Spartakist Nr. 180

November 2009

 

Der ethnische Konflikt in Xinjiang und die Widersprüche des deformierten Arbeiterstaats China

Verteidigt den chinesischen deformierten Arbeiterstaat! Für politisch-proletarische Revolution!

Der nachfolgende Artikel ist übersetzt aus Workers Vanguard Nr. 941, 28. August, Zeitung der Spartacist League/U.S.

Anfang Juli brachen in Ürümqi, der Provinzhauptstadt des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang in Westchina gewalttätige nationale Auseinandersetzungen aus. Sie begannen am 5. Juli, als Hunderte von Uiguren – ein turksprachiges, traditionell islamisches Volk – einen mörderischen Amoklauf gegen ihre han-chinesischen Nachbarn verübten. Han-Mobs zahlten es ihnen daraufhin mit gleicher Münze heim. Die chinesische Regierung gab die Zahl der Getöteten mit 197 an, die meisten von ihnen Han-Chinesen, und es wurden etwa 1600 verletzt. Um dem interethnischen Blutvergießen Einhalt zu gebieten, brachten die Regierungsbehörden massive Polizeikräfte zum Einsatz, und 20 000 Soldaten patrouillierten sowohl in Han- als auch in uigurischen Wohngegenden.

Von Anfang an behauptete das Beijinger Regime ohne überzeugende Beweise, die Unruhen in Ürümqi seien von den antichinesischen Nationalisten des Weltkongresses der Uiguren (WUC) angezettelt worden, einer von den Imperialisten finanzierten, vor allem in den USA und in Deutschland ansässigen Gruppe. Natürlich zeichnet der WUC von den Geschehnissen, die zu den Unruhen führten, ein völlig anderes Bild als die chinesische Regierung. Er behauptet, am 5. Juli sei ein friedlicher Protest von Uiguren, hauptsächlich Studenten, von der Polizei überfallen worden, die das Feuer auf die Demonstranten eröffnet habe, ohne provoziert worden zu sein. Die chinesische Regierung wiederum sagt, die von ihr ausgeübten Repressionsmaßnahmen seien eine Reaktion auf die Gewalt, nicht ihre Ursache gewesen. Wir sind ziemlich weit entfernt vom Geschehen, und jede Quelle – sei es die chinesische Regierung, der WUC oder die imperialistischen Medien – hat ihre eigenen Motive bei der Darstellung der Ereignisse. Klar ist jedoch, dass die Vorfälle vom 5. Juli, wie sie auch immer angefangen haben mögen, alsbald in kommunalistische Gewalt ausarteten. Selbst der Londoner Economist (11. Juli), Hausorgan der angloamerikanischen Finanziers, erklärte: „Die Gewalt in Xinjiang war auf beiden Seiten eine rohe, rassistische Angelegenheit, wobei die Han-Chinesen Hauptleidtragende waren.“

Auslöser der Unruhen in Ürümqi war ein Vorfall, der sich Tausende Kilometer entfernt in der südostchinesischen Küstenprovinz Guangdong zugetragen hatte. Ende Juni wurden uigurische Wanderarbeiter, die im Wohnheim einer Spielzeugfabrik wohnten, die Hongkonger Kapitalisten gehört, von Han-Arbeitern angegriffen. Wenigstens zwei uigurische Arbeiter wurden getötet und viele verletzt. Der Angriff, der sich über Stunden hinzog, war offenbar durch ein haltloses Gerücht ausgelöst worden, das ein verärgerter ehemals dort beschäftigter Arbeiter in die Welt gesetzt hatte, sechs uigurische Männer hätten eine Han-Frau vergewaltigt. Nachdem die Nachricht über den Vorfall Xinjiang erreicht hatte, waren Uiguren empört über die Untätigkeit der chinesischen Behörden und forderten eine eingehende Regierungsuntersuchung. Diese Klagen gegenüber der chinesischen Regierung, die offenbar berechtigt waren, entschuldigen keinesfalls den mörderischen Amoklauf der Uiguren in Xinjiang gegen ihre Han-Nachbarn.

Xinjiang ist mit seinem Reichtum an Bodenschätzen, vor allem umfangreichen Erdöl- und Erdgaslagerstätten, für China von großer strategischer Bedeutung. Der Präsident des Landes, Hu Jintao, sah die kommunalistische Gewalt in Ürümqi als so ernste und dringliche politische Angelegenheit an, dass er seine Teilnahme am G8-Gipfel in Italien abbrach und nach Beijing zurückkehrte. Welche übergeordnete politische Bedeutung hat der nationale Konflikt zwischen Uiguren und Han-Chinesen in Xinjiang? Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, den Klassencharakter des chinesischen Staates und seine Beziehung zum Weltimperialismus zu verstehen.

Der Klassencharakter des chinesischen Staates

Die Chinesische Revolution von 1949, gekennzeichnet durch den militärischen Sieg von Mao Zedongs Bauernarmeen über Chiang Kai-sheks Guomindang, zerschlug die Herrschaft der Kapitalisten und Landbesitzer und befreite das Land von der imperialistischen Unterjochung. Die Revolution brachte den chinesischen Arbeitern, Bauern und den zutiefst unterdrückten Frauen gewaltige soziale Errungenschaften. Doch die von der Kommunistischen Partei (KPCh) regierte Volksrepublik China ging aus der Revolution als bürokratisch deformierter Arbeiterstaat nach dem Muster der ehemaligen Sowjetunion unter J.W. Stalin hervor – und ist das bis heute. Eine parasitäre, nationalistische Bürokratenkaste thront über einer kollektivierten Wirtschaft.

Wie ihre sowjetstalinistischen Vorfahren predigten Mao und seine Nachfolger, einschließlich des gegenwärtigen Regimes, die zutiefst antimarxistische Vorstellung, der Sozialismus könne in einem einzigen Lande aufgebaut werden. Marxisten definieren den Sozialismus als eine klassenlose, egalitäre Gesellschaft auf der Grundlage materiellen Überflusses, die nur auf der Grundlage internationaler Planung aufgebaut werden kann, was unabdingbar den Sturz der kapitalistischen Herrschaft in den fortgeschrittenen kapitalistischen Zentren Nordamerikas, Westeuropas und Japans erfordert. In der Praxis bedeutete das stalinistische Dogma vom „Sozialismus in einem Land“ Anpassung an den Weltimperialismus und Ablehnung einer Perspektive der internationalen Arbeiterrevolution.

Als Trotzkisten treten wir für die bedingungslose militärische Verteidigung des bürokratisch deformierten Arbeiterstaats China gegen Imperialismus und Konterrevolution ein. Als Antwort auf das Streben der chinesischen Arbeiter und ländlichen Werktätigen sowie der nationalen Minderheiten wie der Uiguren nach demokratischen Rechten und einer Regierung, die ihre Bedürfnisse und Interessen vertritt, treten wir für eine proletarisch-politische Revolution zum Sturz der nationalistischen stalinistischen Bürokratie und zur Errichtung einer Regierung gewählter Arbeiter- und Bauernräte ein, die dem revolutionären proletarischen Internationalismus verpflichtet ist.

In den letzten paar Jahrzehnten hat das stalinistische Beijinger Regime in der Wirtschaft umfangreich Marktmechanismen angewendet und in großem Maße Investitionen westlicher und japanischer Unternehmen und der Offshore- Bourgeoisie von Taiwan und Hongkong gefördert. Eine beachtliche Klasse kapitalistischer Unternehmer – viele davon ehemalige Regierungsfunktionäre und die Kinder amtierender Funktionäre – hat sich auch auf dem Festland herausgebildet. Als Folge davon ist nun im gesamten politischen Spektrum die weitverbreitete Vorstellung zu finden, das einstmals „kommunistische“ China sei kapitalistisch geworden oder befinde sich zusehends und unwiderruflich auf dem Weg dorthin. Diese Vorstellung ist falsch. Der Kern der chinesischen Wirtschaft basiert immer noch auf dem Kollektiveigentum. Tatsächlich zeigt sich der nicht kapitalistische Charakter Chinas deutlich in der gegenwärtigen schweren weltweiten Wirtschaftsrezession.

Man muss nur die Wirkung der Konjunkturprogramme in den USA und China vergleichen. Trotz des von der Regierung der Demokraten unter Barack Obama verfügten 800-Milliarden-Dollar-Konjunkturprogramms sind Produktionsleistung und Beschäftigung weiterhin zurückgegangen. Das Bruttoinlandsprodukt ist um nahezu 4 Prozent niedriger als vor einem Jahr, und die industrielle Produktion sank im selben Zeitraum um 13,6 Prozent. Der offizielle vom Weißen Haus Obamas verbreitete Optimismus, die Wirtschaft habe die Talsohle erreicht, beruht auf dem Umstand, dass die Unternehmer im Juli „nur“ eine Viertelmillion Arbeitsplätze vernichtet haben, etwas weniger als der durchschnittliche Arbeitsplatzabbau in den letzten paar Monaten.

Im Gegensatz dazu hat Chinas Konjunkturprogramm, dessen Schwerpunkt auf Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen durch staatseigene Unternehmen und Regierungsbehörden und auf der Ausweitung von Krediten durch staatlich kontrollierte Banken lag, den massiven Rückgang an Exporteinnahmen praktisch wettgemacht. Die jährliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes stieg von 6 Prozent im ersten Quartal auf 8 Prozent im zweiten Quartal. Richard McGregor, ein Chinabeobachter der Londoner Financial Times (9. August) bemerkte: „Beijing hat es geschafft, die chinesische Wirtschaft durch ein massives steuerliches und geldpolitisches Konjunkturprogramm wieder flottzumachen“.

Dennoch hat die weltweite Wirtschaftsrezession die Bedingungen für jene Wanderarbeiter vom Lande massiv verschlechtert, die in Fabriken schufteten, die sich im Besitz ausländischer und chinesischer Offshore-Kapitalisten befinden und Leichtindustrieerzeugnisse für den Export produzieren. Viele mussten, zumindest vorübergehend, in ihre Dörfer zurückkehren, darunter Uiguren aus Xinjiang. Verarmte uigurische und auch Han-Jugendliche in den Dörfern und Städten Xinjiangs können jetzt ihre Lage nicht mehr verbessern, indem sie sich bei den im Besitz von Kapitalisten befindlichen Fabriken, die für den Export produzieren, eine Anstellung verschaffen. In diesem Sinne haben die grundlegenden Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems und die Anpassung des Beijinger stalinistischen Regimes an dieses System den nationalen Zwist zwischen Uiguren und Han-Chinesen in Xinjiang verschärft.

Auf ihre eigene Art und Weise erkennt die imperialistische Bourgeoisie an, dass China immer noch die sozialen und nationalen Errungenschaften der Revolution von 1949 verkörpert. Das Land gehört wie bisher nicht ihnen. Das Endziel der US-, europäischen und japanischen imperialistischen Mächte ist es, den Kapitalismus in China wiedereinzuführen und das Land erneut zu halbkolonialer Unterjochung zu degradieren. Bei der Verfolgung dieses Ziels haben die Imperialisten reaktionäre, nationalistische Kräfte mit Verbindungen zur Religion unter den Nicht-Han-Völkern – Tibetern und Uiguren – von Chinas westlichen Grenzregionen ermutigt und unterstützt. Daher muss die nationale Auseinandersetzung in Xinjiang zwischen Uiguren und Han in den übergeordneten Zusammenhang der imperialistischen Feindschaft gegenüber dem deformierten Arbeiterstaat China eingeordnet werden.

Stalinistische Missherrschaft und der nationale Konflikt in Xinjiang

Der spezifische Charakter der nationalen Unterdrückung in Xinjiang hat sich als Folge der Entwicklungen seit der Revolution von 1949 erheblich gewandelt. Damals waren 75 Prozent der Bevölkerung der Region Uiguren, weniger als 7 Prozent Han-Chinesen. Heute sind von den 21 Millionen Menschen in Xinjiang 45 Prozent Uiguren und 40 Prozent Han. Darüber hinaus ist die Han-Bevölkerung in den Städten konzentriert und hatte schon 1949 in der Provinzhauptstadt Ürümqi die Mehrheit gebildet.

Anfangs war die Einwanderung von Han in die relativ ärmliche, abgelegene Provinz Xinjiang das Ergebnis einer planmäßigen Regierungspolitik und besonderer Anreize gewesen. Doch etwa seit dem letzten Jahrzehnt erfuhr Xinjiang selbst nach chinesischen Maßstäben einen Wirtschaftsboom, der sich hauptsächlich aus der Erschließung seiner Öl- und Erdgaslagerstätten speiste. Offiziellen Zahlen zufolge verdoppelte sich zwischen 2004 und 2008 das Bruttoinlandsprodukt der Region von 28 Milliarden auf 60 Milliarden Dollar. Dieser Boom hat Han-Chinesen aller Klassen, von kapitalistischen Unternehmern bis zu ungelernten Arbeitern, angezogen, die ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen. Das heißt, die sich wandelnde demografische Lage ist nicht nur der Politik und den Absichten des KPCh-Regimes geschuldet, wenngleich die Uiguren sich beschweren, dass sie weiterhin selbst von ungelernter Arbeit ausgeschlossen werden.

Gleichzeitig haben der weitverbreitete Einsatz von Marktmechanismen in der Wirtschaft und der ausgedehnte private Sektor die Kluft zwischen den einheimischen Völkern und der wachsenden Anzahl von Han-Chinesen in den westlichen Grenzregionen verstärkt. Vor allem in Privatunternehmen, aber auch im staatlichen Sektor, beruht die Einstellung von Mitarbeitern oft auf Vetternwirtschaft, anderen persönlichen Beziehungen oder regelrechter Diskriminierung zu Gunsten der Han-Chinesen. Doch selbst wenn die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nur durch individuelle Fähigkeiten entschieden würde, hätten Han-Chinesen den Uiguren gegenüber immer noch einen Vorteil: Sie sind bei weitem qualifizierter und gebildeter, sie können vor allem fließend Mandarin sprechen, die Verkehrssprache Chinas.

Damit scheint der wirtschaftliche Boom des vergangenen Jahrzehnts in Xinjiang die Verbitterung der Uiguren gegenüber den Han-Chinesen als sozial privilegierter und politisch dominanter Nationalität eher verstärkt als abgeschwächt zu haben. Zwei China-Korrespondenten der Londoner Financial Times (7. Juli) berichten:

„Die Sanierung alter Städte und der Zuzug reicherer Han-Chinesen änderten die örtlichen Wirtschaftsstrukturen grundlegend, was viele Uiguren ihre traditionellen Arbeitsplätze kostete…

Währenddessen wuchs die Wirtschaft von Xinjiang in den letzten sechs Jahren um mehr als 11 Prozent jährlich, mehr als im nationalen Durchschnitt. Der durch dieses rasante Wachstum geschaffene Reichtum konzentrierte sich in den Taschen der neuen Immigranten und vergrößerte die Kluft zwischen Reich und Arm, Han und Uiguren, beklagen sich einige Einheimische.“

Die Feindschaft zwischen Uiguren und Han-Chinesen hat jahrhundertealte, historische Wurzeln. Doch diese Feindschaft ist durch die Auswirkungen stalinistischer bürokratischer Missherrschaft, vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten, verschärft worden. Gleichzeitig ist es wichtig anzuerkennen, dass die Uiguren, wie andere Arbeiter und ländliche Werktätige in ganz China, enorm von der fortschrittlichen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Volksrepublik nach 1949 profitiert haben. Seit der Revolution ist die Kindersterblichkeit in Xinjiang stetig gesunken, während die Lebenserwartung, die 1949 30 Jahre betrug, bis zum Jahr 2000 auf 67 Jahre angestiegen war.

Doch heute vergleichen junge Uiguren und Uigurinnen ihre Lebensbedingungen viel eher mit denen der Han-Neuankömmlinge und nicht mit denen ihrer Eltern und Großeltern. Und daran gemessen sind sie eindeutig benachteiligt. Sicherlich hat das stalinistische Regime sich bemüht, mehr Uiguren und andere Angehörige nationaler Minderheiten in die höheren Ebenen des Sozialgefüges einzugliedern. So bekommen uigurische Schüler bei den standardisierten Eignungsprüfungen für den Universitätszugang zusätzliche Punkte gutgeschrieben. Allerdings haben solche Maßnahmen angesichts der Tatsache, dass die Masse der Uiguren in ihren Heimatgebieten auf den untersten Stufen einer neu gestalteten Gesellschaft lebt, nur symbolischen Charakter.

Die chinesischen stalinistischen Führer, die vor allem darum bemüht sind, die soziale „Ordnung“ aufrechtzuerhalten, erkannten die Gefahr, die ihnen durch die wachsende Feindschaft der ärmeren Uiguren gegenüber den wohlhabenderen Han droht. Aber anstatt daranzugehen, die uigurische Bevölkerung innerhalb Xinjiangs auf das Niveau der Han zu erheben, bediente sich die KPCh des Sicherheitsventils der inneren Auswanderung zu den Fabriken und Baustellen des küstennahen Chinas.

Von 2002 an richtete die Regierung ein Arbeitskräfteexportprogramm für uigurische Jugendliche aus einkommensschwachen Familien ein. Dieses Programm bot den Teilnehmern beträchtliche Vorteile: zwei- oder dreifach so hohe Löhne, wie man sie zuhause verdienen konnte, Ausbildung an moderner Industrieausrüstung, Mandarin-Sprachkurse und kostenlose Gesundheitsversorgung. Aber es wurde auch staatlicher Zwang ausgeübt in Form von harten Geldstrafen für jene Uiguren, die sich trotz solcher materieller Anreize weigerten, ihr Zuhause zu verlassen, um Tausende Kilometer entfernt in fremden Städten zu arbeiten.

Es arbeiten schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen aus Xinjiang, vorwiegend Uiguren, anderswo in China. Doch dieses Sicherheitsventil wird jetzt durch die Auswirkungen der weltweiten kapitalistischen Rezession geschlossen. Berichten zufolge waren die Täter und die Opfer der Unruhen vom letzten Monat in Ürümqi, Uiguren wie Han, vor allem Arbeitslose und Saisonwanderarbeiter.

Was ist also zu tun? Eine Arbeiter- und Bauernregierung in China, die aus einer proletarisch-politischen Revolution hervorgeht, würde eine rational geplante und zentral gelenkte Wirtschaft auf der Grundlage staatseigener Unternehmen errichten. (Dies würde den Einsatz von Marktmechanismen zu bestimmten Zwecken und auch eine begrenzte Rolle des privaten Sektors, einschließlich des in ausländischem Besitz befindlichen, nicht ausschließen.) Nur ein solches System wäre in der Lage, die bestehende und sich ausweitende sozioökonomische Kluft zwischen Uiguren und Han in Xinjiang zu verkleinern. Damit Uiguren gleichberechtigt mit den Han-Chinesen im Gebrauch moderner industrieller Technologien ausgebildet werden, müssen dafür ausreichende Ressourcen in verstärktem Maße zur Verfügung gestellt werden. Doch zur Erreichung eines Niveaus materiellen Überflusses für alle Völker Chinas bedarf es letztendlich der Hilfe eines sozialistischen Japans oder eines sozialistischen Amerikas, was wiederum die Notwendigkeit einer internationalen proletarischen Revolution unterstreicht.

Entscheidend dafür, dass echte nationale Gleichheit in Xinjiang erreicht wird, ist es, die stalinistische Politik der erzwungenen Durchsetzung chinesischen Einflusses rückgängig zu machen, insbesondere das Bestreben, die uigurische Sprache zu Gunsten von Mandarin an den Rand zu drängen. Der KPCh-Chef von Xinjiang, Wang Lequan, erklärte Minderheitensprachen wie Uigurisch als „im 21. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß“ (New York Times, 10. Juli). Wang spricht hier die Sprache des Mandarinats des alten kaiserlichen Chinas, übersetzt in stalinistischen Nationalismus und Han-Chauvinismus von heute. Seit 2002 war an der Universität von Xinjiang wenigstens während der ersten beiden Studienjahre Mandarin die einzige Sprache, die in Lehrveranstaltungen verwendet wurde. Gleichzeitig haben Kinder von uigurischen Familien der unteren Klassen kaum die Möglichkeit, fließendes Mandarin zu lernen. Unter einer Arbeiter- und Bauernregierung würde es auf allen Ebenen der Ausbildung von der Vorschule bis zur Universität wirkliche Zweisprachigkeit geben. Uiguren könnten in allen wirtschaftlichen und politischen Einrichtungen ihre eigene Sprache genauso benutzen wie Mandarin, ob sie es nun mit Fabrikmanagern oder mit Regierungsbeamten zu tun haben.

Eine derartige Sprachenpolitik verlangen die Prinzipien des proletarischen Internationalismus – d. h. Gleichheit für alle Völker in allen Lebensbereichen. Das Beispiel, nach dem wir uns richten, ist das bolschewistische Regime unter der Führung von Lenin und Trotzki, das aus der Russischen Revolution von 1917 hervorging. Das zaristische Russland wurde von Lenin treffend als „Völkergefängnis“ beschrieben. Nach ihrer Machtübernahme verwirklichten die Bolschewiki die Politik, für die sie immer gekämpft hatten: Gleichheit für alle Völker, Ethnien und Sprachen, einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung für die unzähligen im Zarenreich unterdrückten Nationen.

In China macht die Han-Mehrheit etwa 90 Prozent der Bevölkerung aus. Nur eine dem proletarischen Internationalismus verpflichtete leninistisch-trotzkistische Partei kann den Han-Chauvinismus wirksam bekämpfen, unter anderem durch die Mobilisierung des Han-Proletariats zum Kampf für die Gleichheit aller Völker Chinas. Und nur solch eine Partei kann die Bestrebungen reaktionärer uigurischer, von den Imperialisten unterstützter Nationalisten und Islamisten bekämpfen, die den gerechtfertigten Groll der uigurischen Massen gegenüber der chinesischen stalinistischen Missherrschaft zu konterrevolutionären Zwecken auszunutzen versuchen.

Weltkongress der Uiguren:
eine Agentur des Imperialismus

Es liegt eine historische Ironie und tiefe politische Bedeutung in der Tatsache, dass sowohl uigurische Islamisten als auch die führende Person im Weltkongress der Uiguren ursprünglich von der chinesischen stalinistischen Führung finanziell unterstützt und gefördert wurden. In den 1970er-und 80er-Jahren unterhielt China eine strategische Allianz mit dem US-Imperialismus gegen die Sowjetunion, eine Politik, die von Mao Zedong initiiert worden war. Im Rahmen dieser reaktionären Allianz bildete das Beijinger Regime religiös gesinnte junge Uiguren (die sunnitische Muslime waren) aus und entsandte sie nach Afghanistan, damit sie sich den dortigen von der CIA unterstützten Mudschaheddin-Mörderbanden anschließen, die gegen die sowjetischen Truppen kämpften.

Damit unterstützte die chinesische Bürokratie kriminellerweise den amerikanischen Imperialismus, indem sie die Sowjetunion schwächte und unterminierte und dabei gleichzeitig dem konterrevolutionären Kreuzzug des Imperialismus gegen die UdSSR Vorschub leistete. Wir Trotzkisten begrüßten die Intervention der Roten Armee in Afghanistan, nicht nur als elementaren Ausdruck unserer bedingungslosen militärischen Verteidigung des sowjetischen degenerierten Arbeiterstaates, sondern auch als das einzige Mittel zur Verwirklichung sozialen Fortschritts – nicht zuletzt für die grauenvoll unterdrückten Frauen – im vorfeudalen Afghanistan.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991/92 wandte sich die Hauptmacht der militanten Islamisten, repräsentiert von Osama bin Ladens Al-Qaida, gegen ihre ehemaligen US-Herren. In ähnlicher Weise lenkten die uigurischen Heiligen Krieger, die in Afghanistan gekämpft hatten, ihr Feuer auf die Regierung der KPCh. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon vom 11. September 2001 bemerkte Jane’s Security News, die Verbindungen zum britischen Geheimdienst hat: „Die chinesische Strategie an dieser Front [Afghanistan] hatte für Beijing negative Konsequenzen, da die zurückkehrenden uigurischen Heiligen Krieger den bereits schwelenden Aufruhr für ein unabhängiges muslimisches Ostturkestan in Xinjiang anheizten“.

Tatsächlich kehrten die meisten der uigurischen Heiligen Krieger nicht nach China zurück. Die exilierten Islamisten könnten sehr wohl Verbindungen zu kleinen, undurchsichtigen uigurischen Terroristengruppen wie der Islamischen Ostturkestan-Bewegung haben, die in Xinjiang operiert. Tatsächlich hat die konterrevolutionäre Zerstörung der UdSSR in ganz Zentralasien zu einem Wiederaufstieg des islamischen Fundamentalismus geführt. Was die chinesische stalinistische Regierung anbelangt, so hat sie sich dem weltweiten „Krieg gegen den Terror“ verpflichtet und so wieder einmal die Imperialisten in Washington ermutigt, die jetzt die kommunalistischen Unruhen in Xinjiang ausschlachten, um ihre konterrevolutionären Bestrebungen gegenüber China voranzutreiben.

Weit wichtiger als die uigurischen islamistischen Terrorgruppen ist der Weltkongress der Uiguren wegen der Unterstützung, die er vom US- und auch vom deutschen Imperialismus erhält. Der WUC bekommt finanzielle Unterstützung von der National Endowment for Democracy in Washington, einer berüchtigten Tarnorganisation für die CIA. Die Hauptakteurin der Organisation ist eine gewisse Rebiya Kadeer, die sich selbst „Mutter der uigurischen Nation“ nennt. Kadeer begann ihre Karriere in China als erfolgreiche und wohlhabende Kapitalistin und wurde Mitglied des Nationalen Volkskongresses, des Parlaments des KPCh-Regimes, das Entscheidungen abnicken soll. Doch im Jahre 1997 fiel diese Ikone für Chinas neue Kapitalistenklasse in politische Ungnade, nachdem ihr Ehemann, der in die USA geflohen war, in Sendungen von Voice of America, dem offiziellen Regierungssender, für Ärger gesorgt hatte. Zwei Jahre später wurde sie, als sie im Begriff war, eine Delegation von US-Kongressmitarbeitern zu treffen, verhaftet und beschuldigt, „geheime Informationen an Ausländer weiterzugeben“. Bis 2005 war sie inhaftiert. Nach ihrer Freilassung zog sie nach Washington und betätigte sich im Bollwerk des Weltimperialismus. Mehr als einmal erhielt Kadeer eine Audienz bei George W. Bush, der sie prompt „Apostel der Freiheit“ nannte.

Die kommunalistischen Unruhen in Ürümqi fanden etwas über ein Jahr nach den mörderischen Angriffen von Tibetern unter der Führung buddhistischer Lamas gegen han-chinesische Einwohner in der Hauptstadt Lhasa statt (siehe „Konterrevolutionäre Unruhen in Tibet“, Spartakist Nr. 171, Mai 2008). Ein Großteil der westlichen bürgerlichen Medien zog Parallelen zwischen den beiden Ereignissen und verurteilte scheinheilig die chinesischen Kommunisten wegen ihrer Brutalität gegenüber den nationalen Minderheiten des Landes.

Es gibt Ähnlichkeiten, aber auch wichtige Unterschiede zwischen den han-feindlichen Unruhen im letzten Jahr in Tibet und der kommunalistischen Gewalt in Xinjiang im Juli. Die Ähnlichkeit besteht in dem reaktionären Charakter der vom Imperialismus unterstützten Exilkräfte, die vorgeben, die Völker der Tibeter und Uiguren zu vertreten. Der Unterschied liegt in dem tatsächlichen Einfluss, den diese Kräfte in den westlichen Grenzregionen Chinas in Wirklichkeit haben.

Der Dalai Lama floh 1959 nach der Unterdrückung eines von der CIA organisierten und bewaffneten lamaistisch-aristokratischen Aufstands nach Indien. Seither wurde er von seinen imperialistischen Herren und Meistern sozusagen zur obersten Inkarnation des Widerstands gegen die chinesische kommunistische Regierung erhoben. Der Dalai Lama ist eine politische Persönlichkeit von einiger Bedeutung auf der internationalen Bühne. Rebiya Kadeer vom WUC hat alles Erdenkliche versucht, um sich und ihre Sache mit Tibets „lebendem Gott“ zu identifizieren, der eine kurze Einleitung zu ihrer Autobiografie beisteuerte. Dennoch schenkten vor der kommunalistischen Gewalt vom Juli in Xinjiang nur wenige Menschen Kadeer und ihrer Gruppe Aufmerksamkeit, abgesehen von ihren CIA-Agentenführern.

In Tibet hatte die Politik des KPCh-Regimes dazu geführt, eine zahlenmäßig starke und verhältnismäßig wohlhabende buddhistische Priesterkaste wiederherzustellen. Die Lamas sind die Speerspitze sowohl der inneren Reaktion als auch imperialistischer Provokationen, wie der Unruhen vom vergangenen Jahr. Dagegen war es die Politik Beijings in Xinjiang, das Entstehen einer sozial und politisch einflussreichen islamisch-klerikalen Kaste zu verhindern. Moscheen müssen beim Staat registriert sein und Imame benötigen eine Regierungsgenehmigung. Im Moment existiert kein organisiertes Netzwerk islamischer Kleriker, das als effektive Verbindung zwischen den imperialistischen Feinden der Volksrepublik China und den unzufriedenen uigurischen Massen fungieren könnte. Nach allem, was man weiß, waren die Geschehnisse in Ürümqi im Juli vor allem ein spontaner Ausbruch ethnischen Hasses auf Seiten der beteiligten Uiguren, der durch deren relative wirtschaftliche Benachteiligung geschürt wurde.

Reformisten und die Xinjiang-Unruhen

Dem imperialistischen Kreuzzug zur konterrevolutionären Zerstörung des chinesischen deformierten Arbeiterstaats haben sich reformistische „Sozialisten“, wie die International Socialist Organization (ISO) in den USA, angeschlossen. Die ISO behauptet, China sei nie ein Arbeiterstaat gewesen, sondern seit 1949 „staatskapitalistisch“. Diese „Theorie“, die sie auch auf die ehemalige Sowjetunion angewendet hatte, ist ein Feigenblatt für jahrzehntelange antikommunistische Praxis zugunsten des Imperialismus. Die ISO heulte zusammen mit den Imperialisten gegen die sowjetische Intervention in Afghanistan. Als sich die sowjetischen Streitkräfte bei dem vergeblichen Versuch der Kremlbürokratie, den Imperialismus zu beschwichtigen, 1988/89 aus Afghanistan zurückzogen, freute sich die ISO hämisch, „wir [heißen] die Niederlage der Russen in Afghanistan willkommen. Sie wird all diejenigen ermutigen, die innerhalb der UdSSR und in Osteuropa die Herrschaft von Stalins Erben brechen wollen“ (Socialist Worker, Mai 1988). Drei Jahre später begeisterte sich die britische Socialist Workers Party (SWP), die ehemalige Stammgruppe der ISO: „Der Kommunismus ist zusammengebrochen… Diese Tatsache sollte für jeden Sozialisten Grund zum Jubel sein“ (Socialist Worker [Britannien], 31. August 1991).

In jüngerer Zeit stellte die ISO in einem Artikel mit dem Titel „The Changing Shape of Struggle in China“ ([Die sich wandelnde Form des Kampfes in China] Socialist Worker online, 9. Juli) das entsetzliche kommunalistische Blutvergießen in Xinjiang als „klassenbezogene Proteste“ dar und schwärmte groteskerweise, dass „die Revolte in Ürümqi bestätigt, dass weiterhin Basiskämpfe in immer größerem Umfang ausbrechen“.

Auf der anderen Seite des reformistischen Spektrums steht die Party for Socialism and Liberation (PSL). Ein Artikel auf ihrer Website vom 24. Juli, „Behind the Urumqui Riots in China“ [Hinter den Unruhen von Ürümqi], verurteilt zwar mit Recht die Imperialisten und ihre Medien, weil sie die Unruhen in Ürümqi für sich ausschlachten, ist aber praktisch eine Apologie der chinesischen Bürokratie. Mit wunderbarem Feingefühl erklärt die PSL, dass die „Beziehungen zwischen dem han-chinesischen und dem uigurischen Volk nicht gerade harmonisch“ sind. Sie erwähnt zwar, dass die „Marktreformen“ der KPCh zu „nationalistischen Rivalitäten“ geführt haben, verschweigt aber völlig den Han-Chauvinismus auf Seiten der chinesischen Bürokratie. Tatsächlich betrachtet die PSL die stalinistische Bürokratie als die Hauptbarriere gegen eine Konterrevolution, wenn sie in einem früheren Artikel (10. Februar) schreibt: „Die KPCh-Regierung bleibt trotz all ihrer Widersprüche das wichtigste Hindernis für die Rückführung Chinas in seinen früheren Zustand halbkolonialer Sklaverei.“

In Wirklichkeit wird die Verteidigung der proletarischen Staatsmacht in China durch die fortgesetzte Herrschaft der KPCh untergraben. Entgegen den Behauptungen der PSL bewahrt die Bürokratie das Staatseigentum nicht aus einer subjektiven Identifizierung mit dem Sozialismus heraus, sondern, wie Trotzki in Verratene Revolution (1936) in Bezug auf die Sowjetunion schrieb, „nur insofern sie das Proletariat fürchtet“ – d. h. um ihre privilegierte Position als parasitäre Kaste auf dem Rücken des Arbeiterstaates zu bewahren.

Für internationale proletarische Revolution!

Das KPCh-Regime verurteilt den Weltkongress der Uiguren als „separatistisch“. Tatsächlich rufen Kadeer & Co. im Moment nicht offen dazu auf, Xinjiang von China loszulösen und einen unabhängigen Staat zu gründen, obgleich dies offenkundig ihr Ziel ist. Die uigurischen Heiligen Krieger fordern ein unabhängiges „islamisches Ostturkestan“. Als proletarische Internationalisten betrachten wir die gegenwärtigen Staatsgrenzen Chinas nicht als unantastbar. Doch alle Kräfte, die heute ein unabhängiges Xinjiang befürworten oder unterstützen, befinden sich im Lager der kapitalistischen Konterrevolution. Darüber hinaus würde die Forderung nach einem unabhängigen Xinjiang, selbst wenn sie in eine noch so „demokratische“ Rhetorik gekleidet wäre, von jedem in der Region als Programm zur Vertreibung der Han-Bevölkerung verstanden werden.

Man kann sich eine fortschrittliche Lösung für den nationalen Konflikt in Xinjiang nur im Rahmen einer proletarisch-politischen Revolution in ganz China vorstellen. Diese würde historische Möglichkeiten eröffnen, die jetzt nicht existieren: regionale Autonomie in irgendeiner Form, selbst ein mit China verbündeter unabhängiger Staat.

Das chinesische stalinistische Regime Hu Jintaos erklärt eine „harmonische Gesellschaft“ zum Ziel seiner Politik und seines Handelns. Es ist eine grundlegende Prämisse des Marxismus, dass eine harmonische Gesellschaft nur durch die Überwindung wirtschaftlichen Mangels auf dem Weg zu materiellem Überfluss erreicht werden kann. Trotz seines rasanten Wirtschaftswachstums ist China, gemessen an internationalen Maßstäben, immer noch ein relativ armes Land. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt ein Zehntel dessen der Vereinigten Staaten und ein Siebtel dessen von Japan.

Das Überleben und die Weiterentwicklung von Chinas revolutionären Errungenschaften hängen letzten Endes vom Kampf für die sozialistische Revolution in Japan, Nordamerika und Westeuropa ab, fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Das ist der einzige Weg zur umfassenden Modernisierung Chinas im Rahmen einer international geplanten Wirtschaft. Eine proletarisch-politische Revolution, die ein China von Arbeiter- und Bauernräten hervorbringt, wäre ein Leuchtfeuer für die unterdrückten werktätigen Massen Asiens und der ganzen Welt. Das ist die Perspektive der Internationalen Kommunistischen Liga.