Spartakist Nr. 180

November 2009

 

Trotzkistischer Kampf für politische Revolution, Verteidigung der DDR

20. Jahrestag der vorrevolutionären Situation in der DDR

Spartakist-Flugblatt vom November 1989: „Für eine leninistisch-trotzkistische Arbeiterpartei! Arbeiterräte an die Macht!“

Das nachfolgend abgedruckte Spartakist-Flugblatt vom 15. November 1989 war das erste, das wir breit in der DDR verteilten. Bewaffnet mit dem trotzkistischen Programm, intervenierte die IKL massiv in die vorrevolutionäre Situation nach dem Fall der Mauer.

Arbeiter in der ganzen Welt, die die Wiedergeburt des wirklichen Kommunismus wollen, schauen auf die dramatischen Ereignisse in der DDR. „In Rußland wurde der Funke entfacht – in Deutschland wird es zur Flamme!“: diese Losung der KPD aus den 20er Jahren verkündete ein Banner auf der Massendemonstration am 4. November in Ostberlin. Die Entwicklungen in der DDR stellen die proletarische politische Revolution unmittelbar auf die Tagesordnung. Das bedeutet, die stalinistische Bürokratie rauszuwerfen und an ihrer Stelle wirkliche Arbeiterräte zu errichten, wie die, die in der Oktoberrevolution aufgebaut wurden, basierend auf dem vergesellschafteten Eigentum an Produktionsmitteln. Dies wiederum kann der Funke sein für die sozialistische Revolution im kapitalistischen Westen.

In der Nacht des 9. November strömten Ostberliner über die Grenze nach Westberlin. Außer einer Handvoll kehrten alle zurück. Kohl versuchte, auf einer „Siegeskundgebung“ in Westberlin zu sprechen, aber die Rede ging in Buhrufen und Pfiffen unter. Als er „Deutschland, Deutschland über alles“ im Chor singen wollte, sangen Brandt, Momper & Co. mit, doch es ging in einem neuen Pfeifkonzert unter. Und ein versuchter Nazi-Marsch zum Brandenburger Tor mit Republikaner-Führer Schönhuber an der Spitze wurde von demonstrierenden Massen unter Rufen von „Nazis raus!“ verhindert. Ostdeutsche Arbeiter jubeln darüber, daß die Mauer fällt, aber sie wollen keine revanchistische kapitalistische Wiedervereinigung.

Am 4. November hieß es auf einem Plakat: „Ungarn 56, China 89“, und das Gespenst, das umging bei der Bürokratie, war der Aufstand der ostdeutschen Arbeiter am 17. Juni 1953, der erste in Osteuropa gegen stalinistische bürokratische Herrschaft. Die westdeutschen Revanchisten haben ihr Bestes getan, den 17. Juni zu usurpieren, und die ostdeutsche Bürokratie hat die gleichen Lügen über den Aufstand verbreitet. Aber der 17. Juni gehört der deutschen Arbeiterklasse! An diesem Tag riefen die ostdeutschen Arbeiter ihre Klassenbrüder und -schwestern im Westen dazu auf, gegen ihre kapitalistischen Herren aufzustehen. Auf dem Bahnhof in Halle begrüßten Arbeiter Ankommende aus dem Westen mit dem Banner: „Räumt euren Mist in Bonn jetzt aus, in Pankow säubern wir das Haus!“ Ulbricht wurde nur durch sowjetische Panzer gerettet. In jedem Fall ist Verbrüderung mit der Roten Armee heute genauso nötig wie damals. Wo jetzt Bergarbeiter in Sibirien und Slask (früher Schlesien) gegen die verheerenden Auswirkungen der „Marktreformen“ streiken, können die ostdeutschen Arbeiter mit ihren Klassenbrüdern gemeinsame Sache machen und das Sprungbrett sein für proletarische politische Revolution in ganz Osteuropa und in der Sowjetunion.

Die Rote Armee zerschlug das Naziregime und errichtete östlich der Elbe einen bürokratisch deformierten Arbeiterstaat. Aber der Wiederaufstieg des deutschen Nationalismus und faschistischer Terror sind nicht auf den westdeutschen Nachfolgestaat des Dritten Reiches beschränkt. In Westdeutschland sind eingewanderte Arbeiter die ersten Opfer des faschistischen Terrors. Und jetzt finden ähnliche Angriffe in der DDR statt, z. B. auf vietnamesische Arbeiter. Feindseligkeit gegen eingewanderte Arbeiter, z. B. gegen Polen, kam sogar in den Massenprotestdemonstrationen zum Ausdruck, wie etwa in Dresden. Dem steht entgegen, was ein Banner am 4. November erklärte: „Für kommunistische Ideale! Keine Privilegien!“ Das bedeutet volle Staatsbürgerrechte für eingewanderte Arbeiter im Osten und im Westen!

Heute zeigt ein Flügel der ostdeutschen Sicherheitskräfte seine Unterstützung für die revanchistische kapitalistische Restauration unter der Rubrik deutscher Nationalismus: sie klonen eine neue Generation faschistischer terroristischer Skinheads und anderen Abschaum, deren Existenz zu leugnen die Bürokratie auf jede erdenkliche Weise versucht hat. Auf einem Banner eines antifaschistischen Blocks am 4. November war zu lesen: „Weimar: 160 Nazi-Skins organisiert auf Menschenjagd“. Sogar diese riesige Demonstration war am Rand mit Faschisten aus West und Ost infiziert. So wie die russischen Arbeiter Pamjat zerschlagen müssen, so müssen sich Arbeiter/Minderheiten in Ost- und Westdeutschland organisieren, um diesen Abschaum jetzt zu zerschmettern!

Am 10. November forderte eine Demonstration von 50 000 SED-Mitgliedern in Ostberlin „Kein Ausverkauf der DDR“, „für reelle Pläne“ und „Zurück zu Lenin“. Stalin hat die zentrale Planung in Verruf gebracht. Die ostdeutsche Wirtschaft ist die erfolgreichste in Osteuropa. Zwar skandieren Arbeiter: „Gorbi, Gorbi, hilf uns“, aber im großen und ganzen lehnen sie Gorbatschows „Perestroika“ und „Marktsozialismus“ ab, die vom Balkan bis zum Baltikum und zum Kaukasus Elend und nationale Konflikte wuchern lassen. Ostdeutsche Arbeiter sind keineswegs bereit, die sozialen Errungenschaften aufzugeben, die sie erarbeitet haben. Versuche, eine antikommunistische „freie Gewerkschaft“ im Stil von Solidarność zu gründen, sind kläglich gescheitert.

Die Arbeiter in der DDR haben die Streiks sowjetischer Bergarbeiter gegen Perestroika aufmerksam verfolgt. Die Fabrikkomitees, die die Bergarbeiter organisiert haben, sind im Keim wirkliche Arbeitersowjets, die der Schlüssel dazu sind, die Wirtschaftsplanung durch die Arbeiterklasse zu kontrollieren. Zwar gärt es gewaltig in den Betrieben, doch die Arbeiterklasse bleibt politisch atomisiert, d. h. bisher gab es keine Streiks, und die wären sofort politisch. Arbeiterräte müssen auf der Ebene der Produktion errichtet werden und Quantität und Qualität kontrollieren. Eine Input-Output-Analyse (entwickelt von dem in Rußland geborenen Ökonomen Leontief) – und zwar computergesteuert – kann es ermöglichen, daß Investitionen in Einklang stehen mit dem demokratisch kontrollierten Wachstum von Investitionen und Verbrauch.

Als am Freitag die Mauer zu fallen begann, stiegen die Aktien in Westdeutschland, weil die Frankfurter Bankiers und ihre Strohmänner von der SPD davon träumen, Ostdeutschland auszubluten, wie sie es mit Polen und Ungarn gemacht haben. Um die vergesellschafteten Eigentumsformen zu verteidigen und es mit dem Weltmarkt aufzunehmen, braucht die DDR eine stabile, leicht konvertierbare Währung (z. B. durch Gold gedeckt wie der sowjetische Tscherwonez 1923). Aber ein isolierter revolutionärer ostdeutscher Arbeiterstaat wäre doch noch durch die Macht billiger Waren bedroht, wie Marx warnte.

Es kann keinen wirklichen Sozialismus in einem halben Land geben, das mit einem ökonomisch sehr viel mächtigeren imperialistischen Nachbarn konfrontiert ist. Stefan Heym löste auf der riesigen Demonstration am 4. November Begeisterung aus, als er vom Podium aus sagte: „Der Sozialismus – nicht der Stalinsche, sondern der richtige – den wir endlich erbauen wollen, zu unserem Nutzen und zum Nutzen ganz Deutschlands, ist nicht denkbar ohne Demokratie.“ Die Verteidigung der vergesellschafteten Eigentumsformen in der DDR erfordert ihre Ausdehnung in den Westen. Das bedeutet die Enteignung der Frankfurter Bankiers durch proletarische Revolution im Westen und dabei haben eingewanderte Arbeiter eine Schlüsselfunktion. Wir Trotzkisten rufen auf zur revolutionären Wiedervereinigung Deutschlands durch sozialistische Revolution im Westen und proletarisch-politische Revolution im Osten. Aufgrund des strategischen Gewichts Deutschlands in Europa kann eine Wiedervereinigung, wenn sie nicht ein imperialistischer Moloch, ein Viertes Reich, sein soll, nur im Rahmen der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa stattfinden.

Die massenhaften Protestdemonstrationen, mit ihrer eindrucksvollen Disziplin, sind weiterhin von kleinbürgerlichen Kräften wie dem Neuen Forum und den Sozialdemokraten (SDP) dominiert. Am 4. November forderte das Neue Forum „freie Wahlen“ unter Aufsicht der UNO, d. h. des Imperialismus, während die SDP, genau wie Helmut Kohl, eine Rückkehr zur „Marktwirtschaft“ verlangte. Wenn die SPD und ihre diversen Anhänger über „demokratischen Sozialismus“ reden, meinen sie „demokratische“ Konterrevolution, deren Generalstab die SPD sein will. Während Kohl ausgebuht wurde, wurden Brandt und Momper bejubelt. Die Sozialdemokraten sind die Hauptgefahr für ostdeutsche Arbeiter.

Die Internationale Kommunistische Liga und ihre deutsche Sektion, die Trotzkistische Liga Deutschlands, stehen zur trotzkistischen Position, die sozialen Errungenschaften der Oktoberrevolution und deren Ausweitung von Ostberlin bis Havanna bedingungslos zu verteidigen gegen Imperialismus und innere Konterrevolution. Im Gegensatz dazu geben die als Trotzkisten getarnten Sozialdemokraten, wie etwa Ernest Mandel und der Bund Sozialistischer Arbeiter, diese Errungenschaften preis, wo sie auch immer unter Beschuß geraten. So unterstützten sie 1981 Solidarnośćs konterrevolutionären Griff zur Macht und verurteilten die sowjetische Intervention 1979 gegen die imperialistisch-gestützte klerikale Reaktion in Afghanistan.

Noch ist innerhalb der SED keine linke Opposition aufgetreten. Wohl aber kommt Unterstützung für wirklichen Kommunismus in der DDR zum Ausdruck, etwa in der Losung auf Plakaten am 4. November: „Für eine neue kommunistische Partei“. Wie 1953, so fehlt auch heute eine proletarische internationalistische Avantgardepartei, die um die Macht kämpft. Um eine solche Partei zu schmieden, muß man zum Bolschewismus Lenins und Trotzkis zurückkehren! Hoch lebe Rosa Luxemburg, die hervorragendste unter den Begründern des deutschen Kommunismus, ermordet von Freikorps auf Geheiß der SPD-Führung! Die Deutsche Revolution, im Osten und im Westen, braucht eine leninistisch-trotzkistische Arbeiterpartei!