Spartakist Nr. 198

Mai 2013

 

Protesterklärung der Spartakist-Gruppe Polens

Antisemitische Provokation in Warschau

Übersetzt aus einer Extraausgabe der Platforma Spartakusowców vom Februar 2013, herausgegeben von unseren Genossen der Spartakusowska Grupa Polski.

17. Februar – Mindestens seit Ende Dezember prangen an vielen Litfaßsäulen in der Warschauer Innenstadt Schwarz-Weiß-Plakate, die Adolf Hitler darstellen. Hitlers Bildnis wurde als „Kunst“ nach Warschau zurückgebracht. Es dient zur Ankündigung der „Ausstellung“ Maurizio Cattelans, die vom Zentrum für Zeitgenössische Kunst im Schloss Ujazdowski in Warschau unter der Schirmherrschaft der italienischen Botschaft und der Stadt Warschau veranstaltet wird. Für das Plakat wurde ein Foto von Cattelans Wachsfigur des knieenden Hitlers von 2001 verwendet. Die Hitlerfigur ist „eines der Hauptausstellungsstücke“ der Veranstaltung und wird seit Mitte November in der Prózna-Straße 14 in einer Hofeinfahrt mit verschlossenem Tor, die zum Hinterhof eines zerstörten Vorkriegsgebäudes im ehemaligen [jüdischen] Getto führt, ausgestellt. Die knieende Wachsfigur kann man nur aus der Ferne und von hinten durch ein Loch im verschlossenen Holztor betrachten. Die Figur wurde in den Medien als „betender Hitler“ beschrieben, der angeblich um „Vergebung“ bittet. Man liest, Cattelans Installation sei beim Gebäude in der Prózna-Straße errichtet worden als „künstlerische Kommentierung des katholischen Glaubensbekenntnisses: Was heißt es eigentlich, deinen Feind zu lieben?“ (www.csw.art.pl, Maurizio Cattelan, Amen).

Was auch immer die erklärten Absichten der Schöpfer sein mögen, objektiv betrachtet ist die Zurschaustellung von Hitlers Wachsfigur und ihrer Abbildungen in Warschau eine antisemitische Provokation, die dem Naziterror Bahn bricht. Eine gute Antwort auf diesen medialen Müll gab eine Passantin auf der Prózna-Straße, die von der Jerusalem Post (26. Dezember) zitiert wurde. Sie fragte sich: „ ,Was bewog die Künstler, an dieser Stelle ein betendes Kind aufzustellen?‘ … Als sie erfuhr, dass das ,Kind‘ in Wirklichkeit Hitler wäre, sagte sie wütend: ,Hitler hatte nicht das Recht, um Vergebung zu bitten‘.“

Mit typisch polnisch-nationalistischer Anmaßung sagte die Kuratorin der „Ausstellung“ Justyna Wesolowska einem Reporter von Jewish News One (einem Fernsehsender in Brüssel): „Es ist schon ziemlich komisch. Für mich ist es sehr positiv, dass wir vor Ort nur positive Reaktionen bekommen“ (www.jn1.tv, 4. Januar). Man setzte sich über die Tatsache hinweg, dass 2010 in Mailand eine frühere Version desselben Plakates mit einem knieenden Wachshitler, die angeblich für Cattelans Ausstellung werben sollte, verboten worden war. Nach tagelanger Debatte beschloss Mailands Bürgermeisteramt, die Verbreitung der Plakate zu unterbinden. Die jüdische Gemeinde begrüßte die Entscheidung, die Plakate zu verbieten. „Das Werbeplakat verletzt unsere Gefühle und die vieler Menschen, was den Vorrang hat vor der sarkastischen Botschaft eines Hitlers, der um Vergebung bittet“, sagte das Gemeindeoberhaupt Roberto Jarach (www.lagazzettadelmezzogiorno.it, 15. September 2010).

Es lohnt sich, ein Zitat des Simon-Wiesenthal-Zentrums anzuführen. Es nannte die „vorsätzliche Platzierung der Figur in der Gegend, wo vom Naziregime unter Hitler Zehntausende Juden ermordet und aus der Hunderttausende Juden in den Tod deportiert wurden, eine unsinnige Provokation, die das Andenken der jüdischen Opfer der Nazis beleidigt.“ Darüber hinaus „zeugt die Installation von einem völligen Mangel an Verständnis der Naziverbrechen in Polen und insbesondere der an den polnischen Juden. Was die Juden anging, so war Hitlers einziges ,Gebet‘, dass sie vom Angesicht der Erde getilgt werden sollten… Deshalb ist ein vorsätzlich mitten in Zentrum des Gebietes des Warschauer Gettos aufgestellter ,betender‘ Hitler eine völlige Verfälschung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust“ (www.wiesenthal.com, 27. Dezember 2012).

Ein weiteres Beispiel für die Dreistigkeit polnischer Nationalisten ist eine auf der rechtsgerichteten Website wPolityce.pl (29. Dezember 2012) eingestellte Protesterklärung, die Juden überhaupt nicht erwähnt! Unter dem Titel „Steuerzahler! … Der Kriminelle Hitler ist auf Hunderten von Plakaten zurückgekehrt!“ zeigt diese Erklärung Fotos des Hitlerplakates, Fotos einiger steinerner Gedenktafeln vorwiegend von gefallenen Soldaten der [polnisch-nationalistischen] Heimatarmee (AK) und eine Gedenktafel für katholische Opfer eines Nazi-Konzentrationslagers. Ebenfalls kritisiert wird das „Spiel mit ,Fragen zur Bedeutung des katholischen Glaubensbekenntnisses‘ “. Als hätte die katholische Kirche nicht mit den Nazis zusammengearbeitet, beklagt man sich: „Als ob dieser deutsche Kriminelle [Hitler] irgendetwas mit dem christlichen Glauben gemein gehabt hätte, als ob er nicht Geistliche verfolgt hätte, sowohl in Deutschland als auch in weit größerem Maße in Polen und anderen besetzten Ländern. Als ob seine Verbrechen ihren Ursprung nicht gerade in der Zurückweisung Gottes gehabt hätten, weil sich die Deutschen für Übermenschen hielten.“ Die Verfasser der Erklärung schweigen lieber über den Priester Jozef Tiso, der das Hitler-loyale faschistische Regime in der benachbarten Slowakei führte. Oder über die Unterstützung, die der faschistische Diktator Kroatiens Ante Pavelic vom Vatikan und der katholischen Kirche vor Ort erhielt. Oder über die Unterstützung, die viele der höchsten Geistlichen in Deutschland, im Vatikan usw. Hitlers Kreuzzug gegen den gottlosen „Judenkommunismus“ entgegenbrachten, wie sie zum Beispiel in der Inschrift deutscher Armeekoppelschlösser „Gott mit uns“ zum Ausdruck kam.

Tatsächlich hat das gesamte politische Spektrum rechtsgerichteter Gruppierungen, einschließlich derer, die die städtische und die nationale Regierung leiten, eines gemeinsam: Sie sind erfreut zu sehen, wenn Juden (ganz) aus Polen verschwinden. Als sie 1989/90 während der kapitalistischen Konterrevolution unter der Führung von Solidarność an die Macht kamen, waren viele von ihnen Verfechter von Antisemitismus in Verbindung mit nationalem Chauvinismus und frauenfeindlichem katholischen Fanatismus. Die kapitalistische Konterrevolution in Osteuropa und der UdSSR war der Auftakt zu einer langen Periode der Reaktion mit jährlichen faschistischen Veteranenaufmärschen in Lwów, Riga usw. Die Führer des Warschauer Gettoaufstandes schauten 1943 auf die sowjetische Rote Armee als ihre möglichen Befreier, und einige Teilnehmer sahen in der sozialistischen Revolution in Europa die einzige Hoffnung für die übrig gebliebenen Juden Osteuropas. Tatsächlich war es die Sowjetarmee, die das Land von den Nazis befreite. Aber die sozialistische Revolution war lange vor dem Krieg von der parasitären stalinistischen Bürokratie mit ihrer Doktrin vom „Sozialismus in einem Land“ verraten worden. 1948 unterstützten diese Bürokraten die Schaffung eines kapitalistischen Israels und die Auswanderung von Juden, und sie führten in den eigenen Ländern wiederholt antisemitische Hexenjagden an. In Polen war der Hintergrund für antisemitische Hexenjagden und Pogrome der traditionelle Antisemitismus der herrschenden katholischen Kirche. Dieser Antisemitismus ist nicht verschwunden.

Als revolutionäre Marxisten wenden wir uns nicht an den kapitalistischen Staat oder lokale Behörden, Nazi-Propaganda zu verbieten. Solche Verbote richten sich stets vornehmlich gegen die Arbeiterbewegung. Dementsprechend lehnten wir das jüngste gesetzliche Verbot medialer Zurschaustellung von „faschistischen, kommunistischen oder anderen totalitären Symbolen“ ab – ein Verbot, das vom 8. Juni 2010 bis zum 3. August 2011 bestand (siehe „Polen: Weg mit dem antikommunistischen Gesetz!“, Spartakist Nr. 183, Mai 2010). Es liegt im Interesse der Arbeiterklasse, gegen Nazi-Provokationen aktiv zu werden, denn das eigentliche Ziel des faschistischen Terrors ist die organisierte Arbeiterklasse. Notwendig sind Mobilisierungen der organisierten Arbeiter an der Spitze aller unterdrückten Minderheiten – Juden, Roma, Homosexuelle – und anderer potenzieller Opfer des Nazi-Terrors. Wir müssen leninistisch-trotzkistische Avantgardeparteien aufbauen, die künftige Oktoberrevolutionen anführen werden, die die völkermörderische kapitalistische Ordnung stürzen, eine neue Gesellschaft der Arbeiterdemokratie auf der Grundlage einer Planwirtschaft aufbauen und die Opfer des Nazi-Holocaust in Deutschland, Polen und anderen Ländern vollständig rächen werden. Nieder mit der antisemitischen Provokation des „betenden Hitlers“ in Warschau!