Spartakist Nr. 208 |
Mai 2015 |
Südafrika: Neue Welle von Angriffen auf Immigranten
Die Gewerkschaften müssen mobilisiert werden, um Immigranten zu verteidigen!
Nachstehend drucken wir einen Artikel aus Spartacist South Africa Nr. 12 (Sommer 2015) ab, der Zeitung der südafrikanischen Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga (Vierte Internationalisten), über die jüngste Welle der dortigen Angriffe auf Immigranten. Seit der Veröffentlichung des Artikels haben die Gewaltausbrüche des Mobs nicht aufgehört. Am 26. Februar warf im Bezirk Braamfischerville des Townships Soweto eine Gruppe südafrikanischer Ladenbesitzer Gasbomben auf mehrere Geschäfte, die Ausländern gehören. In einem Fall erlitt ein somalischer Ladenbesitzer schwere Verbrennungen; während er brennend um sein Leben flehte, plünderten die Verbrecher seinen Laden. Wie der Artikel unserer Genossen feststellt, sind besonders „Spaza“-Läden ausländischer Besitzer das Ziel von Angriffen. Dies sind unregistrierte, für gewöhnlich sehr ärmliche Ladengeschäfte, in denen Waren des täglichen Bedarfs verkauft werden und die sich häufig im Wohngebäude des Besitzers befinden.
Die treibende Kraft hinter der brutalen immigrantenfeindlichen Gewalt sind die unbeschreibliche Armut und das Elend, unter denen die überwiegende Mehrheit der schwarzen Südafrikaner leben muss. Verwalter dieser entsetzlichen Zustände ist die herrschende Dreierallianz unter Führung des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und unter Beteiligung der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) sowie des Gewerkschaftsverbands COSATU. Die kapitalistische Allianz-Regierung führt ihre eigenen Angriffe auf die Arbeiterklasse durch, darunter das im folgenden Artikel erwähnte Marikana-Massaker von 2012, als Bullen 34 streikende Bergarbeiter töteten (siehe „Südafrika: ANC/SACP/COSATU-Regierung verantwortlich für Massaker an Streikenden“ Spartakist Nr. 195, Oktober 2012).
Unsere Genossen von Spartacist/South Africa betonen, dass die Schmiedung einer leninistischen Arbeiterpartei entscheidend dafür ist, die unzähligen Rassen-, ethnischen, Stammes- und anderen Spaltungen zu überwinden, die der südafrikanische Kapitalismus schon immer zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft ausgenutzt hat. So erklärte SSA in einem Flugblatt vom 15. Mai 2008, das inmitten einer Welle immigrantenfeindlichen Terrors herausgegeben wurde, der Dutzende Todesopfer forderte: „Eine solche Partei würde alle Unterdrückten und Ausgebeuteten verteidigen, im Kampf für proletarische Staatsmacht, und würde so den ethnischen Hass durchschneiden, der aus der furchtbaren Armut entspringt, die durch die Superausbeutung erzeugt wird“ (abgedruckt in Spartakist Nr. 172, Juli 2008).
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Bei den schlimmsten Angriffen auf Immigranten, die Südafrika in den letzten sieben Jahren erlebt hat, sind Berichten zufolge mindestens sechs Menschen zu Tode gekommen, viele in ausländischem Besitz befindliche Spaza-Läden wurden gewaltsam geplündert und Tausende Immigranten vertrieben. Es begann in Snake Park, griff aber rasch auf andere Teile Sowetos und andere Townships in der Provinz Gauteng über. Auslöser für die Angriffe war, dass ein somalischer Ladenbesitzer Schüsse auf eine Gruppe Jugendlicher abgab, die seinen Laden plündern und sein Hab und Gut zerstören wollten, und dabei einen 14-jährigen Jungen tötete.
Die gegenwärtigen Angriffe erinnern auf schreckliche Weise an die fremdenfeindlichen Angriffe vom Mai 2008, bei denen 62 Menschen getötet, Hunderte verletzt und viele Tausende ohne ein Dach über dem Kopf zurückgelassen wurden. Seit damals gab es immer wieder kleinere Ausbrüche immigrantenfeindlicher Gewalt. Um nur einige davon zu nennen: 2011 wurden in den Townships Motherwell und KwaDwesi von Port Elizabeth mehrere in ausländischem Besitz befindliche Läden geplündert und niedergebrannt. 2013 kam es im East-Rand-Township Duduza nach einem Streit zwischen einem somalischen Ladenbesitzer und einem Kunden über dessen Mobilfunkguthaben zu einem Ausbruch gewalttätiger Plünderungen von Geschäften, die Ausländern gehörten, das weitete sich auf andere Bezirke in der Nähe aus, wie John Dube und Tsakane.
Es gibt weit verbreitet Berichte über ein stillschweigendes Einverständnis der Bullen mit diesen Angriffen – darunter die Aufforderung an Immigranten, dahin zurückzugehen, wo sie hergekommen seien, sowie Schutzgeldforderungen und direkte Teilnahme an Plünderungen. Ein Bulle wurde gefilmt, als er sich an der Plünderung eines in ausländischem Besitz befindlichen Ladens in Dobsonville beteiligte. Anderswo, zum Beispiel in Zondi, sollen Bullen Anwohnern zufolge den Plünderern befohlen haben, sich vor einem ins Visier genommenen Laden anzustellen; sie erlaubten nur jeweils vier Plünderern gleichzeitig den Zutritt, um einen Massenansturm zu verhindern. Die Aufgabe der Bullen als Teil des bürgerlichen Staats – eines Organs der Klassenherrschaft und der Unterdrückung einer Klasse durch die andere – ist es, durch gewaltsame Unterdrückung der Arbeiterklasse und der Armen die kapitalistische Herrschaft und den Profit zu verteidigen.
Trotz der leeren Bekundungen von Ministern der Regierung, die die Plünderungen anprangern und Polizeischutz für Ausländer versprechen, ist es eine Tatsache, dass die Bullen von ihren Dienstherren in der ANC/SACP/COSATU-Dreierallianz-Regierung grünes Licht bekommen. Diese kapitalistische Regierung trägt volle Verantwortung für das Anheizen von Hass gegen Immigranten und die Ausgrenzung von Immigranten durch brutale staatliche Maßregelung – von den ständigen Razzien über monatelange Haft in höllischen Abschiebeknästen bis hin zu immer restriktiveren Einwanderungsgesetzen.
Nach dem Ausbruch der jüngsten Runde fremdenfeindlicher Gewalt haben Minister und ANC-Bonzen mit nationalistischer Demagogie noch Öl ins Feuer gegossen und den Immigranten, die Opfer der Angriffe waren, vorgeworfen sich verteidigt zu haben. ANC-Boss und ehemaliger SACP- und COSATU-Führer Gwede Mantashe zeterte, dass „wir über das ganze Land verteilt eine Armee haben, die wir nicht kontrollieren können“. Er rief die für Sicherheit zuständigen Minister auf, etwas zu unternehmen, und forderte von den Gemeinden, die in ihrem Gebiet lebenden Immigranten zu überwachen. Noch während der Angriffe kündigte das Innenministerium an, den legalen Status der in Soweto tätigen ausländischen Ladenbesitzer zu überprüfen. Der somalische Ladenbesitzer Senosi Yusuf, der den 14-jährigen Siphiwe Mahori in einem eindeutigen Fall von Selbstverteidigung erschoss – ein elementares Menschenrecht, für das wir als Marxisten eintreten –, wurde irrwitzigerweise des Mordes angeklagt.
Die ANC-Regierung streitet absurderweise ab, dass es sich bei den Plünderungen um Ausländerfeindlichkeit handelte, und macht Drogenmissbrauch und Kriminalität dafür verantwortlich. Berichte von Journalisten vor Ort und aus den Gemeinden zeigen, dass fast ausschließlich Läden in ausländischem Besitz geplündert wurden, während diejenigen, die südafrikanischen Staatsbürgern gehören, im allgemeinen ohne Störungen weiterbetrieben wurden. Die Klagen der ANC-Führer über Drogenkriminalität wurden von der Hauptoppositionspartei aufgegriffen, der neoliberalen von Weißen dominierten Demokratischen Allianz [DA], die zur Wiedereinführung von Sondereinheiten der Polizei für Drogen- und Bandenkriminalität aufrief. Die Bullenrepression zu verschärfen und mehr junge Menschen hinter Gitter zu bringen ist alles, was diese bürgerlichen Parteien als Antwort auf das soziale Elend der Jugendlichen heutzutage anzubieten haben.
Ursache der Angriffe auf Immigranten sind die entsetzlichen Lebensbedingungen in den meisten schwarzen Townships: weit verbreitete Arbeitslosigkeit, allgemeine Armut, fehlende Versorgung mit grundlegenden Lebensbedürfnissen wie Wasser, Elektrizität und Straßen, Mangel an anständigen Wohnungen, unzureichende oder gar keine Gesundheitseinrichtungen und Schulen usw. 21 Jahre nach dem Ende der Apartheid und den damals gemachten leeren Versprechungen von einem „besseren Leben für alle“ wird den schwarzen Werktätigen zunehmend klar, dass die Dreierallianz nichts für die Änderung der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der verarmten Massen getan hat.
Hinter der Befreiungsrhetorik der herrschenden Dreierallianz und der demokratischen Fassade von „ein Mensch, eine Stimme“ verbirgt sich die Realität des Neoapartheid-Kapitalismus, der auf den unverändert gleichen sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen weißer Minderheitsherrschaft beruht: brutale Superausbeutung der überwiegend schwarzen Mehrheit durch eine winzige, unfassbar reiche weiße Kapitalistenklasse, in der jetzt ein paar schwarze Gallionsfiguren wie Cyril Ramaphosa, Patrice Motsepe, Tokyo Sexwale usw. Einzug hielten. Die ANC/Allianz-Führer machen Immigranten, von denen viele vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch oder dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland auf der Flucht sind, zu Sündenböcken, um die Wut von sich und den kapitalistischen Herrschern abzulenken. Von Massenarbeitslosigkeit über Kriminalität bis zu Armut und fehlenden Wohnungen: Die kapitalistische Regierung, die für das Marikana-Massaker verantwortlich ist, schiebt die Schuld für das Versagen der Neoapartheid auf die Immigranten!
Einige Südafrikaner in Soweto stellten sich offen gegen die Angriffe auf Immigranten und traten auch den plündernden Jugendlichen entgegen. Diese Zustände schreien förmlich nach der Mobilisierung der machtvollen Gewerkschaften zur Verteidigung der Immigranten und zur Vereinigung aller Unterdrückten im Kampf für Arbeitsplätze und hochwertigen Wohnraum für alle. COSATU veröffentlichte eine Erklärung gegen die Plünderungen, doch darin wird dieselbe Polizei, die an den Angriffen auf Immigranten teilgenommen hatte, zu einem fairen Vorgehen aufgefordert.
Wie ihre ANC-Bündnispartner benutzen die COSATU-Bürokraten immigrantenfeindlichen Chauvinismus dazu, die Wut der Massen abzulenken und auch ihre eigene Rolle beim Ausverkauf von Kämpfen der Arbeiterklasse zu verschleiern. Zum Beispiel behauptete der COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi im Dezember 2014 in einer Reihe von Tweets, er würde „Fremdenfeindlichkeit verurteilen“, beklagte aber gleichzeitig, dass „die gegenwärtige Verdrängung von Afrikanern selbst aus Spaza-Läden durch Leute aus [dem] Osten politisch nicht hinnehmbar ist“, und beschuldigte pauschal alle chinesischen Ladenbesitzer „zu schmuggeln“. Diesen Chauvinismus verbreitete auch die ANC-Ministerin für Wasserangelegenheiten Nomvula Mokonyane, die im Januar auf Facebook über eine „Übernahme“ von Township-Spaza-Läden durch „Leute somalischer oder pakistanischer Herkunft“ wetterte, was sie ein „Katastrophenrezept“ nannte, das sie bei den zuständigen Behörden zur Sprache bringen werde. COSATU ist durch die nationalistische ANC/SACP/COSATU-Volksfront ein integraler Bestandteil der kapitalistischen Regierung Südafrikas. Brecht mit der bürgerlichen Dreierallianz! Für Klassenunabhängigkeit des Proletariats von allen bürgerlichen Parteien!
Ein hoher Prozentsatz der Arbeiter im Bergbau und in anderen Industriezweigen in Südafrika kommen aus Nachbarländern und sind immer ein wesentlicher Bestandteil beim Aufbau der Wirtschaft und der Arbeiterbewegung gewesen. Für die gesamte Arbeiterbewegung ist es von lebenswichtigem Interesse, Immigranten zu verteidigen, sowohl als Selbstverteidigungsmaßnahme als auch zur Wahrung der Integrität der Arbeiterbewegung. Immigranten müssen gewerkschaftlich organisiert werden mit vollen Rechten, Löhnen und Sozialleistungen. Dies erfordert von einer leninistischen Avantgardepartei als Volkstribun den Kampf für volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten und gegen Deportationen.
Viele der Proteste in schwarzen Townships wegen fehlender öffentlicher Dienstleistungen sind inzwischen gekennzeichnet durch Angriffe auf Läden in ausländischem Besitz. Diese Proteste setzen sich hauptsächlich aus Arbeitslosen, verzweifelten Jugendlichen, Möchtegern-Kleineigentümern und anderen mit wenig bis gar keiner direkten Beziehung zu den Produktionsmitteln zusammen. Besonders die Jugendarbeitslosigkeit ist verhängnisvoll, wobei jüngste Statistiken zeigen, dass 71 Prozent aller Arbeitslosen zwischen 15 und 29 Jahre alt sind. Die allgemeine Arbeitslosigkeit unter Schwarzen liegt bei etwa 40 Prozent. Es ist notwendig, die Armen der Townships hinter der sozialen Macht der Gewerkschaften zu mobilisieren. Eine klassenkämpferische Perspektive würde bedeuten, den Kampf zur Verteidigung der Immigranten mit einem Kampf für Arbeitsplätze für alle zu verknüpfen. Mit den astronomischen Ausmaßen der Arbeitslosigkeit kann man nur fertig werden durch Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und massive öffentliche Arbeitsprogramme zur Versorgung der Massen mit Straßen, Wohnungen und anderem was dringend benötigt wird.
Angemessene Wohnungen für Millionen in den Townships und Squatter-Siedlungen, elektrischer Strom und sauberes Wasser für die gesamte Bevölkerung, kostenlose, hochwertige Bildung und Gesundheitsversorgung für alle sowie all die anderen dringend benötigten Maßnahmen: Um das zu erreichen, ist eine sozialistische Umwandlung der Gesellschaft notwendig. Das Industrie- und Bergbauproletariat hat die Macht und das Klasseninteresse, alle Unterdrückten in einem entschlossenen Kampf für eine revolutionäre Arbeiterregierung hinter sich zu vereinen.
Mythos von „Regenbogennation“ am Bröckeln
Fortgeschrittene Arbeiter und revolutionär gesinnte Jugendliche müssen verstehen, dass es nur ein Aspekt der rassistischen „Teile-und-Herrsche“-Strategie der kapitalistischen Herrscher ist, wenn Immigranten zu Sündenböcken gemacht werden. Viel größere Teile der arbeitenden Massen sind bedroht. Bei den immigrantenfeindlichen Angriffen von 2008 wurden auch einige Venda, Shangaan und Xhosa-sprachige Südafrikaner Opfer der Gewalt. Tatsache ist, dass sich im „neuen“ Südafrika wenig geändert hat. Die weiße Bourgeoisie hat die Produktivkräfte des Landes – die Minen, Fabriken, Banken und Ländereien – noch immer im eisernen Griff, während sie die Verwaltung des bürgerlichen Staats als Auftrag an die Dreierallianz unter Führung des ANC vergeben hat. Die unveränderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse aus der Apartheid-Ära erlauben es der weißen Minderheit, einen Erste-Welt-Lebensstandard zu genießen, während die schwarzen Massen in Dritte-Welt-Armut wie in einer Falle festsitzen.
Unter solchen Bedingungen und angesichts einer im Rückgang begriffenen kapitalistischen Wirtschaft äußert sich die Unzufriedenheit der Massen in zunehmenden Auseinandersetzungen entlang von Stammes-, ethnischen und Rassengrenzen. Zum Beispiel wurde in den vergangenen Monaten berechtigter Unmut über eine fehlende Grundversorgung von Malamulele in der Provinz Limpopo umgelenkt in Stammeskonflikte zwischen Tsonga und Venda. Anfang letzten Jahres rotteten sich verärgerte schwarze Kleinbürger (darunter Unterstützer des bürgerlichen ANC und der EFF [Economic Freedom Fighters]) in KwaZulu-Natal zusammen, und beteiligen sich an kriegsähnlichen rassistischen Mobilisierungen gegen Konkurrenten indischer Herkunft, denen sie vorwarfen, bessere Geschäftsabschlüsse erhalten zu haben. Gleichzeitig häufen sich Berichte über Angriffe weißer Rassisten auf Schwarze. Alle diese Beispiele stellen ein vernichtendes Urteil dar, wie bankrott der Mythos der „Regenbogennation“ ist, wonach die von der Apartheid geerbten rassischen, Stammes- und anderen Spaltungen irgendwie überwunden werden könnten, während das kapitalistische System und die dazugehörige soziale Struktur unangetastet bleiben.
Wir charakterisierten das Abkommen [das die Apartheid beendete] zwischen der Dreierallianz von ACN/SACP/COSATU und den weißen Minderheitsherrschern als Verrat am nationalen Kampf für die Befreiung der Schwarzen. Vor achtzehn Jahren schrieben wir:
„Weit verbreitete Erwartungen nach besseren Wohnungen und Arbeitsplätzen können nicht befriedigt werden; selbst einfache demokratische Forderungen wie das Recht auf Bildung für alle Kinder oder das Recht von Frauen auf Verhütung und Abtreibung werden der überwältigenden Mehrheit durch soziale Ungleichheit und fehlende Einrichtungen verwehrt. Wenn die Enttäuschung der Massen keinen Ausdruck entlang von Klassenlinien findet, dann wird sie jede andere Art von Spaltung anheizen und verhärten.“ (The Fight for a Revolutionary Vanguard Party: Polemics on the South African Left [Der Kampf für eine revolutionäre Arbeiterpartei: Polemiken mit der südafrikanischen Linken], April 1997)
Die vom ANC geführte nationalistische Bewegung kann den nicht-weißen Massen keinen sozialen Fortschritt bringen, weil sie der Aufrechterhaltung des südafrikanischen Kapitalismus verpflichtet ist. Aus genau diesem Grund existieren die vom britischen Imperialismus ererbten Teile-und-herrsche-Praktiken auch heute noch. Sie können nur beendet werden, wenn die nationale Frage überwunden und der weißen Kapitalistenklasse und ihren schwarzen Juniorpartnern der enorme Reichtum weggenommen wird. Der Ausweg aus diesem Dilemma ist die Schmiedung einer leninistisch-trotzkistischen Partei, die für eine zentral von der schwarzen Mehrheit getragene Arbeiterrevolution kämpft und deren Mitglieder sich aus der multirassischen und ethnisch vielfältigen südafrikanischen Gesellschaft rekrutieren.
Befreiung der Schwarzen durch sozialistische Revolution
Um die Wechselbeziehung zwischen dem Kampf für proletarische Macht und dem Kampf für nationale Befreiung der unterdrückten Mehrheit zu betonen, rufen wir zur Bildung einer zentral von Schwarzen getragenen Arbeiterregierung auf. Diese Losung zielt darauf ab, das Klassenprinzip in den Vordergrund zu stellen, basierend auf dem leninistischen Verständnis, dass der Kampf für nationale Befreiung, wenn er mit den Methoden des Klassenkampfs geführt wird, eine mächtige Antriebskraft für eine sozialistische Revolution in Südafrika sein kann. Sie basiert darauf, dass wir anerkennen, welche überwältigende Bedeutung die Frage von Nation/Rasse in diesem Land hat, wo die Mehrheit des afrikanischen Volkes von der privilegierten weißen Minderheit unterdrückt wird. Unsere Losung einer zentral von Schwarzen getragenen Arbeiterregierung zielt darauf ab, das dringende Bedürfnis der schwarzen Massen nach echter nationaler Emanzipation und Gleichheit aufzugreifen und die Tatsache zu betonen, dass die proletarische Revolution wirklich der höchste Akt der nationalen Befreiung ist.
Unsere Losung grenzt sich auch gegen jene ab, die nicht erkennen wollen oder denen es gleichgültig ist, dass die soziale Wirklichkeit des Neoapartheid-Kapitalismus immer noch von der unter der britischen Kolonialherrschaft errichteten und unter der Apartheid perfektionierten Rassenhierarchie bestimmt wird – Weiße an der Spitze, gefolgt von Indern, Farbigen [von gemischter rassischer, zum Teil malaiischer Herkunft] und ganz unten den Schwarzen. Ein Großteil der pseudosozialistischen Linken unterstützt auf die eine oder andere Art nationalistische Fiktionen wie „Regenbogennation“ oder „Rassenvorurteilslosigkeit“, die das Fortbestehen einschneidender Spaltungen unter den unterdrückten nicht-weißen Massen entlang von Hautfarbe, Nationalität und Stammeszugehörigkeit leugnen. In der Praxis dienen diese Fiktionen dazu, die rassistische Realität der kapitalistischen Neo-Apartheid-Herrschaft zu beschönigen und ANC, DA und anderen bürgerlichen Kräften einen Deckmantel zu verschaffen, so dass die ihre bösartige Teile-und-herrsche-Politik umsetzen können.
Ein ausgeprägtes Phänomen des südafrikanischen Kapitalismus ist, dass sich Rassen- und Klassenunterdrückung sehr stark überlappen. Wir unterstützen den Kampf für nationale Emanzipation, sind aber unversöhnliche Gegner jeglicher nationalistischer Ideologie. Historisch gesehen zeigt sich das Ausmaß der nationalen Unterdrückung der Schwarzen darin, dass es keine schwarze besitzende Klasse gab, was das falsche Bewusstsein verfestigte, alle Schwarzen würden die gleichen Interessen teilen über Klassenspaltungen hinweg. Obwohl sich unter der Neo-Apartheid die objektive Realität geändert hat – durch die Übergabe der politischen Macht an eine schwarze Elite und die Entwicklung einer verhältnismäßig sehr kleinen schwarzen Bourgeoisie, die hauptsächlich als schwarze Sachwalter der immer noch überwiegend weißen Kapitalistenklasse auftritt –, bleibt doch unter der Arbeiterklasse und den Unterdrückten der ideologische Würgegriff des Nationalismus bestehen und stellt ein Haupthindernis für die Entwicklung von Klassenbewusstsein dar.
Die Nationalisten von ANC/Allianz, die neuen Aufseher des rassistischen südafrikanischen Kapitalismus, setzen die gleiche „Teile-und-herrsche“-Strategie ein wie ihre weißen Vorgänger, sie hetzen verschiedene Teile der Unterdrückten gegeneinander auf. Dass Immigranten aus Afrika und Asien brutal unterdrückt und zum Sündenbock gestempelt werden, ist eines der offensichtlichsten Beispiele für den reaktionären Charakter des schwarzen Nationalismus.
Eine zentral von Schwarzen getragene Arbeiterregierung müsste in Worten und Taten beweisen, dass sie nicht neuen schwarzen Nationalismus in verschleierter Form vertritt. Eine Hauptaufgabe einer solchen Regierung wäre es, die Spaltungen entlang Nation, Rasse und Stämmen zu überwinden, indem sie die demokratischen Rechte und die nationale Gleichheit aller Bevölkerungsgruppen Südafrikas erkämpft. Vor diesem Hintergrund betonen wir die Inklusivität dieser Losung: Bei einer zentral von Schwarzen getragenen Arbeiterregierung hätten die farbigen und indischen Werktätigen volle demokratische Rechte und würden eine wichtige Rolle spielen. Das Gleiche gilt auch für Weiße, die eine Regierung akzeptieren, welche hauptsächlich von der schwarzen Arbeiterklasse gestellt wird. Südafrika entspricht in außergewöhnlich deutlicher Weise Trotzkis Konzept der permanenten Revolution, das besagt, dass in kolonialen und halbkolonialen Ländern die nationale Befreiung und die soziale und wirtschaftliche Modernisierung nur durch eine proletarische Revolution erreicht werden können.
Wir betrachten die vom Kolonialismus gezogenen Grenzen zwischen afrikanischen Ländern, die keinen Bezug zu Stammes- oder ethnischen Gruppierungen haben, nicht als unantastbar. Wir kämpfen für eine sozialistische Föderation des südlichen Afrikas, in der all die zahllosen Volksgruppen der Region gleiche Rechte haben. Das südafrikanische Proletariat, das von der Kapitalistenklasse ausgebeutet wird, deren Besitz sich über das ganze südliche Afrika erstreckt, hat die soziale Macht, die der Schlüssel ist zur Befreiung nicht nur der geknechteten Massen in diesem Land, sondern auch jener der gesamten vom neokolonialen Elend unterjochten Region. Immigranten aus Nachbarländern, die in Südafrika arbeiten und/oder leben, werden wie eine menschliche Brücke sein, die die proletarische Revolution hier mit Revolutionen in der gesamten Region verbindet. Eine sozialistische Revolution und die Enteignung der Bourgeoisie kann die materielle Grundlage für sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt und echte Gleichheit schaffen. Aber eine solche Perspektive kann nur durch die Ausweitung der sozialistischen Revolution auf die fortgeschrittensten imperialistischen Länder und durch die Errichtung einer weltweiten kollektivierten sozialistischen Planwirtschaft verwirklicht werden. Das ist das revolutionäre trotzkistische Programm von Spartacist/South Africa.