Spartakist Nr. 204 |
August 2014 |
Bürokratisches Krebsgeschwür bedroht Arbeiterstaat
China: Arbeiter müssen KP-Spitzen und Prinzlinge wegfegen!
Warum China nicht kapitalistisch ist
Der folgende Artikel erschien zuerst in Workers Vanguard (Nr. 1047, 30. Mai), Zeitung unserer Genossen der Spartacist League/U.S.
Vergangenen November wurde Zhou Yongkang, ehemals Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), im Zuge einer Korruptionsermittlung unter Hausarrest gestellt. Zhou leitete vor seiner Pensionierung als Chef des nationalen Sicherheitsapparats Chinas ein Ministerium mit einem gewaltigen Budget. Nachdem bei Zhous Familienmitgliedern und Mitarbeitern Vermögenswerte von mindestens 10 Milliarden Euro beschlagnahmt worden waren, bemerkte der New Yorker (2. April): „Chinesische Staatsbedienstete und ihre Mitarbeiter scheinen sich ihr Nest gut gepolstert zu haben, das ist mehr als das Bruttosozialprodukt Albaniens.“
Am 31. März wurde Generalleutnant Gu Junshan, ehemaliger Vizechef der Logistikabteilung der Volksbefreiungsarmee, wegen Bestechlichkeit, Unterschlagung und Machtmissbrauchs angeklagt. Gu wird vorgeworfen, seine Kontrolle über Wohnungsbeschaffung, Infrastruktur und Lieferverträge von Chinas 2,3 Millionen starken Streitkräften dazu benutzt zu haben, für sich und seine Familie ein Vermögen anzuhäufen, darunter Immobilienbesitz, Kunstwerke und Luxusgegenstände wie eine Massivgoldstatue des Vorsitzenden Mao, des Gründers und ersten Führers der Volksrepublik China.
Am 19. April wurde Song Lin, Vorsitzender von China Resources, entlassen. Ihm wird vorgeworfen, Gelder in Höhe von fast 1,2 Milliarden Euro zweckentfremdet, Bestechungsgelder angenommen und mit Hilfe seiner Geliebten, einer hochrangigen Investmentbankerin an der Hongkonger Niederlassung der Schweizer Bank UBS, Gelder gewaschen zu haben. China Resources ist eines der größten Staatsunternehmen Chinas mit mehr als 90 Milliarden Euro Kapital.
Dies sind nur ein paar ausgewählte Beispiele für die gewaltige Korruption an der Spitze des Arbeiterstaats, der durch die Chinesische Revolution von 1949 errichtet wurde. Während KPCh-Spitzenbürokraten sich weiterhin bereichern, nutzen viele ihrer Sprösslinge ihre privilegierte soziale Stellung dazu aus, sich einen Platz in der Unternehmerelite zu ergattern. Bloomberg News hatte 2012 bei Recherchen über Abkömmlinge von KPCh-Spitzenfunktionären dem Vermögen von 103 Erben der „Acht Unsterblichen“ der KPCh nachgespürt, die im Zeitraum nach Maos Tod 1976 zur politischen Macht aufgestiegen waren. Unter diesen „Prinzlingen“ hatten sich 43 in dem durch die „Marktreformen“ des Regimes geschaffenen Freiraum zu Kapitalisten gewandelt und Privateigentum an Fabriken, Investmentfirmen und Immobiliengesellschaften erworben. Einige hatten Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen gegründet; andere nahmen eine leitende Stellung in ausländischen Investmentbanken an.
Bloomberg bemerkte, dass sich „einige Mitglieder der dritten Generation in ihrem Lebensstil an der globalen Klasse der Reichen orientieren – an Leuten, die in Schweizer, britischen und US-Internaten ihre Schulkameraden waren“(„Heirs of Mao’s Comrades Rise as New Capitalist Nobility“ [Erben von Maos Genossen steigen als neuer kapitalistischer Adel auf], 26. Dezember 2012). Die Prinzlinge, die auf Eliteschulen eng mit den Sprösslingen amerikanischer und europäischer kapitalistischer Herrscher zusammengelebt hatten, waren dazu prädestiniert, dem Weltimperialismus als Mittelsmänner in China zu dienen. Dies blieb JPMorgan Chase und anderen amerikanischen Top-Investmentbanken nicht verborgen, die Angehörige einflussreicher chinesischer Funktionäre einstellten, um ihren Investitionen in Festlandchina die Türen zu öffnen, wofür sie im eigenen Land von der Presse angegriffen wurden.
Der Sturz der kapitalistischen Herrschaft in China 1949 schuf die Grundlage für eine kollektivierte Planwirtschaft, die zu ungeheuren sozialen Errungenschaften für die Arbeiter- und Bauernmassen führte. Doch diese von einer bäuerlichen Guerillaarmee durchgeführte Revolution war von Anfang an durch die Herrschaft der KPCh-Bürokratie deformiert, die auf dem Modell der Sowjetunion unter Stalin basierte. Mehr als sechs Jahrzehnte später nagt das bürokratische Krebsgeschwür zunehmend an der Substanz des Arbeiterstaats, nährt eine einheimische Basis für Konterrevolution und unterminiert die Verteidigung Chinas gegen die USA, Japan und andere imperialistische Mächte.
Verteidigt China! Für proletarisch-politische Revolution!
Den meisten Linken dient die Entwicklung einer Klasse bürgerlicher Unternehmer und eines wohlhabenden städtischen Kleinbürgertums auf dem chinesischen Festland zusammen mit der allgegenwärtigen Korruption innerhalb der KPCh-Bürokratie als Beweis dafür, dass das Land wieder in den Kapitalismus zurückgefallen sei. Im vergangenen Jahr stellte uns ein WV-Leser in einem Brief eine Frage, die unsere Genossen häufig hören: „Ihr in der Spartacist League betrachtet China als einen deformierten Arbeiterstaat und haltet es nicht für kapitalistisch. Erklärt mir, weshalb China als ,sozialistischer Staat‘ einen solch hohen Gini-Index hat, höher als Dutzende kapitalistische Länder?“ Der Gini-Index wird von bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftlern allgemein dazu benutzt, das Ausmaß an Ungleichheit bei Einkommen oder Konsumausgaben in bestimmten Ländern zu messen.
China ist keine kapitalistische Gesellschaft. Es gibt dort tatsächlich eine im Entstehen begriffene Kapitalistenklasse, die den Imperialisten durch wirtschaftliches Interesse und vielen KPCh-Führern verwandtschaftlich verbunden ist. Von dieser Schicht geht die ernste potenzielle Gefahr einer kapitalistischen Restauration aus, aber sie hat nicht die Staatsmacht. China bleibt weiterhin ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat, vergleichbar mit dem ehemaligen degenerierten Arbeiterstaat Sowjetunion und Vietnam, Kuba, Nordkorea und Laos heute. Jede dieser Gesellschaften basierte bzw. basiert auf kollektivierten Eigentumsformen.
Die stalinistische Bürokratie ist keine Klasse – d. h. eine soziale Schicht mit eigener spezifischer Beziehung zu den Produktionsmitteln –, sondern eine parasitäre Kaste, die eine instabile Stellung an der Spitze des Arbeiterstaats einnimmt. In China nutzen viele KPCh-Funktionäre ihre Verwaltungspositionen aus, sahnen Gelder ab, nehmen für Gefälligkeiten Geschenke an und agieren als Mittelsmänner für die Imperialisten. Doch manchmal ist die Bürokratie dazu gezwungen, den Arbeiterstaat auf ihre eigene Art zu verteidigen, sei es aus Sorge um die Aufrechterhaltung ihrer eigenen Privilegien oder um Arbeiterunruhen abzuwenden.
Der Staat kontrolliert den Außenhandel und steuert Kapitalmärkte und Währung; die Vergabe von Krediten wird hauptsächlich durch Quoten bestimmt und nicht durch den Markt. Der Kern der Wirtschaft ist immer noch kollektiviert, Staatsbetriebe kontrollieren 90 Prozent des Öl-, Elektrizitäts- und Kommunikationssektors und anderer Schlüsselbereiche. In jedem Privatunternehmen, auch wenn es in ausländischem Besitz ist, gibt es eine KPCh-Zelle, die bevollmächtigt ist, gegen Entscheidungen ein Veto einzulegen. Die Regierung hat zwar kapitalistischen Investitionen und Marktkräften die Tür weit geöffnet, aber sie hält eine strenge Kontrolle über die Kapitalistenklasse aufrecht, die daran gehindert wird, politische Parteien aufzubauen, und strenger Zensur unterworfen ist. Dies trifft natürlich auch auf die Arbeiterklasse zu: Durch die Herausbildung einer außerhalb ihrer Kontrolle stehenden Arbeiterbewegung sähe die KPCh ihre Legitimität herausgefordert.
Trotz bürokratischer Deformation bezeugt der chinesische Arbeiterstaat die Überlegenheit einer kollektivierten Wirtschaft über kapitalistische Profitproduktion. Die Revolution von 1949 führte in kurzer Zeit zu riesigen Errungenschaften für Arbeiter, Bauern, Frauen und alle Geknechteten. Seit damals hat sich China von einem rückständigen Bauernland zu einem vorwiegend städtischen Land entwickelt, das imstande ist, ein Mondfahrzeug landen zu lassen. Trotz der gähnenden Kluft zwischen reichen Bürokraten und Prinzlingen auf der einen Seite und der Arbeiterklasse und den Bauern auf der anderen kamen in den letzten drei Jahrzehnten mehr als 600 Millionen Menschen aus der Armut heraus. Die Bevölkerung isst gegenwärtig durchschnittlich sechsmal mehr Fleisch als 1976, und 100 Millionen Menschen haben ihr Fahrrad durch ein Auto ersetzt. Zwar hat die Regierung bei der Einführung der „Marktreformen“ die garantierte medizinische Versorgung abgeschafft, doch hat sie seit 2009 umgerechnet mehr als 130 Milliarden Euro für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung ausgegeben. Jetzt steht 99 Prozent der ländlichen Bevölkerung, einschließlich der Wanderarbeiter, eine grundlegende Krankenversicherung zur Verfügung.
Das vergleiche man mit dem unaussprechlichen Elend und der Verzweiflung, die das Leben Hunderter Millionen armer Stadt- und Landbewohner in Indien bestimmen: Dies ist die kurze Antwort auf jene vorgeblichen Sozialisten, die China als kapitalistisch oder unwiderruflich auf dem Weg dorthin ansehen. Es ist auch ein starkes, klares Argument für unser trotzkistisches Programm der bedingungslosen militärischen Verteidigung Chinas und der anderen deformierten Arbeiterstaaten gegen Imperialismus und einheimische Konterrevolution.
Allein im letzten Quartal, während die kapitalistische Welt immer noch in Stagnation festsaß, wuchs die chinesische Wirtschaft nach vielen Jahren bemerkenswerter Entwicklung um weitere 7,4 Prozent. Doch Chinas explosives Wirtschaftswachstum, so beeindruckend es auch sein mag, ist kein Vorbote eines stetigen Fortschritts in Richtung Sozialismus – eine Gesellschaft des materiellen Überflusses auf Grundlage des höchsten Niveaus an Technologie und Ressourcen. Die umfassende Modernisierung und Entwicklung Chinas, einschließlich seines bäuerlichen Hinterlands, erfordert die Hilfe proletarischer Revolutionen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, die die Grundlage für eine global integrierte sozialistische Planwirtschaft schaffen werden. Die KPCh-Bürokratie, deren Programm auf dem stalinistischen Dogma vom Aufbau des „Sozialismus in einem Lande“ basiert, hat diese Perspektive immer abgelehnt.
Heute behaupten KPCh-Sprecher, dass China auf dem Weg, bis Mitte des 21. Jahrhunderts zu einer globalen wirtschaftlichen „Supermacht“ zu werden, schon weit vorangekommen sei. Diese Ansicht ignoriert die wirtschaftliche Verwundbarkeit Chinas in seinen Beziehungen zum kapitalistischen Weltmarkt und die unversöhnliche Feindschaft der imperialistischen Bourgeoisien, vor allem der herrschenden Klasse der USA. Darüber hinaus ignoriert sie die innere Instabilität der chinesischen Gesellschaft. Angesichts einer enormen Kluft zwischen korrupten Regierungsfunktionären, kapitalistischen Unternehmern und privilegierten Kleinbürgern auf der einen Seite und den Hunderten Millionen Proletariern – sowohl in staatlichen als auch in privaten Unternehmen – und armen Bauern auf der anderen Seite gibt es in China seit Jahren ein hohes Niveau an Streiks und sozialen Protesten gegen die Folgen von Misswirtschaft und Machtmissbrauch durch die Bürokratie.
Diese Gärung weist auf das Potenzial für eine proletarisch-politische Revolution hin, die das stalinistische Regime wegfegt und es durch die Herrschaft von Arbeiter- und Bauernräten (Sowjets) ersetzt. Wie der bolschewistische Führer Leo Trotzki im Übergangsprogramm von 1938, der programmatischen Gründungserklärung der Vierten Internationale, in Bezug auf die Sowjetunion schrieb: „Entweder stößt die Bürokratie, die immer mehr zum Werkzeug der Weltbourgeoisie im Arbeiterstaat wird, die neuen Eigentumsformen um und wirft das Land in den Kapitalismus zurück, oder die Arbeiterklasse zerschlägt die Bürokratie und öffnet den Weg zum Sozialismus.“
Parasiten und Prinzlinge
Die KPCh-Bürokratie schlägt sich mit enormen Widersprüchen herum. Sie bewacht eifrig ihre Privilegien, ist aber nicht Eigentümer der Produktionsmittel und hat auch nicht alle Mittel sozialer Kontrolle zur Verfügung, die eine herrschende Kapitalistenklasse besitzt. Ihre Macht leitet sich von ihrem politischen Monopol über den Regierungsapparat ab. Was Trotzki in Verratene Revolution (1936) über die materiellen Wurzeln des sowjetischen stalinistischen Regimes erklärt, trifft ganz genauso auf China zu:
„Grundlage des bürokratischen Kommandos ist die Armut der Gesellschaft an Konsumgütern mit dem daraus entstehenden Kampf aller gegen alle. Wenn genug Waren im Laden sind, können die Käufer kommen, wann sie wollen. Wenn die Waren knapp sind, müssen die Käufer Schlange stehen. Wird die Schlange sehr lang, muss ein Polizist für Ordnung sorgen. Das ist der Ausgangspunkt für die Macht der Sowjetbürokratie. Sie ,weiß‘, wem sie zu geben und wer zu warten hat.“
Trotzki stellte fest: „die Aneignung eines enormen Anteils des Volkseinkommens durch die Bürokratie ist soziales Schmarotzertum“, und schrieb:
„Soweit es [das Sowjetsystem] im Gegensatz zum verfaulenden Kapitalismus die Produktivkräfte entwickelt, bereitet es das ökonomische Fundament für den Sozialismus vor. Soweit es den Oberschichten zuliebe die bürgerlichen Verteilungsnormen ins Extreme steigert, bereitet es die kapitalistische Restauration vor. Der Widerspruch zwischen Eigentumsformen und Verteilungsnormen kann nicht endlos wachsen. Entweder werden die bürgerlichen Normen – so oder so – auch auf die Produktionsmittel übergreifen, oder umgekehrt die Verteilungsnormen mit dem sozialistischen Eigentum in Einklang gebracht werden müssen.“
Wie in Stalins UdSSR hadern die KPCh-Bürokraten und ihre Prinzling-Sprösslinge, die sich von den Reichtümern des Staates gut ernähren, mit den rechtlichen Beschränkungen, denen privater Reichtum unterworfen ist. Die Financial Times (28. November 2012) griff einen Aspekt dieses Phänomens auf: „Die Tatsache, dass Eigentumsrechte nicht als selbstverständlich angenommen werden können, bedeutet, dass auch Kapitalflucht ein Problem geworden ist“, darunter Geld, das in Steueroasen im Ausland auf die hohe Kante gelegt wird. Ein anderer Kanal ist der Abfluss von Geldern über Angehörige, die im Ausland leben. Einem internen Bericht der Organisationsabteilung der KPCh zufolge haben 76 Prozent der leitenden Funktionäre in Chinas 120 staatlichen Vorzeigeunternehmen nahe Verwandte, die im Ausland leben oder ausländische Pässe besitzen. In einem Kommentar in der New York Times (11. Mai) berichtete der chinesische Autor Yu Hua, wie korrupte Funktionäre dazu neigen, ihr Geld aus Furcht vor Entdeckung lieber zu verstecken, als es auf die Bank zu tragen. Es gibt wohlbekannte Fälle: So wurden etwa 25 Millionen Yuan in einer Schließfachanlage gebunkert, Bargeld in Pappschachteln im Badezimmer versteckt oder auch in einem hohlen Baum, einer Latrine und anderen Orten.
Auslöser für viele der schätzungsweise 500 Proteste, Unruhen und Streiks, die täglich in China stattfinden, ist Empörung über Schiebereien von Funktionären, die angeblich kommunistischen Idealen treu ergeben sind. Eine Antwort des Regimes ist es, zu verschleiern, in welchem Ausmaß die Ressourcen des Arbeiterstaats zum Nutzen dieser Parasiten abgezweigt wurden. In seiner Recherche von 2012 gab Bloomberg an, dass die staatliche Kontrolle der Medien und des Internets dazu beiträgt, das Geschäftsgebaren der Bürokraten und Prinzlinge vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen, und dass öffentlich zugängliche Dokumente oftmals durch den Gebrauch unterschiedlicher Namen in Mandarin, Kantonesisch und Englisch die Täter im Dunkeln lassen. Als Sprachrohr des Finanzkapitals weiß Bloomberg News allerdings nur zu genau, dass solche Praktiken verblassen im Vergleich zu den Plünderungen durch die herrschenden Klassen kapitalistischer Länder, wie man vor einigen Jahren sehen konnte, als Hunderte Milliarden Dollars an die Konzernbosse bankrotter Banken und Autobauer in den USA ausgeteilt wurden.
Nachdem 2013 der chinesische Präsident Xi Jinping ins Amt kam, startete er eine Kampagne, die KPCh durch „porentiefe Reinigung“ von Korruption zu säubern. Der Zentralen Disziplin-Kontrollkommission der KPCh zufolge wurden im vergangenen Jahr mehr als 180 000 Parteifunktionäre wegen Korruption und Machtmissbrauchs bestraft, wobei auch gegen 31 hochrangige Führer ermittelt wurde. Zweifellos spielt hier politisches Manövrieren eine Rolle: Der hinausgesäuberte Funktionär Zhou Yongkang ist als parteiinterner Widersacher Xis bekannt, und es gibt in der KPCh eine bis auf Mao zurückreichende Tradition, Antikorruptionskampagnen zu benutzen, um Rivalen loszuwerden.
Die Xi-Regierung will die chinesische Gesellschaft auch durch eine Zügelung prahlerischer Zurschaustellung von Reichtum und Privilegien stabilisieren. Im Rahmen von Xis Kampagne wurde unter anderem gegen Luxusausgaben durchgegriffen. Im Januar wurden Nobelklubs in öffentlichen Parks von Beijing, Hangzhou, Changsha und Nanjing geschlossen, eine Regierungserklärung vermerkte dazu: „Die Gebäude sollen dazu genutzt werden, der breiten Bevölkerung Dienste anzubieten, nicht den wenigen Privilegierten“ (Xinhua, 17. Januar). Funktionären wurde verboten, aufwändige Bankette zu veranstalten, und Luxuskarossen dürfen keine Militärkennzeichen mehr führen. Eine solche Kampagne wäre in den USA einfach unvorstellbar, wo das „Recht“ der herrschenden Kapitalistenklasse auf ihren obszönen Reichtum und ebenso das Recht, darüber nach Belieben zu verfügen, gesetzlich verankert ist.
Bei Xis Antikorruptionskampagne wird besonders geachtet auf Verschwendung, Betrug, Vetternwirtschaft sowie den Kauf und Verkauf von Dienstgraden, der die militärische Funktionsfähigkeit unterminiert. Kurz nach seinem Amtsantritt erklärte Xi, schuld am Zusammenbruch der Sowjetunion sei teilweise, dass der Kreml unter Michail Gorbatschow die Kontrolle über die Streitkräfte verloren habe. Xis Säuberung beinhaltet Maßnahmen gegen Bestechung sowie Überprüfungen und Kritiksitzungen; ausgedehnte Drills, um die „Kampfbereitschaft“ zu erhöhen; und umstrittene Pläne zur Reformierung der aufgeblähten und veralteten Struktur des Militärs.
Im Rahmen unserer Verteidigung Chinas unterstützen wir die Entwicklung eines effektiven und fortschrittlichen Militärs. Doch Xi selber ist der Führer des bürokratischen Regimes, das den Arbeiterstaat durch sein utopisches Streben nach einer „friedlichen Koexistenz“ mit dem Imperialismus gefährdet. Die Imperialisten haben das eindeutige Ziel, die Volksrepublik China zu stürzen und das Festland für ihre ungehemmte Ausbeutung wiederzuerobern. Dazu benutzen sie sowohl wirtschaftlichen als auch militärischen Druck – letzterer zum Beispiel ersichtlich an dem „Schwenk nach Asien“ der Obama-Regierung in den USA und an militärischen Provokationen von USA/Japan im Ostchinesischen Meer.
Das Gespenst von Tiananmen
China war zur Zeit seiner Revolution qualitativ ärmer und rückständiger als selbst das zaristische Russland zur Zeit der von den Bolschewiki geführten Arbeiterrevolution im Oktober 1917. Die Bolschewiki unter Lenins und Trotzkis Führung wussten, dass eine derartige Rückständigkeit nicht ohne die Ausweitung der proletarischen Revolution auf die fortgeschrittenen Industrieländer überwunden werden konnte. Dieses Verständnis ist der stalinistischen Perspektive des „Sozialismus in einem Land“ völlig fremd, einer falschen Ideologie, die die KPCh-Bürokratie von Mao Zedong bis Xi Jinping immer vertreten hat.
Ungleichheit in China nahm nach Maos Kulturrevolution, einem 1966 begonnenen erbitterten innerbürokratischen Kampf, der das wirtschaftliche und soziale Leben ins Chaos stürzte, rapide zu. China, das im ersten Jahrzehnt nach der Revolution von 1949 von sowjetischer Hilfe profitiert hatte, verfolgte nach dem Bruch zwischen der chinesischen und der sowjetischen Bürokratie zunehmend einen Weg wirtschaftlicher Autarkie. Anfang 1970 war Beijing dann eine verräterische Allianz mit dem US-Imperialismus eingegangen gegen die von Mao als „sozialimperialistisch“ angeprangerte Sowjetunion.
Während die Bürokratie unter Mao ihre eigenen Privilegien aufrechterhielt, warb sie für ein Modell des „Egalitarismus“, das auf der Grundlage von Chinas immer noch rückständiger industrieller Basis auf eine Verallgemeinerung des Mangels unter den Massen hinauslief. Als nach Maos Tod die „Acht Unsterblichen“ unter Führung Deng Xiaopings die Macht übernahmen, griffen sie auf die Peitsche des Marktes zurück, um die wirtschaftliche Produktivität anzukurbeln. Die Wirtschaft kam zwar wieder auf die Füße, nachdem westliche und japanische imperialistische und auslandschinesische Unternehmen eingeladen worden waren, in ausgewählten Bereichen auf dem Festland zu investieren, aber der Preis war mächtig angewachsene Ungleichheit und ein Anwachsen prokapitalistischer Kräfte innerhalb Chinas.
Vor 25 Jahren brach sich die Wut der Bevölkerung über Inflation, Korruption unter Funktionären, den Aufstieg der Prinzlinge und die erdrückende politische Kontrolle der Bürokratie in Massenprotesten Bahn, deren Schwerpunkt Beijings Tiananmen-Platz war. Im April 1989 legte eine Gruppe von Studenten der Beijinger Universität auf dem Platz einen Kranz zu Ehren von Hu Yaobang nieder, der zur Zeit seines Todes kurz zuvor als relativ offen für Studentenproteste und als einer der wenigen KPCh-Funktionäre angesehen wurde, die nicht korrupt waren. Zum Zeitpunkt von Hus Beerdigung eine Woche später hatte sich dann ein studentischer Massenprotest entwickelt und begonnen, Kontingente von Arbeitern anzuziehen. Zwar setzten Teile der protestierenden Studenten auf eine kapitalistische Demokratie nach westlichem Muster, doch dominiert wurden die Proteste vom Gesang der Internationale – der internationalen Hymne der Arbeiter – und anderen Äußerungen pro-sozialistischen Bewusstseins. Die Proteste änderten sich, die Arbeiterklasse ging massenhaft auf die Straße gegen die Bürokratie und die Folgen von deren „Marktreformen“.
Fast zwei Monate lang war die Regierung unfähig, den Protesten Einhalt zu gebieten, die sich zu einer beginnenden politischen Revolution entwickelten. Arbeiter organisierten ihre eigenen Verteidigungsgruppen. Selbst die Polizei schloss sich den Demonstrationen an, was den deutlichen Klassenunterschied zwischen einem Arbeiter- und einem kapitalistischen Staat widerspiegelt. Die erste Armeeeinheit, die geschickt wurde, um die Demonstrationen niederzuschlagen, verweigerte dies, als sich Arbeiter mit Soldaten verbrüderten. Nicht nur einfache Soldaten, auch einige hochrangige Militärangehörige und Spitzen des Regimes stellten sich auf die Seite der Protestierenden – ein Ausdruck des Charakters der Bürokratie als einer brüchigen Kaste. Schließlich fand das Regime loyale Einheiten und setzte sie ein, um den Aufstand niederzuschlagen, zugespitzt im Massaker vom 3./4. Juni in Beijing, dem hauptsächlich Werktätige zum Opfer fielen. Aus Protest dagegen brachen Massenstreiks aus, und mindestens 80 Städte in ganz China waren an den Unruhen beteiligt.
Der entscheidende Faktor, der im Mai/Juni 1989 fehlte, war eine authentisch kommunistische, d. h. leninistisch-trotzkistische Arbeiterpartei, die darum gekämpft hätte, die Arbeiter an die politische Macht zu führen. Nachdem die Bürokratie die Kontrolle wiedererlangt hatte, fiel sie in erster Linie nicht über die Studenten her, sondern über das Proletariat. Verhaftete Arbeiter wurden in den Straßen vorgeführt und viele erschossen.
Korruption, Schieberei, politische Unterdrückung, Ungleichheit: 25 Jahre danach sind die Plagen, die Studenten und Arbeiter zu Massenprotesten trieben, mit neuer Kraft zurückgekehrt. Gleichzeitig hat das wirtschaftliche Wachstum neue Bevölkerungsschichten in die Arbeiterklasse hineingezogen. Wanderarbeiter vom Lande strömen in die Städte zu Arbeitsplätzen in der Fertigungs- und Leichtindustrie, sie werden systematisch diskriminiert. Derweil stärkten neuerliche Investitionen in die staatseigene Industrie die wirtschaftliche Position der Arbeiter in diesem Sektor. Die Löhne sind infolge harter Arbeitskämpfe und des Arbeitskräftemangels dramatisch gestiegen. In einer jüngsten Demonstration von Kampfbereitschaft traten am 14. April 10 000 Beschäftigte der Schuhfabrik Yue Yuen in der südlichen Stadt Dongguan in den Streik und forderten, dass das taiwanesische Unternehmen den vollen Betrag gesetzlich vorgeschriebener Sozialversicherungs- und Wohngeldzahlungen leistet. Die Streikenden kehrten an den Arbeitsplatz zurück, nachdem das Unternehmen und die Regierung eine Mischung aus Versprechungen und Repressalien einsetzten.
Das chinesische Proletariat, dem die verheerenden Folgen der kapitalistischen Konterrevolution in der Sowjetunion und in Osteuropa nicht verborgen blieben, hat die Macht und das objektive Interesse, Misswirtschaft und Machtmissbrauch der Bürokratie wegzufegen. Wie wir im ersten Teil von „Chinas ,Marktreformen‘ – eine trotzkistische Analyse“ (Spartakist Nr. 164, Herbst 2006) schrieben:
„An einem bestimmten Punkt, wahrscheinlich dann, wenn bürgerliche Elemente in und um die Bürokratie sich in Bewegung setzen, um die politische Macht der KPCh zu eliminieren, werden die vielfältigen explosiven sozialen Spannungen der chinesischen Gesellschaft die politische Struktur der herrschenden bürokratischen Kaste zerschmettern. Und wenn das passiert, steht das Schicksal des bevölkerungsreichsten Lands der Erde auf Messers Schneide: entweder proletarisch-politische Revolution, um den Weg zum Sozialismus zu eröffnen, oder eine Rückkehr zu kapitalistischer Versklavung und imperialistischer Unterjochung.“
Für einen Sieg der Arbeiter in diesem Konflikt ist die Führung einer revolutionären Arbeiterpartei, der chinesischen Sektion einer wiedergeschmiedeten Vierten Internationale, unverzichtbar.