Spartakist Nr. 196

Januar 2013

 

Nieder mit der EU! Für ein Arbeitereuropa!

Solidarität mit griechischen Arbeitern heißt Klassenkampf im eigenen Land!

Am 14. November 2012 streikten mehrere Millionen Arbeiter vor allem in Spanien und Portugal. In Spanien legten sie die Produktion in den Autofabriken von VW, SEAT, Opel und Nissan weitestgehend lahm. Aber auch in Italien gingen Zehntausende auf die Straße und in Belgien wurde der Bahnbetrieb von den Arbeitern stillgelegt. In Griechenland hatten die Arbeiter schon im Oktober einen zweitätigen Generalstreik durchgeführt. Die Proteste richten sich gegen die von der EU diktierte Sparpolitik, hinter der insbesondere der deutsche Imperialismus steht.

Aufgerufen hatte der Europäische Gewerkschaftsbund, in dem auch der DGB Mitglied ist. In Deutschland aber, wo eine Solidaritätsaktion der Gewerkschaften mit den unterdrückten und in Massenarbeitslosigkeit und Armut gestürzten Arbeitern und Jugendlichen Südeuropas besonders wichtig gewesen wäre, beschränkten sich die Gewerkschaften auf kleine bestenfalls symbolische Kundgebungen. Der IG- Metall-Vorsitzende Berthold Huber, SPD-Mitglied, hatte schon im Vorfeld in einem Interview mit dem Schwäbischen Tagblatt den spanischen Gewerkschaften die Schuld an der Lage in Spanien gegeben, als er diese angriff, zu hohe Löhne durchgesetzt zu haben und damit die „Wettbewerbsfähigkeit“ der spanischen Industrie unterminiert zu haben. In Spanien hat es infolge der Krise mehr als 200 000 Zwangsräumungen gegeben und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 50 Prozent. Huber wandte sich damit nicht nur gegen die dringend notwendige Solidarität der Arbeiter der verschiedenen Länder gegen ihre Kapitalistenklasse, sondern bezeugte auch seine Solidarität mit den Ausbeutern der Arbeiterklasse in Deutschland.

Die vielgepriesene „Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Industrie ist tatsächlich erkauft mit Reallohnverlusten der Arbeiterklasse hier und mit einer sozialen Demontage, die von Hubers Genossen der SPD über die Agenda 2010 und Hartz IV durchgeführt wurde und inzwischen zu einem Niedriglohnsektor geführt hat, wo Millionen nicht mehr von ihren Löhnen leben können, während sie Vollzeit arbeiten. Die Arbeiterklasse hier hat jedes Interesse, die nach unten gerichtete Lohnspirale in Deutschland und in den anderen Ländern der EU zu durchbrechen, weil sonst die nächste Lohnsenkung auch hier direkt vor der Tür steht. Die Top-Gewerkschaftsbürokratie vertritt mit ihrer Standort-Deutschland-Politik die Interessen der Kapitalisten und nicht der Arbeiter. Für klassenkämpferische Industriegewerkschaften! Klassenkämpferische Solidarität mit den Arbeitern Europas! Brecht mit sozialdemokratischem Reformismus! Für eine revolutionäre Gewerkschaftsführung!

Nachfolgend drucken wir die leicht überarbeitete Rede unserer Genossin Sylvia von einer Veranstaltung der SpAD zu Griechenland am 8. September in Berlin.

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Zwischen November letzten und Juli diesen Jahres bin ich ein paar Mal in Griechenland gewesen. Obwohl die Sparprogramme schon eine ganze Weile liefen, waren die Auswirkungen im November letzten Jahres noch nicht so sichtbar. Dagegen hatten im Mai und mehr noch im Juli/August schon sehr viele Veränderungen stattgefunden. Ich rede nicht von den Häusern, die im Zuge von Protestdemos im Zentrum Athens abbrannten und nicht wieder aufgebaut wurden, sondern davon, dass man nun wirklich Verzweiflung in den Gesichtern der Menschen sah und an der Kleidung zunehmende Armut.

Ich habe ein paar Jahre in Griechenland gelebt, und Obdachlosigkeit, die es früher nur selten gab, hat jetzt richtig zugenommen. Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen liegt nun bei 50 Prozent, was natürlich in Spanien schon seit Jahren so läuft, aber in der griechischen Gesellschaft nicht so war. Wenn ich in Athen bin, mache ich immer eine Tour durch meine alten Bezirke und guck mir die Läden und Leute an. Im November war vielleicht jeder vierte Laden bankrott, ein Bäcker oder ein Zooladen. Jetzt im Juli/August war es nun schon mindestens jeder dritte, in manchen Straßen gar jeder zweite.

Die drastischen Veränderungen wurden deutlicher, wenn man mit Leuten auf der Straße oder mit Freunden redete. Am Gesundheitswesen wird das offensichtlich. An jedem öffentlichen Gebäude und speziell an Krankenhäusern gibt es große Proteste, und Anfang dieser Woche stürmte eine Gruppe von Rentnern wütend das Gesundheitsministerium, weil sie ihre Medikamente selbst bezahlen müssen. Der Staat zahlt nicht, hat kein Geld, und schon seit einer Weile ist für viele, die früher gerade so überlebten, die Grenze zur absoluten Armut überschritten. Zu den ganzen Streichungen von Arbeitsplätzen kommen die massiven Lohnkürzungen für diejenigen, die noch Arbeit haben, hinzu. In manchen Bereichen betrugen sie 25 Prozent. Auch die Renten sind gekürzt worden.

Und das alles geschieht auf Forderung der EU und der sogenannten Troika. Das ist eine Gruppe aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU und Internationalem Währungsfond (IWF), die wirklich sicherstellen will, dass jeder Cent für deutsche und französische Banken und Versicherungen von der griechischen Arbeiterklasse abgezahlt wird. Nachdem letzten November der damalige Ministerpräsident Georgios Papandreou den Vorschlag gemacht hatte, ein Referendum über das Troika-Spardiktat abzuhalten, war er innerhalb weniger Tage weg vom Fenster. Er wurde durch einen Technokraten namens Loukas Papadimos ersetzt, der interessanterweise auch mal Vize-Chef der EZB war.

Seitdem gab es zwei Wahlen, bei denen man sehen konnte, dass sich das traditionelle Wahlverhalten geändert hat. Wenn früher entweder die Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok) oder die konservative Nea Dimokratia (ND) gewählt wurde, regiert jetzt seit den letzten Wahlen im Juni eine Koalition aus ND, Pasok und der Demokratischen Linken (Dimar). Aber Syriza, die sogenannte Koalition der Radikalen Linken, der ehemalige Eurokommunisten, Maoisten und eine Reihe von pseudotrotzkistischen Gruppen angehören, ist eben in beiden Wahlen zweitstärkste Kraft geworden. Früher war Syriza eine, was Stimmen angeht, relativ unbedeutende Gruppe, doch im Mai bekamen sie 16 Prozent und im Juni über 26 Prozent. Selbst Sympathisanten und Mitglieder der Kommunistischen Partei (KKE) haben Syriza gewählt, hauptsächlich als kleineres Übel.

Es ist eine politisch sehr polarisierte Situation in Griechenland. Zwar ist die Wahlbeteiligung im Laufe der Jahre immer weiter runtergegangen, 2004 lag sie bei 76 Prozent und jetzt bei 62 Prozent, aber überall erlebt man auf der Straße politische Diskussionen, ob man nun auf einen Kaffee geht oder Zigaretten kauft. Die Leute sind sehr politisiert, sehr wütend und die meisten, die vorher nie Syriza gewählt haben, haben nun für diese Partei gestimmt, weil sie sie als das kleinere Übel ansehen.

Für Arbeitereinheitsfrontaktion, um die Faschisten zu stoppen!

In dieser zunehmenden Krise werden Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus wirklich angeheizt. Sündenböcke werden gesucht und die Jagd auf Immigranten hat seit den Juniwahlen ungeahnte Ausmaße erreicht. Die Faschisten der Chrysi Avgi, der „goldenen Morgenröte“, haben in beiden Wahlen etwa 7 Prozent bekommen. Sie haben relativ große Unterstützung von Armee und Bullen. Etwa die Hälfte der griechischen Polizei hat bei den Maiwahlen für Chrysi Avgi gestimmt, wie eine Wahlanalyse der griechischen Zeitung To Vima (11. Mai) herausfand. Chrysi Avgi steht in einer Linie mit den berüchtigten konterrevolutionären Terrorbanden der Nazi-freundlichen Sicherheitsbataillone sowie der Organisation X (griechisch Chi ausgesprochen) von Oberst Georgios Grivas, die im Zweiten Weltkrieg und dem anschließenden Bürgerkrieg Kommunisten ermordeten.

Und da kommen wir auch zum Kern: Was ist Faschismus? Die Faschisten sind eine Bürgerkriegspartei und kein Wahlphänomen. Sie werden von der Bourgeoisie in Reserve gehalten. Man kann in Griechenland heute graphisch sehen, dass Faschismus ein Produkt des zerfallenden Kapitalismus ist, der sich in Krisenzeiten aus Arbeitslosigkeit und Armut nährt. Für uns als Marxisten ist daher klar, dass Faschismus nur ausgerottet werden kann, wenn das System der Lohnsklaverei beseitigt wird. Und dafür ist die Arbeiterklasse entscheidend, die ihre Hand an der Grundlage der modernen Gesellschaft, den Fabriken, hat, wo sie die Profite der Bourgeoisie erschafft. Um sie zum Bewusstsein ihrer historischen Aufgabe des Sturzes des Kapitalismus zu bringen, braucht es eine revolutionäre Partei.

Unsere Genossen der Trotzkistischen Gruppe Griechenlands (TGG) haben mir mit Entsetzen berichtet, wie extrem der Terror gegen Immigranten, „Illegale“, Nicht-Griechen zugenommen hat. Der Balkan ist ja ein Gebiet von gemischten Völkern. Von den 10 Millionen Einwohnern Griechenlands haben vielleicht eine Million albanischen Hintergrund, viele davon sind Teil der Arbeiterklasse. Der Terror gegen Immigranten geht Hand in Hand mit staatlichen Repressionen. Der Staat hat Lager eingerichtet und führt im Rahmen einer Operation mit dem zynischen Titel „Xenios Zeus“ („Zeus, Schützer der Gäste und Gastfreundschaft“) Massenverhaftungen durch. Anfang August wurden in Athen 2000 Leute festgenommen und ähnliche Aktionen gab es auch in größeren Städten wie Patras und Salonika. Bis Ende August wurden über 12 000 verhaftet oder eingesperrt. Die „Spezialeinheiten für die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung“ (MAT) der griechischen Polizei gingen in Städte, verhafteten die Leute und arbeiteten dabei Hand in Hand mit zumeist faschistischen Bürgerwehren, die es in einigen Städten gibt.

Im August wurde im Fernsehen von einem Typen berichtet, der zwei Albaner erschossen hatte. Normalerweise kommt man bei Verdacht auf Totschlag oder Mord in Untersuchungshaft. Das war bei ihm nicht der Fall. Gleichzeitig gibt es dann „Werbung“ im Fernsehen, wo angeblich glückliche „Illegale“ mit Plastiktüten in den Sammellagern gezeigt werden, die dann abgeschoben werden. Das sind sehr zynische Kampagnen von rassistischen Organisationen. Im Juli griff ein Faschist von Chrysi Avgi im Fernsehen eine Vertreterin von Syriza und eine Abgeordnete der KKE physisch an. Das rief natürlich überall Aufruhr hervor. Syriza hat sofort protestiert und einige Demos organisiert. Wir waren bei einer, die von der SEK, der griechischen Schwesterorganisation von Marx21, also Cliff-Anhängern, organisiert wurde. Die Demo war relativ klein, fast nur ihre eigenen Mitglieder. Sie forderten eine staatliche Untersuchung der Verbindung von Faschisten und Polizei, was nur Illusionen schafft, der kapitalistische Staat könnte mit den Faschisten aufräumen.

Aber was wirklich dringend notwendig ist, sind Verteidigungsaktionen mit der breitest möglichen Beteiligung der Arbeiterklasse gemeinsam mit den Opfern der Angriffe, um die Faschisten zu zerschlagen. In den Bezirken mit hohem Immigrantenanteil müssen Arbeiterverteidigungsgruppen den Angriffen Einhalt gebieten. Spitzt sich die Krise weiter zu, könnten solche Arbeitermilizen der bewaffnete Arm von Arbeiterräten werden. Die KKE, die sich selbst im Fadenkreuz des faschistischen Terrors befindet, hat über die von ihr geführte Gewerkschaft PAME die Verankerung und Autorität in der Arbeiterklasse, um in Einheitsfrontaktionen mit den anderen Gewerkschaften GSEE und ADEDY die Nazis zu stoppen. Aber sie hat ein reformistisches Programm der Klassenzusammenarbeit, das sie daran hindert. So war die Reaktion der KKE auf diesen faschistischen Angriff auf ihre eigene Abgeordnete, die Wähler der Nazis aufzurufen, ihre Stimme der KKE zu geben. Das ist unglaublich, bringt aber direkt den Nationalismus, Populismus und auch Wahlkretinismus der KKE auf den Punkt.

Es braucht eine revolutionäre leninistisch-trotzkistische Partei, die sich auf die Arbeiterklasse stützt. Sie muss Volkstribun aller Unterdrückten sein im Gegensatz dazu, auf nationalistischer Ebene um Stimmen zu buhlen. Nationalismus und Populismus sind keine Waffen, um Faschismus zu bekämpfen, sondern im Gegenteil Gift für die Arbeiterklasse. Die Ideologie des Faschismus ist extremer nationaler Chauvinismus gemischt mit Populismus. Der Populismus, den man in Griechenland in allen Parteien findet, hat seine soziale Ursache in der Schwäche der griechischen Bourgeoisie, die abhängig ist vom Imperialismus (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, USA), der ein kleines militantes Proletariat gegenübersteht, und der Existenz einer sehr großen Schicht des Kleinbürgertums. Der Großteil der Wirtschaft basiert auf dem Kleinbürgertum. Es gibt viele Familienbetriebe, das Land lebt von Tourismus und Landwirtschaft. Industrieproduktion gibt es, aber verhältnismäßig wenig.

Griechenland wurde 1832 gegründet und ist von Anfang an von Großmächten abhängig gewesen. Bei der Gründung war nicht mal ein Grieche dabei, sondern Russen, Briten und Franzosen, die damaligen Großmächte auf dem Balkan, haben dieses Land aus dem zerfallenden Osmanischen Reich herausgeschnitten und an die Spitze einen bayrischen König gesetzt. Bis Anfang der 1920er-Jahre war es ein überwiegend agrarisches Land und hatte fast keine Arbeiterklasse. In den Kriegen mit der Türkei kam es zu massiven Zwangsumsiedlungen von griechischer und türkischer Bevölkerung, die bis heute im kollektiven Gedächtnis lebendig sind. Vielleicht ist ja Genossen bekannt, was in Smyrna passierte, wo die griechische Bevölkerung massakriert wurde, während britische Schiffe tatenlos vor Anker lagen und zusahen. Gleichartige Verbrechen passierten auch von griechischer Seite, wo türkische Familien vertrieben wurden. Beide Seiten haben sich an Brutalität überhaupt nichts genommen.

Mit der Zeit entwickelte sich eine Arbeiterklasse in Griechenland. Die griechische Bourgeoisie ist extrem reich, es sind meistens Reeder und Banker. Ungefähr 900 griechische Familien halten 20 Prozent der internationalen Handelsmarine. In den letzten Monaten und Jahren haben sie ihr Geld in die Schweiz oder sonst wohin gebracht, was ihnen durch den Euro erleichtert wurde. Die Profite sind übrigens laut griechischer Verfassung steuerfrei.

Nach der Gründung war Griechenland für Großbritannien ein wichtiges diplomatisches Werkzeug, erst gegen das zaristische Russland und dann gegen die Sowjetunion. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und nach dem griechischen Bürgerkrieg wurde Großbritannien von den USA abgelöst. Griechenland spielte eine wichtige Rolle im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion, und sowohl Griechenland als auch die Türkei erhielten relativ hohe Unterstützung durch den Marshallplan. Bemerkenswert ist auch, dass Griechenland das einzige Balkanland ist, das kein deformierter Arbeiterstaat wurde.

Für proletarischen Internationalismus

Wie ich schon gesagt hatte, ist die griechische Arbeiterklasse relativ klein, aber auch militant. Das unterstreicht die Notwendigkeit, dass sie sich Verbündete außerhalb suchen müssen, wie zum Beispiel ihre Klassenbrüder in der Türkei, auf dem Balkan und in Deutschland. Wenn man aber Nationalismus predigt wie die KKE, dann unterminiert man diese internationale Solidarität und auch deswegen sehen wir den Nationalismus als hauptsächliches ideologisches Hindernis im Kampf für Sozialismus in Griechenland. Ein Beispiel: nach dem Zerfall Jugoslawiens Anfang der 1990er-Jahre benannte sich die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien in Republik Mazedonien um, was eine Riesenwelle von Chauvinismus in Griechenland hervorrief. Und die KKE schrieb damals: „Wir erlauben nicht, dass ausländische Nationalisten auch nur einen Zentimeter griechischen Bodens beanspruchen.“

Mazedonien wird heute in Griechenland tatsächlich nie bei seinem wirklichen Namen, sondern nur FYROM (Former Yugoslav Republic of Macedonia) genannt. Wir von der IKL sind definitiv für das Recht auf Selbstbestimmung für Mazedonien, einschließlich des Rechts der griechischen Mazedonier, sich abzutrennen und Mazedonien anzuschließen. Die Region im Norden des Landes bei Saloniki wird auf Griechisch Mazedonien genannt und daher fürchtet die griechische Bourgeoisie, man könnte ihr diesen Teil „ihres“ Landes wegnehmen, wenn es das Selbstbestimmungsrecht für die griechischen Mazedonier gäbe. Und in Diskussionen erlebst du, dass das eine ganz heikle Frage ist, egal welche politische Couleur deine Diskussionspartner haben. Entweder gehen sie gleich auf 180 oder sie reden gar nicht erst mit dir darüber. Jemanden zu finden, dem Sozialismus und Opposition zu nationaler Unterdrückung wichtiger sind als die durch Kriege und Vertreibungen gezogenen Grenzen eines kapitalistischen Griechenlands, ist sehr schwierig. Das zeigt, dass Nationalismus eine der Kernfragen ist.

Nieder mit der imperialistischen EU!

In Deutschland gab es leider sehr wenige Solidaritätsaktionen mit der griechischen Bevölkerung. Das liegt unter anderem daran, dass SPD und Linkspartei und die von ihnen geführten Gewerkschaften die Europäische Union unterstützen, ein ganz klassisches Beispiel von Klassenzusammenarbeit. So warnte Helmut Schmidt von der SPD vor einer Rückkehr zum Nationalismus, falls die EU zerbrechen würde, und Sarah Wagenknecht von der Linkspartei erklärte, dass der Euro verteidigt werden sollte. Damit sollen auch mögliche Proteste der deutschen Arbeiterklasse hinter die Bourgeoisie kanalisiert werden. Wir von der IKL sind aus Prinzip gegen die Europäische Union und kämpfen für ihre Zerstörung durch internationalen Klassenkampf. Wir gehen aus der Perspektive der Interessen der Arbeiterklasse an diese Frage heran und sind für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Die EU ist ein Instrument der europäischen Kapitalisten zur Ausbeutung der Arbeiterklassen Europas. Sie wird hauptsächlich durch die Achse der imperialistischen Mächte Deutschland und Frankreich geführt.

Der Euro ist ein Fiskalinstrument der EU. Durch ihn hat Griechenland wie auch andere kleinere kapitalistische Länder keine Kontrolle über seine Währung. Sie können ihre Währung nicht abwerten, um ihre Schulden unter Kontrolle zu halten und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Vielleicht wäre Griechenland besser dran ohne den Euro, obwohl eine eigene Währung der Arbeiterklasse auch keinen Schutz vor Wirtschaftsabschwung und kapitalistischer Verwüstung bietet.

Die EU entstand in den Fünfzigern als Wirtschaftsbündnis der Imperialisten gegen die Sowjetunion. Geschaffen durch die Enteignung der Kapitalistenklasse und Kollektivierung der Produktionsmittel in der Oktoberrevolution von 1917 blieb die Sowjetunion trotz ihrer späteren bürokratischen Degeneration unter Stalin ein Arbeiterstaat. Wir Trotzkisten verteidigten die Sowjetunion bedingungslos militärisch gegen Imperialisten und innere Konterrevolution und kämpften für proletarisch politische Revolution, um die Stalinisten zu stürzen. Darum waren wir aus Prinzip von Anfang an gegen die Europäische Union.

Die momentane Krise wirft ein Schlaglicht auf das Zeitalter des Imperialismus. Man sieht, wie die Länder immer enger mit dem Weltmarkt verbunden sind, die Industrie in Monopolen konzentriert ist und wie das alles eine materielle Grundlage für die sozialistische Reorganisation der Gesellschaft bietet. Gleichzeitig basiert der Kapitalismus auf Nationalstaaten, die bei der weltweiten Jagd nach Profiten und neuen Ausbeutungssphären miteinander in Konflikt geraten. Der Nationalstaat stellt damit eine Fessel für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte dar. Für die Arbeiterklasse und die Unterdrückten gibt es nur einen Ausweg und das ist der Weg vorwärts zur sozialistischen Revolution, die die Bourgeoisien enteignet und eine internationale Planwirtschaft unter Arbeiterherrschaft errichtet. Jeder Kampf gegen die Sparmaßnahmen, ob nun in Griechenland oder in Spanien, ist ein europäischer, internationaler Kampf. Widerstand gegen die Europäische Union kann nur ein Ausgangspunkt sein, denn die Ursache der Krisen liegt im kapitalistischen Weltsystem und die Lösung besteht darin, dass man es stürzt.

Die deutsche Bourgeoisie fordert unnachgiebig die Umsetzung ihres Spardiktats. Wenn damit die ausländischen Märkte zusammenbrechen, schießt sie sich mit ihrer exportorientierten Wirtschaft letztlich selbst ins Knie. Und auch bei der schon erwähnten Hauptachse der Europäischen Union, Frankreich und Deutschland, gibt es Differenzen. Frankreich leidet unter den Exportüberschüssen Deutschlands und hatte 2010 ein Leistungsbilanzdefizit von 32 Milliarden Euro, wogegen Deutschland 73 Milliarden Euro Überschüsse gegenüber der Eurozone aufwies.

Zum jetzigen Spardiktat hat auch die ganze nationalistische „Standort-Deutschland“-Politik von SPD und Gewerkschaften beigetragen. Eine ihrer Ausgeburten ist die Agenda 2010 mit ihren Lohnkürzungen, Ausbau der Leiharbeit usw. Andere europäische Kapitalisten sehen, wie sie die Profitrate der deutschen Bourgeoisie nach oben getrieben hat, und halten das für ein ganz akzeptables Vorbild für ihre Länder. Umgekehrt sind auch die Angriffe auf die griechische Arbeiterklasse ein Muster für Angriffe anderswo. Das betrifft heute Länder wie Spanien, Irland, Portugal, wird aber im Krisenfall genauso in Deutschland und Frankreich versucht werden.

Der antigriechische Chauvinismus in Deutschland hat wirklich zugenommen, jeder hier hat das ja miterlebt im letzten halben Jahr. Er dient der Klassenzusammenarbeit, jegliche Anzeichen von Solidarität sollen damit überkleistert werden. Wir kämpfen natürlich für Solidarität mit den griechischen Arbeitern und generell mit den Opfern der EU-Politik, von der „unsere“ Ausbeuterklasse so vortrefflich profitiert.

Nach den Juni-Wahlen wurde eine Regierungskoalition von ND, Pasok und Dimar gebildet. Syriza wurde knapp Zweiter. Die KKE erreichte etwa 4,5 Prozent der Stimmen im Gegensatz zu 8 Prozent bei der vorherigen Wahl. Sie gab relativ offen zu, dass ihre eigene Mitgliedschaft teilweise Syriza gewählt hatte. Syriza ist angetreten mit einer Kampagne gegen das Austeritätsmemorandum und sie haben für Neuverhandlungen über die Bedingungen der Troika argumentiert. Der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras hat ökonomische und politische Stabilität versprochen und ist für eine Zusammenarbeit mit der Troika, um die griechischen Banken mit neuem Kapital zu versorgen. Das ist nichts Revolutionäres, Griechenland soll weitermachen wie bisher.

Syriza sind ehemalige Eurokommunisten, Anhänger einer Strömung der 70er/80er-Jahre in den westeuropäischen stalinistischen KPen, die mit der Sowjetunion nichts mehr zu tun haben wollte. Inzwischen machen auch einige maoistische und pseudotrotzkistische Gruppen bei Syriza mit. Viele reformistische Gruppen innerhalb und außerhalb Griechenlands haben die Arbeit von Wasserträgern für Syriza übernommen. Zum Beispiel die Grant-Anhänger von Marxistiki Foni, die Cliff-Anhänger von DEA, die mit der amerikanischen ISO verbunden sind, und die schon erwähnten Cliff-Anhänger der SEK, die mit Marx21 und der britischen SWP liiert sind.

DEA stellt ihre Unterstützung für Syriza als proletarischen Internationalismus dar, und sie sagen: „Wir sind mit der Tatsache konfrontiert, dass innerhalb eines Monats Syriza die führende Partei im Lande sein wird. Dann werden wir aufgefordert sein, eine Regierung zu bilden, die die Dinge für das griechische Volk verändern kann.“ Und der irische Abgeordnete Paul Murphy von den Anhängern Peter Taaffes, verbunden mit der deutschen SAV und der britischen Socialist Party, fuhr nach Athen und machte Wahlkampf für Syriza auf der Grundlage, „dass Syriza eine wirkliche Chance für eine linke Regierung darstellt, um die Austeritätsangriffe zu beenden“. Interessanterweise hat Syriza das nie versprochen.

Dann gab es noch die Koalition von Antarsya, bei der die SEK und OKDE-Spartakos vom pabloistischen Vereinigten Sekretariat mitmachen. Antarsya hatte eigene Kandidaten aufgestellt. Formell haben sie sich gegen die Europäische Union gestellt, praktisch hat Antarsya aber Wahlkampagne für Syriza gemacht, die die EU unterstützen. Sie wollten Druck auf Syriza ausüben und den Widerstand auf ihr basierend aufbauen. Alex Callinicos, ein Führer der britischen SWP, sagt im Socialist Worker: „Antarsya hat klargestellt, dass sie sich an der Seite von und im Dialog mit denjenigen sieht, die Syriza unterstützen. Je stärker ihre Stimme ist, desto größer wird der Druck“. Pikanterweise unterstützte das VS, die „Internationale“ von OKDE-Spartakos, nicht mal die Kandidaten ihrer eigenen Sektion in Griechenland, sondern gleich Syriza.

Bei diesen ganzen reformistischen Gruppen geht es nicht um Sozialismus, sondern sie kämpfen für eine „Regierung der Linken“, was aber nichts anderes ist als eine kapitalistische Regierung mit einer besseren Politik. Im Kern ist diese Politik pro-EU und prokapitalistisch. Illusionen in eine linke kapitalistische Regierung sind ein Hindernis dafür, die Arbeiterklasse auf den Weg zur Revolution zu führen. Dafür ist unabdingbar, dass die Arbeiterklasse politisch unabhängig agiert. Rassismus, Armut, Ausbeutung und imperialistische Dominanz können nicht durch die reformistische Politik des Druckausübens beendet werden, sondern nur durch die Machtübernahme der Arbeiterklasse. Und dafür braucht es eine authentische trotzkistisch-leninistische Partei.

Griechische Trotzkisten sagten: Wählt KKE! Keine Stimme für Syriza!

Wir haben der Kommunistischen Partei kritische Wahlunterstützung gegeben. Wir gehen als Marxisten davon aus, dass die Arbeiterklasse keine wichtigen Siege durch bürgerliche Wahlen erreichen wird, aber wir nutzen sie als Gelegenheit, uns Gehör bei der breiteren Masse der Arbeiter verschaffen zu können, und nutzen dazu auch taktische Mittel wie die kritische Wahlunterstützung.

Reformisten hingegen, seien es Leute von DEA, Antarsya oder die Anarchisten, teilen grundlegend das bürgerliche Konzept von Wahlen. Während die Reformisten glauben, man kann ein besseres System durch Wahlen erreichen, indem man eine linkere Regierung unter Druck setzt, denken die Anarchisten, wenn man nicht wählen geht, dann würde das System zusammenbrechen. Ich habe den Genossen der griechischen Sektion vor Ort bei der Wahlkampagne geholfen. Wir hatten einige Diskussionen mit Leuten von Antarsya, aber lustig war es mit den Anarchisten in deren Zentrum „Notios“. Die sind vorher wahrscheinlich wirklich nie in ihrem Leben wählen gegangen, haben sich dann aber echt gewunden und zugegeben, dass sie nun Antarsya wählen gehen oder Syriza – wirklich nur als kleineres Übel! Es fiel ihnen sehr schwer, aber man muss eben Opfer bringen.

Wir gehen wie gesagt von einem revolutionären Standpunkt an bürgerliche Wahlen heran: Was bereitet die Arbeiterklasse darauf vor, die Macht zu ergreifen? Zwar wollen wir die Quatschbude von Parlament als Bühne nutzen, machen aber den Arbeitern dabei klar: Der Kern des Staates sind besondere Formationen bewaffneter Menschen wie Polizei, Armee und Gefängnisse. Dieser Kern wird nicht gewählt, ist nicht reformierbar und Marx schlussfolgerte daraus, dass er daher im Zuge einer Revolution zerschlagen und zerbrochen werden muss, um das kapitalistische System zu stürzen. Das reformistische Konzept hält den Kapitalismus am Leben und die Kampagne der kritischen Wahlunterstützung, die wir geführt haben, hat uns die Möglichkeit gegeben, mit den Mitgliedern der KKE und natürlich auch mit anderen Linken über das Programm der KKE und über unser Programm zu reden.

Es ist generell schwierig, an KKE-Mitglieder bei größeren Veranstaltungen ranzukommen. Es ist eine sehr gut organisierte reformistische stalinistische Massenpartei. Ein absolutes Phänomen, zwanzig Jahre nach der Konterrevolution, eine stalinistische Partei mit hunderttausenden Mitgliedern vor sich zu haben, die sehr gut in der Gesellschaft verwurzelt und historisch die Partei der griechischen Arbeiterklasse ist. Die haben eine Tageszeitung, viele Abgeordnete und besitzen auch das Vertrauen der politisch fortschrittlichsten Arbeiter in Griechenland. Wer schon mal in Griechenland war und so eine Demo gesehen hat – das ist schon sehr beeindruckend, wie gut sie organisiert sind. Und mit unserer Propaganda war es nun auch möglich, dort mehr mit solchen Leuten in Kontakt zu kommen. Wir sind sowieso fast immer die einzigen Linken, die überhaupt zur KKE gehen und mit denen reden. Die anderen Linken hält klar ihr Antikommunismus davon ab, sich mit der KKE auseinanderzusetzen.

Die Grundlage für unsere kritische Wahlunterstützung war, dass die KKE sich geweigert hat, mit Syriza eine Koalition der Linken einzugehen, was dann postwendend von SWP und SEK als sektiererisch bezeichnet wurde – eine sehr beliebte Beschimpfung, auch von der KKE gegen uns, übrigens. Des Weiteren war die KKE für Schuldenstreichung und schon relativ lange für den Austritt aus der EU und der NATO. Wir haben ein Flugblatt herausgegeben: „Wählt KKE! Keine Stimme für Syriza!“ Hätte die KKE die Wahlen gewonnen, wäre das sehr schlecht für die EU und die griechische Bourgeoisie und ein kleiner Sieg für die griechische Arbeiterklasse gewesen.

Die Kampagne der griechischen Sektion wurde mit einem internationalen Team von Genossen aus den USA, Britannien, Frankreich, Deutschland usw. unterstützt. Kritische Wahlunterstützung heißt, dass wir natürlich auch kritisch sind. Im Kern geht es um den Nationalismus der KKE, der sich zum Beispiel dadurch ausdrückt, dass sie sich als Patrioten bezeichnen und immer vom „Volk“ reden. Das ist ein antimarxistisches Konzept, weil es den Klassenfeind der griechischen Arbeiter, die griechische Bourgeoisie, mit einschließt, aber die wichtigsten potenziellen Verbündeten, wie das türkische oder das deutsche Proletariat, schließt es aus.

Wenn man mit KKE-Mitgliedern diskutiert, dann sagen sie: „Natürlich ist die griechische Bourgeoisie kein Teil des Volkes.“ Trotzdem ist es ein Konzept, das einem Klassenverständnis entgegengesetzt ist. Gleichzeitig steht auf Seite 1 der KKE-Zeitung Rizospastis immer die Losung: „Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch!“ Das ist natürlich ein Widerspruch. Weiterhin argumentieren sie dafür, die Ressourcen Griechenlands im Interesse des griechischen Volks auszunutzen, was ihr stalinistisches Programm vom Aufbau des „Sozialismus in einem Land“ ausdrückt. Sozialismus in Griechenland ist bei einer Wirtschaft, die auf Tourismus, Landwirtschaft und Eigentum an einer internationalen Seeflotte beruht, ein bisschen lächerlich. Dies umso mehr, wenn man bedenkt, dass es selbst in einem der ressourcenreichsten Länder der Erde, nämlich der Sowjetunion, nicht geklappt hat. Dieses Konzept ist ein wichtiges politisches Hindernis und darum würde ich hier ein bisschen ausholen.

Die Bolschewistische Partei unter der Führung von Lenin und Trotzki war durch und durch internationalistisch und nur deshalb konnte sie auch die multinationale Arbeiterklasse des russischen Zarenreiches in der Oktoberrevolution von 1917 an die Macht führen. Ihnen war klar, dass sich die Revolution nicht auf Dauer isoliert im rückständigen Russland halten könnte, vom Aufbau des Sozialismus ganz zu schweigen. Denn dieser basiert auf Überfluss für alle durch die planmäßige allseitige Entwicklung der modernsten Produktivkräfte in internationaler Arbeitsteilung. Für sie war die Oktoberrevolution der Beginn der Weltrevolution und sie gründeten die Dritte, die Kommunistische Internationale als das Instrument, damit die Arbeiterklasse auch in anderen Ländern die Macht erobern konnte. Aufgrund des Verrats der reformistischen Parteien der Zweiten Internationale und der Unerfahrenheit der jungen kommunistischen Parteien gelang es nicht, die revolutionäre Welle nach dem Ersten Weltkrieg, die von der Oktoberrevolution angefacht wurde, zur Ausweitung der Oktoberrevolution auf andere Länder zu nutzen.

Aufgrund der daraus folgenden anhaltenden Isolation der armen und rückständigen jungen Sowjetunion wuchs eine bürokratische Kaste heran, die Anfang 1924 in einer politischen Konterrevolution die Macht an sich riss. Die von Stalin Ende 1924 verkündete antibolschewistische Theorie vom Aufbau des „Sozialismus in einem Land“ kodifizierte den konterrevolutionären Konservatismus der neuen bürokratischen Schicht. Sie fürchtete das Proletariat, gegen das sie ihre Privilegien verteidigte, und versuchte ihren Frieden mit den imperialistischen Mächten zu schließen. Gleichzeitig basierten ihre Privilegien auf der kollektivierten Wirtschaft der Sowjetunion, in der die Kapitalistenklasse enteignet blieb. Auf Schritt und Tritt kämpfte die von Trotzki geführte Linke Opposition gegen die Degeneration der Sowjetunion und der Kommunistischen Internationale. Wie die Trotzkisten analysierten, war die Sowjetunion ein bürokratisch degenerierter Arbeiterstaat. Deshalb blieb auch die stalinistische Bürokratie trotz aller Beschwichtigungsversuche mit der unnachgiebigen Feindschaft der Imperialisten konfrontiert.

Das Programm des „Sozialismus in einem Land“ wurde von den Sektionen der Kommunistischen Internationale übernommen und trug dazu bei, ihre eigene Kapitulation vor der sich vorübergehend stabilisierenden kapitalistischen Nachkriegsordnung zu rechtfertigen. Und das sieht man auch an der Geschichte der KKE. Die KKE wurde 1918 von verschiedenen sozialistischen Gruppen, inspiriert durch das Leuchtfeuer der bolschewistischen Revolution, gegründet. Interessanterweise gab es nie eine sozialdemokratische Massenpartei in Griechenland. Im Gegensatz zu den Ansichten der meisten anderen linken Gruppen handelt es sich bei Pasok nicht um eine sozialdemokratische Partei, sondern um eine bürgerliche. Diese Analyse ist bei der Gründung unserer griechischen Sektion ganz wichtig gewesen.

Von Anfang an gab es auch nationalistische Kräfte in der Kommunistischen Partei. Natürlich gab es auch internationalistische Kräfte, die sich gegen die eigene Bourgeoisie im Krieg gegen die Türkei Anfang der 1920er-Jahre gestellt hatten, und Kräfte, die nachher in Richtung Trotzkismus tendierten. Aber die Stalinisierung in den Zwanzigern hat die KKE sehr schnell verändert. Die führenden Kader wurden nun in der Sowjetunion an der Universität der Arbeiter des Ostens geschult und bestimmten die KKE-Linie maßgeblich. Sie folgten jedem Richtungswechsel der sowjetischen KPdSU. Die von Stalin 1929 verkündete „Dritte Periode“ wirkte sich in Griechenland, wo es keine Sozialdemokratie gab, dahingehend aus, dass die Gewerkschaftsbewegung zersplittert wurde.

Der historische Verrat des Stalinismus im griechischen Bürgerkrieg

Das sogenannte große Schisma der griechischen Gesellschaft bestand zwischen Republikanern und Monarchisten. In den 1930er-Jahren während der Weltwirtschaftskrise schlug die KKE, die an der Spitze der kämpferischen Arbeiterklasse stand, verräterischer Weise Eleftherios Venizelos von den bürgerlichen Republikanern eine Koalition vor. Dem war aber schon klar, wer sein Klassenfeind ist, nämlich die KKE-geführten Arbeiter. Venizelos wandte sich also den Monarchisten zu, und es bildete sich ein republikanisch-monarchistischer Block. Dies machte den Weg für Ioannis Metaxas frei, der 1936 seine Militärdiktatur errichtete. Dies spricht auch Bände über die abhängige Situation Griechenlands. Metaxas modellierte sein System nach Mussolinis und Hitlers, genau den beiden Staaten, die Griechenland wenig später zu Beginn des Zweiten Weltkriegs überfielen. Sobald Griechenland besetzt war, floh die eine Hälfte der griechischen Bourgeoisie nach Kairo zu den Briten und die andere Hälfte kollaborierte mit den Nazibesatzern.

Die KP Griechenlands führte in einem sehr heroischen Partisanenkrieg die Kräfte gegen die Nazibesatzung. Da drückten sich auch wieder Widersprüche in deren Programm aus. So hatten Frauen das Wahlrecht erhalten und konnten auch Führer bei den Partisanen werden, doch auch während dieses Bürgerkriegs haben sich die KKEler als Patrioten bezeichnet und hatten kein Konzept, dass sie für den Sozialismus kämpften. Dies unterschied sie zum Beispiel von Titos Partisanen in Jugoslawien, die auf der anderen Seite der Berge kämpften. Diese hatten ganz stolz den roten Stern auf ihren Uniformen. Ich will jetzt nicht auf die politischen Probleme von Titos Partisanen eingehen, aber die Griechen hatten die griechische Fahne und sogar orthodoxe Priester.

Nachdem die Nazis 1945 vertrieben wurden, hatten die KKE und ihr bewaffneter Arm ELAS Griechenland in der Hand. Und die Frage war: Was passiert nun? Machst du eine Revolution, weitest du das aus? Nein! Die Linie kam von Stalin, der 1944 in Moskau bei den Verhandlungen mit Churchill zugestimmt hatte, dass Griechenland an die Briten gehen sollte. Die Macht wurde an die griechische Bourgeoisie zurückgegeben und dadurch natürlich an die Briten. Griechenland definiert sich sehr über den Bürgerkrieg und über die Junta, die eine Folge dieses wirklich massiven Verrats der KKE an der Arbeiterklasse war. Und darüber diskutiert man bis heute. Ich finde es immer wieder beeindruckend – sogar wenn man mit 16jährigen redet, kommt man nach zehn Minuten auf den Bürgerkrieg. Es ist eine Spaltungsfrage. Ich habe Leute kennengelernt, deren Oma mit der Nachbarin seit 50 Jahren nicht redet, weil die im Bürgerkrieg auf der anderen Seite stand. So muss man sich das vorstellen.

Die KKE entschuldigt sich quasi immer und sagt, das war nur ein Fehler, wir hätten nicht die Waffen abgeben sollen. Wir argumentieren immer wieder, das ist kein Fehler, das ist ein Programm, das Programm des Stalinismus. Arbeiterrevolutionen hätten letztendlich den Stalinismus bedroht, weil sie die sowjetische Arbeiterklasse inspiriert hätten, die stalinistische Bürokratie zu stürzen. Die KKE selber hat auch sehr für diesen Verrat bezahlen müssen, ihre Mitglieder wurden interniert, ermordet, verhaftet, vertrieben. Einige sind in die DDR geflohen oder in andere Länder. Letztendlich ist auch die Junta, deren Herrschaft 1976 endete, eine Fortführung des Bürgerkriegs gewesen. Als vor einem halben Jahr ein weiteres soziales Verbrechen im Athener Parlament abgestimmt werden sollte, fingen Demos an, das Parlament zu bedrohen, und die Gefahr bestand, dass Demonstranten reinstürmen. Die Abgeordneten drinnen waren völlig hysterisch und warfen der KKE vor, einen neuen Bürgerkrieg zu organisieren.

Für eine leninistisch-trotzkistische Partei

Jede pseudotrotzkistische Strömung dieses Planeten ist in Griechenland vertreten und Trotzkismus hat allein durch deren Antikommunismus keinen guten Namen bekommen. Er wird in vielen Fällen als antikommunistisch und sozialdemokratisch verstanden. Zum Beispiel als wir dort die Wahlkampagne gemacht haben, stehst du morgens um 6 Uhr in Piräus, dem Hafen von Athen, und einer dreht sich um und fragt: Wieso unterstützen Trotzkisten die Stalinisten? Und er fängt mit dir eine Debatte an. Wir sind sehr stolz darauf, dass unsere griechische Gruppe nicht die kleinbürgerlichen antikommunistischen Vorurteile der anderen Linken dort teilt. Die Widersprüche der KKE können nicht in Richtung einer revolutionären Spaltung und Umgruppierung gelöst werden, wenn man vom eklatanten Antikommunismus der Linken ausgeht. Und wenn wir eine Revolution in Griechenland und auf dem Balkan machen wollen, müssen wir die Arbeiterklasse von ihrer falschen Führung brechen und für eine wirklich leninistisch-trotzkistische Partei gewinnen.

Auch andere Fragen haben für die Gründung unserer griechischen Sektion 2004 eine große Rolle gespielt. Die Frauenfrage ist eine ganz zentrale Frage für Griechenland. Ein Beispiel ist der Brautpreis, der 1986 offiziell abgeschafft wurde. Griechenland ist kein säkulares Land, überall rennen dort ständig die orthodoxen Priester rum. Ich musste beobachten, wie einer Frau die Beichte auf der Straße abgenommen wurde. Noch so eine Kleinigkeit: Die Schulen werden jedes neue Schuljahr gesegnet. Wenn die Regierung eingeschworen wird, ist ein Priester dabei. Die Fragen von Kirche, Kapitalismus und Frauenunterdrückung gehen Hand in Hand. Man kann nur für Frauenbefreiung kämpfen, wenn man darum kämpft, den Kapitalismus zu stürzen, und man kann den Kapitalismus nicht stürzen, wenn man nicht für Frauenbefreiung kämpft.

Der nächste Punkt ist die Frage des Rechts auf Selbstbestimmung für nationale Minderheiten. Der Balkan ist ein absolutes Mosaik von nationalen Minderheiten, und wenn man dafür kein Programm hat, kann man auch kein wirklich proletarischer Revolutionär sein. Deswegen war das ein wichtiger Punkt bei der Gründung unserer griechischen Sektion. Ich erwähnte schon die mazedonische Frage. Es gibt noch andere nationale Minderheiten, wie die Pomaken, Walachen, Tschamen, Arvaniten. Es gibt Unzählige und das waren jetzt nur welche, die auf dem griechischen Territorium leben. Man braucht wirklich eine internationalistische Perspektive, sonst gibt es einfach nur nationale Unterdrückung und Blutvergießen, nur einen Kampf für ein Groß-Bulgarien oder ein Groß-Griechenland, was ja Sozialismus und allseitiger Befreiung, d. h. den Interessen der multinationalen Arbeiterklasse des Balkans, entgegengesetzt ist.

Die andere bedeutende Frage ist auch Zypern. Wir kämpfen gegen den antitürkischen Chauvinismus, der weit verbreitet ist. Die Türkei ist ja der historische Feind der griechischen Bourgeoisie, aber das türkische Proletariat ist nicht der Feind der griechischen Arbeiterklasse, sondern im Gegenteil wirklich der wichtigste Verbündete. Wir fordern also den Abzug der griechischen Truppen aus Zypern, wobei einem dann die griechische Linke und die KKE erzählen, wie schlecht die türkischen Truppen dort sind. Das ist ein Lackmustest, wo man politisch Farbe bekennt.

Das Programm der KKE enthält eine ganze Reihe reformistischer Forderungen bis hin zu nationalistischen Positionen in Verteidigung der griechischen Grenzen, es enthält auch viel Rhetorik, was Sozialismus irgendwann in der Zukunft bedeuten könnte. Aber die KP Griechenlands hat kein Programm, um den notwendigen Kampf um die Tagesbedürfnisse der Bevölkerung mit dem Kampf um die Machteroberung durch die Arbeiterklasse zu verbinden. Und das ist wirklich die Hauptaufgabe einer revolutionären trotzkistischen Partei, unsere Klasse vorzubereiten und an die Macht zu führen. Unsere Rolle als kleine internationale Propagandagruppe ist es, die Basis für den Aufbau einer solchen Partei zu schaffen, einer Partei, die Teil der Vierten Internationale sein wird, für deren Wiederschmiedung wir auch hier in Deutschland kämpfen.