Spartakist Nr. 201

Januar 2014

 

Griechenland: EU-Austerität schürt faschistischen Terror

Für eine Arbeitereinheitsfront, um die Faschisten zu stoppen!

Mitte September wurde in Athen der Hip-Hop-Künstler Pavlos Fyssas von Schwarzhemd-Schlägern angegriffen und von einem mutmaßlichen Unterstützer der faschistischen Chrysi Avgi („Goldenen Morgenröte“) erstochen, was eine landesweite Protestwelle auslöste. Die Faschisten, die für regelmäßige, lebensgefährliche Angriffe auf Immigranten, Minderheiten und Linke berüchtigt sind, haben Zulauf erhalten und an Dreistigkeit zugelegt, seit die brutalen vom Imperialismus verhängten Sparmaßnahmen Nationalismus befeuert und viele Griechen in die Verzweiflung getrieben haben. Bemerkenswerterweise fielen die Proteste gegen die Ermordung von Pavlos Fyssas mit Streiks der Arbeiter im öffentlichen Dienst zusammen, was die dringende Notwendigkeit unterstreicht, den Kampf gegen kapitalistische Ausplünderung mit dem Kampf gegen faschistischen Terror zu verbinden.

Am 5. Oktober versammelten sich in Städten ganz Griechenlands Unterstützer von PAME, der Gewerkschaftsorganisation der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), zu Tausenden, um gegen die Kahlschlagpolitik der Regierung und Entlassungen und gegen Fyssas’ Ermordung zu protestieren. Notwendig ist ein Programm, Chrysi Avgi aus den Straßen zu verjagen durch vereinigte Mobilisierungen der Arbeiterklasse, an denen sich die Arbeiterbewegung insgesamt sowie Immigranten und andere potenzielle Opfer der Faschisten beteiligen. Dies ist die Perspektive, die unsere Genossen von der Trotzkistischen Gruppe Griechenlands in dem nachstehend abgedruckten Flugblatt vom 1. Oktober aufzeigten, das sie auf der Demonstration in Athen zusammen mit dem Artikel „Griechenland: Kapitalisten bluten Arbeiterklasse aus“ (abgedruckt in Spartakist Nr. 196, Januar 2013) verteilten.

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Die kaltblütige Ermordung des 34-jährigen Linken und Hip-Hop-Künstlers Pavlos Fyssas durch einen mutmaßlichen Unterstützer von Chrysi Avgi am 17. September in Keratsini offenbarte die tödliche Gefahr, die diese rassistischen Terroristen für Immigranten, Minderheiten und die gesamte Arbeiterbewegung darstellen. Tausende demonstrierten in den Straßen des Arbeiterviertels, wo Fyssas lebte und starb, und überall in Griechenland. Die so zum Ausdruck gebrachte massenhafte Empörung muss in einen kompromisslosen Kampf münden gegen die faschistische Bedrohung und das kapitalistische System, das sie ausbrütet. Es ist dringend notwendig, die Faschisten durch Einheitsfront-Massenmobilisierungen, ausgehend von der Macht des organisierten Proletariats zu stoppen!

Die rechtsgerichtete Regierung von Nea Dimokratia und PASOK stellt gegenwärtig ein hartes Durchgreifen gegen Chrysi Avgi zur Schau, wobei am 28. September der Parteiführer sowie mehrere ihrer Parlamentsabgeordneten und Parteifunktionäre aufgrund von Strafanzeigen wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation verhaftet wurden. Arbeiter und Unterdrückte dürfen sich durch dieses Spektakel nicht täuschen lassen! Sollen wir glauben, dass derselbe Staat, der Immigranten zusammentreibt und in Polizeizellen und überfüllten Lagern brutal misshandelt, sich plötzlich Sorgen macht wegen Hunderter Fälle von rassistischen Angriffen durch Faschisten? Als im Januar der pakistanische eingewanderte Arbeiter Shehzad Luqman in Athen von Rassisten ermordet wurde, gab es keine Fernsehansprache des Premierministers, in der die „Nachfolger der Nazis“ angeprangert wurden.

Mit ihren Aktionen gegen Chrysi Avgi bezweckt die Regierung einerseits, die Proteste zu entschärfen, und andererseits sind die zunehmenden Angriffe der Faschisten und Fyssas’ Ermordung international eine Peinlichkeit. Die Angriffe und die anschließenden Proteste haben den Versuchen der Regierung geschadet, den Anschein hervorzurufen, Griechenland befinde sich auf dem Weg der Stabilisierung und der Genesung von seiner wirtschaftlichen Krise. In Wirklichkeit wird gerade die Lebensgrundlage von Millionen griechischen Werktätigen durch endlose Runden brutaler Austerität zerstört, die von den imperialistischen Herren der Europäischen Union (EU), vor allem vom deutschen Imperialismus, befohlen wurden. Die Verzweiflung der proletarischen und kleinbürgerlichen Massen, die durch diese Krise ins Elend gestürzt wurden, ist der fruchtbare Boden, auf dem Chrysi Avgi gewachsen ist. Da es keine revolutionäre Führung der Arbeiterklasse gibt, die den Ausweg durch einen Kampf gegen die kapitalistische Ordnung aufzeigt, haben die Faschisten tatsächlich Gehör dafür gefunden, Immigranten und die Linke zu Sündenböcken zu machen.

Gerade weil die Faschisten praktischerweise davon ablenken, dass das kapitalistische System für die Krise verantwortlich ist, werden sie auch von den Kräften des kapitalistischen Staates gehegt und gepflegt, vor allem von der Polizei. Wie groß die Unterstützung für Chrysi Avgi bei der Polizei ist, kam ans Tageslicht durch die jüngste Rücktritts- und Versetzungswelle unter hochrangigen Polizeibeamten, die im Verdacht stehen, mit diesen Faschisten unter einer Decke zu stecken. Tatsächlich haben die Kapitalisten Chrysi Avgi Hilfe und Unterstützung zukommen lassen, weil sie immer faschistische Schocktruppen als Reserve haben wollen, die sie gegen jeden revolutionären Kampf der Arbeiter einsetzen können. Es ist deshalb eine tödliche Illusion zu glauben, dass der kapitalistische Staat dazu benutzt werden kann, die Faschisten zu bekämpfen, ob mit Bullen, Gerichten oder Parlament. Dies sollte besonders in Griechenland einleuchten mit seiner langen und blutigen Geschichte von bonapartistischer Diktatur, Militärherrschaft und Bürgerkrieg.

Demokratie und Faschismus

Es überrascht nicht, dass Alexis Tsipras, Führer der [linken Organisation] Syriza auf die Ermordung von Pavlos Fyssas hin erklärte: „Es ist Zeit, dass sich der Staat vermittels seiner demokratischen Institutionen dieses Phänomens entschlossen annimmt“ (ekathimerini.com, 23. September). Solch selbstmörderische Illusionen in den kapitalistischen Staat und die bürgerliche „Demokratie“ werden zur Zeit von etlichen Linken verbreitet. Vielleicht das deutlichste Beispiel hierfür ist die Sozialistische Arbeiterpartei (SEK), die an der Führung der Vereinten Bewegung gegen Rassismus und die faschistische Bedrohung (KEERFA) beteiligt ist. Ihre Antwort auf die Festnahmen von Führern von Chrysi Avgi war, diese Entwicklung als ersten Schritt zur „Zerschlagung der mörderischen Neonazi-Strukturen“ zu „feiern“ und zu fordern, „diese antifaschistische Säuberung“ auf „Beamte der griechischen Polizei“ auszudehnen (Erklärung des Zentralkomitees der SEK, 28. September).

Auch die Antarsya-Koalition, der die SEK angehört, verbreitet die Illusion, die Kräfte des kapitalistischen Staates könnten dazu gedrängt werden, ihre Verbindungen zu den Faschisten zu kappen. In einer Erklärung vom 23. September rief sie zu Streiks auf „mit den Forderungen, die die Faschisten von Chrysi Avgi isolieren und ein Ende der vielfältigen Unterstützung durch ihre staatlichen Beschützer verlangen“. Und mag auch die Kommunistische Partei Griechenlands richtigerweise bemängeln, dass Syriza Illusionen in die bürgerliche Demokratie verbreitet, so tat ihr Generalsekretär Dimitris Koutsoumpas genau das Gleiche, als er bei einem Interview nach gesetzlichen Maßnahmen gefragt wurde, mit denen man Chrysi Avgi beikommen könne: „Ein Punkt ist, dass der bestehende rechtliche Rahmen nicht ausgeschöpft wurde, woraus wir natürlich hätten ersehen können, ob einige Korrekturen oder zusätzliche Maßnahmen notwendig sind… Es gibt parlamentarische Verfahren, um die Gesetzgebung zu überprüfen“ (Rizospastis, 21. September). All diese Erklärungen zeugen von einem rührenden Vertrauen in die „demokratischen“ Legitimationen des kapitalistischen Staates, die in Wirklichkeit die beste Verschleierung der Diktatur der Bourgeoisie sind.

Während Samaras & Co. nach der Ermordung von Pavlos Fyssas scheinheilig gegen Chrysi Avgi Stellung bezogen, gab der wichtigste Berater des Premierministers, Chrysanthos Lazaridis, am 18. September eine Erklärung ab, in der er sowohl Syriza als auch Chrysi Avgi für „politische Gewalttätigkeit“ verantwortlich machte. Lazaridis’ Erklärung steht im Einklang mit seiner Theorie der „zwei Extreme“, die von der lächerlichen Annahme ausgeht, die äußerst zahme Syriza-Opposition sei eine mit Chrysi Avgi vergleichbare „nicht-demokratische Partei“. Es sollte daher einleuchten, dass viele Schritte, die die Regierung zur Unterdrückung von Chrysi Avgi unternimmt, darauf abzielen, eine Grundlage zur Zerschlagung der Linken zu schaffen. Nach dem Motto „Taten sagen mehr als Worte“ hat die Polizei antifaschistische Demonstranten brutal angegriffen und Dutzende festgenommen. Wir fordern, alle Anklagen gegen die antifaschistischen Demonstranten fallenzulassen! Derweil bot die Polizei natürlich eine umfangreiche Streitmacht auf, um das Hauptquartier von Chrysi Avgi in Athen zu schützen, als am Abend des 25. September antifaschistische Demonstranten dorthin zu marschieren versuchten.

Die Regierung denkt über verschiedene Maßnahmen nach, die angeblich Chrysi Avgi schwächen sollen, darunter die Ausweitung der rechtlichen Definition, was eine kriminelle Organisation ausmacht, damit auch unbewaffnete Gruppen darunter fallen. Man täusche sich nicht: Jegliche Ausweitung der repressiven Befugnisse des kapitalistischen Staates zur Verfolgung politischer Organisationen und Persönlichkeiten, darunter „Antirassismus“-Gesetze, werden zur Verfolgung von Organisationen der Arbeiterklasse und der Linken benutzt werden und müssen von der Arbeiterbewegung abgelehnt werden.

Für eine Arbeitereinheitsfront gegen den Faschismus!

Die Faschisten von Chrysi Avgi konnten nach ihrem Einzug ins Parlament im vergangenen Jahr nur deshalb stärker und dreister werden, weil von den Massenorganisationen der Arbeiterklasse kein scharfer Kampf geführt wurde. Die Gewerkschaften sind letztendlich das Ziel der Faschisten, doch sie haben auch die Macht sie zu stoppen, indem sie das Proletariat im Kampf vereinigen. Diese Macht wurde von den verräterischen Gewerkschaftsführern und der reformistischen Linken völlig untergraben, die allesamt Illusionen in bürgerliche „Demokratie“ und griechischen Nationalismus verbreiten. Für Wirtschaftskrise und faschistische Bedrohung, denen Arbeiter und Arme ausgesetzt sind, kann es im Rahmen des Kapitalismus und letzten Endes auch innerhalb der Grenzen des kleinen, abhängigen Griechenlands keine Lösung geben. Der Kampf für eine internationale sozialistische Revolution und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa ist entscheidend, um nicht nur die griechischen, sondern alle Arbeiter der Balkanregion und Europas aus der Krise zu führen.

Das Problem ist, dass die griechische Linke gegen eine solche Perspektive ist. Da sind zunächst die sogenannten Marxisten, die sich in Syriza verkrochen haben, einer Pro-EU-Formation, die sich die allergrößte Mühe gibt, den Imperialisten und den griechischen Kapitalisten zu beweisen, dass sie verantwortungsvolle Verwalter des Kapitalismus sein werden. Dann gibt es die sogenannten Marxisten innerhalb von Antarsya, die sich gerne als die „revolutionäre“ Linke und als Alternative sowohl zur KKE als auch zu Syriza ausgeben. In Wahrheit versucht Antarsya lediglich von links Druck auf Syriza auszuüben und ihre oppositionelle Haltung ist nur vorgetäuscht. Dies zeigte sich darin, dass eine Grußbotschaft von Antarsyas Zentralkomitee an Syrizas nationale Konferenz im Juli kein Sterbenswörtchen des Widerspruchs gegen die weit verbreitete Illusion enthielt, eine kapitalistische Regierung der „Linken“ (d. h. Syrizas) sei der Weg vorwärts.

Es ist beachtenswert, dass die KKE, eine Arbeitermassenpartei, die entscheidende Teile der griechischen Arbeiterklasse anführt, durch ihre Gewerkschaftsgliederung PAME jüngst in Piräus und Umgebung Gewerkschaften wie die Metallarbeiter und Seeleute zusammen mit anderen mobilisierte, um Chrysi Avgi daran zu hindern, sich zu versammeln und eine rassistische Essensausgabe „nur für Griechen“ durchzuführen. Der Ermordung von Pavlos Fyssas ging in der Woche davor in Perama ein brutaler Angriff von Chrysi-Avgi-Unterstützern auf die KKE selbst voraus – neun KKE-Unterstützer wurden dabei krankenhausreif geschlagen. Die gewerkschaftlich geführten Aktionen, zu denen PAME aufgerufen hat, um Chrysi Avgi zu stoppen, sind längst überfällig. Diese Proteste spiegeln zweifellos eine Stimmung an der KKE-Basis wider, ihre Partei und die Gewerkschaften gegen die Faschisten zu verteidigen. Doch diese Stimmung steht im Gegensatz zu den ständigen Ratschlägen der KKE-Führung, keine „Front“ gegen den Faschismus zu bilden, und zur Verbreitung der törichten Illusion, Chrysi Avgi könnte, in den Worten der ehemaligen KKE-Generalsekretärin Aleka Papariga, „mit der Waffe des Stimmzettels“ (kke.gr, 7. Juni 2012) geschlagen werden.

Obwohl die KKE durch ihren Einfluss bei militanten Teilen der Arbeiterklasse die objektive Fähigkeit besitzt, die Führung zu übernehmen bei einer von den Gewerkschaften ausgehenden Organisierung von Arbeiterkontingenten, die die Faschisten von der Straße verjagen, hat sie nicht das Programm dafür. Statt einer Arbeitereinheitsfront gegen den Faschismus spricht die KKE heute von einer „Volksallianz“ gegen die Faschisten. Dies dient nur zur Verschleierung der Tatsache, dass Griechenland eine Klassengesellschaft ist, in der das „Volk“ sowohl die Ausgebeuteten und Unterdrückten als auch ihre Ausbeuter und Unterdrücker umfasst. Dies liegt auf eine Linie mit dem Aufruf der KKE zu einer „Arbeiter- und Volksmacht“.

Anfang der 1930er-Jahre kämpfte Leo Trotzki (gemeinsam mit W. I. Lenin Führer der Oktoberrevolution von 1917) mit allem Nachdruck dafür, die selbstmörderische Politik der Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zu ändern, die sich weigerte, gegen die Nazis einen gemeinsamen Kampf mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) zu führen, die immer noch die Loyalität eines großen Teils der Arbeiterklasse besaß. Die Trotzkisten, die sich damals als ausgeschlossene Fraktion der Kommunistischen Internationale betrachteten, warnten davor, dass die KPD-Führer den Kampf gegen den Aufstieg der Nazis mit ihrer Forderung nach einer „Volksrevolution“ statt einer proletarischen Revolution unterminieren würden. Trotzki schrieb:

„Damit sich die Nation tatsächlich um einen neuen Klassen-Kern reorganisieren kann, muß sie ideologisch reorganisiert werden, und das ist nur möglich, wenn sich das Proletariat selbst nicht im ,Volk‘ oder in der ,Nation‘ auflöst, sondern im Gegenteil ein Programm seiner proletarischen Revolution entwickelt und das Kleinbürgertum zwingt, zwischen zwei Regimen zu wählen. Die Losung der Volksrevolution lullt das Kleinbürgertum ebenso wie die breiten Massen der Arbeiter ein, versöhnt sie mit der bürgerlich-hierarchischen Struktur des ,Volkes‘ und verzögert ihre Befreiung. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Deutschland verwischt die Losung einer ,Volksrevolution‘ die ideologische Demarkation zwischen Marxismus und Faschismus und versöhnt Teile der Arbeiterschaft und des Kleinbürgertums mit der faschistischen Ideologie, da sie ihnen gestattet, zu glauben, dass sie keine Wahl treffen müssen, wenn es doch in beiden Lagern um eine Volksrevolution geht.“ („Thälmann und die ,Volksrevolution‘ “, 14. April 1931)

Als Antwort auf den Aufstieg der Nazis und die Tatsache, dass viele Arbeiter immer noch der reformistischen SPD politisch verbunden waren, drängte Trotzki die KPD dazu, die Taktik der Arbeitereinheitsfront anzuwenden, wie sie von der frühen Kommunistischen Internationale verstanden wurde: „Die Taktik der Einheitsfront ist das Angebot des gemeinsamen Kampfes der Kommunisten mit allen Arbeitern, die anderen Parteien oder Gruppen angehören, und mit allen parteilosen Arbeitern zwecks Verteidigung der elementarsten Lebensinteressen der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie“ (Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale, „Leitsätze über die Einheitsfront der Arbeiter“, 1922). Die Trotzkisten verstanden, dass die Organisationen der Arbeiterklasse sich selbst und die Unterdrückten nur gegen die Nazis verteidigen konnten, wenn sie die breiteste Einheit der Arbeiter, die die soziale Macht haben, das kapitalistische Profitsystem lahmzulegen, im Kampf herstellten. Aber die Einheitsfront war kein politischer Nichtangriffspakt mit den Reformisten – sie setzte sowohl Freiheit der Kritik als auch politische Unabhängigkeit der Kommunisten voraus, so dass Revolutionäre versuchen konnten, Arbeiter durch Entlarvung der verräterischen reformistischen Führer für sich zu gewinnen.

Volksfront: Politik des Klassenverrats

Dass die Nazis 1933 ohne den geringsten Widerstand an die Macht gelangen konnten, war eine welthistorische Niederlage und ein Verrat der stalinistischen und sozialdemokratischen Irreführer. Nachdem keine einzige Sektion der Kommunistischen Internationale gegen diesen Verrat protestiert hatte, war den Trotzkisten klar, dass eine neue Internationale und neue revolutionäre Parteien aufgebaut werden mussten. In Panik über die Niederlage machten die Stalinisten eine Kehrtwende weg von ihrer früheren Politik der Weigerung, Einheitsfrontaktionen zusammen mit anderen Organisationen der Arbeiterklasse durchzuführen, hin zu einer Politik der Bildung von Bündnissen mit „fortschrittlichen“ bürgerlichen Kräften unter der Formel einer Volksfront gegen den Faschismus. Das war das Gegenteil einer Arbeitereinheitsfront – es war ein politischer Block auf der Grundlage eines bürgerlichen Programms. Diese Formel der Volksfront, die im Vorfeld und während des Zweiten Weltkriegs aufrechterhalten wurde, führte weltweit zum Verrat revolutionärer Gelegenheiten, von Frankreich über Italien bis nach Griechenland. Diese Niederlagen machten nach dem Zweiten Weltkrieg die erneute Stabilisierung der kapitalistischen Ordnung in Westeuropa und, nach einem blutigen Bürgerkrieg, in Griechenland möglich.

In revolutionären Situationen führt die Volksfront zu nichts anderem als einer langen Reihe blutiger Niederlagen für die Arbeiterklasse: Spanien und Frankreich in den 30er-Jahren, Indonesien in den 60er-Jahren und Chile in den 70er-Jahren. Das liegt daran, dass die Volksfront ein Block von Organisationen und Parteien ist, der verschiedene Klassen auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms repräsentiert: der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie. Definitionsgemäß können bürgerliche und kleinbürgerliche Parteien einem Kampf für ein revolutionäres proletarisches Programm nicht zustimmen. So zwingt die Volksfront die Arbeiterklasse dazu, die in ihrem Klasseninteresse liegenden Ziele aufzugeben und die Ziele anderer Klassenkräfte zu übernehmen: die Verteidigung des Kapitalismus. Eine Volksfront bedeutet stets die Preisgabe des Programms der proletarischen Revolution und die Unterordnung der Arbeiter unter die Bourgeoisie. Das ist das Rezept für die Niederlage der Arbeiterklasse, das die KKE-Führung seit mehr als 70 Jahren vertritt.

Die Unterordnung des Proletariats unter das „Volk“ geht einher mit der Verbreitung von Nationalismus – der Vorstellung, es gäbe ein gemeinsames Interesse aller Griechen ungeachtet ihrer Klassenzugehörigkeit. Zwar steht im Titelkopf der Zeitung der KKE „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“, doch die Antwort der Partei auf die geplante Schließung dreier staatlicher Rüstungsunternehmen war reiner griechischer Nationalismus:

„Dies kommt zur gleichen Zeit, wo die Rivalitäten in der Region zunehmen, die Souveränitätsrechte des Landes bedroht sind und die Existenz wie auch das Funktionieren der Kriegsindustrie immer nötiger werden, um die Verteidigungsfähigkeit des Landes nicht zu schwächen.“ (Parlamentserklärung des KKE-Abgeordneten Thanasis Pafilis, kke.gr, 12. September)

Die Arbeiterklasse hat kein Interesse daran, die Verteidigungsfähigkeit des kapitalistischen Griechenlands oder die kapitalistische Armee aufrechtzuerhalten. Wie Lenin sagte: „Keinen Mann und keinen Groschen nicht nur für das stehende Heer, sondern auch für die bürgerliche Miliz“ („Das Militärprogramm der proletarischen Revolution“, September/Oktober 1916). Der Zweck der kapitalistischen Armee ist es, die Interessen der griechischen Kapitalisten zu verteidigen, indem sie griechische Arbeiter gegen ihre albanischen, mazedonischen, bulgarischen oder türkischen Klassenbrüder losschickt, um zu töten und getötet zu werden, wenn die Kapitalisten dies für notwendig erachten. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Berichten zufolge, die zur Zeit von der bürgerlichen Presse verbreitet werden, Angehörige von Spezialeinheiten des Militärs dabei geholfen haben, Unterstützer von Chrysi Avgi auszubilden.

Die Arbeiterklasse kann keinen erfolgreichen Kampf darum führen, die unzufriedenen und besitzlosen Massen von Kräften wie Chrysi Avgi wegzubrechen und für sich zu gewinnen, wenn sie wie die KKE darum wetteifert, wer am besten die „Nation“ und ihre Grenzen verteidigt. In Griechenland bedeutet Nationalismus die brutale Unterdrückung von Immigranten, Roma und nationalen Minderheiten wie Mazedoniern, Walachen, Pomaken, Türken und Albanern. Es ist kein Zufall, dass Chrysi Avgi erstmals Anfang der 1990er-Jahre bei den chauvinistischen Protesten hervortrat, die sich dagegen richteten, dass der Name der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien das Wort „Mazedonien“ enthielt. Abgeordnete von Chrysi Avgi lassen jetzt von der Bühne des Parlaments aus rassistische Beschimpfungen gegen muslimische Abgeordnete aus Thrakien vom Stapel und erklären Istanbul zur rechtmäßigen Hauptstadt Griechenlands. Gegenüber solch widerlichem Nationalismus muss die Arbeiterbewegung den Kampf für volle demokratische Rechte für die nationalen Minderheiten Griechenlands, für das Selbstbestimmungsrecht der mazedonischen Minderheit in Griechenland und für eine sozialistische Föderation des Balkans als den einzigen Weg zur Lösung der unzähligen nationalen Fragen in der Region aufnehmen.

Für neue Oktoberrevolutionen!

Den Versuchen der Troika [Internationaler Währungsfonds, Europäische Union und Europäische Zentralbank] und der griechischen Kapitalisten zur Dezimierung der Arbeiterklasse scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Dem öffentlichen Gesundheitssystem, das bereits dem Zusammenbruch nahe ist, stehen weitere personelle und finanzielle Kürzungen bevor. Die Regierung spricht sogar davon, den allgemeinen staatlichen Gesundheitsdienst abzuwickeln, während man in einem „öffentlichen“ Krankenhaus nur bei Zahlung einer Gebühr untersucht und ab 2014 nur bei Zahlung von 25 Euro aufgenommen wird. Auch das Bildungssystem steht unter Beschuss: Tausende Lehrer sollen entlassen werden. Größere Universitäten in ganz Griechenland haben angekündigt, den Betrieb wegen der von der Regierung verlangten massiven Kürzungen beim Verwaltungspersonal ganz einzustellen. Die offizielle Arbeitslosigkeit ist auf fast 30 Prozent angestiegen, bei Jugendlichen sind es 60 Prozent. Die blutsaugerischen Banken fordern jetzt von der griechischen Regierung, das Verbot von Zwangsenteignungen der Eigenheimbesitzer, die ihre Kreditrückzahlungen nicht schaffen, aufzuheben. Die imperialistischen Herrscher und ihre einheimischen Handlanger versuchen nicht nur die griechischen Löhne und Lebensbedingungen auf das Niveau der benachbarten Balkanländer hinabzudrücken, sondern benutzen Griechenland auch als Versuchskaninchen dafür, was sie der Arbeiterklasse und den Armen in ganz Westeuropa gern antun würden.

Trotz aller Proteste und Streiks, zu denen seit dem Beginn der Krise 2008 die pro-kapitalistische Bürokratie der Gewerkschaftsverbände ADEDY und GSEE aufgerufen hat, wurde keine einzige Austeritätsmaßnahme rückgängig gemacht. Die immer verzweifeltere Lage der griechischen Werktätigen erfordert eine Führung, die mit Hilfe von Übergangsforderungen die täglichen Kämpfe gegen die Kahlschlagspolitik mit der Notwendigkeit verknüpft, die kapitalistische Ordnung zu stürzen. Zum Beispiel würde eine solche Führung als Antwort auf Massenarbeitslosigkeit und Lohndrückerei dafür kämpfen, die Arbeit auf alle zu verteilen, bei vollem Lohnausgleich ohne Lohnverlust, und die Löhne an die Inflation zu koppeln. Aber die Gewerkschaftsbürokratie, in der Vertreter der KKE einen bedeutenden Teil stellen, hat nicht vor, die volle Macht der Arbeiterklasse gegen die kapitalistischen Angriffe zu mobilisieren, weil dies eine Kampfansage an die gesamte kapitalistische Ordnung darstellen würde. Notwendig ist ein Kampf für eine neue, revolutionäre Führung der Gewerkschaften, eine Führung, die für die völlige Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom kapitalistischen Staat kämpft, mit dem diese gegenwärtig tausendfach verbunden sind.

Im Gegensatz zur übrigen Linken hat die Trotzkistische Gruppe Griechenlands nicht das Ziel, eine Bewegung aufzubauen, die in Gestalt einer „linken“ kapitalistischen Regierung die Kontrolle über den bestehenden Staat übernimmt. Unser Ziel ist es, eine revolutionäre, internationalistische Arbeiterpartei aufzubauen, die wie die bolschewistische Partei Lenins und Trotzkis für den Sturz des kapitalistischen Staates kämpft, als Teil des Kampfes für eine weltweite sozialistische Revolution.