Spartakist Nr. 182

März 2010

 

Zitat

Frauenbefreiung und sozialistische Revolution

Zum Internationalen Frauentag bringen wir nachstehend Auszüge aus der Geschichte der Russischen Revolution von Leo Trotzki über die Demonstration am 8. März 1917 (alter Kalender: 23. Februar), als Arbeiterinnen in Petrograd Forderungen nach Brot und gegen den Ersten Weltkrieg erhoben. Dies war der Beginn der Februarrevolution und führte zum Sturz von Zar Nikolaus II. Neben der bürgerlichen Provisorischen Regierung entstanden Arbeiter- und Soldatenräte: eine Situation der Doppelherrschaft. Die Bolschewiki kämpften für Machtergreifung der Unterdrückten, einschließlich der Frauen, mittels dieser Räte. Die Bolschewiki waren die besten Kämpfer für Frauenbefreiung, da sie verstanden, dass die Befreiung der Frauen untrennbar verbunden ist mit der Befreiung der Arbeiterklasse insgesamt. Der Weg zur Machteroberung durch die Arbeiter führte über eine Reihe von Kämpfen auch innerhalb der Partei, wie sie Lenin mit „Briefen aus der Ferne“ und den „Aprilthesen“ begonnen hatte. Siehe auch: „Russische Revolution und Emanzipation der Frauen“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 25, Frühjahr 2006.

Der 23. Februar war internationaler Frauentag. In sozialdemokratischen Kreisen war geplant, ihn in üblicher Weise, durch Versammlungen, Reden und Flugblätter, auszuzeichnen. Keinem kam in den Sinn, dass der Frauentag zum ersten Tag der Revolution werden sollte. Nicht eine einzige Organisation rief an diesem Tage zu Streiks auf. Mehr noch, die bolschewistische Organisation, und zwar eine der aktivsten, das Komitee des durchweg proletarischen Wyborger Bezirks, hielt entschieden vor Streiks zurück. Nach dem Zeugnis Kajurows, eines der Arbeiterführer dieses Bezirkes, war die Stimmung der Massen sehr gespannt, jeder Streik drohte in einen offenen Zusammenstoß umzuschlagen. Da aber das Komitee der Ansicht war, die Zeit für Kampfhandlungen sei noch nicht gekommen, die Partei noch nicht genügend gefestigt, die Arbeiter hätten mit den Soldaten zu wenig Verbindungen, beschloss es, nicht zum Streik aufzurufen, sondern Vorbereitungen zu treffen für ein Hervortreten in einer unbestimmten Zukunft. Diese Linie vertrat das Komitee am Vorabend des 23. Februar, und es schien, dass alle sie billigten. Am andern Morgen jedoch traten den Direktiven zuwider die Textilarbeiterinnen einiger Fabriken in den Ausstand und entsandten Delegierte zu den Metallarbeitern mit der Aufforderung, den Streik zu unterstützen. „Schweren Herzens“, schreibt Kajurow, gingen die Bolschewiki darauf ein, denen sich die menschewistischen und sozialrevolutionären Arbeiter anschlossen. Wenn aber Massenstreik, dann müsse man alle auf die Straße rufen und sich selbst an die Spitze stellen […] „Der Gedanke an eine Aktion reifte in den Arbeitern schon längst, nur ahnte in diesem Augenblick niemand, welche Formen sie annehmen würde.“ Merken wir uns dieses Zeugnis eines Teilnehmers, das für das Verständnis der Mechanik der Ereignisse sehr wichtig ist. […]

Die Tatsache bleibt also bestehen, dass die Februarrevolution von unten begann nach Überwindung der Widerstände der eigenen revolutionären Organisationen, wobei die Initiative von dem am meisten unterdrückten und unterjochten Teil des Proletariats, den Textilarbeiterinnen, unter denen, wie man sich denken kann, nicht wenig Soldatenfrauen waren, spontan ergriffen wurde. Den letzten Anstoß gaben die immer länger werdenden Brotschlangen. Ungefähr 90 000 Arbeiterinnen und Arbeiter streikten an diesem Tage. Die Kampfstimmung entlud sich in Demonstrationen, Versammlungen und Zusammenstößen mit der Polizei. Die Bewegung entwickelte sich im Wyborger Bezirk mit seinen großen Betrieben […]. An diesem Tage zog man bereits Truppenteile, wenn auch in geringer Zahl, zur Unterstützung der Polizei heran, es kam aber nicht zu Zusammenstößen mit ihnen. Eine große Menge Frauen, und zwar nicht nur Arbeiterinnen, zog zur Stadtduma mit der Forderung nach Brot. Das war dasselbe, wie von einem Bock Milch zu verlangen. Es tauchten in verschiedenen Stadtteilen rote Banner auf, deren Aufschriften besagten, dass die Werktätigen Brot wollen, aber nicht mehr das Selbstherrschertum und den Krieg. Der Frauentag verlief erfolgreich, mit Schwung und ohne Opfer. Was er aber in sich barg, das ahnte am Abend noch niemand.

Leo Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution, Erster Teil: Februarrevolution (1930)