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Spartakist Nummer 180

November 2009

DDR-Wirtschaft und der Kollaps des Stalinismus

Für internationale sozialistische Planwirtschaft!

Zweiter Teil

Im Rahmen der Artikelserie über unseren Kampf gegen die Konterrevolution in der DDR, Osteuropa und der Sowjetunion veröffentlichen wir hier den zweiten und abschließenden Teil unserer trotzkistischen Analyse der ökonomischen Probleme der DDR und der revolutionären Antwort auf sie. Der erste Teil erschien in Spartakist Nr. 179, September 2009.

In Verratene Revolution beschreibt Trotzki, dass zwei Hebel für die Regulierung und Anpassung des Plans notwendig sind: „ein politischer, gebildet durch die reale Beteiligung der interessierten Massen selbst an der Leitung – was ohne Sowjetdemokratie undenkbar ist – und ein finanzieller, gebildet durch eine reale Prüfung der apriorischen Berechnung mit Hilfe eines allgemeinen Äquivalents, was ohne festes Geldsystem undenkbar ist“. In unserem Artikel „Für ein rotes Deutschland in einem sozialistischen Europa!“ (Spartakist Nr. 65, 15. Dezember 1989) argumentierten wir dafür, den Kampf um eine stabile Währung aufzunehmen, und für die zusätzliche Einführung einer frei konvertierbaren Währung, so wie der Tscherwonez in der Sowjetunion eingeführt wurde, um nach dem Bürgerkrieg von 1918–20 die Wirtschaft wieder zu beleben. Dies verbanden wir mit der notwendigen Errichtung von Rätedemokratie:

„Die Öffnung der Mauer wird es bald für die DDR notwendig machen, etwas mit ihrer Währung zu tun, die außer als interne Tauscheinheit wertlos ist… Aber für den Außenhandel und für Reisen wird eine stabile Währung nötig sein, hinter der wirkliche Werte stehen… Statt zuzulassen, dass die D-Mark faktisch zur DDR-Währung wird, könnte die ,Valuta-Mark‘ legal durch die Reserven der DDR abgesichert sein und innerhalb und außerhalb des Landes verfügbar gemacht werden. Sie könnte als Puffer zwischen dem Weltmarkt und der DDR-Wirtschaft dienen, da die Regierung den Wechselkurs zwischen dieser Währung und dem internen Tauschmittel, der Ostmark, kontrollieren könnte…

Aber eine stabile, international akzeptierte Währung ist nur eine begrenzte Maßnahme zur Verteidigung der vergesellschafteten Wirtschaft Ostdeutschlands. Währungsreform, Kontrolle über den Wechselkurs, Rationalisierungszuschüsse: die Basis für all diese technischen Lösungen im Wirtschaftsbereich ist die politische Loyalität der Bürger zur Regierung. Und das erfordert die Errichtung einer revolutionären Regierung von Arbeiterräten. Außerdem, wie Marx lehrte, bestimmt die Produktion die Zirkulation. Und die DDR hat ernsthafte Probleme im Bereich der Produktion. Der gemeinsame Nenner ist die Notwendigkeit vor allem einer sozialistischen internationalen Wirtschaftsplanung, die die nationalistische bürokratische Kommandowirtschaft ersetzt.“

Unter der Bürokratie hatte Planung in der DDR die Form willkürlicher administrativer Anordnungen von oben nach unten, ohne den sich selbst korrigierenden Mechanismus von Räten und ohne eine harte Währung als effektives Maß für reales Kapital und Betriebseffizienz. Folgendermaßen „funktionierte“ das System – oder eben nicht:

„Statt in der Landeswährung Geld anzulegen, hat man es ganz klar vorgezogen, Waren einzulagern, und daher horteten Betriebe Material und Treibstoffe – entweder für den späteren Verbrauch im Betrieb oder für den Fall von Engpässen (die häufig waren), oder um es relativ kurzfristig gegen etwas Benötigtes zu tauschen. Ein Kollektivbauernhof sammelte beispielsweise Ölvorräte an, oder eine Maschinenwerkzeugfabrik lagerte große Mengen Baumaterials ein. Diese Vorräte wurden dann mit anderen Betrieben getauscht, um benötigte Güter oder Materialien zu bekommen. Solche Verfahrensweisen verschärften natürlich die bestehenden Engpässe.“ (David M. Keithly, The Collapse of East German Communism: The Year the Wall Came Down, 1989 [Der Zusammenbruch des ostdeutschen Kommunismus: Das Jahr, in dem die Mauer fiel, 1989], Westport, Connecticut, 1992)

Ulbrichts „Neues Ökonomisches System“: Bürokratische Anarchie als Plan

1963 redete sich die ostdeutsche Bürokratie ein, dass die Einführung von Marktmechanismen die Wirtschaft flexibler und effizienter machen würde, und Ulbricht verkündete sein „Neues Ökonomisches System“ (NÖS). Das NÖS war zum Teil vom sowjetischen Ökonomen Jewsei Liberman inspiriert, der dafür eintrat, an Stelle einfacher Ertragsmaße „Profitabilität“ als Grundlage zur Bestimmung der Betriebseffizienz zu nehmen, mit Bonuszahlungen an Arbeiter und Direktoren bei Übererfüllung so genannter Profitpläne. Desgleichen sollte das NÖS eine Preisreform beinhalten, um das Betriebskapital zu messen, und „Profite“, um Betriebseffizienz genauer auswerten, belohnen und beschleunigen zu können. Gleichzeitig wurde den Industrieverbänden (Vereinigungen Volkseigener Betriebe – VVB) und den Betrieben (Volkseigene Betriebe – VEB) mehr Autonomie zugestanden, damit sie ihre Lieferverträge selbst abschließen und Gewinne für Investitionen zurücklegen konnten. Die nächste Stufe der Reformen (1968–70) wurde „Ökonomisches System des Sozialismus“ (ÖSS) getauft. Sie führte dazu, dass durch sogenannte „strukturbestimmende Planung“ auf Grundlage der neuesten Entwicklungen in Kybernetik und Systemtheorie staatliche Investitionen in die Hightech-Sektoren Erdölverarbeitung, hochwertige Metallurgie und Datenverarbeitung gelenkt wurden. Als die Mauer stand und die Abwanderung zurückging, gingen solche Investitionen zu Lasten der Konsumgüterproduktion und -versorgung.

Ohne eine harte Währung gab es enorme Hindernisse für eine Preisreform. Ältere Maschinen und Anlagen – oft aus der Vorkriegszeit –, die eigentlich schon längst amortisiert waren, wurden immer noch in der Produktion eingesetzt. Neuere Maschinen und Anlagen waren durch Kompensationsabkommen oder durch administrative Verteilung zu willkürlichen Preisen beschafft worden. Viele Konsumgüter, wie Lebensmittel und Kinderbekleidung, wurden aus sozialen Gründen unterhalb der Produktionskosten verkauft. Nach der Erfahrung des 17. Juni 1953 wollte die Bürokratie es auch dabei belassen, was ihre Zerbrechlichkeit und ihre Furcht vor dem Proletariat zeigte.

Nach dem „Profit“-Maßstab wurden allgemein Investitionen in neuere Maschinen und Anlagen bevorzugt. Älteren Betrieben, die für die Gesamtproduktion zwar entscheidend, nach dem „Profit“-Maßstab aber zu leistungsschwach waren, wurden jedoch dringend benötigte Investitionen vorenthalten. Statt die Effizienz der ostdeutschen Wirtschaft zu erhöhen, führten die halb umgesetzten Pläne des NÖS Ende der 60er-Jahre zu wachsenden Defiziten und Engpässen bei der Industrieproduktion und -zulieferung sowie zu einer stagnierenden Konsumgüterproduktion. Wie wir in unserer Broschüre „,Marktsozialismus‘ in Osteuropa“ (August 1989) schrieben:

„Die teilweise Dezentralisierung der Investitionen, auf die Rentabilität der Betriebe ausgerichtet, rief in der ganzen Wirtschaft Unausgewogenheiten und Engpässe hervor. Die Produktionsmenge stieg doppelt so schnell wie die Erzeugung von elektrischem Strom, mit zahlreichen Stromausfällen und -störungen als Ergebnis.“

Jeder Betrieb verlangte, nun mit mehr Autonomie, gewaltige Kapitalinvestitionen zur Sicherung seiner Planerfüllung. Leipziger Arbeiter drückten 1971 bei Betriebswahlen für einen lokalen SED-Kongress ihre Verstimmung über Engpässe bei Konsumgütern aus: „25 Jahre nach Kriegsende sollte es bei der Konsumversorgung keine Probleme mehr geben. Zuviel wird exportiert, und für uns bleibt nichts übrig“ (J. Kopstein, The Politics of Economic Decline in East Germany, 1945-1989 [Die Politik des wirtschaftlichen Niedergangs in Ostdeutschland, 1945–1989], Chapel Hill, North Carolina, 1997).

1968 hegte Ulbricht anfänglich Sympathien für die Ablösung des tschechoslowakischen KP-Führers Antonin Novotny durch Alexander Dubcek im Prager Frühling. Denn führende Ideologen des Prager Frühlings wie Ota Sik betrieben ein ökonomisches Reformprogramm, das Ähnlichkeiten mit Ulbrichts NÖS bzw. ÖSS hatte. Als sich aber eine politische Liberalisierung anbahnte, die das Machtmonopol der stalinistischen Bürokratie in Frage stellte, stand Ulbricht, dem der Arbeiteraufstand vom 17. Juni noch gut in Erinnerung war, in der ersten Reihe derjenigen, die die Besetzung der Tschechoslowakei im August 1968 durch die Truppen des Warschauer Vertrages unterstützten. Diese anfänglichen Sympathien wurden dann bei Ulbrichts Sturz drei Jahre später zitiert.

Westdeutschland nahm 1969 mit Regierungsantritt der SPD/FDP-Koalition die Ostpolitik der sozialdemokratischen Führer Egon Bahr und Willy Brandt an. Nachdem die Eroberung des Ostens militärisch nicht möglich schien, erkannte die deutsche Bourgeoisie damit an, dass eine neue Offensive mit den Banken beginnen musste. (Siehe „Kalter Krieg, Ostpolitik und DDR-Anschluss – SPD: Trojanisches Pferd der Konterrevolution“, Spartakist Nr. 176, März 2009.) Ulbricht ersetzte in dieser Zeit die Parole von 1959 „einholen und überholen“ durch die neue Maxime „überholen, ohne einzuholen“: Durch den Einsatz der allerneuesten Technologien sollte der westdeutsche Imperialismus in ausgewählten Wirtschaftsbereichen „überholt“ werden, um so ein vereintes sozialistisches Deutschland zu schaffen. Finanziert werden sollte dies durch Kredite der Frankfurter Bankiers und durch sowjetische Subventionen, was durch zukünftige „Profite“ zurückgezahlt werden sollte. Die Auslandsschulden stiegen bis 1970 auf etwa 2,2 Milliarden D-Mark. Gleichzeitig verfolgte Ulbricht einen Kurs in Richtung größerer politischer Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Nichts an dieser Politik machte Ulbricht beim sowjetischen Führer Leonid Breschnjew beliebt, der eine konservative Reaktion auf das wirtschaftliche Chaos von Chruschtschows Reformen Ende der 1950er- bis Anfang der 1960er-Jahre verkörperte.

Während des ganzen Jahres 1970 setzte die Bürokratie die unbeliebten „Sonderschichten“ durch, um Engpässe zu überbrücken. Währenddessen führten in Polen im Dezember 1970 größere Streiks, die durch Preiserhöhungen ausgelöst worden waren, in den Schiffswerften in Gdansk, Gdynia und Szczecin und später in den schlesischen Bergwerken und Industriebetrieben, zu blutigen Zusammenstößen mit Polizei und Armee, mit vielen Toten. KP-Chef Wladyslaw Gomulka wurde abgesägt und durch den schlesischen Parteichef Edward Gierek als Erster Sekretär ersetzt. Gierek versprach, den Lebensstandard zu heben und die Wirtschaft zu modernisieren. In der DDR traten Teile der Bürokratie aus Angst, die Streikwelle würde auf das ostdeutsche Proletariat übergreifen, offener gegen Ulbrichts Politik auf. Mit Unterstützung Breschnjews ersetzten sie Ulbricht 1970/71 durch Erich Honecker.

Honeckers Konsum-„Sozialismus“

Honecker kam, wie Gierek in Polen, mit dem Versprechen an die Macht, den Lebensstandard zu heben. Ähnlich wie die KPdSU im April verkündete Honecker auf dem Achten Parteitag der SED im Juni 1971 die „Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion“ als neue „Hauptaufgabe“. Dies wurde ab 1975 als „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ tituliert. Zu seinen ersten Maßnahmen gehörten eine Renten- und Lohnerhöhung, eine Verminderung der Pflichtstunden in der Arbeitswoche, sowie ein Ausbau von Kinderbetreuung, Kinderbeihilfe und Mutterschaftsurlaub. Grundlegende Güter wie Nahrungsmittel, Wohnungen und Kinderbekleidung wurden umfassender subventioniert. Viele von Honeckers Maßnahmen waren anfangs beliebt, da durch sie die ostdeutsche Arbeiterklasse den höchsten Lebensstandard im Sowjetblock erreichte. Doch ihr Maßstab waren nicht Prag oder Budapest, sondern die prächtigen Schaufenster am Kurfürstendamm in Westberlin.

Von einer verknöcherten Bürokratie und oft auf Kosten anderer Wirtschaftsbereiche ausgeführt, erzeugte Honeckers Konsum-„Sozialismus“ in einem Drittel eines Landes eine armselige Palette minderwertiger Produkte – wenn sie überhaupt zu haben waren. Außerdem wuchs der Unmut angesichts eines Zweiklassen-Einzelhandels, wo die Besitzer harter Währung – überwiegend Ausländer – sich regelmäßige Besuche in den hochwertigen Intershops leisten konnten und die oberen Kreise der Bürokratie ihre eigenen Spezialgeschäfte hatten. Andererseits wurden hochwertige DDR-Produkte gegen harte Währung exportiert und waren, außer in den Intershops, daheim kaum zu haben. Ostdeutsche Maschinenbauer stellten für BMW und Seat Karosseriepressen von Weltrang her, mussten aber vierzehn Jahre auf den daheim produzierten Trabant warten, eine unfallträchtige rollende Pappschachtel, die beißende Abgaswolken ausstieß. Die ostdeutschen Arbeiter, denen Konsum-„Sozialismus“ versprochen worden war, hatten immer mehr den Eindruck, als schufteten sie in einem Ausbeuterbetrieb der Dritten Welt für den westdeutschen Markt.

Bald nach Ulbrichts Absetzung startete Honecker ein ehrgeiziges Wohnungsbauprojekt, um mit einem der am meisten vernachlässigten Bereiche der ostdeutschen Wirtschaft aufzuräumen:

„In einer Zeit, wo die Investitionen in jedem anderen Wirtschaftsbereich zurückgingen, stiegen die Wohnungsbauausgaben bis 1989 von Jahr zu Jahr. Wie in anderen Ländern des Sowjetblocks wurde der Großteil der neuen Wohnungen außerhalb der Stadtzentren in großen sozialistischen Wohngebieten gebaut. Diese Wohngebiete galten zwar als berüchtigt hässlich und waren von schlechter Qualität, hatten aber den Vorteil, aus standardisierten Modulen gebaut und relativ schnell bezugsfertig zu sein.“ (Kopstein, a.a.O.)

Ohne Arbeiterrätedemokratie und dem bürokratischen Zentralismus unterworfen, hatten jedoch selbst sozial motivierte Kampagnen unerwartete und sogar schädliche Auswirkungen. So wurden diese Maßnahmen zu Lasten von Investitionen durchgeführt. Ohne ausgeglichenen Investitionsplan kam es regelmäßig zu Engpässen bei grundlegendem Baumaterial wie Betonblöcken. Laut Gerhard Schürer, dem damaligen Chef der Staatlichen Plankommission (SPK), fiel der Anteil der Investitionen im produktiven Bereich von 16,1 Prozent im Jahr 1970 auf 9 Prozent im Jahr 1988. Ein Bericht der Wirtschaftsabteilung des Ministeriums für Staatssicherheit über die Bauindustrie kam zu einem katastrophalen Ergebnis. Bis zum Herbst 1989 sah es folgendermaßen aus:

„Nur 30 Prozent der Maschinen waren jederzeit einsatzbereit; 70 bis 90 Prozent waren zu alt; die Summen, die für Reparaturen gezahlt werden mussten, lagen doppelt so hoch wie die für die Amortisation angesetzten Beträge. Wichtige Ersatzteile waren rar, jeder dritte Arbeiter musste harte körperliche Arbeit verrichten, um den Maschinenverschleiß auszugleichen.“ (Charles S. Maier, Das Verschwinden der DDR und der Untergang des Kommunismus, Frankfurt am Main, 2000)

Der Wohnungsbau in den Außenbezirken ging mit dem Verfall der Innenstädte einher. Für Renovierung war fast kein Geld vorgesehen, und es wurde zugelassen, dass ältere Wohnungen unbewohnbar wurden. Ein rationalerer und effizienterer Wirtschaftsplan hingegen hätte eine Mischung aus Neubau und Renovierung festgeschrieben.

Dies wurde aus zweierlei Gründen zurückgewiesen. Zwar musste die Produktion und Zuteilung von Ressourcen zentralisiert werden, die erfolgreiche Aufstellung und Umsetzung eines Renovierungsplanes hätte jedoch mehr lokale Beteiligung und Kontrolle erfordert. Die Ostberliner Bürokratie zog es jedoch vor, alle Entscheidungen zentral zu treffen. Der zweite Grund war sowohl kulturell als auch politisch. Die Bürokratie hielt die alten Innenstädte oft für Sündenpfuhle „bürgerlicher“ Kultur und Korruption, wo Arbeiter verschiedener Betriebe außerhalb der direkten Kontrolle des Apparates, wenn auch unter den Augen der allgegenwärtigen Stasi, miteinander in Kontakt kamen. Als Ergebnis wuchs der Wohnraum insgesamt immer langsamer und hätte bei Fortsetzung des Trends ab 1990 zu schrumpfen begonnen – trotz umfangreicher Neubauten. Obwohl die Bevölkerung zur Zeit des Mauerfalls zurückging, gab es immer noch 800 000 offene Wohnungsanträge.

Die Autarkie der Kombinate

Nachdem das NÖS mit seinen Preis- und „Profit“-Mechanismen und seiner Betriebsautonomie aufgegeben worden war, wurde die ostdeutsche Wirtschaft in Kombinaten neu organisiert. Mehrere zueinander in wirtschaftlicher Beziehung stehende Betriebe wurden um einen Haupt- oder Stammbetrieb herum organisiert und vertikal integriert. „90 Prozent der gesamten Industrieproduktion fanden 1986 in 133 zentral verwalteten Kombinaten mit durchschnittlich 20 bis 30 Betrieben und 20 000 Beschäftigten statt sowie in 93 kleineren auf Bezirksebene verwalteten Kombinaten mit durchschnittlich 2000 Beschäftigten“ (Kopstein, a.a.O.). Diese riesigen vertikal zusammengefassten Betriebsgruppen sollten selbsttragende Industrieimperien sein. Das Kombinat-System war zwar erfolgreicher als die stärker dezentralisierte Wirtschaft Ungarns, Polens und Jugoslawiens, hatte aber „seine eigenen Verzerrungen und Unausgewogenheiten hervorgebracht sowie eine Tendenz, bürokratische Fürstentümer zu schaffen“ („Marktsozialismus“-Broschüre, August 1989). Der wesentliche Fürsprecher der Kombinate war Günter Mittag, Parteisekretär für Wirtschaft, der auch schon der Hauptverfechter von Ulbrichts NÖS gewesen war – ein Mann, der völlig entgegengesetzte Ansichten zu einer Frage gleichermaßen überzeugend vertreten konnte. Die Kombinate begünstigten eine Form der „Importsubstitution“. Statt sich für Zulieferung und Ersatzteile auf einen Betrieb von außerhalb zu verlassen, über den das Kombinat keine Kontrolle hatte, verfügte der Direktor, dass Produktionsvorleistungen im eigenen Haus erbracht werden, oder brachte seinen Tag damit zu, Tauschhandel mit einem Zulieferer zustande zu bringen, der das hatte, was er brauchte. Arbeitsteilung und -produktivität gingen dabei flöten.

Um die neuesten Innovationen in den Produktionsprozess einzubeziehen, hatte jedes Kombinat seine eigene Abteilung für Rationalisierung, Forschung und Entwicklung. Kopstein schreibt:

„Der Umfang des hauseigenen Maschinenbaus und der Rationalisierung in den Kombinaten stieg zwischen 1980 und 1988 fast um das Vierfache, und der Anteil der Ressourcen, die durch diese Abteilungen flossen, stieg auf 25 Prozent aller Investitionen… Einer ostdeutschen Quelle zufolge verbrachten die Rationalisierungsabteilungen 20 Prozent ihrer Zeit damit, Maschinen zu modernisieren, 20 Prozent mit Reparaturen, und in der verbleibenden Zeit wurde Ersatz für nicht verfügbare Importe geschaffen.“

Auch die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen „brachten immer mehr Zeit mit Reparaturen und der Erweiterung bestehender Ausrüstung zu, statt mit Grundlagen- oder angewandter Forschung. Da die Investitionen insgesamt zurückgingen, verfielen die bestehenden Maschinen und Anlagen, und Wissenschaftler wurden zunehmend als Reparaturkräfte benutzt“ (Kopstein, a.a.O.). Als Beispiel zitiert Kopstein Harry Maier, einen bis 1986 führenden DDR-Ökonomen, der in seinem 1987 erschienenen Buch Innovation oder Stagnation das Beispiel eines Generaldirektors eines Schuhkombinats anführt: „Wir schlugen dem Direktor des Kombinats vor, einen selbstständigen Software-Betrieb zu gründen, der seine Produkte an Interessenten in der ganzen DDR verkaufen sollte. Der Generaldirektor winkte ab: ‚Und was kommt für unser Kombinat dabei heraus?‘“

Das Problem der Energieversorgung

Bis Honecker an die Macht kam, hatte sich die SED formal einer deutschen Wiedervereinigung verschrieben. Artikel 8 der DDR-Verfassung von 1968 erklärte: „Die Herstellung und Pflege normaler Beziehungen und die Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung sind nationales Anliegen der Deutschen Demokratischen Republik. Die Deutsche Demokratische Republik und ihre Bürger erstreben darüber hinaus die Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus.“ Ulbrichts Traum, dass es zu einer Wiedervereinigung käme, weil die DDR die wirtschaftliche Überlegenheit einer geplanten Wirtschaft beweisen würde, lehnte Honecker ab. Artikel 8 wurde 1974 von seinem Regime gestrichen. Stattdessen kreierte Honecker einen ostdeutschen Ersatznationalismus, für den er Leute wie Luther, Friedrich II. und Bismarck in das „sozialistische“ Erbe des Ostens einbezog. Diese Abgrenzungsideologie verdeckte, dass Ostdeutschland in Wirklichkeit von seinem imperialistischen Nachbarn und dem Weltmarkt immer abhängiger wurde.

Dank sowjetischer Lieferungen von Öl und anderem Rohmaterial war die DDR vor der OPEC-„Ölkrise“ von 1973 und vor der folgenden weltweiten Rezession zuerst geschützt. Die UdSSR, mit rasant steigenden Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt konfrontiert, ließ die DDR jedoch im Frühjahr 1974 wissen, dass es bald eine Reihe von Preiserhöhungen geben würde. 1970 verlangte Russland von der DDR 13 Rubel pro Tonne Öl, 1980 waren es 71 Rubel pro Tonne, 1985 waren es 168 Rubel – eine 13-fache Erhöhung innerhalb von 15 Jahren. Da der Preis von DDR-Produkten relativ unverändert blieb, musste Ostdeutschland 1985 im Vergleich zu 1970 10-mal soviel ausführen, um die gleiche Menge Öl zu bekommen. Das bedeutete, dass weniger Sozialprodukt für Investitionen, Betriebsinstandsetzung und Sozialleistungen übrigblieb.

Damit nicht genug, kündigte der Kreml 1979 an, die Ölexporte zu kürzen, um mehr für harte Währung auf dem Weltmarkt verkaufen zu können. Als Breschnjew eine Delegation der Gosplan (Staatliche Plankommission) nach Ostdeutschland schickte, um die Kürzungen zu erklären, sagte der deutsche SPK-Chef Schürer:

„Ich nehme an, dass eine gesunde, stabile, sozialistische DDR in den strategischen Überlegungen der UdSSR eine wichtige Rolle spielt. Der Imperialismus steht direkt vor unserer Tür und verbreitet seinen Hass auf drei Fernsehkanälen. Jetzt haben wir die Konterrevolution in Polen im Rücken. Wenn die Stabilität hier in Gefahr geriete, könnte sie nicht mit 3,1 Millionen Tonnen Treibstoff wiederhergestellt werden.“

Nikolai Baibakow, der Gosplan-Chef und Delegationsführer, erwiderte, über Polen müsse er nachdenken:

„Wenn ich dort beim Öl kürze (ich fahre nächste Woche dorthin), wäre das für den Sozialismus untragbar… Und Vietnam leidet Not. Wir müssen helfen. Sollten wir einfach Südostasien aufgeben? Angola, Mosambik, Äthiopien, Jemen. Wir stützen sie alle. Und unser eigener Lebensstandard ist außerordentlich niedrig. Wir müssen ihn wirklich verbessern.“ (Kopstein, a.a.O.)

Der Wortwechsel zwischen den obersten Wirtschaftsplanern der UdSSR und der DDR ist ein messerscharfer Ausdruck einer sozialen Kaste, die im selbstgeschaffenen Dogma vom „Sozialismus in einem Land“ gefangen ist und bei den gegensätzlichen Interessen zwischen Arbeiterstaat und Imperialismus vermitteln will. Nach weiteren Verhandlungen wurden die jährlichen Lieferungen für die DDR von 19 auf 17 Millionen Tonnen reduziert.

In den 60er und 70er Jahren konnte die DDR ihre Abhängigkeit von Kohle zur Energieversorgung verringern, indem sie stattdessen Öl und Erdgas aus der UdSSR einsetzte. Während Kohle in Ostdeutschland 1955 noch 95 Prozent der Energie lieferte – davon allein 84,4 Prozent durch Braunkohle –, sank dieser Anteil auf 64 bzw. 60 Prozent im Jahr 1980. Gleichzeitig stieg die Öl- und Gasnutzung von 1,3 Prozent (1955) auf 25 Prozent (1980). Ein Gutteil von Öl und Gas wurden in riesigen petrochemischen Werken wie den Leuna-Chemiewerken raffiniert, um sie für harte Währung in den Westen zu exportieren. Ab Mitte der 1970er-Jahre investierte die DDR mehr als eine Milliarde Mark harter Währung in importierte Ausrüstung für Ölraffinerien. Zur gleichen Zeit, als die UdSSR die Preise erhöhte und die Lieferungen zurückschraubte, musste die DDR mit ihrem wachsenden Defizit gegenüber dem Westen zurechtkommen. Einerseits profitierte die DDR sicherlich von der Verdopplung der weltweiten Ölpreise zwischen 1979 und 1980 von 15 Dollar auf 33 Dollar pro Barrel, was auch raffinierte Produkte betraf. Andererseits stieg auch, wie oben erwähnt, der Preis, den die DDR der UdSSR für Öl zahlen musste, von 71 Rubel (1980) auf 168 Rubel (1985) pro Tonne.

Trotz gekürzter sowjetischer Lieferungen steigerte die DDR den Export von Ölprodukten in den Westen, um von den Weltmarktpreisen zu profitieren. Dazu war eine drastische Verringerung des heimischen Heizölverbrauchs notwendig: von 6,7 Millionen Tonnen 1980 auf 1,9 Millionen 1985 und 1,3 Millionen 1989. Durch die Entwicklung der sogenannten „tieferen Spaltung“ konnte die Verwertung des Erdöls gesteigert werden. Andere Maßnahmen zur Senkung des heimischen Ölverbrauchs waren nicht modern, sondern sehr primitiv. Dementsprechend stieg der Braunkohleanteil beim Primärenergieverbrauch von 62,8 auf 70,2 Prozent, während die Nutzung von Öl und Gas von 17,8 auf 12,1 Prozent fiel. Das durchschnittliche Verhältnis von Abraum (Oberflächenerde) zu Kohle stieg im Tagebau von 3,9:1 im Jahr 1980 auf 4,5:1 im Jahr 1985. Im gleichen Jahr wurden 1,7 Milliarden Tonnen Abraum entfernt, um die Produktionsziele für Kohle zu erfüllen. Bevor Braunkohle als Brennstoff verwendet werden kann, muss sie aufwendig veredelt werden – das allein verbraucht schon beträchtliche Mengen Energie. Außerdem ist Braunkohle nur halb so ergiebig wie Steinkohle. Dazu kam, dass die Kraftwerke nicht ausreichend mit Entschwefelungsanlagen ausgerüstet wurden, so dass der Schwefeldioxidausstoß enorm zunahm, mit Schäden für Gesundheit und Umwelt.

Die Beförderung von Kohle nahm gleichzeitig einen wachsenden Teil der Eisenbahnkapazität in Anspruch. Zwischen 1960 und 1980 sank die Kohleladung von 90,8 Milliarden Tonnen auf 83 Milliarden. Bis 1985 war die Kohleladung auf 109,5 Milliarden angestiegen. 1989/90 konnte man einen tiefgreifenden Eindruck von der Umweltzerstörung, die die Braunkohle-gestützte Wirtschaft erzeugte, erhalten. „Braunkohleabbau verschlang in den 1980ern etwa ein Viertel aller Industrieinvestitionen“ (Kopstein, a.a.O.). Schürer schrieb später:

„Oft waren [SED-Wirtschaftssekretär] Mittags Ideen richtig, aber sein extremes Denken ließ diese sehr oft zu Unsinn verkommen. Drei Millionen Tonnen Heizöl einzusparen war nach der Kürzung der sowjetischen Erdöllieferungen … lebensnotwendig. Aber dann weitere drei Millionen Tonnen zu streichen, war blanker Unsinn.“ (Stefan Bollinger [Hrsg.], Das letzte Jahr der DDR, Berlin, 2004)

NATO-Raketen und „Wessi“-Kredite

Aufgrund höherer Ölpreise hatte die DDR im Zeitraum von 1981 bis 1985 einen Handelsbilanzüberschuss gegenüber der kapitalistischen Welt von 12 Milliarden Valuta-Mark oder DM-Äquivalent, wobei der Überschuss sowohl 1984 als auch 1985 je 3 Milliarden VM betrug. Im gleichen Zeitraum wurden die Schulden in harter Währung von 23,6 Milliarden VM (1980) auf 18,3 Milliarden reduziert. Nach Verhandlungen von Schalck-Golodkowski, dem Geldbeschaffer der ostdeutschen Kommerziellen Koordinierung (KoKo), und dem westdeutschen Revanchisten Franz Josef Strauß (CSU) bewilligte jedoch der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Juni 1983 einen Milliardenkredit.

Kohl und Strauß waren nicht weich gegenüber dem Kommunismus geworden. Sie erfüllten im Gegenteil das Versprechen des vorherigen, sozialdemokratischen Kanzlers Helmut Schmidt, in Westdeutschland Pershing-II-Atomraketen zu stationieren, die Moskau außer Gefecht setzen könnten. Im November stimmte der Bundestag der Stationierung zu, und die Stationierung der Raketen begann umgehend. Sechs Monate später bewilligte Bonn der DDR einen weiteren Kredit in der gleichen Größenordnung. Die Kredite bildeten ebenso wie die zur Solidarność geschleusten CIA-Gelder eine weitere Front des Feldzugs, mit dem die Imperialisten die sozialen Errungenschaften der Oktoberrevolution und ihre osteuropäische Ausweitung rückgängig machen wollten. Der eskalierende Kalte Krieg kam jedoch Honeckers innenpolitischen Prioritäten in die Quere. Als der sozialdemokratische Kanzler Schmidt 1980 mit den USA über die Stationierung von Atomraketen mit Erstschlagskapazität verhandelte, besuchte Markus Wolf den KGB-Chef Juri Andropow in Moskau. Wolf berichtet in seinen Memoiren (Spionagechef im geheimen Krieg), dass Andropow ihn warnte, Schmidt habe „zwei Gesichter“, sei jedoch grundsätzlich pro-amerikanisch: „Mit diesem Mann sollte man keine Gespräche auf höchster Ebene führen.“

Aber Honecker entdeckte angesichts der Pershing-Stationierung plötzlich eine „Koalition der Vernunft“ mit den Kriegstreibern und Revanchisten in Bonn. Dies war weit stärker durch die zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit der DDR von Westdeutschland motiviert, als dadurch, dass Honecker von einer Überdosis seiner eigenen Friedenspropaganda zugedröhnt gewesen wäre. Unter dem Druck des Weltmarktes und des erneuerten antisowjetischen Kriegskurses der USA gingen die begrenzten nationalistischen Interessen des Kreml und Pankows zum Aufbau des „Sozialismus“ in ihrem jeweiligen Land auseinander. Offen zeigte sich das im Herbst 1984, als der Kreml Honeckers Flirt mit Kohl untersagte. (Siehe „Moskau sagt Njet zu Honeckers Techtelmechtel mit Bonn“, Spartakist Nr. 51, Oktober 1984.) Die Spaltung im Ostblock zu vertiefen war Sinn und Zweck der Milliardenkredite von Strauß und Kohl gewesen, die damit offiziell die Ostpolitik der vorherigen SPD/FDP-Koalition fortführten.

„Sozialistische“ Deindustrialisierung

Als nach 1985 die Ölpreise um mehr als die Hälfte einbrachen, verwandelte sich der Handelsüberschuss der DDR in ein jährliches Handelsdefizit von drei Milliarden VM. Das offenbarte, dass die bis dahin günstige Handelsbilanz auf den konjunkturell hohen Ölpreisen basierte statt auf irgendeiner Stärke der DDR-Wirtschaft. Das „Wirtschaftswunder“ der ersten Hälfte der 80er-Jahre kam die DDR erneut teuer zu stehen. Westimporte wurden eingedämmt, was Betriebe, die auf Maschinen-, Ersatzteil- und Materialimporte aus dem Westen angewiesen waren, zu den bizarrsten Formen der Importsubstitution trieb. Anfang 1990 schrieben wir:

„Grundsätzlicher noch: um die Exporte zu steigern, ohne den Verbrauch einzuschränken, drosselte das Honecker-Regime drastisch die Investitionen in neue Anlagen und in die Infrastruktur. Die Investitionsrate fiel von 28 Prozent des Volkseinkommens 1976 auf 21,5 Prozent ein Jahrzehnt später. Daher ist der technologische Rückstand, den die Industrieanlagen der DDR gegenüber Westdeutschland haben, größer als vor zehn Jahren.“ („RGW scheitert am Nationalismus“, Arprekorr Nr. 26, 6. März 1990 und Arprekorr Nr. 27, 13. März 1990)

Ende 1989 malte Schürers Wirtschaftsbericht an Modrow ein noch krasseres Bild: Der Anteil produktiver Investitionen war von 16,1 Prozent (1970) auf 9,9 Prozent (1988) gefallen. Die Konsequenz war, dass die industrielle Produktivität im Vergleich zu Westdeutschland von 70 Prozent in den 50ern auf unter 50 Prozent in den 80ern zurückging.

Bei der verzweifelten Suche nach harter Währung wurden Güter an den Westen unterhalb ihrer Herstellungskosten verkauft. „Bezogen auf jede Mark, die in die Produktion investiert wurde, fiel die erwirtschaftete Menge an ausländischer Währung“ unter solchen Bedingungen sinkender Investitionen „in allen Industriezweigen dramatisch, von 0,454 Mark (1980) auf 0,275 Mark (1985)“ (Kopstein, a.a.O.). Wie die folgende Tabelle veranschaulicht, gab es außerdem bei Exporten in den Westen eine Verschiebung hin zu Rohstoffen und Produkten mit geringer Wertzusetzung:

DDR-Exporte in westliche
Industriestaaten (Prozent)
1975 1980 1988
Rohstoffe 31,2 38,0 40,3
Werkzeugmaschinen, Elektronik 30,6 34,4 27,8
Leichtindustrie und Nahrung 38,2 27,7 31,9

Michail Gorbatschow kam 1985 an die Macht. Ende Mai 1986 schickte ihm der Staatsratsvorsitzende Willi Stoph, in der Hoffnung, seine Unterstützung zu gewinnen, über den Berliner KGB-Stützpunkt ein Dossier über die tatsächliche wirtschaftliche Situation in der DDR, worin Honecker und Mittag scharf kritisiert wurden. Kopstein ergänzt in einer Fußnote, dass der sowjetische Geheimdienst Gorbatschow auch darüber informiert hatte, dass die westdeutsche Regierung ostdeutsche Schulden aufkaufte, um die SED in Zukunft stärker unter Druck setzen zu können. Als Gorbatschow Honecker im April 1986 davor warnte, versicherte ihm „Vorwärts-immer“-Erich, dass seine Finanzfachleute die Sache sicher in der Hand hatten.

Im April 1988 übermittelte SPK-Leiter Schürer Honecker einen Bericht mit dem Titel „Überlegungen zur weiteren Arbeit am Volkswirtschaftsplan 1989 und darüber hinaus“, worin er vor „rapide steigenden Auslandsschulden“ (zitiert in Kopstein, a.a.O.) warnte. Die DDR brauchte einen jährlichen Handelsüberschuss gegenüber dem Westen von 6,5 Milliarden DM, um den Anstieg der Verschuldung zu stoppen. Um das zu erreichen, schlug Schürer vor, Mittags teures und nicht sehr erfolgreiches Mikroelektronikprogramm zu kürzen. Noch umstrittener war sein Vorschlag, die Subventionierung der Verbraucherpreise drastisch zu verringern, was für die meisten Ostdeutschen scharfe Einschnitte beim Lebensstandard bedeutet hätte. Der Anteil der Preissubventionen am gesamten Staatshaushalt war zwischen 1971 und 1980 von 13,5 auf 14,9 Prozent gestiegen – ein Anstieg um 1,4 Prozent. Von 1980 bis 1988 sollten solche Subventionen auf 24,5 Prozent des Gesamthaushalts anwachsen. Zwischen 1980 und 1989 verdreifachte sich der Mark-Betrag der Preissubventionen für Güter und Dienstleistungen von 16,9 auf 51 Milliarden Mark, und für Mieten stieg er auf das 2,4-Fache, von 7 auf 16,6 Milliarden Mark.

Viele dieser Preissubventionen waren sozial gerechtfertigt – einige erzeugten jedoch wirtschaftliche Verzerrungen, wie die Fütterung von Schweinen mit Brot, weil es billiger war als Tierfutter. In „Für ein rotes Deutschland in einem sozialistischen Europa!“ erklärten wir:

„Eine rationale Entscheidung über Subventionen und Preise ist dringend nötig, bei der nicht eine willkürliche Bürokratie, sondern die Werktätigen das Sagen haben, und zwar durch Arbeiterräte (Sowjets), die von unten gewählt werden und auch die höchsten Regierungsebenen umfassen. Es wäre möglich, das reale Produktionsniveau bei Gütern zu bestimmen und dann zu entscheiden, welche besonders gefördert werden sollten … und Verzerrungen rechtzeitig aufzudecken – so wie das Haushaltsdefizit, das 130 Milliarden Mark betragen soll –, statt der ewigen Vertuschungen, die für den Regierungsapparat von oben bis unten so typisch sind.“

Einer Bürokratie, deren rasch schwindende politische Autorität auf dem (immer weniger erfüllten) Versprechen vom „Konsum-Sozialismus“ beruhte, war es ein Gräuel, über Einschnitte beim Lebensstandard zu reden. Am 16. Mai 1989 legte Schürers Kommission einen neuen Bericht vor, worin der jährliche Kreditbedarf der DDR mit nunmehr 8 bis 10 Milliarden Valuta-Mark angegeben wurde, die bei etwa 400 Banken aufgetrieben werden sollten. Die DDR erreichte jedoch schnell ihre Kreditgrenze bei den westlichen Banken.

Die Frage der Qualität
und die Qualität der Wirtschaftsdebatte

Trotzki stellte in Verratene Revolution bezüglich der Sowjetunion fest:

„Auf den von der Revolution geschaffenen Grundlagen vollzog sich die grobe Vorarbeit des Entlehnens, Nachahmens, Verpflanzens, Aufpropfens. Ein neues Wort ist bisher weder in der Technik, noch der Wissenschaft oder Kunst gesprochen worden. Gigantische Fabriken nach fertigen westlichen Mustern kann man auch auf bürokratisches Kommando errichten, freilich dreimal so teuer. Aber je weiter der Weg geht, umso mehr läuft die Wirtschaft auf das Problem der Qualität hinaus, die der Bürokratie wie ein Schatten entgleitet. Die Sowjetproduktion scheint wie vom grauen Stempel der Gleichgültigkeit gezeichnet. In einer nationalisierten Wirtschaft setzt Qualität Demokratie für Erzeuger und Verbraucher, Kritik- und Initiativfreiheit voraus, d. h. Bedingungen, die mit einem totalitären Regime von Angst, Lüge und Kriecherei unvereinbar sind.“

Genauso, wenn nicht stärker, traf dies auf die DDR zu. Betriebs- und Ministeriumsdirektoren wurden auf Grund ihrer engen persönlichen Beziehungen und persönlichen Loyalität zu den für die Wirtschaft zuständigen Politbüromitgliedern, insbesondere Günter Mittag, ausgewählt. Sie frisierten die Bücher, übertrieben ihren Bedarf und ihre Erfolge, verschleierten ihre Fehlbeträge und Fehler, und gaben ihre Probleme nach unten im Produktionsprozess weiter.

Für die ostdeutsche Bürokratie gab es mehr als genug Gründe, die wirkliche wirtschaftliche Situation ihres „real existierenden Sozialismus“ zu verstecken, zu verzerren und zu fälschen. Und im Westen war sie damit einigermaßen erfolgreich. Eine führende amerikanische Wirtschaftszeitschrift konnte Anfang 1989 in einer Schlagzeile verkünden: „Lange Geschichte des anhaltenden Wirtschaftswachstums geht weiter; 1989 könnte vorteilhaftes Jahr sein, um sich diesem Markt zuzuwenden.“ In dem Artikel heißt es weiter:

„Die Deutsche Demokratische Republik hatte in den 70ern und 80ern ein anhaltendes Wirtschaftswachstum vorzuweisen und besitzt bei der internationalen Bankengemeinschaft eine gute Kreditwürdigkeit.“ (Business America, 27. Februar 1989)

Daher überrascht es nicht, dass das Ausmaß der Wirtschaftskrise in der DDR uns selber nicht ersichtlich war, als wir unsere „Marktsozialismus“-Broschüre im Juli 1988 zuerst auf Englisch veröffentlichten. Das große Verbrechen der Bürokratie bestand darin, sich selbst zu belügen, die Parteikader zu belügen und schließlich die Kader dazu zu bringen, die Arbeiterklasse zu belügen. Die Arbeiter, die solche Lügen mit der Realität ihres harten Alltags verglichen, wurden dadurch nur wütend gemacht. Außerdem gab es über 90 000 Stasi-Mitarbeiter und fast doppelt so viele IMs, um die Arbeiter ruhigzustellen, die sich nicht gegenseitig belügen wollten. Das war nicht nur eine verschwenderische Belastung von 3,6 Milliarden Mark jährlich für die schwächelnde ostdeutsche Wirtschaft, sondern auch eine gewaltige Quelle der Demoralisierung des Proletariats.

Die Tatsache, dass Planungschef Schürer und fast das gesamte Politbüro der SED keine Ahnung hatten, über welch enorme Bestände an ausländischer Währung Schalck-Golodkowski verfügte, zeigte das Ausmaß der selbstverschuldeten Blindheit der Bürokratie. Als Schürer alles an Wirtschaftsdaten ins Feld führte, was verfügbar war, um die Aufmerksamkeit des PB auf den kritischen Zustand der Wirtschaft zu lenken, wurde ihm mitgeteilt, sein Bericht sei unvereinbar mit der 1971 auf dem Achten Parteitag beschlossenen „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“. Nach einer dieser Standpauken von Mittag warnten sogar die eigenen Stasi-Wirtschaftswächter, Hauptabteilung XVIII, vor den unheilvollen Auswirkungen auf die Wirtschaftsdebatte in der Partei:

„In diesem Zusammenhang wurde die Meinung geäußert, künftig werde wohl kaum ein leitender Funktionär noch den Mut aufbringen, derartige Vorschläge, die darauf gerichtet sind, Aufkommen und Verteilung in eine günstigere Relation zueinander zu bringen, zu unterbreiten. Bei Beibehaltung derartiger Tabus seien die anstehenden Probleme, d. h. einen realen, anspruchsvollen Plan 1989 vorzulegen, nicht zu lösen.“ (Maier, a.a.O.)

Das unterstreicht die Wichtigkeit der Rede, die unsere Genossin Renate Dahlhaus am 3. Januar 1990 vor 250 000 Arbeitern, Soldaten und Jugendlichen hielt. In einem prosowjetischen, prosozialistischen Einheitsfrontprotest, den wir ins Leben gerufen hatten und der von der SED-PDS aufgegriffen worden war, hatten sie sich versammelt, um gegen die faschistische Schändung des sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park in Berlin zu protestieren. In der Rede heißt es:

„Was dringend benötigt wird, ist ausgewählte Modernisierung der bereits bestehenden Industrie. Hier bei uns in der DDR ist es noch anders als in den Ländern, in den anderen sozialistischen Ländern, die Stalins Konzept des Aufbaus des Sozialismus in einem Lande haben und zeigen, dass dieses eine durchsichtige Dummheit ist. Wir stehen vor der schweren Wahl, wir müssen wissen, die Gefahr, unter die Gewalt des Weltmarktes zu kommen…

Die Sowjetunion praktiziert ihre eigene ökonomische Autarkie, was nicht besonders günstig ist und was dazu führt, dass die Sowjetunion zu schweren wirtschaftlichen Bedingungen gekommen ist.

Lenin sagt, Politik ist die Konzentration der Ökonomie. Der Kampf um die Macht, um diese Entscheidungen zu treffen und dieses Land zu regieren, muss liegen in den Händen von Arbeiterräten, damit rationelle vernünftige Entscheidungen gefunden werden können, zur Zufriedenheit der Mehrheit. Dies kann nur dadurch geschehen, durch offene und manchmal schmerzhafte Debatten vor dem gesamten Volk. Vielleicht wird dieses Beispiel die Sowjetunion ermutigen, den gleichen Weg zu nehmen. (Zwischenrufe)

Genossen, hört zu und lernt, dass nur durch schmerzhafte und offene Debatten der Weg zum Sozialismus eröffnet werden kann.“ („Arbeiter- und Soldatenräte an die Macht!“, Arprekorr Nr. 15, 4. Januar 1990)

Ein Chip bringt den
„real existierenden Sozialismus“ ins Trudeln

Als Trotzki 1936 in der Verratenen Revolution die wirtschaftlichen Erfolge der Sowjetunion analysierte, wies er auf die entscheidende Bedeutung der Produktivität zur Beurteilung des ökonomischen Kräfteverhältnisses zum Kapitalismus hin:

„Aber ihrem Wesen nach steht die Frage: ,wer wen?‘ vor der UdSSR im Weltmaßstab, und zwar nicht so sehr als eine militärische, sondern als Wirtschaftsfrage. Die Militärintervention ist gefährlich. Die Intervention billiger Waren im Gefolge der kapitalistischen Armeen wäre weitaus gefährlicher. Der Sieg des Proletariats in einem der westlichen Länder würde selbstverständlich mit einem Schlage das Kräfteverhältnis gründlich ändern. Aber solange die UdSSR isoliert bleibt, schlimmer, solange das europäische Proletariat nur Niederlagen erleidet und zurückweicht, solange bemisst sich die Stärke des Sowjetregimes letzten Endes an der Arbeitsproduktivität, die sich bei der Warenwirtschaft in Gestehungskosten und Preisen ausdrückt.“

1989 waren 21 Prozent der Industrieanlagen in der DDR über 20 Jahre alt gegenüber 6 Prozent in Westdeutschland. Je fortgeschrittener die Technologie, desto schmerzhafter war diese Kluft. Ostdeutschland war nicht nur führend im Sowjetblock bei der Produktion von Werkzeugmaschinen, Elektronik und optischen Instrumenten, sondern verfügte im Westen auch über einen beträchtlichen, wenn auch schwindenden Markt. Die Zukunft gehörte jedoch der Mikroelektronik und computergesteuerten Werkzeugmaschinen (CAD/CAM). Vom COCOM (Coordinating Committee on Multilateral Export Controls – von den USA 1949 gegründeter „Koordinationsausschuss für mehrseitige Ausfuhrkontrollen“, der nicht nur NATO-Mitglieder umfasste, sondern auch Japan und Australien) festgeschriebene und durchgesetzte Handelsbeschränkungen des Kalten Krieges verboten den Export von Computern und Mikroelektronikgeräten in den Sowjetblock.

Im Rahmen des „Sozialismus in einem Land“ sahen die SED-Spitzen keine andere Alternative, als trotz der immensen Kosten ihre eigene Mikroelektronikindustrie zu entwickeln – insbesondere da diese für den ganzen Sowjetblock produzierte, wie wir in „Für ein rotes Deutschland in einem sozialistischen Europa“ erklärten. Dass die DDR, von Spionage abgesehen, von internationaler Hochtechnologie isoliert war, lähmte sie jedoch. Sie versuchte, eine Hightech-Industrie auf Grundlage einer Industrieinfrastruktur aufzubauen, die um 10–15 Jahre veraltet war. Fünfzehn Milliarden Mark wurden 1986–89 für Mikroelektronik ausgegeben – die Hälfte aller Ausgaben für die gesamte Elektrik- und Elektronikindustrie. Planungschef Schürer bezeichnete das ganze Projekt 1988 trotzdem als Fehlschlag und wollte es aus finanziellen Gründen einstampfen.

Schauen wir uns Trotzkis Maß für technologische Entwicklung an: die Arbeitsproduktivität, gemessen in Produktionskosten und Preisen. Erst 1985 fing die DDR an, 256-Kb-Chips herzustellen – acht Jahre später als der Weltstandard. Jeder Chip kostete 530 Mark, brachte jedoch nur 4–6 DM auf dem Weltmarkt. Schürer berichtete 1989, das Ziel seien 500 000 Chips, doch selbst mit zusätzlichen Maschinen aus dem Westen könnten nur 90 000 produziert werden. Handelsminister Werner Jarowinski erinnerte den Planungschef daran, dass das „kleine Österreich“ 50 Millionen Stück herstellte und die Weltproduktion 800 Millionen betrug! Als Gorbatschow 1986 an „einer Vorführung des Prototypen des vielgerühmten ostdeutschen Ein-Megabyte-Chip“ teilnahm, „ruinierte der Sowjetführer beinahe die gesamte Veranstaltung. Als er den Chip sah, fragte er, wann er in großen Stückzahlen produziert werden könnte, und wurde schnell weggeführt“ (Kopstein, a.a.O.). Als der 1-MB-Chip 1989 in die Produktion ging, wurde sein Preis mit mehr als 1100 Mark subventioniert, um die Produktionskosten zu decken.

RGW und Ostdeutschland

Als Antwort auf den Marshall-Plan des Kalten Krieges hatte Moskau im Januar 1949 den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) geschaffen. Die DDR wurde 1950 aufgenommen. Anstelle von transnationaler Wirtschaftsplanung und -integration zur Ausnutzung einer Arbeitsteilung innerhalb des Sowjetblocks musste jedes Land eine verkleinerte Version der sowjetischen Wirtschaftsautarkie nachbilden, gesponsert durch (damals) günstige sowjetische Energieexporte. In den 1970ern war Handel, soweit er überhaupt stattfand, das Ergebnis von bilateralem Austausch. Versuche, innerhalb des RGW transnationale Entwicklungsprojekte und Ansätze zentraler Planung zu fördern, krankten an der wachsenden Abhängigkeit der Mitgliedsstaaten von Westkrediten zur Finanzierung hochwertiger und hochtechnologischer Importe aus dem Westen. Immer mehr mussten hochwertige Erzeugnisse für harte Währung und für den Westen reserviert werden, um Schuldverpflichtungen nachzukommen, während minderwertige Produkte unter RGW-Mitgliedern getauscht und gehandelt wurden. Dies wiederum zwang den Sowjetblock in noch größere Abhängigkeit von Westkrediten und -gütern, und so nahm der Teufelskreis seinen Lauf. Die 1957 gegründete kapitalistische Europäische Wirtschaftsgemeinschaft erreichte verglichen damit eine viel größere wirtschaftliche Integration. Wie wir in „RGW scheitert am Nationalismus“ ausführten:

„In den 60er-Jahren schlugen einige rational eingestellte sowjetische und osteuropäische Ökonomen vor, der RGW solle eine unabhängige Preisstruktur entwickeln, die die relativen Produktionskosten in der Region widerspiegelt. Dieser ausgesprochen vernünftige und gerechte Vorschlag kam nie über die Seminare von Forschungsinstituten hinaus.

Warum nicht? Weil die stalinistischen Bürokratien zutiefst nationalistisch sind und natürlich ihren ,sozialistischen‘ Handelspartnern nicht trauen. Sie alle glauben an den ,Aufbau des Sozialismus in ihrem Land‘. Der Kreml dachte nicht im Traum daran, der DDR irgendwelche Kontrolle zu geben über die Preise seiner Ölexporte. Umgekehrt hätten die Berliner Bonzen sowieso nicht den Moskowitern erlaubt, die Preise zu beeinflussen, die sie für elektrische Maschinen verlangen. Also tauschen die UdSSR und die DDR Erdöl und Maschinen zu Bedingungen, die vom Rockefeller-Imperium und von Siemens bestimmt werden! Wie wir gesagt haben: Stalin hat die zentrale Planung in Verruf gebracht. Was man braucht, ist eine international zusammengefasste zentrale Planwirtschaft unter der Herrschaft von Arbeiterrätedemokratie.“

Trotz des wachsenden wirtschaftlichen Nationalismus im Sowjetblock betrieb die DDR 66 Prozent ihres Außenhandels mit RGW-Staaten. In den 80ern stieg der Anteil der DDR-Werkzeugmaschinenproduktion, der in die Sowjetunion ging, trotz sowjetischer Beschwerden über sinkende Qualität von 75 auf 85 Prozent. Obwohl ihr eigener Eisenbahn-Fuhrpark und ihr Schienennetz heruntergekommen waren, war die DDR weltgrößter Exporteur von Personenzügen – wiederum hauptsächlich in die UdSSR. Ihre Rohstoffe, darunter 80 Prozent ihres Öls, ihr gesamtes Erdgas sowie der Großteil ihres Eisens und der Nichteisenmetalle kamen fast vollständig aus der Sowjetunion. Als sich jedoch der Sowjetblock zum Kauf fortgeschrittener Werkzeugmaschinen und Mikroelektronik immer mehr dem Westen zuwandte und für RGW-internen Handel harte Währung verlangt wurde, traf das die DDR besonders hart.

Eine der wichtigsten Aufgaben der proletarisch-politischen Revolutionen, für die wir kämpften, war die politische, militärische und ökonomische Vereinigung der Arbeiter von Ostberlin über Moskau bis Shanghai. In „Schluss mit der abgewirtschafteten stalinistischen Autarkie! Effektive Planwirtschaft durch Arbeiterdemokratie!“ (Arprekorr Nr. 9, 19. Dezember 1989), unserer Erklärung zur ostdeutschen Wirtschaft an den Außerordentlichen Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei (SED) vom 16./17. Dezember 1989 riefen wir die DDR auf, sich nach Osten zu wenden und gegen die Perestroika-Kampagne der Sowjetunion vorzugehen. Dann könnte „eine gewisse Stabilität durch gegenseitigen wirtschaftlichen Austausch von Gütern und Rohmaterialien erreicht werden, auf der Basis von Weltmarktpreisen, hoher Qualität und ausreichendem Angebot, damit die ökonomischen Stärken der DDR und der UdSSR sich ergänzen können“. In der Erklärung kommen wir zu dem Schluss:

„All diese Ziele müssen mit einer energischen Offensive für eine ähnliche proletarische politische Erneuerung in der Sowjetunion verbunden werden, damit sich eine weit umfangreichere Gesamtwirtschaft im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus gegen die Fünfte Kolonne der Sozialdemokraten verteidigen kann, die den Kapitalismus restaurieren wollen, und gegen breite Teile der Intelligenz, die sich – manchmal naiverweise – einbilden, dass sie das süße Leben der neuen kapitalistischen Herren führen werden. Fürs erste, richtet den Blick nicht nach Westen, sondern nach Osten.“

Sozialistische Planung kontra Arbeiterkontrolle

Obwohl der Aufstand vom Juni 1953 sich auf ganz Ostdeutschland erstreckte, war er rein ortsgebunden und wurde von Autoritätspersonen in vereinzelten Betrieben geführt. Die Zellenstruktur der SED und das Kombinat/VEB-System hatten die Identifikation der Arbeiter mit ihrem eigenen Arbeitsplatz weiter verstärkt. Diese starke Identifikation war sicher einer der Gründe, warum die Unzufriedenheit der Arbeiterklasse 1989 nicht die Form von Streiks annahm. Ein Genosse berichtete jedoch, dass es schon vor dem Mauerfall eine starke Stimmung gab, die Direktoren und Betriebsleiter rauszuwerfen und eine Form von Arbeiterverwaltung zu errichten.

Während der beginnenden politischen Revolution kamen umsichtige Arbeiter aus Ostberliner Fabriken mit Organisationsdiagrammen und Lageplänen in unser Büro, um ihre Betriebe unter irgendeiner Art von Arbeiterkontrolle oder Arbeiterverwaltung umzuorganisieren. Das bot uns eine Gelegenheit, Arbeiterrätedemokratie und sozialistische Planung im Gegensatz zu „Arbeiterselbstverwaltung“ zu erklären. Das war besonders wichtig, weil diese Stimmung in den Betrieben nicht mit militantem Klassenkampf einherging. Angesichts der Bonner Anschluss-Kampagne war diese Stimmung sehr empfänglich dafür, von westdeutschen Mitbestimmungsmodellen vereinnahmt zu werden.

Ein Dokument der Vereinigten Linken (VL) von 1989 – „Arbeitspapier zum Thema Betriebsräte im Prozess der Überführung von Staats- in Volkseigentum“ – zeigte, wo die Reise hinführte. Der Titel sagt alles. „Volkseigentum“ war die Bezeichnung der DDR-Stalinisten für Staatseigentum, um dessen Klassencharakter zu verschleiern. Die VL wollte diesen Schleier ausnutzen und Betriebsräte benutzen, um das Staatseigentum in Verbraucherkooperativen zu liquidieren. Diese würden den Gegensatz zwischen „kommandierter Arbeit“ und „assoziierter Arbeit“ (siehe VL-Dokument auf www.infopartisan.net/archive/1989/ma89015.html) nach und nach auflösen, indem die Betriebsräte in Instrumente der Selbstverwaltung verwandelt werden. Letztlich spielte die VL die Rolle eines linken Feigenblatts für die kapitalistische Konterrevolution. Durch die Artikel „Für zentrale Planung durch Sowjetdemokratie“ (nachgedruckt in der „Marktsozialismus“-Broschüre) und „DDR: Für Arbeiterräte – Stoppt den Ausverkauf!“ (Spartakist Nr. 68, 1. März 1990) waren wir bei unserer Intervention in der DDR bewaffnet, auf diese Fragen einzugehen. In „Für zentrale Planung …“ schreibt Genosse Seymour:

„Aber die einzelnen Arbeiterräte über Produktion und Preise entscheiden zu lassen hieße, die Anarchie des Marktes wiederherzustellen. Auch können Fabrikräte nicht über Umfang und Zusammensetzung der Investitionen entscheiden, da einzelne Gruppen von Arbeitern keinen unbegrenzten Anspruch auf das Staatsbudget haben, d. h. auf das kollektive gesellschaftliche Mehrprodukt.“

Tatsächlich war das eine Rückkehr zu Proudhons „kleinbürgerlichem Sozialismus“. Es durchzieht aber auch verschiedene Wirtschaftsreformmaßnahmen der DDR, vom NÖS bis zu den Kombinaten. Demgegenüber zitieren wir in der „Marktsozialismus“-Broschüre Trotzkis Werk „The Soviet Economy in Danger“ (Die Sowjetwirtschaft in Gefahr) von 1932:

„Nur durch das Zusammenwirken dieser drei Elemente, der staatlichen Planung, des Marktes und der Sowjetdemokratie, kann eine korrekte Wirtschaftsführung der Übergangsepoche erreicht werden.“

Der Artikel „Für Arbeiterräte – Stoppt den Ausverkauf!“ stellt die Geschichte der Arbeiterräte in Deutschland und den Unterschied zu Betriebsräten dar und führt dann aus:

„Betriebsräte … beschränken die Arbeiter auf Fragen des einzelnen Betriebs. Wenn die westlichen Kapitalisten sich daran machen, gelbe ,Gewerkschaften‘ zu organisieren, dann tun sie das meist schrittweise von Betrieb zu Betrieb. Sogar diejenigen, die zu Betriebsräten in einer unabhängigen DDR, einem Arbeiterstaat, aufrufen, versuchen oft, eine Planwirtschaft zugunsten einer ,Marktwirtschaft‘ aufzugeben, in der jeder Betrieb auf sich allein gestellt ist…

Arbeiterräte dagegen sind in Zeiten des scharfen Klassenkampfes der arbeitenden Menschen entstanden. Sie können als Organe der revolutionären Macht dienen, um die Gesellschaft unter der Herrschaft des Proletariats neu zu organisieren. Diese Rolle spielten die russischen Arbeiterräte, die Sowjets, unter Führung der Bolschewiki von Lenin und Trotzki in der Oktoberrevolution 1917. Aber unter reformistischen/zentristischen Irreführern können Arbeiterräte, die die Staatsmacht an ein bürgerliches Parlament abgeben, ein Instrument zur Sicherung der Herrschaft der Kapitalisten sein. Das geschah in Deutschland nach dem November l9l8 und führte zum Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Der Schlüssel ist die revolutionäre Führung.“

Eine revolutionäre Führung zu schmieden war Dreh- und Angelpunkt unserer Intervention in der DDR 1989/90. In unserem Aufruf zur Gründung von Spartakist-Gruppen, den wir in unserer damals fast täglich herausgegebenen Zeitung Arbeiterpressekorrespondenz veröffentlichten, schrieben wir unter anderem:

„Die Frage stellt sich heute ganz direkt: welche Klasse soll herrschen, die Bourgeoisie oder das Proletariat? Das Schicksal der DDR und jeder sozialen Errungenschaft, die sie verkörpert, steht auf dem Spiel. Wir stehen auf der Seite all derer, die Mitglieder der stalinistischen SED sind oder bis vor kurzem waren oder zu den zahlreichen anderen gehören, die eine sozialistische Welt aufbauen wollen, auf der Seite all derer, die schwören, dass Hitlers Erben nicht enteignen dürfen, was durch die Plackerei der Arbeiter aus den Trümmern entstanden ist.

Der Schlüssel dazu: eine leninistisch-egalitäre Partei zu schmieden, die alle revolutionären internationalistischen Kräfte in eine deutsche Sektion einer wiedergeborenen Vierten Internationale umgruppiert. Lasst uns anfangen: Gründet SPARTAKIST-Gruppen, um euch die Lehren früherer revolutionärer Kämpfe anzueignen, um mit revolutionärer Propaganda zu intervenieren, um eine neue KPD zu schmieden – eine kommunistische Massen-Avantgardepartei, die die deutschen Arbeiter in ihren Kämpfen zur Macht führen wird. Von Lenin und Trotzki lernen heißt siegen lernen!“ (Arprekorr Nr. 1, 7. Dezember 1989)

Der „Offene Brief an alle Kommunisten“ (Arprekorr Nr. 18, 12. Januar 1990) war eines der begehrtesten unserer Propagandastücke und half uns, Soldaten und Offiziere, die die Kommunistische Plattform der PDS unterstützten, zu gewinnen. Er half auch, unsere Forderung nach Arbeiter- und Soldatenräten zu konkretisieren. Zusätzlich zu einem Aktionsprogramm für den Kampf gegen die Faschisten und für die Verteidigung ausländischer Arbeiter und Angehöriger der Roten Armee enthält der Brief eine Reihe von Fragen, die Arbeiter ihren Betriebsdirektoren und -leitern stellen sollten:

„– Wer bevollmächtigt die Generaldirektoren/Direktoren eigentlich dazu, das Volkseigentum zu verschleudern?

– Wie groß sind bereits Einfluss und Anteil des Kapitals in den Betrieben?

– Sind Entlassungen durchgeführt bzw. geplant?

– Sind neue Privilegien für bestimmte Schichten geplant?

– Wer versucht nach SPD-Manier nun auch in der DDR eine illegale Berufsverbotepraxis durchzusetzen, die sich vorrangig gegen Mitglieder der SED-PDS richtet?

– Wird es Sozialabbau geben, d. h. z. B. Lohnkürzungen?

– Gibt es auch in Zukunft noch das Mütterjahr?“

Das Ziel war, die Basis gegen die Führung zu kehren, d. h. die Arbeiter politisch auf die Notwendigkeit zu stoßen, selber die Führung ihrer VEBs in die Hand zu nehmen gegen die Ausverkaufsbestrebungen der stalinistischen Bürokraten, was auch einen Konflikt mit dem Ausverkaufsprogramm der SED-PDS sowie mit dem prokapitalistischen konterrevolutionären Programm der SPD und ihrer linken Satelliten bedeutete.

Für neue Oktoberrevolutionen weltweit!

Der Protest, der am eindeutigsten den Willen eines Teils der DDR-Arbeiterklasse und vieler SED-PDS-Mitglieder demonstrierte, gegen die kapitalistische Wiedervereinigung und für die Verteidigung der Sowjetunion zu kämpfen, fand am 3. Januar 1990 in Berlin-Treptow statt. Diese Mobilisierung eröffnete die Möglichkeit zu organisiertem Widerstand der Arbeiter gegen die Offensive der Imperialisten. In Panik, dass die sowjetischen Arbeiter von ihren ostdeutschen Klassenbrüdern inspiriert werden könnten, unter denen offenkundig der Einfluss von uns Trotzkisten rapide zunahm, gab Gorbatschow nach Treptow schnell grünes Licht für eine kapitalistische Wiedervereinigung. Kurz darauf verkündete SED/PDS-Ministerpräsident Hans Modrow Ende Januar nach einem Treffen mit Gorbatschow in Moskau „Deutschland einig Vaterland“, d. h. die SED fügte sich dem Verrat und wurde zur PDS mit dem Programm, eine dem deutschen Kapitalismus loyale sozialdemokratische Opposition zu werden. Im diametralen Gegensatz dazu wurde am 21. Januar 1990 die Spartakist-Arbeiterpartei durch die Fusion der ostdeutschen Spartakist-Gruppen und der Trotzkistischen Liga Deutschlands gegründet, um den Kampf gegen die kapitalistische Konterrevolution aufzunehmen. In unserem Wahlmanifest vom 24. Februar 1990 erklärten wir:

„Karl Liebknecht begrüßte auf der Gründungskonferenz der KPD vor 70 Jahren die neue russische Räterepublik und erklärte seine Solidarität mit dem russischen Proletariat unter der Führung von Lenin und Trotzki. Heute gilt unvermindert: Das Schicksal der russischen Revolution ist mit dem der deutschen Revolution unlöslich verbunden… Ein revolutionäres Zusammengehen der deutschen mit den sowjetischen Arbeitern und Soldaten wird nicht nur das Bollwerk gegen die Pläne der NATO-Revanchisten sein, sondern ein machtvolles Fundament für eine internationale Planwirtschaft.“ („Nein zur kapitalistischen Wiedervereinigung! Für ein Arbeiterrätedeutschland!“, Arprekorr Nr. 24, 20. Februar 1990)

Die internationale Arbeiterklasse, und wir mit ihr, hat mit dem Sieg der Konterrevolution in der DDR, Osteuropa und der Sowjetunion eine große Niederlage erlitten. Im Konferenzdokument unser II. Internationalen Konferenz der IKL vom Herbst 1992 werteten wir unseren Kampf gegen die Konterrevolution von Afghanistan über die DDR bis zur Sowjetunion aus. Dort schrieben wir über unsere Intervention in die DDR:

„Doch wie später Treptow zeigte, standen wir von Anfang an in einem politischen Kampf mit dem abdankenden stalinistischen Regime über die Zukunft der DDR. Während wir eine Regierung von Arbeiterräten forderten, handelten die Stalinisten bewusst, um einen Arbeiteraufstand dadurch zu verhindern, dass sie alle Armee-Einheiten demobilisierten, die auf unsere frühe Propaganda hin Soldatenräte gebildet hatten. Obwohl geprägt durch das Missverhältnis von Kräften, gab es eigentlich einen Wettstreit zwischen dem IKL-Programm der politischen Revolution und dem stalinistischen Programm von Kapitulation und Konterrevolution.“ (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 15, Frühjahr 1993)

Es ist notwendig, die richtigen Lehren aus der Konterrevolution zu ziehen und für den Aufbau internationalistischer revolutionärer Arbeiterparteien zu kämpfen als Teil der wiederzuschmiedenden Vierten Internationale, die für neue Oktoberrevolutionen weltweit kämpft.

 

Spartakist Nr. 180

Spartakist Nr. 180

November 2009

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