Spartakist Nr. 212

Frühjahr 2016

 

Zitat

Kapitalistischer Mord

Die herrschenden Klassen Europas sind sich darin einig, die riesige Zahl von Menschen im Nahen Osten und in Afrika fernzuhalten, die dem Krieg, der Heimatlosigkeit und Armut zu entkommen versuchen – auf der Flucht vor dem Gemetzel, das von den Kriegen und anderen Interventionen eben dieser Imperialisten verursacht wurde. Viele Tausende sind bei dem verzweifelten Versuch im Mittelmeer ertrunken. Die Imperialisten haben für die Zukunft noch mehr Menschen zu diesem Schicksal verdammt. Friedrich Engels, Marx’ Gesinnungsgenosse, erklärte diese „alltägliche“ Gewalt:

Wenn ein einzelner einem andern körperlichen Schaden tut, und zwar solchen Schaden, der dem Beschädigten den Tod zuzieht, so nennen wir das Totschlag; wenn der Täter im voraus wusste, dass der Schaden tödlich sein würde, so nennen wir seine Tat einen Mord. Wenn aber die Gesellschaft 1 Hunderte von Proletariern in eine solche Lage versetzt, dass sie notwendig einem vorzeitigen, unnatürlichen Tode verfallen, einem Tode, der ebenso gewaltsam ist wie der Tod durchs Schwert oder die Kugel; wenn sie Tausenden die nötigen Lebensbedingungen entzieht, sie in Verhältnisse stellt, in welchen sie nicht leben können, wenn sie sie durch den starken Arm des Gesetzes zwingt, in diesen Verhältnissen zu bleiben, bis der Tod eintritt, der die Folge dieser Verhältnisse sein muss; wenn sie weiss, nur zu gut weiss, dass diese Tausende solchen Bedingungen zum Opfer fallen müssen, und doch diese Bedingungen bestehen lässt – so ist das ebenso gut Mord wie die Tat des einzelnen, nur versteckter, heimtückischer Mord, ein Mord, gegen den sich niemand wehren kann, der kein Mord zu sein scheint, weil man den Mörder nicht sieht, weil alle und doch wieder niemand dieser Mörder ist, weil der Tod des Schlachtopfers wie ein natürlicher aussieht und weil er weniger eine Begehungssünde als eine Unterlassungssünde ist. Aber er bleibt Mord.

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1 Wenn ich in dem Sinne wie hier und anderwärts von der Gesellschaft als einer verantwortlichen Gesamtheit spreche, die ihre Rechte und Pflichten hat, so versteht es sich, dass ich damit die Macht der Gesellschaft meine, diejenige Klasse also, die gegenwärtig die politische und soziale Herrschaft besitzt und damit zugleich auch die Verantwortlichkeit für die Lage derer trägt, denen sie keinen Teil an der Herrschaft gibt. Diese herrschende Klasse ist in England wie in allen andern zivilisierten Ländern die Bourgeoisie. Dass aber die Gesellschaft und speziell die Bourgeoisie die Pflicht hat, jedes Gesellschaftsglied mindestens in seinem Leben zu schützen, dafür z. B. zu sorgen, dass niemand verhungert – diesen Satz brauch’ ich meinen deutschen Lesern nicht erst zu beweisen. Schrieb’ ich für die englische Bourgeoisie, da wäre das freilich anders. – (1887) And so it is now in Germany. Our German capitalists are fully up to the English level, in this respect at least, in the year of grace, 1886. [Und so ist es jetzt in Deutschland. Unsere deutschen Kapitalisten stehen, zumindest in dieser Beziehung, mit den Engländern auf völlig gleichem Niveau, im gesegneten Jahr 1886.] – (1892) Wie hat sich das alles seit 50 Jahren geändert! Heute gibt es englische Bourgeois, die Verpflichtungen der Gesellschaft gegen die einzelnen Gesellschaftsglieder anerkennen; aber deutsche?!?

– Friedrich Engels, „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1845),
Marx-Engels Werke Bd. 2