee] zeigte, in denen Menschen vorm Arbeitsamt standen, Kinder bettelten, Alte die Abfälle durchwühlten, hatten wir vor Lachen gebrüllt. Alles Propaganda, dachten wir. Heute wissen wir es besser, es war die Wahrheit, und wir sind jetzt ein Teil davon.“

„Früher in der DDR konnten wir nicht reisen, heute können wir uns keine Reise leisten... An Freiwilligen, die die Mauer wieder aufbauen würden, mangelt es nicht!“

„In der Bundesrepublik herrscht zurzeit ein menschenverachtendes Regime, das die Bevölkerung ausspionieren will (Schäuble) und Teile der Bevölkerung (Langzeitarbeitslose) terrorisiert.“ (Oh, wie schön ist die DDR, zitiert in Der Spiegel, 29. Juni)

Aufgrund der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise verelenden weltweit die arbeitenden Massen, während modernste Produktivkräfte brachliegen und vernichtet werden. Gegenüber dem Vorjahr sind in Deutschland in der Metall- und Elektroindustrie die Aufträge um 25 Prozent eingebrochen, beim Maschinenbau gar um 50 Prozent. Jeder fünfte Metallarbeiter ist auf Kurzarbeit, während schon jetzt fast 40 Prozent der Leiharbeiter gefeuert wurden. Der wirkliche Horror wird nach den Bundestagswahlen kommen, wenn staatliche Stützen wie Abwrackprämie und Kurzarbeiterregelung auslaufen.

Wie Friedrich Engels, neben Karl Marx Mitbegründer des wissenschaftlichen Sozialismus, erklärte, kommt in den Krisen „der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung zum gewaltsamen Ausbruch… Denn in der kapitalistischen Gesellschaft können die Produktionsmittel nicht in Tätigkeit treten, es sei denn, sie hätten sich zuvor in Kapital, in Mittel zur Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft verwandelt. Wie ein Gespenst steht die Notwendigkeit der Kapitaleigenschaft der Produktions- und Lebensmittel zwischen ihnen und den Arbeitern. Sie allein verhindert das Zusammentreten der sachlichen und der persönlichen Hebel der Produktion; sie allein verbietet den Produktionsmitteln zu fungieren, den Arbeitern, zu arbeiten und zu leben.“ (Anti-Dühring, 1876–1878) Die Arbeiterklasse muss die Produktivkräfte durch die Enteignung der Kapitalistenklasse in den Dienst der gesamten Gesellschaft stellen, so dass sie, befreit von den Fesseln des Kapitalismus, geplant entwickelt werden können, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen, statt den Profitinteressen einer verschwindenden Minderheit untergeordnet zu bleiben. Das erfordert eine sozialistische Revolution, die den bürgerlichen Staat, den „ideellen Gesamtkapitalisten“, der lediglich dazu da ist, die kapitalistischen Eigentumsformen zu verteidigen, zerschlägt und an seiner Stelle einen Arbeiterstaat errichtet.

Auf ihre Weise erkennt die Bourgeoisie, dass sich in der Krise der Bankrott des Kapitalismus gegenüber einer geplanten Wirtschaft auf der Basis von Kollektiveigentum offenbart. So beklagte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (7. Oktober 2008): „Mit den Banken scheint auch der Glaube an die (soziale) Marktwirtschaft den Bach runterzugehen“, und beschwor: „Trotz der Finanzkrise – Nie wieder DDR“. Bei aller Enttäuschung von Arbeitern und linken Jugendlichen angesichts der kapitalistischen Anarchie herrscht das Bewusstsein vor, dass es keine Alternative gäbe, da „auch der Kommunismus gescheitert“ sei. Dabei wird fälschlich angenommen, dass der Zusammenbruch der DDR und Sowjetunion beweise, dass eine Planwirtschaft zum Scheitern verurteilt und Sozialismus bestenfalls „utopisch“ sei.

Die Konterrevolution in der DDR, Osteuropa und der Sowjetunion war eine Niederlage für die Arbeiterklasse international. Trotz der bürokratischen Verzerrungen war die Planwirtschaft historisch ein ungeheurer Fortschritt. In der DDR ermöglichte sie die Beseitigung von Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und soziale Errungenschaften wie billige Mieten oder kostenlose Gesundheitsversorgung für alle. Über 90 Prozent der erwerbsfähigen Frauen gingen arbeiten, so viel wie in keinem anderen Land der Welt. Dadurch erreichten sie ein hohes Maß an ökonomischer Unabhängigkeit, auch wenn die Institution der Familie, das Hauptinstrument zur Unterdrückung der Frau, bestehen blieb. Gleichzeitig konnten die Arbeiter Westeuropas nicht zuletzt aufgrund der Existenz der Arbeiterstaaten Osteuropas „ihren“ Kapitalistenklassen erhebliche Zugeständnisse abringen. Wir Trotzkisten haben die DDR und die Sowjetunion bedingungslos militärisch gegen Imperialismus und innere Konterrevolution verteidigt. Wir kämpften für eine proletarische politische Revolution gegen die stalinistische Bürokratie, um Arbeiterräte an die Macht zu bringen und die stalinistische Politik des „Sozialismus in einem Land“ durch den revolutionären Internationalismus von Lenins und Trotzkis Bolschewiki zu ersetzen.

Die Krise der DDR Ende der 1980er-Jahre war Teil einer breiteren Krise des Sowjetblocks. Die Sowjetunion war ein degenerierter Arbeiterstaat, wo die Kapitalisten enteignet worden waren und eine kollektivierte Wirtschaft existierte, aber die Arbeiterklasse politisch von einer parasitären stalinistischen Bürokratie unterdrückt wurde, die in einer politischen Konterrevolution Anfang 1924 die Macht usurpiert hatte. Die Konterrevolution in Osteuropa und der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre war eine negative Bestätigung von Trotzkis Warnung 1936 in seinem bahnbrechenden Werk Verratene Revolution: „Wird der Beamte den Arbeiterstaat auffressen oder der Arbeiter den Beamten bezwingen? So steht jetzt die Frage, von deren Lösung das Schicksal der UdSSR abhängt.“

Der Sieg der Roten Armee aufgrund des heldenhaften Kampfes der sowjetischen arbeitenden Massen, die trotz Stalin den deutschen Imperialismus niederrangen, verschaffte der Sowjetunion und der stalinistischen Bürokratie neuen Spielraum. In der Folge des eskalierenden Kalten Krieges errichtete die Bürokratie Ende der 1940er-Jahre in Osteuropa bürokratisch deformierte Arbeiterstaaten nach dem Vorbild der Sowjetunion. Ende der 50er-Jahre holte die Sowjetunion das nukleare Rüstungsniveau der USA ein. Der siegreiche Kampf der vietnamesischen Arbeiter- und Bauernmassen gegen den US-Imperialismus – der herzlich wenig von der sowjetischen Bürokratie unterstützt wurde – verschaffte der Sowjetunion weiter Luft. Gleichzeitig ermöglichten hohe Ölpreise auf dem Weltmarkt eine erhebliche Verbesserung des Lebensstandards in der Sowjetunion.

Ab Mitte der 1970er-Jahre erhöhte Moskau den Ölpreis für seine Partnerländer im Ostblock um 400 Prozent und kürzte gleichzeitig seine Lieferungen, um mehr auf den westlichen Märkten zu verkaufen. Die osteuropäischen stalinistischen Regime erhielten in dieser Zeit einen unsicheren sozialen Frieden dadurch aufrecht, dass sie ihrer Bevölkerung ein steigendes Konsumniveau bei wirtschaftlicher Sicherheit anboten. Als ihre Handelsbilanzen in den Keller gingen, verpfändeten diese Regime ihre Länder an die westlichen Imperialisten. Zu dem Druck der westlichen Bankiers kam Anfang der 1980er-Jahre die weitere Verdopplung der Ölpreise durch die Sowjetbürokraten hinzu. Mit dem Ende der Breschnew-Ära wurde auch klar, dass sich die sowjetische Wirtschaft, das ökonomische Zentrum des Sowjetblocks, in einer Krise befand. Die Krise spitzte sich dann unter Gorbatschow zu, der mit seinen Perestroika-Marktreformen die sowjetische Planwirtschaft völlig desorganisierte und den Kräften der Konterrevolution enormen Auftrieb gab. Wie wir in „Von Stalin zu Gorbatschow: RGW [Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe] scheitert am Nationalismus“ damals schrieben: „Die Anwendung von Perestroika auf den RGW ist der schwerste Schlag wirtschaftlicher Art, den Gorbatschow der Verteidigung des Kollektiveigentums im belagerten Osteuropa versetzen konnte, vor allem in der DDR“ (Arprekorr Nr. 26, 6. März 1990).

Mit Perestroika ging Gorbatschows offener Kapitulationskurs gegenüber dem westlichen Imperialismus einher. 1988–1989 zog der Kreml die Rote Armee aus Afghanistan ab, ein Verrat. Wir boten der afghanischen Regierung an, internationale Brigaden zu organisieren, die gegen die CIA-unterstützten Mullahs kämpfen. Wir sagten damals, es ist besser die Imperialisten in Afghanistan zu bekämpfen, als in Moskau. Als das Honecker-Regime 1989 zusammenbrach, mobilisierten wir alle Kräfte unserer Internationale und intervenierten in die Ereignisse. 1991 kämpften wir dann gegen die Konterrevolution in der Sowjetunion.

Mangel und zunehmende Veralterung der Fabriken im Ostblock – symbolisiert in der DDR durch den Trabi und den Wartburg, die in den 60er-Jahren einmal modern waren – waren nicht Ausdruck eines „inneren Fehlers“ von Planwirtschaft an sich, sondern von der Unmöglichkeit der stalinistischen Utopie vom Aufbau des „Sozialismus in einem Land“. Bürokratische Verschwendung und Demoralisierung aufgrund der politischen Entmündigung der Arbeiter verhinderten eine hohe Produktivität. Auch konnte man im nationalen Rahmen nicht die auf einer internationalen Arbeitsteilung basierende Spezialisierung verwirklichen, wie das die führenden kapitalistischen Nationen vermochten, die den Weltmarkt kontrollierten und dominierten. Diese Handvoll imperialistischer Großmächte – allen voran die USA, Japan und Deutschland – plündern mittels Krediten, Konzessionen, unfairen Handelsverträgen usw. die neokolonialen Länder aus. Jeglichen Widerstand versuchen sie in Blut zu ertränken, sei es direkt durch Invasionen der eigenen Armee – oft unter dem Deckmantel der UNO – oder vermittels blutiger Militärdiktaturen, die von ihnen bis an die Zähne bewaffnet werden. Der scharfe Wettbewerb um Einfluss- und Ausbeutungssphären unter diesen großen Räubern wird ultimativ durch Kriege entschieden. Von Rohstoffpreisen über Zölle und Handelsembargos versuchten die Imperialisten, die Arbeiterstaaten wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, sei es wie im Falle des Ostblocks, der vom Weltmarkt weitgehend abgeschnitten war, oder wie bei China heutzutage, das mehr in die Weltwirtschaft integriert ist.

Das 2000 erschienene Buch des ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der staatlichen Plankommission, Siegfried Wenzel, „Was war die DDR wert?“ illustriert dies:

„Experten schätzen, dass die DDR etwa 50 % des Weltsortiments an Maschinen und Anlagen produziert hat, wodurch in ungeheurer Breite wissenschaftlich-technische Entwicklungsarbeit geleistet werden musste, die sich nur in relativ kleinen Serien amortisieren konnte. Auch dies war keine Frage der Dummheit; die Wirtschaftlichkeitsrechnungen dazu lagen mehr oder weniger ausführlich vor. Wenn man aber bestimmte Ausrüstungen unabdingbar brauchte, dann musste man sie produzieren, oder man hatte sie nicht. D.h. die Lösung jedes einzelnen Problems war zugleich ein Zug an einer Decke, die das Gesamtkonzept nicht abdeckte und die an einer anderen Stelle diese Problematik umso schmerzhafter offenlegte.“

Solange die Imperialisten den Weltmarkt kontrollierten, konnte man das zwar nicht grundlegend ändern, eine vereinte Planwirtschaft von Ostberlin bis Hanoi hätte aber die Auswirkung der imperialistischen Dominanz enorm abfedern und die DDR in ausgewählten Bereichen zu einem der Innovations- und Wirtschaftsmotoren des Ostblocks werden lassen können. Aber die stalinistischen Bürokratien, die behaupteten, den „Sozialismus“ in ihrem jeweiligen Land aufzubauen, waren ein Hindernis dazu. Die einzige realistische langfristige Perspektive war damals wie 1989 und heute der Sieg der proletarischen Revolution in den führenden kapitalistischen Ländern. Erst dann kann eine internationale Planwirtschaft für die Bedürfnisse der Menschen statt für Profit produzieren.

Wenzels Buch wurde ein kleiner geheimer Bestseller, weil es, bei einer gut verständlichen Kurzdarstellung der ökonomischen Probleme, der Lüge vom Bankrott der DDR entgegentrat, mit der das Wüten der verhassten Treuhand, die die DDR-Industrie dem Erdboden gleichmachte, gerechtfertigt wird. Auch zeigt es auf, dass die Aufbauhilfe Ost natürlich der westdeutschen Bourgeoisie zugute kam, die damit den Absatz ihrer eigenen Produkte subventionierte, wodurch die Demagogie ihres Anti-Ossi-Chauvinismus entlarvt wird. Doch gleichzeitig beteiligt sich Wenzel an der Lüge über die Alternativlosigkeit einer kapitalistischen Wiedervereinigung: „Eine ,sanfte‘ Vereinigung zweier völlig unterschiedlicher, getrennt gewachsener Volkswirtschaften ist vorstellbar gewesen. Sie wäre mit einem Junktim verbunden gewesen, das ökonomische Hilfe der Bundesrepublik für die DDR im Umfang von 3 bis 4 Mrd. VM [Valutamark] mit der Aufgabe bisher als unantastbar geltender politischer und gesellschaftlicher Prämissen durch die DDR hätte koppeln müssen.“ Das ist das Gleiche wie die Illusion einer „vernünftigen“ Konterrevolution, die 1989/90 vom Lafontaine-Flügel der SPD geschürt wurde und die dann auch von Gorbatschow und der Gysi/Modrow-Führung der SED-PDS verbreitet wurde. Wir warnten 1989/90 vor der SPD als „Trojanischem Pferd der Konterrevolution“ und vor den Illusionen, dass am kapitalistischen Vierten Reich irgendetwas „sanft“ sein könnte. Die einzige fortschrittliche Wiedervereinigung wäre die revolutionäre Wiedervereinigung Deutschlands gewesen: durch politische Revolution in der DDR und sozialistische Revolution im Westen, um die Quandt, Piëch, Schaeffler und Co. zu enteignen.

Für dieses Programm kämpften wir, als vor zwanzig Jahren, im Herbst 1989, Massenproteste in der DDR ausbrachen. Unser Kampf war nicht nur verbunden mit der Perspektive, die politische Revolution von der DDR auf die Sowjetunion nach Osten auszuweiten, sondern auch mit dem Programm für ein rotes Rätedeutschland in einem sozialistischen Europa. Im Verlauf unserer Intervention stellten wir ein konkretes Programm als Antwort auf die wirtschaftliche Krise auf, die durch stalinistische Autarkiebestrebungen und imperialistische Umzingelung verursacht worden war. Wir lernten im Verlauf des Kampfes auch mehr über die wirkliche Tiefe der ökonomischen Krise. Bei der Entwicklung unseres Programms war für uns Lenins Broschüre „Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll“ ein Vorbild, die er Mitte September 1917, am Vorabend der Oktoberrevolution, geschrieben hatte. Anhand der konkreten wirtschaftlichen Krise in Russland schlug er eine Reihe konkreter Gegenmaßnahmen vor, die alle letztlich auf die eine Schlussfolgerung hinausliefen, die revolutionäre Eroberung der Macht durch das Proletariat an der Spitze der armen Bauernschaft: „Einen Mittelweg gibt es nicht… Man muss entweder vorwärtsschreiten oder zurückgehen.“ Unter anderen Vorzeichen stand die gleiche Herausforderung vor dem ostdeutschen Proletariat nach dem Zusammenbruch der SED: Entweder erobert und behauptet das Proletariat die politische Macht im Land, oder aber die westlichen Imperialisten werden eine Konterrevolution durchführen.

Die russische und die deutsche Revolution

Für Linke und Arbeiter, die die Lehren aus der Zerstörung von DDR und Sowjetunion ziehen wollen, ist es absolut notwendig zu verstehen, dass das 1924 von Stalin verkündete Dogma vom „Aufbau des Sozialismus in einem Land“ einen fundamentalen Bruch mit dem revolutionären Marxismus darstellt. Schon das Kommunistische Manifest von 1848 schließt mit den Worten: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ In „Grundsätze des Kommunismus“ (1847) antwortete Friedrich Engels auf die Frage, ob die proletarische Revolution in einem einzigen Land allein vor sich gehen kann:

„A[ntwort]: Nein. Die große Industrie hat schon dadurch, dass sie den Weltmarkt geschaffen hat, alle Völker der Erde, und namentlich die zivilisierten, in eine solche Verbindung miteinander gebracht, dass jedes einzelne Volk davon abhängig ist, was bei einem andern geschieht. Sie hat ferner in allen zivilisierten Ländern die gesellschaftliche Entwicklung so weit gleichgemacht, dass in allen diesen Ländern Bourgeoisie und Proletariat die beiden entscheidenden Klassen der Gesellschaft, der Kampf zwischen beiden der Hauptkampf des Tages geworden. Die kommunistische Revolution wird daher keine bloß nationale ... sein... Sie ist eine universelle Revolution und wird daher auch ein universelles Terrain haben.“

In seiner Kritik des Gothaer Programms schrieb Marx 1875: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ In diesem Sinne war es auch eine selbstverherrlichende Beschönigung durch die Stalinisten, die Sowjetunion als „sozialistisch“ zu bezeichnen. Wie Trotzki in Verratene Revolution weiter ausführte:

„Wenn Marx als unteres Stadium des Kommunismus die Gesellschaft bezeichnete, die auf Grund der Vergesellschaftung der Produktivkräfte des fortgeschrittensten Kapitalismus seiner Epoche entstehen sollte, so ist diese Bezeichnung offensichtlich nicht auf die Sowjetunion zugeschnitten, die heute noch, was Technik, Konsumgüter und Kultur anbelangt, viel ärmer ist als die kapitalistischen Länder. Richtiger wäre es darum, das heutige Sowjetregime in all seiner Widersprüchlichkeit nicht als sozialistisches, sondern als vorbereitendes oder Übergangsregime zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu bezeichnen… Kraft und Bestand eines Regimes werden letzten Endes durch die relative Produktivität der Arbeit bestimmt. Eine vergesellschaftete Wirtschaft, die technisch dem Kapitalismus überlegen ist, könnte ihrer sozialistischen Entwicklung in der Tat vollkommen, sozusagen automatisch sicher sein, was man von der Sowjetwirtschaft leider noch keinesfalls sagen kann.“

Die Bolschewiki waren sich von Anfang an der Tatsache bewusst, dass die Ausweitung der Russischen Revolution vom Oktober 1917 auf die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder eine Frage von Leben und Tod war. Seit dem 19. Jahrhundert erkannten Revolutionäre, dass das Schicksal der russischen und der deutschen Revolution untrennbar miteinander verbunden ist. Entscheidend für das Überleben ihrer belagerten proletarischen Diktatur im rückständigen Russland war in den Augen der Bolschewiki, dass die deutsche Arbeiterklasse die politische Macht im industriellen Kernland Europas erobern würde.

Dieser revolutionäre Internationalismus war überhaupt die Voraussetzung dafür gewesen, die kapitalistischen Herrscher Russlands gegen Ende des Ersten Weltkrieges stürzen zu können. Ende des 19. Jahrhunderts war der Kapitalismus endgültig in sein höchstes und letztes Stadium, den Imperialismus, übergegangen. Der Erste Weltkrieg war ein Raubkrieg zwischen den imperialistischen Großmächten um die Neuaufteilung der Welt. In Sozialismus und Krieg (1915) schreibt Lenin:

„Aus einem Befreier der Nationen, der er in der Zeit des Ringens mit dem Feudalismus war, ist der Kapitalismus in der imperialistischen Epoche zum größten Unterdrücker der Nationen geworden. Früher fortschrittlich, ist der Kapitalismus jetzt reaktionär geworden, er hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass der Menschheit entweder der Übergang zum Sozialismus oder aber ein jahre-, ja sogar jahrzehntelanger bewaffneter Kampf der ,Groß‘mächte um die künstliche Aufrechterhaltung des Kapitalismus mittels der Kolonien, Monopole, Privilegien und jeder Art von nationaler Unterdrückung bevorsteht.“

Die Menschewiki und die sozialdemokratischen Führer in ganz Europa unterstützten entweder offen ihre eigene imperialistische herrschende Klasse im Namen der Vaterlandsverteidigung oder sie flehten die Imperialisten um einen „gerechten Frieden“ an … wenn sich der Krieg zu Ungunsten des eigenen Imperialismus entwickelte. Im Gegensatz dazu bestand Lenin darauf, dass die Arbeiterklasse im interimperialistischen Krieg keine Seite hatte und dass der einzige Weg zu einem gerechten Frieden darin bestand, dass die Arbeiterklasse einer jeden kriegführenden Nation den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zum Sturz der kapitalistischen Herrscher verwandelte. Lenin und die Bolschewiki, die in Russland schon vor dem Krieg von den Menschewiki gebrochen hatten, verallgemeinerten nun diese Erfahrung international und kämpften für eine Spaltung von den Reformisten der Zweiten Internationale, die zusammengebrochen und beim Sozialchauvinismus gelandet war, und für den Aufbau einer neuen, revolutionären Internationale, die für den Sieg der Weltrevolution kämpft.

1918, ein Jahr nach dem Sieg der Russischen Revolution, erhob sich in Deutschland die Arbeiterklasse in der Novemberrevolution, und überall im Land wurden nach dem russischen Vorbild Arbeiter- und Soldatenräte gegründet, die praktisch die Macht in den Händen hielten. Aber anders als in Russland hatten die deutschen revolutionären Marxisten, die Spartakusleute um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, nicht rechtzeitig von den Reformisten der SPD und den Zentristen der USPD gespalten und eine revolutionäre Partei geschmiedet. Erst im Dezember 1918 spalteten sie sich von der USPD Karl Kautskys und Eduard Bernsteins ab und gründeten die KPD. So konnte die SPD-Führung von Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann die Führung der Arbeiterräte übernehmen, um diese mit Unterstützung der USPD dem bürgerlichen Parlament unterzuordnen und so schnell es ging aufzulösen, während Gustav Noske die konterrevolutionären Freikorps von der Kette ließ. Die SPD ließ Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermorden und schlug so der jungen Kommunistischen Partei den Kopf ab. Im Blut tausender Proletarier ertränkte sie die deutsche Revolution von 1918/19.

Die bürgerliche Ordnung in Europa war aber alles andere als stabil. 1919 wurde die Dritte Kommunistische Internationale (Komintern) gegründet, und 1920 spaltete sich die USPD und die Mehrheit fusionierte mit der KPD, die dadurch zu einer Massenpartei wurde. 1923 ergab sich mit der Ruhrbesetzung durch Frankreich und der folgenden Hyperinflation eine außerordentlich günstige revolutionäre Möglichkeit in Deutschland. Die Mehrheit des deutschen Proletariats schaute auf die KPD, aber die Komintern- und KPD-Führung schwankten. Die KPD-Führung orientierte sich darauf, die Revolution gemeinsam mit der SPD-Linken zu machen und trat schließlich sogar in Sachsen und Thüringen in bürgerliche Regierungen ein (siehe Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 22, Sommer 2001). Das Scheitern der Deutschen Revolution von 1923 bereitete den Weg für die Usurpation der politischen Macht in Russland durch die von Stalin geführte Bürokratie, die die Erschöpfung des sowjetischen Proletariats und die Welle von Demoralisierung über die Niederlage in Deutschland ausnutzte. Dies war eine politische Konterrevolution, keine soziale: Die stalinistische Bürokratie stützte sich auf die von der Oktoberrevolution errichteten kollektivierten Eigentumsformen, aus denen sie ihre Privilegien zog. Zur eigenen Rechtfertigung machte die bürokratische Kaste den antiinternationalistischen Widersinn vom „Sozialismus in einem Land“ zu ihrer Parole, was auch ihre konservative, national begrenzte Perspektive zum Ausdruck brachte. Dagegen schrieb Trotzki in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe von Die permanente Revolution (1929):

„Der Marxismus geht von der Weltwirtschaft aus nicht als einer Summe nationaler Teile, sondern als einer gewaltigen, selbständigen Realität, die durch internationale Arbeitsteilung und den Weltmarkt geschaffen wurde und in der gegenwärtigen Epoche über die nationalen Märkte herrscht… Die sozialistische Gesellschaft muss in produktionstechnischer Hinsicht im Vergleich zu der kapitalistischen Gesellschaft ein höheres Stadium darstellen. Sich das Ziel zu stecken, eine national isolierte sozialistische Gesellschaft aufzubauen, bedeutet, trotz aller vorübergehenden Erfolge, die Produktivkräfte, sogar im Vergleich zum Kapitalismus, zurückzerren zu wollen. Der Versuch, unabhängig von den geographischen, kulturellen und historischen Bedingungen der Entwicklung des Landes, das einen Teil der Weltgesamtheit darstellt, eine in sich selbst abgeschlossene Proportionalität aller Wirtschaftszweige in nationalem Rahmen zu verwirklichen, bedeutet, einer reaktionären Utopie nachzujagen.“

Trotzki schrieb Die permanente Revolution während einer Periode, die erneut deutlich zeigte, dass die Produktivkräfte schon lange die Fesseln des Nationalstaats durchbrochen hatten: die 1929 ausgebrochene Weltwirtschaftskrise und der Aufstieg des Faschismus, die einen neuen Weltkrieg ankündigten. Die Krise, die die Märkte weltweit schrumpfen ließ, warf mit doppelter Macht die Fragen wieder auf, die der deutsche Imperialismus, der über die dynamischsten Produktivkräfte unter den europäischen Großmächten verfügte, mit dem Ersten Weltkrieg zu lösen versucht hatte. Doch statt der „Organisierung Europas“ unter dem Stiefel des deutschen Kaiserreichs kam der Versailler Raubfrieden von 1919, der die deutschen Produktivkräfte noch mehr einengte als vor dem Krieg. Gleichzeitig trieb die Wirtschaftskrise die sozialen Widersprüche im Land auf die Spitze, das Kleinbürgertum drohte zu verelenden und immer größere Teile der Arbeiterklasse drohten durch die grassierende Massenarbeitslosigkeit ins Lumpenproletariat abzustürzen. Entweder würde das Proletariat einen revolutionären Ausweg aus der Krise weisen, oder aber die Bourgeoisie würde mit Hilfe der Faschisten alle Arbeiterorganisationen zerschlagen und erneut Krieg führen, um die Welt neu aufzuteilen.

In Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats (27. Januar 1932) skizzierte Trotzki ein Programm, das auf Arbeiterkontrolle in Deutschland verbunden mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit der Sowjetunion beruhte, um Europa und die Menschheit vor der drohenden Katastrophe zu bewahren:

„Wir unsererseits schlagen vor, mit dem Bereich der sowjetisch-deutschen Beziehungen zu beginnen, d. h. mit der Ausarbeitung eines breiten Plans der Zusammenarbeit zwischen der sowjetischen und der deutschen Wirtschaft im Zusammenhang und als Ergänzung zum zweiten Fünfjahresplan. Dutzende und Hunderte von großen Betrieben könnten voll in Gang gesetzt werden. Die Arbeitslosigkeit Deutschlands könnte gänzlich beseitigt werden – dazu wären kaum mehr als zwei, drei Jahre nötig – auf Grund eines Wirtschaftplans, der wenigstens diese beiden Länder allseitig umfassen würde.“

Ein konkreter Wirtschaftsplan vorgetragen von KPD und der Sowjetunion, diskutiert in den Arbeiterorganisationen und unter Arbeitslosen, hätte – verbunden mit dem Kampf um Arbeiterkontrolle über die Produktion – zu einem mächtigen Hebel zur revolutionären Mobilisierung der parteilosen, sozialdemokratischen und anderen Arbeitermassen gemacht werden können. Dies hätte auch die noch nicht kommunistischen Arbeiter konkret darauf gestoßen, dass sie die Macht den Händen der Bourgeoisie entreißen und in die eigenen Hände nehmen müssen. Aber natürlich stand diese revolutionär-internationalistische Antwort auf die Weltwirtschaftskrise im scharfen Widerspruch zur nationalistischen Autarkie der „Sozialismus-in-einem-Land“-Stalinisten, die diesen Vorschlag von sich wiesen.

Die KPD- und Komintern-Führung kapitulierten vor dem aufsteigenden Faschismus. Statt wie es die trotzkistische Linke Opposition forderte, die SPD-Arbeiter in Einheitsfrontaktionen gegen die Faschisten zu mobilisieren, die der Todfeind aller Arbeiterorganisationen waren, egal ob sozialdemokratisch oder kommunistisch, erklärte die KPD von Thälmann und Stalin die SPD zu „Sozialfaschisten“ und verkündete „Nach Hitler kommen wir“. Ohne organisierten Widerstand der Arbeiterklasse, die von den Führungen der SPD und schlimmer noch der KPD verraten wurde, konnten die Faschisten die Macht ergreifen. Nach Hitler kam erst die Zerschlagung aller Arbeiterorganisationen: KPD, Gewerkschaften, SPD. Nachdem der innere Feind der Bourgeoisie, die Arbeiterklasse, niedergerungen war, folgte der Zweite Weltkrieg mit dem „Unternehmen Barbarossa“ zur Zerschlagung der Sowjetunion und dem Holocaust, der industriellen Ermordung von 6 Millionen Juden.

Die Gründung der DDR

Dass die DDR überhaupt existierte, war dem heldenhaften Sieg der Roten Armee über das Dritte Reich zu verdanken – einem Sieg, der die Sowjetunion 27 Millionen Menschenleben kostete. Der ostdeutsche deformierte Arbeiterstaat war jedoch, wie jüngere Studien bestätigen, Stalins „ungeliebtes Kind“. Dies war ein Aspekt des Verrats von revolutionären Möglichkeiten in ganz Europa und Teilen von Asien am Ende des Zweiten Weltkriegs, die Stalin im Interesse seiner Abkommen mit seinen imperialistischen Bündnispartnern USA und Britannien im Krieg getroffen hatte. In Italien ließ die stalinistische KP die Partisanen entwaffnen und trat in eine kapitalistische Volksfrontregierung ein. Sie verhinderte damit eine Arbeiterrevolution und unterwarf die Arbeiter dem US-Oberkommando. Was Griechenland anging, so ließ Stalin dem britischen Premier Churchill freie Hand, um die KP-kontrollierten Partisanen, die die Nazis vertrieben hatten, zu bekämpfen.

Anstelle gemeinsamer sowjetisch-ostdeutscher Planung, um beide kriegsgebeutelten Länder wiederaufzubauen, bediente man sich Ostdeutschlands anfangs nur, um Kriegsreparationen zu bekommen. Die sozialistischen Bestrebungen des ostdeutschen Proletariats nach dem Krieg wurden zerschmettert. Seine Initiativen, Fabriken und Städte zu übernehmen und sie durch embryonale Arbeiterräte – die Antifa-Komitees – zu verwalten, wurden unterdrückt. Obwohl Westdeutschland eine fast dreimal so große Bevölkerung hatte (50 Millionen gegenüber 18 Millionen in der DDR), leistete Ostdeutschland 97 bis 98 Prozent aller Reparationen. Zum beiderseitigen Schaden wurden ganze Betriebe demontiert und nach Osten transportiert, über weite Strecken wurden die zweiten Eisenbahngleise abgebaut. In Die Revolution entlässt ihre Kinder (1955) berichtet Wolfgang Leonard (Mitglied der „Gruppe Ulbricht“, die 1945 aus Moskau eingeflogen wurde und den Kern der ostdeutschen SED-Führung stellte; er brach 1949 mit der SED), wie Marschall Schukow zusagte, eine bestimmte Demontage zu verhindern: „Ich zweifelte gar nicht an seinem ehrlichen Willen, kannte allerdings die sowjetische Struktur schon gut genug, um zu wissen, dass es auch Dienststellen gab, die nicht dem Befehlbereich Marschall Schukows, sondern den entsprechenden Wirtschaftsbehörden in Moskau unmittelbar unterstellt waren, und ich wusste auch von dem Gegensatz der sowjetischen Dienststellen untereinander.“

Darüber hinaus wurden etwa 17 Millionen Deutsche aus Osteuropa und 3 Millionen Polen aus der Ukraine vertrieben. Solche Maßnahmen verspielten viel von dem gewaltigen politischen Kapital, dass die Rote Armee durch die Zerschlagung des Naziregimes errungen hatte.

Die Maßnahmen 1947–49, durch die ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat in Ostdeutschland geschaffen wurde, waren defensive Reaktionen auf den Kalten Krieg, den Marshall-Plan und die westdeutsche Währungsreform. Doch mit jedem Schritt, den Westdeutschland in Richtung Wiederbewaffnung und NATO-Integration ging, schrien Stalin und Konsorten lauter nach einem „vereinten, neutralen“ kapitalistischen Deutschland. Obwohl die DDR 1949 gegründet worden war, wurde sie erst 1954 von der UdSSR als souveräner Staat anerkannt. Auch bei den anderen Staaten Osteuropas, ursprünglich von Stalin als „neutrale“ Pufferstaaten gegen den westeuropäischen Imperialismus vorgesehen, sah sich die Sowjetbürokratie aufgrund des Kalten Krieges gezwungen, in der Periode 1947–48 deformierte Arbeiterstaaten zu errichten. Der Ostteil Österreichs war die Ausnahme. Dort zog die Rote Armee ab und ein kapitalistischer Staat wurde dort wieder aufgebaut. Aber statt gemeinsamer Planwirtschaft mit einer Arbeitsteilung unter Berücksichtigung und Ausnutzung der historischen, natürlichen und kulturellen Eigenheiten jedes Landes versuchte die stalinistische Bürokratie eines jeden deformierten Arbeiterstaates eine autarke Wirtschaft zu errichten und auch bei sich die Wirtschaft im nationalen Rahmen aufzubauen.

Nichts verdeutlichte den widersprüchlichen Charakter des Stalinismus mehr als die Errichtung eines deformierten Arbeiterstaates beim Aufbau des „Sozialismus in einem Land“, hier sogar nur in einem Drittel eines Landes, an der Frontlinie des Kalten Kriegs und gegen die mächtigste Wirtschaft Europas. Trotz solcher Hindernisse und trotz der Massenabwanderung von Facharbeitern in den Westen (bis 1961) war die DDR fähig, ausgehend von ihrem kümmerlich ausgestatteten Teil der kriegsgeschädigten deutschen Wirtschaft, jedem Bürger Arbeit und soziale Sicherheit, kostenlose Gesundheitsversorgung und Kinderbetreuung sowie großzügig subventionierte Nahrungsmittel, Kleidung und Wohnungen zu bieten. Das war ein gewaltiges Zeugnis von der Kraft einer geplanten Wirtschaft.

Ostdeutscher Arbeiteraufstand 1953

Die Gebiete Deutschlands, die zur DDR wurden, waren geprägt von verarbeitender Industrie des Maschinen- und Fahrzeugbaus, Feinmechanik und Optik sowie chemischer Industrie. Da es bis auf Kalisalz kaum nennenswerte Rohstoffvorkommen gab, war dieses Gebiet historisch auf Importe von Stahl, Kohle usw. angewiesen, die es aus dem Ruhrgebiet und den schlesischen Kohlegruben bezog. Die Ulbrichtsche SED-Bürokratie begann ein ehrgeiziges Programm zum Umbau der Industriestruktur mit Schwerpunkt auf Metallurgie, Brennstoff- und Energiewirtschaft sowie Maschinenbau. Gleichzeitig unternahm der Rest Osteuropas ambitionierte Industrialisierungsprogramme. Investitionen wurden auf die Schwerindustrie konzentriert, auf Kosten der Konsumgüter. In Rakosis Ungarn zum Beispiel gingen 90 Prozent aller Investitionen in die Schwerindustrie. Ein totalitärer Polizeistaatsapparat sorgte für eine strenge Arbeitsdisziplin, während der Lebensstandard sowohl der Arbeiter als auch der Bauern nach unten getrieben wurde. Wie François Fejtö in seiner Die Geschichte der Volksdemokratien (Verlag Styra, 1972) beschreibt, wurde überall laut und oft verkündet, dass man bald den Westen ein- und überhole. Aber selbst bei Investitionsraten von bis zu 25 Prozent des Nationaleinkommens hinkten die Investitionen pro Kopf der Bevölkerung immer noch hinter den führenden westlichen Industrienationen zurück, so dass von einem Einholen, ganz zu schweigen von einem Überholen, nicht die Rede sein konnte.

Anfang 1953 war Ostdeutschland mit einer heftigen Wirtschaftskrise konfrontiert und bat um sowjetische Hilfe, die aber verweigert wurde. Als Konsequenz führte Ulbricht eine Reihe harscher Maßnahmen ein: Die Mittelklassen mussten höhere Steuern zahlen und verloren ihre Rationskarten, während das Proletariat die Produktion bei gleicher Bezahlung um zehn Prozent steigern sollte. Nach Stalins Tod setzten dessen Nachfolger in Moskau unter Beria die Politik fort, für ein „neutrales“ Deutschland zu betteln. Sie hoben die meisten von Ulbrichts Maßnahmen, die in ihren Augen ihre Hochzeitsträume mit Bonn störten, wieder auf. Stattdessen verlangten sie einen „Neuen Kurs“ für die DDR. Von Ulbrichts ursprünglichen Maßnahmen blieb nur die zehnprozentige Arbeitsnormerhöhung für das Proletariat in Kraft, die den Juni-Aufstand heraufbeschwor. Der 17. Juni war der Versuch einer proletarisch-politischen Revolution, die die kollektivierten Eigentumsverhältnisse bewahren wollte, aber die korrupte und unterdrückerische stalinistische Bürokratie durch demokratisch gewählte Arbeiterräte ersetzen wollte. So riefen die Hennigsdorfer Stahlarbeiter bei ihrem Marsch durch Westberlin zur Bildung einer Metallarbeiter-Regierung auf, basierend auf Fabrikräten. Wie wenig die Arbeiter von der kapitalistischen Adenauer-Regierung im Westen hielten, machte ein Transparent an der Bahnstrecke zum Westen deutlich: „Räumt ihr den Mist in Bonn jetzt aus, in Pankow säubern wir das Haus!“

Der Aufstand unterstrich den widersprüchlichen Charakter der stalinistischen Bürokratie als einer zerbrechlichen Kaste im Gegensatz zu einer herrschenden sozialen Klasse. So stellte sich ein Großteil der SED-Kader auf die Seite der aufständischen Arbeiter, bevor die Rote Armee den Aufstand mit einer Demonstration ihrer überwältigenden militärischen Macht stoppte. Gleichzeitig wurde die Notwendigkeit einer leninistisch-trotzkistischen Arbeiterpartei deutlich, wie 1953 die damals trotzkistische revolutionäre Socialist Workers Party in den USA erklärte:

„Um die großen revolutionären Gelegenheiten zu verwirklichen, die sich durch diese Ereignisse geboten haben, wird die Organisation einer revolutionären Partei des deutschen Proletariats unabdingbar. Bei der Darlegung der Bedingungen für eine erfolgreiche politische Revolution gegen die stalinistische Bürokratie sagte Trotzki 1924: ,Vor allem müssen wir als unveränderliches Axiom festlegen – diese Aufgabe kann nur durch eine revolutionäre Partei gelöst werden.‘ Heute ist das wahrer denn je.“ („The East German Uprising“, von den Herausgebern der Fourth International)

Die Auswirkungen der ersten proletarischen politischen Revolution im Sowjetblock gingen viel weiter, als nur die neuen Arbeitsnormen wegzufegen. Jeffrey Kopstein, Professor für Politikwissenschaft, schreibt: „Vom Standpunkt der Wirtschaftsreform erholte sich die DDR nie von den Juni-Streiks“ (The Politics of Economic Decline in East Germany, 1945-1989 [Die Politik des wirtschaftlichen Niedergangs in Ostdeutschland, 1945–89], Chapel Hill, North Carolina 1997). Insbesondere angesichts der massenhaften Abwanderung von Arbeitern in den kapitalistischen Westen wurde die Hebung des Lebensstandards der Arbeiterklasse zu einem Hauptanliegen der stalinistischen Bürokratie. Als dann 1956 in Polen kämpferische Streiks ausbrachen und Ungarn vom Donnergrollen der bevorstehenden politischen Revolution erschüttert wurde, führte Ulbricht daher in der DDR eine Rentenerhöhung, die 45-Stunden-Arbeitswoche und ein Bonussystem ein.

Auf die UdSSR hatte der Juni-Aufstand ebenso starke Auswirkungen – sie war genötigt anzuerkennen, dass die DDR mehr war als eine Quelle für Reparationen und eine Verhandlungsmasse gegenüber dem Westen. Die Sowjetunion gewährte, wie schon erwähnt, 1954 Ostdeutschland die Souveränität und löste die Sowjetische Kontrollkommission in Berlin auf. Die Reparationen wurden beendet. Stattdessen floss sowjetische Wirtschaftshilfe in den Frontstaat des Warschauer Pakts. Was Trotzki 1936 in seinem Werk Verratene Revolution über die Stalin-Bürokratie schrieb, sollte gleichermaßen auf deren Nachfolger in Moskau und Ostberlin zutreffen: „Sie verteidigt das Staatseigentum nur deshalb auch weiterhin, da sie das Proletariat fürchtet.“

Die Aufteilung der Erträge auf gegenwärtigen Verbrauch einerseits und Investitionen (d. h. Erweiterung der Produktionsmittel) andererseits wird selbst in einem gesunden sowjetischen Arbeiterstaat eine der konfliktträchtigsten Entscheidungen sein. Im Allgemeinen wird die Avantgardepartei eine höhere Investitionsrate anstreben als die Masse der Arbeiter. Denn hohes Wirtschaftswachstum ist notwendig nicht nur für den zukünftigen Verbrauch der Arbeiter, sondern wegen der national wie international führenden Rolle eines revolutionären Arbeiterstaates im Kampf für den Sozialismus. Gerade in Ländern mit einer großen Bauernschaft wie damals in der Sowjetunion oder China heute ist eine hohe Wachstumsrate erforderlich, um die bäuerliche Bevölkerung in die Industriearbeiterschaft aufzunehmen und dem Land die industriell-militärische Kraft für eine durchsetzungsfähige Außenpolitik gegenüber den imperialistischen Mächten zu verleihen. Eine angemessen hohe Investitionsrate sollte jedoch nicht durch bürokratische Willkür auferlegt werden, sondern durch demokratischen politischen Kampf festgelegt werden. Dem zentralen Sowjet sollten alternative Langzeitpläne vorgelegt werden, in denen verschiedene, unterschiedlich auf Verbrauchsgüter und Produktionsmittel aufgeteilte Investitionsraten zu verschieden wachsendem Ertrag und Konsum führen. Der Grundplan sollte durch Debatte und demokratische Entscheidung festgelegt werden.

Trotz beträchtlichen Industriewachstums lagen während der ganzen restlichen 50er-Jahre die Lohnsteigerungen deutlich über dem Produktivitätszuwachs. Die Verteilungsfrage wurde jedoch kaum gelöst, indem nominell mehr Geld knappen Gütern von schlechter Qualität nachgeworfen wurde. Darüber hinaus wurde die ostdeutsche Industrie durch die Abwanderung von Facharbeitern und Technikern nach Westdeutschland gelähmt. Bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 waren etwa 2,5 Millionen Ostdeutsche nach Westdeutschland gegangen. Der Mauerbau war eine bürokratische Maßnahme, um die Wirtschaft des belagerten Arbeiterstaates vor dem Zusammenbruch zu bewahren, und daher verteidigten wir die Mauer im Rahmen unserer bedingungslosen militärischen Verteidigung der deformierten Arbeiterstaaten gegen die Imperialisten.

1958 kündigte Ulbricht einen Siebenjahresplan an, um Westdeutschland bei der Konsumgüterproduktion zu überholen. Die Errichtung der Berliner Mauer im August 1961 stoppte das Ausbluten der DDR an Facharbeitern, konnte aber die Arbeitsproduktivität nicht erhöhen. Trotz deutlicher Verbesserungen der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse konnte die DDR mit dem mächtigeren, vom US-Imperialismus unterstützten Westdeutschland wirtschaftlich nicht gleichziehen. Sogar nach Ulbricht war die Arbeitsproduktivität 1969 in der DDR 20 Prozent niedriger als im Westen.

Wird fortgesetzt. Der nächste Teil wird die Zeit von Ulbrichts Einführung des „Neuen Ökonomischen Systems“ bis zum Zusammenbruch der stalinistischen Bürokratie Ende der 1980er-Jahre sowie den Kampf der Spartakisten für ein rotes Rätedeutschland und gegen die Konterrevolution behandeln.