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Spartakist Nummer 188 |
Mai 2011 |
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„Nationale Einheit“: Bosse profitieren, Arbeiter zahlen
Japan: Tsunami-Katastrophe und kapitalistische Verbrechen
Folgender Artikel basiert auf Berichten unserer Genossen der Spartakist-Gruppe Japan und ist übersetzt aus Workers Vanguard Nr. 978, 15. April 2011.
Das gewaltige Erdbeben vor der Nordostküste Japans und die zerstörerische Aufeinanderfolge von Tsunami-Wellen waren eine menschliche Tragödie von unermesslichem Ausmaß. Eines der ehemals landschaftlich schönsten Gebiete des Landes ist nur noch Schutt und Geröll, und wegen radioaktiver Kontaminierung durch das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi sind Teile davon vielleicht für die nächsten Jahrzehnte unbewohnbar. Es gibt immer noch gravierende Nachbeben in diesem Gebiet: Am 7. April rüttelte ein Nachbeben der Stärke 7,1 weite Teile des Nordostens durch, erschütterte erneut das angeschlagene Atomkraftwerk und führte bei drei anderen Atomkraftwerken zum Stromausfall. Heute verkündete die japanische Regierung, dass aus dem Werk Fukushima so viel Strahlung freigesetzt wurde, dass die Bewertung der atomaren Katastrophe auf die höchste Gefahrenstufe angehoben wurde – die gleiche Bewertung wie 1986 beim Unfall in Tschernobyl in der damaligen Sowjetunion.
Zehntausende werden als tot oder vermisst geführt, aber die genaue Zahl der Menschen, die ihr Leben verloren, wird vielleicht nie bekannt, weil ganze Familien und Teile von Dörfern raus aufs Meer geschwemmt wurden. Fast einen ganzen Monat lang nach dem Tsunami war die 20-Kilometer-Zone um das Atomkraftwerk mit bis zu tausend Leichen von Tsunamiopfern übersät. Sie wurden da liegen gelassen und verwesten, da sich die Regierung unter Berufung auf die erhöhte Radioaktivität weigerte, sie zu bergen und zu begraben. Hunderttausende Überlebende sind immer noch ohne Obdach, sie werden andauernd von einem Evakuierungszentrum zum nächsten geschickt, viele haben immer noch zu wenig zu essen. Viele Zentren und sogar einige medizinische Einrichtungen verwehren Menschen den Eintritt, die keine Bescheinigung haben und keinen Anstecker, den sie immer und überall sichtbar tragen müssen, wonach sie keiner Radioaktivität ausgesetzt waren.
Die kapitalistische Regierung benutzt die Tragödie als Rechtfertigung, um die Bevölkerung zu reglementieren. Vierzig Prozent des Personals der japanischen Streitkräfte werden eingesetzt, um in den verwüsteten Gebieten die „Ordnung“ wiederherzustellen. Dringend benötigte Notversorgungslieferungen werden durch Sicherheitschecks, ganz im Geiste des weltweiten „Anti-Terrorismus“-Kreuzzugs der Imperialisten, ebenso aufgehalten wie durch die gewohnte bürokratische Gleichgültigkeit. Gleichzeitig verbreiten die bürgerlichen Medien Geschichten über „Plünderungen“ durch verzweifelte Tsunami-Überlebende und applaudieren der Armee für ihre repressiven Maßnahmen. Inzwischen trafen in der Stadt Minamisoma hunderte Pakete mit Nahrungsmitteln und anderen Dingen ein. Menschen in anderen Ländern hatten diese geschickt, nachdem auf YouTube der Aufruf des Bürgermeisters zu sehen war, der beschrieb, dass die Einwohner am Verhungern sind, eingesperrt zu Hause und in Schutzunterkünften, während der Atomalarm verhinderte, dass Regierungslieferungen mit Nahrungsmitteln ankamen (New York Times, 7. April).
Von Anfang an hat die Regierung über das Ausmaß an austretender Radioaktivität im beschädigten Atomkraftwerk gelogen, um die Bevölkerung zu beschwichtigen. Aber laut dem Verteidigungsministerium hatte der Premierminister innerhalb von fünf Stunden nach dem Erdbeben einen „atomaren Katastrophenfall“ erklärt – ein klares Anzeichen, dass sich die Bourgeoisie unmittelbar der Gefahr bewusst war.
Vertuschungen, Desinformation und Lügen der kapitalistischen Regierung gefährden weiterhin die Menschen in den betroffenen Gebieten und auch noch im knapp 250 Kilometer südlich gelegenen Tokio. Wer die finanziellen Mittel hatte, konnte in den westlichen Teil des Landes fliehen, aber die Mehrheit der Arbeiterklasse, besonders die Armen, Kranken und Älteren, wurde sich selbst überlassen. Menschen suchten überall nach Essen und anderen dringend benötigten Dingen wie abgefülltem Trinkwasser, Batterien und Radios, alles auch heute noch knapp in den Läden. Menschen, die sich um bedürftige Verwandte kümmern, saßen ebenfalls in der Falle; in Japan sind die Renten für Arbeiter sehr niedrig, angeblich als Verneigung vor konfuzianischen Werten des Respekts vor den Vorfahren; die Verantwortung für ältere Menschen wird der jüngeren Arbeitergeneration aufgebürdet.
Inmitten einer Atmosphäre des „Wartens auf die endgültige Kernschmelze“ kehrten Menschen in den Großraum Tokio zurück – dann sagte man ihnen, Milch und einige andere frische Erzeugnisse seien kontaminiert, ebenso wie das Leitungswasser. (Zynisch und dümmlich forderte die Regierung die Bevölkerung auf, ihr Trinkwasser doch einfach abzukochen.) Drei Wochen lang fielen durch rotierende Stromausfälle sporadisch das Transportwesen sowie Heizung und Licht in den Häusern, in Hospitälern und Geschäften aus; in der drückend heißen Sommerhitze wird der Energieverbrauch wahrscheinlich rationiert werden. Seit vier Wochen setzen Hunderte heroische Elektrizitätsarbeiter ihr Leben aufs Spiel, um das Atomkraftwerk wieder unter Kontrolle zu bringen. Dabei waren sie hohen Strahlungsdosen ausgesetzt, während die Regierung das „sichere“ Niveau immer höher und höher ansetzt. Die Arbeiter leben in der näheren Umgebung, und viele von ihnen haben schon ihre Familie und ihre Wohnhäuser verloren.
Profitgier in Absprache mit der Regierung
Das Erdbeben in der Region Tohoku mit der Stärke 9,0 auf der Richterskala und die in manchen Gebieten bis zu 20 Meter hohen Tsunamiwellen waren Naturkatastrophen. Aber die Krise im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi, die sich immer weiter entwickelt, ist völlig von Menschenhand gemacht, ein Produkt der räuberischen Natur der kapitalistischen Ordnung, die vor allem anderen ihre Profite wertschätzt und für Sicherheit und Menschenleben nur Verachtung übrig hat.
Als wissenschaftliche Sozialisten sind wir dafür, Energiequellen zum Wohle der Menschheit zu entwickeln und zu nutzen. Wenn die Arbeiter aller Länder unseren Planeten regieren, wird Energie in der rationalsten, effizientesten und sichersten Weise erzeugt und genutzt werden, auch durch die Entwicklung neuer Energiequellen. Wir haben schon früher angemerkt, dass Atomkraftwerke besondere Risiken mit sich bringen, was bedeutet, dass sie besser nicht in der Nähe großer Bevölkerungszentren oder in deren Windrichtung gebaut werden. Aber es gibt keine Art von Energieerzeugung, die sicher sein kann, solange das Leitprinzip der Wirtschaft der Drang nach Profiten für die Ausbeuterklasse ist, die die Produktionsmittel besitzt.
Unter der Herrschaft der Kapitalisten, für die Arbeiter nur eine weitere Sorte von Rohmaterial sind, das verbraucht wird, werden Wasserkraftwerke oder Erdgasleitungen nie so gebaut werden, dass sie vor der Möglichkeit von großen Unfällen, die ganze Städte und Gemeinden bedrohen, sicher sind. Vermeidbare Unfälle auf Ölbohrplattformen und in Kohlebergwerken kosten viele Menschenleben; und ganz im Stillen sterben in den Vereinigten Staaten jedes Jahr 1500 pensionierte Kohlebergarbeiter qualvoll an der Staublunge. 2008 bewirkte das in den USA angesiedelte Schwindelgeschäft mit Biotreibstoff ein Defizit bei der Getreideernte für Nahrungszwecke, was zu einer weltweiten Nahrungsmittelkrise beitrug – zu diesem Zeitpunkt war die Produktion von Mais-Ethanoltreibstoff profitabler, als Nahrung für Menschen anzubauen.
Das Beispiel Japans demonstriert die dem kapitalistischen System innewohnende Irrationalität und unterstreicht die Notwendigkeit einer internationalen Planwirtschaft in einer sozialistischen Welt. Japan ist historisch ein Land mit nur wenigen natürlichen Bodenschätzen und gleichzeitig dicht bevölkert. Es schloss sein letztes Kohlebergwerk 2002 und importiert nun fast 90 Prozent seines Erdölbedarfs aus dem Nahen Osten. Um Energie-Selbstversorger zu werden, bezieht das Land, das auf einer ganzen Reihe von Verwerfungen tektonischer Platten sitzt, fast 30 Prozent seiner Elektrizität aus 55 Atomkraftwerken (und es gab Pläne, dies auf 50 Prozent zu erhöhen).
Ein Faktor, der mit zu den jetzigen Stromausfällen führte, zeigt in kleinerem Rahmen die kapitalistische Irrationalität: Die privaten Stromerzeuger, die im Wesentlichen ein Monopol für bestimmte Regionen haben, produzieren Strom unterschiedlicher Frequenz. Die stromerzeugende Industrie wurde in Japan während der Meiji-Restauration Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt. Ihr Aufbau war gekennzeichnet durch scharfe Konkurrenz innerhalb der bürgerlichen Klasse unterschiedlicher Gebiete: Die Bourgeoisie um Tokio importierte Generatoren einer deutschen Firma, die mit 50 Hertz Wechselstrom liefen, die Bourgeoisie um Osaka dagegen importierte von General Electric, die 60 Hertz benutzte. Es gibt nur drei kleine Umformstationen mit begrenzter Kapazität, deshalb kann im Westen der Insel erzeugter Strom nicht so leicht in den Osten geleitet werden.
Die Tokyo Electric Power Company (Tepco) ist eines von zehn Versorgungsunternehmen in Japan. Tepco ist das viertgrößte private Versorgungsunternehmen der Welt und beliefert die am stärksten industrialisierte und bevölkerte Region Japans. Letztes Jahr hatte sie einen Nettoprofit von 140 Milliarden Yen (etwa 1,2 Milliarden Euro), hauptsächlich durch exorbitant hohe Stromgebühren und weil die Atomsicherheitsbehörde bei Verstößen gegen Sicherheitsbestimmungen wegsah. Außerdem setzte die Firma kostensenkende Maßnahmen ein: Veraltete Stationen wurden unzureichend gewartet, bei Arbeitern wurde an der Sicherheitsausrüstung gekürzt und es wurden Subunternehmer und Teilzeitarbeiter eingesetzt.
2002 gestand Tepco, im Laufe der Jahre hunderte Male falsche Daten über Inspektionsberichte für ihre Atomreaktoren vorgelegt zu haben. Dazu gehörten auch mindestens 29 Fälle verfälschter Berichte über Risse oder Anzeichen von Rissen in Bauteilen im inneren Kern von 13 Reaktoren in den Atomkraftwerken Kashiwazaki-Kariwa in der Präfektur Niigata und in den Reaktoren Nr. 1 und Nr. 2 des Werks in Fukushima.
Kashiwazaki-Kariwa ist das größte Atomkraftwerk der Welt. 2007 machte Tepco nach einem Erdbeben falsche Angaben über das Ausmaß an radioaktiven Substanzen, die in die Luft und ins Japanische Meer austraten. Um das Geld wieder reinzuholen, das sie verlor, als sie das Werk für Inspektionen und Reparaturen herunterfahren musste, kürzte die Firma danach die Wartungausgaben für alle ihre Kraftwerke.
Das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ist Tepcos ältestes Atomkraftwerk. Es wurde in den 1970er-Jahren gebaut, beherbergt sechs Reaktoreinheiten und liegt über einer bekannten geologischen Verwerfungslinie. Fukushima Daiichis Reaktor Nr. 1, entworfen von General Electric, sollte im Februar stillgelegt werden. Aber dann bekam er trotz Warnungen, dass der Notfall-Stromgenerator anfällig für Wasserschäden war, eine 10-jährige Laufzeitverlängerung. Diese Anlage hat eine ganz besondere Geschichte unsicherer Praktiken; im Verlauf der letzten zehn Jahre wurden wiederholt Sicherheitsinspektionen nicht durchgeführt, bis hin zu zwei Wochen vor dem Erdbeben. In einem Bericht, der am 28. Februar der Atom- und Industrie-Sicherheitsbehörde vorgelegt wurde, gab Tepco zu, in allen Reaktoren des Werks Daiichi insgesamt 33 Teile nicht inspiziert zu haben, darunter einen Motor und einen Notfall-Stromgenerator für den Reaktor Nr. 1. Eine weitere tödliche Kostensenkungsmaßnahme war, dass die Firma entschied, verbrauchtes Brennmaterial vor Ort zu lagern und nichts in sicherere Lagermöglichkeiten zu investieren. Zum Zeitpunkt des Erdbebens hatten sich über sechs Jahre hinweg verbrauchte Uran-Brennstäbe angesammelt.
Schon 1972 berichtete die US-Atombehörde, dass die von General Electric entwickelten Reaktoren anfälliger für Strahlungslecks seien als andere Bauformen. Vor vier Jahren warnte ein Tepco-Forschungsteam die Firma, dass das Werk nicht ausreichend gegen Erdbeben und Tsunamis geschützt sei, weil die Wälle zum Meer hin nicht hoch genug waren. Das Forschungsteam untersuchte das Erdbebenmuster in der Region über Jahrhunderte hinweg und befand, dass ein starkes Beben und ein Tsunami lange überfällig seien, und dass es eine 10-prozentige Wahrscheinlichkeit gebe, dass der 40 Jahre alte Reaktorkomplex dem nicht standhalten würde. Die Tepco-Verantwortlichen ignorierten diesen Bericht.
Wir kämpfen für Arbeiterrevolution in Japan, um den kapitalistischen Eigentümern mit ihren fetten Profiten die Industrie aus der Hand zu nehmen. In der gesamten Industrie kämpfen wir für gewerkschaftliche Kontrolle der Arbeitsbedingungen und im Falle von spezifischen Gefahren für gewerkschaftliche Aktion, um den Betrieb einzustellen. Das erfordert konzentrierte Bemühungen, um die Atomkraftindustrie gewerkschaftlich zu organisieren ebenso wie die immer weiter zunehmenden nicht gewerkschaftlich organisierten Zulieferer und Subunternehmen in der gesamten Industrie. Aber die verräterischen Bürokraten an der Spitze der Gewerkschaften sehen sich als „Partner“ der japanischen Kapitalisten. Sie beschützen die Profitabilität des Systems und verteidigen nicht ihre eigenen Mitglieder, ganz zu schweigen von arbeitenden Menschen allgemein. Wir kämpfen für eine neue, klassenkämpferische Führung der Gewerkschaften, die für die entschädigungslose Enteignung der Energiebosse unter einer Arbeiterregierung kämpfen wird. Das Bestreben, eine solche Führung zu schmieden, ist integraler Bestandteil des Kampfes, eine revolutionäre Arbeiterpartei aufzubauen, deren Ziel es ist, das gesamte System der kapitalistischen Lohnsklaverei wegzufegen.
Arbeiter in Fukushima
Am 19. März schickte das Partisan Defense Committee – die mit der Spartacist League/U.S. verbundene Verteidigungsorganisation [Schwesterorganisation des Komitees für soziale Verteidigung, KfsV] – eine Botschaft an die Federation of Electric Power Related Industry Workers Unions mit Grüßen an die heroischen Arbeiter in den Atomkraftwerken:
„Der Mut und die Entschlossenheit der Arbeiter in Fukushima Daiichi stehen in scharfem Kontrast zum Parasitentum und der Gier der Eigentümer und Manager von Tepco und deren inoffiziellen Sprechern in der Regierung. Sie haben die Bevölkerung mit ihrer Vernebelungstaktik und ihrem Missmanagement in Gefahr gebracht. Für die Kapitalisten in jedem Land und in jeder Industrie steht ihr Profit an überragender Stelle und nicht etwa die Sicherheit der Arbeiter oder die Interessen der ganzen Gesellschaft.“
Bisher wurden Berichten zufolge 21 Arbeiter möglicherweise tödlichen Strahlungsdosen ausgesetzt, während sie versuchten, das Werk Fukushima unter Kontrolle zu bringen. Noch viele weitere werden erkranken: Die Regierung verkündete kürzlich, dass es Monate dauern wird, bevor die radioaktiven Lecks verschlossen werden können. Die Langzeiteffekte der Strahlenkrankheit und die verschiedenen Arten von strahlungsbedingtem Krebs, unter dem diese Arbeiter leiden werden, sind jetzt natürlich noch unbekannt, aber es ist sicher, dass viele Menschen einen qualvollen Tod sterben werden. Für diese Arbeiter und ihre Familien fordern wir lebenslange kostenlose medizinische Versorgung.
Die etwa 400 Arbeiter, die jetzt ihr Leben riskieren, werden von der Firma als entbehrlich angesehen. Sie erhielten nicht einmal genügend Dosimeter, um das Strahlungsniveau zu messen; einige tragen Overalls aus dünnem Gewebe statt regulären Schutzanzügen; es gibt nicht genügend Schutzstiefel für alle, deshalb mussten einige Arbeiter Abfallplastiktüten über ihre Schuhe ziehen; es fehlt an richtigen Gasmasken.
Laut Kazuma Yokota von der Atomaufsichtsbehörde schlafen diese Arbeiter auf dem Boden eines Gebäudes nahe dem Reaktor, das mit einer bleihaltigen Plane abgedeckt ist, um Strahlung abzuhalten. Sie hüllen sich in Decken ein und schlafen eng aneinander geschmiegt. Etwa drei Wochen lang, bis es einen öffentlichen Aufschrei gab, bekamen sie nur zwei Mahlzeiten am Tag: morgens Kekse und Saft und abends Fertigreis und eine Konserve. Anfangs gab es nur eine Wasserflasche pro Person und Tag.
Obwohl Japan sich mit Innovationen und Robotertechnologie brüstet, gab es in Fukushima keine Roboter. Professor Satoshi Tadokoro, Japans führender Forscher über Einsatz von Robotern im Rettungswesen, sagte, sein Team habe daran gearbeitet, Roboter zu entwickeln, die genau in einer solchen Situation eingesetzt werden könnten – aber diese Forschung wurde eingestellt. „Kraftwerksfirmen vermeldeten, sie bräuchten solche Roboter nicht, da ihre Atomkraftwerke nie Unfälle hätten und sicher seien“ (zitiert aus der Website des Center for Robot-Assisted Search and Rescue der Texas A&M University). Eine französische Firma schickte unmittelbar nach dem Tsunami Roboter, aber die japanische Regierung stoppte die Lieferung, weil die Verschiffung nicht durch die richtigen Verwaltungswege organisiert worden sei.
General Electric und Westinghouse schickten in den 1970ern Gruppen schwarzer Arbeiter nach Japan, um in Atomkraftwerken ähnliche Arbeiten zu machen. Tepco nahm sich ein Beispiel an seinen größeren Brüdern – Tepco hat eine Geschichte darin, Burakumin (Japans Kaste der „Unberührbaren“) und Tagelöhner aus den Slumgebieten Sanya in Tokio und Kamagasaki in Osaka als Zeitarbeiter anzuheuern. Diese Arbeiter sind als „Genpatsu-Nomaden“ („Nuklear-Nomaden“) bekannt und nicht gewerkschaftlich organisiert. Sie werden meist von Subunternehmen angeheuert und reisen von Werk zu Werk, arbeiten unter niedrigeren Strahlenbelastungsstandards als Festangestellte und bekommen niedrigere Löhne und Leistungen. In den 1980ern wurden Versuche, diese Arbeiter gewerkschaftlich zu organisieren, durch Schläger verhindert, die die Familien von Gewerkschaftsführern bedrohten.
Im Werk Fukushima Daiichi waren letztes Jahr 89 Prozent der Belegschaft Zeitarbeiter (New York Times, 10. April). Zu ihrer „regulären“ Arbeit gehört es, radioaktiven Staub mit Bürsten und Lappen von den Hunderten von Teilen innerhalb der Reaktoren zu entfernen. Jetzt stehen sie an der vordersten Front bei den Bemühungen, das kontaminierte Werk herunterzukühlen, unter entsetzlichen persönlichen Risiken.
Reaktionärer Kreuzzug für „nationale Einheit“
Das Erdbeben am 11. März wurde durch die plötzliche Bewegung der pazifischen tektonischen Platte unter die nordamerikanische Platte bewirkt. Es entstand ein 300 Kilometer langer und 150 Kilometer breiter Bruch am Meeresboden. Japans Hauptinsel Honshu wurde zweieinhalb Meter nach Osten verschoben und die Erdachse verschob sich um 10 Zentimeter. Auch die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen waren für die Bevölkerung bitter, die Bourgeoisie benutzt die schreckliche Situation zu einer massiven Kampagne für „nationale Einheit“, um Angriffe auf die Arbeiterklasse zu steigern. Die Bourgeoisie arbeitet an der Stärkung ihres repressiven Staatsapparats und präsentiert gleichzeitig das japanische Militär, das bei den imperialistischen Kriegen gegen Irak und Afghanistan mitmischt, als eine „humanitäre“ Kraft.
Es gibt eine Menge von gerechtfertigtem Ärger und Frustration innerhalb der Bevölkerung über die krasse Inkompetenz der kapitalistischen Regierung nach der Katastrophe und über die andauernden zynischen Vertuschungen. Als revolutionäre Marxisten haben wir das Ziel, dieses Misstrauen und die Wut umzusetzen in ein breiteres Verständnis des Proletariats über die Notwendigkeit, diese irrationale kapitalistische Ordnung durch Arbeiterrevolution zu stürzen. Im Gegensatz dazu versucht die reformistische Linke, den vielfältigen Unmut und die Frustration der Arbeiter und der Unterdrückten in eine Kampagne zu kanalisieren, die Illusionen in den bürgerlichen Staat stärkt.
Da die Regierung besorgt war über den wachsenden Ärger in der Bevölkerung über ihre Vertuschungen, fuhren sie das feudale Überbleibsel Kaiser Akihito auf, der seine erste Fernseherklärung überhaupt abgab. Aber dies hatte eine gegensätzliche Wirkung und verstärkte den Verdacht, dass die Situation außer Kontrolle sei. Die Regierung von Premierminister Kan von der Demokratischen Partei hatte schon vor dem Erdbeben Umfragewerte von weniger als 20 Prozent, bei einer Wirtschaft, die in schlimmerem Zustand war als die in irgendeinem anderen großen imperialistischen Land. Und so versuchte Kan, der fünfte Premierminister in den letzten vier Jahren, die oppositionelle Liberal-Demokratische Partei (LDP), die Japan jahrzehntelang regiert hatte, in eine Regierung der „nationalen Einheit“ zu locken. Aber in der gegenwärtigen Situation hat es die LDP nicht so eilig damit, die Verantwortung zu teilen. Die reformistische Kommunistische Partei Japans (KPJ) jedoch, immer bereit, ihre Loyalität zur Bourgeoisie zu zeigen, verkündete am 14. März, die anstehenden Kommunalwahlen sollten verschoben werden, denn, so Parteivorsitzender Shii: „Jetzt ist eine Zeit, in der sich die ganze Nation auf Rettung und Wiederaufbau konzentrieren sollte unabhängig von ideologischen Differenzen.“ Die Sozialdemokratische Partei (SDP, früher Sozialistische Partei), lässt ähnlich verlauten, die „nationale Staatskrise“ erfordere „einen Rahmen der Zusammenarbeit aller politischen Parteien“.
Militarisierung von Hilfsmaßnahmen und die reformistische Linke
Die Ausrufung eines atomaren Katastrophenfalls gab grünes Licht für die Entsendung des Militärs – „Selbstverteidigungskräfte“ (Self-Defense Forces, SDF) genannt –, wodurch der Nordosten Japans praktisch unter Kriegsrecht gestellt wurde. Es war die größte Militärmobilisierung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Mehr als 100 000 Militärpersonen und Reservisten, 209 Hubschrauber, 321 Flugzeuge und 57 Schiffe wurden eingesetzt.
Die Gesetze, die es der Regierung erlauben, ihr Militär so problemlos einzusetzen, wurden schon von einer früheren Regierung ausgearbeitet, der Koalition unter Führung des SDP-Premierministers Tomiichi Murayama, und zwar nach dem Erdbeben in der Stadt Kobe 1995. Das Gesetz trat 1999 in Kraft und sah in Zeiten „gefährlicher Situationen“ die Militarisierung der Häfen, Flughäfen und des zivilen medizinischen Personals vor.
Laut Gesetz sind Feuerwehrmänner Teil des Staates. Aber anders als Bullen und Soldaten sind Feuerwehrleute Arbeiter, die einen nützlichen sozialen Dienst ausüben. Wir unterstützen die Bemühungen japanischer Feuerwehrleute, eine Gewerkschaft zu organisieren, die sie repräsentiert. In den bürgerlichen Medien wurden die Bemühungen der Atomenergie-Arbeiter und der Feuerwehrleute in Fukushima praktisch ignoriert. Im Gegensatz dazu werden Militärangehörige als Helden porträtiert. Die offizielle Aufgabe der SDF ist es, Transport zu organisieren und bei der Verteilung von Hilfslieferungen zu helfen, aber in der Realität sieht die Sache anders aus.
Hilfs- und Versorgungslieferungen aus anderen Ländern blieben wochenlang in Lagerhäusern liegen oder wurden einfach abgelehnt. Decken aus Indonesien wurden abgelehnt, weil sie angeblich zu dünn seien; 15 000 Tonnen Reis aus Thailand wurden glattweg abgelehnt; eine Tonne medizinischer Hilfslieferungen aus der Ukraine, darunter Jodtabletten, wurde nicht ins Land gelassen, weil für den Gebrauch in Japan keine „amtliche Genehmigung“ existiere. Singapur musste private Lastwagen anmieten, um Versorgungsmaterial in die vom Erdbeben getroffenen Gebiete zu transportieren. Wie nach dem Beben in Kobe, als die Regierung die Lieferung selbst grundlegend wichtiger Dinge verzögerte, gelang es Gangstern der Yakuza (organisiertes Verbrechen), den Evakuierten Tonnen von Material zu liefern.
Viele Evakuierte haben sich beklagt, dass sie seit Wochen nichts anderes zu essen bekamen als jeden Tag ein Reisbällchen, eine Tasse Nudeln und etwas Wasser, und auch das nur, wenn sie Glück hatten. Gewerkschafter und andere, die in den Norden reisten, um Verwandte zu suchen und Versorgungsmittel zu bringen, berichteten, dass das Militär wochenlang Hilfslieferungen an die Bedürftigen blockiert hat und zivile Fahrzeuge stoppte, da die SDF die Aufgabe habe, „die Rettungswege zu sichern“. Transporter mit Hilfslieferungen wurden auf Hauptautobahnen zurückgeschickt; Bahnhöfe und Busstationen sind Berichten zufolge unter Kontrolle der SDF. In großen und kleinen Städten wird die SDF auch zusammen mit der Polizei für Patrouillen zur „Verbrechensbekämpfung“ eingesetzt (Asahi Shimbun, 4. April).
Die liberalen bürgerlichen Tageszeitungen Mainichi und Asahi rufen dazu auf, die Regierungbehörden stärker zusammenzufassen, um ein zentrales Befehlssystem zu errichten ähnlich demjenigen, das nach dem großen Erdbeben in der Region Kanto 1923 eingesetzt wurde. Die 1920er-Jahre in Japan, geprägt von antikommunistischen Hexenjagden unter dem „Gesetz zur Bewahrung des Friedens“, waren die Periode, in der rechte militaristische Cliquen in der Regierung die Oberhand gewannen.
Der Großteil der japanischen Linken steht treu zu dem in ihr tief verankerten sozialpatriotischen Reformismus, unterstützt die „Notstands“maßnahmen und klagt manchmal, die Militarisierung der Gesellschaft sei nicht zentralisiert oder effizient genug. Nicht nur die Sozialdemokraten und die sogenannten Kommunisten äußern sich so; auch die meisten der kleineren Gruppen, die manchmal als „Neue Linke“ beschrieben werden, tun das. Historisches Charakteristikum dieser Organisationen ist, dass sie sich ins „dritte Lager“ zwischen dem Imperialismus und der früheren Sowjetunion stellten, was nur eine dünne Tünche dafür ist, sich direkt hinter ihre „eigene“ herrschende Klasse zu stellen.
So kritisiert die Gruppe Kakumaru an der Regierung vor allem, sie habe die Armee nicht genügend mobilisiert, um die Bevölkerung zu verteidigen und zu schützen. Sie klagen, „die Armee wurde nur vereinzelt eingesetzt“ und zu langsam; die „Regierung, das nationale Militär, örtliche Behörden und die Polizei haben kein einheitliches Informationszentrum eingerichtet“ (Kaiho, 15. März). Die KPJ und Kakumaru forderten, dass Satellitenbilder der vom Tsunami betroffenen Gebiete veröffentlicht werden – aufgenommen von Satelliten, die ins All geschickt wurden, um die deformierten Arbeiterstaaten China und Nordkorea auszuspionieren. Kakumaru schreibt: „Die Regierung muss zunächst einmal die Möglichkeiten von Japans nationalem Militär zur Erlangung von Informationen nutzen und die Spionagesatelliten umfassend einsetzen, um das volle Ausmaß der Zerstörung in allen Gebieten zu erfassen“ (Kaiho, 15. März). Kakumaru fordert auch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen der Armee und den Bullen.
Die Gruppe Chukaku nimmt derweil eine oppositionellere Haltung gegenüber der Regierung ein, fördert aber immer noch die Illusion, das Militär des japanischen Imperialismus könne dazu eingesetzt werden, der Bevölkerung zu dienen. Sie bemängelt: „Der Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit wird eine höhere Priorität gegeben und die Rettung von Menschenleben und die Beschaffung von Hilfsgütern [durch die SDF] werden hintangestellt“ (Zenshin, 21. März). Chukaku erhebt zwar die korrekte Forderung, die Arbeiterklasse solle „unabhängige“ Anstrengungen unternehmen, den Opfern der Katastrophe zu helfen, aber gleichzeitig behauptet sie, Soldaten seien Teil der Arbeiterklasse. Diese Vorstellung behindert das Proletariat dabei, elementares Klassenbewusstsein zu erreichen. Beim Versuch, dem Kapitalismus dabei zu helfen, seine Prioritäten geradezurücken, argumentiert sie dafür „Militärausgaben zu kürzen“, und nicht die Unterstützung für arme Familien. Chukakus reformistische Orientierung besteht darin, sich für die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Verfassung einzusetzen und innerhalb des kapitalistischen Rahmens für eine weniger reaktionäre Regierung einzutreten. Die Hauptlosung ihrer Erklärung vom 12. März ist der „Kampf gegen Neoliberalismus“.
Eine der Hauptforderungen der manchmal fälschlicherweise als trotzkistisch bezeichneten Gruppe Kakehashi ist die sofortige Schließung aller Atomkraftwerke. Ebenso wie die etablierteren Kreuzzügler für „grüne“ Politik sehen sie moderne Technologie als größeres Problem an als den Kapitalismus. Sie sind auch im Einklang mit der SDP, die eine „Abkehr von der Atomkraft“ fordert. Die KPJ wiederum ruft nicht zur Abschaffung der Atomkraft auf, da sie schon seit langem eine explizit nationalistische Position für die Selbstversorgung Japans mit Energie hat. Obwohl wir tiefstes Misstrauen gegenüber der Energieindustrie und deren Behauptungen über die Sicherheit der Atomreaktoren im Kapitalismus haben, lehnen wir den Kreuzzug gegen Atomenergie als solche ab.
Die USA sind das einzige Land, das je Atombomben eingesetzt hat (sie äscherten während des Zweiten Weltkriegs Hiroshima und Nagasaki ein, als Japan schon effektiv besiegt war); heute bringen sie Tod und Zerstörung über Afghanistan, Irak und Libyen. Trotzdem arbeitet die japanische Regierung nun daran, dem US-Militär – das seine militärische Mobilisierung heuchlerisch Operation Tomodachi (Freund) nennt – einen humanitären Glanz zu verpassen. Für die japanischen Herrscher geht es darum, das amerikanisch-japanische Militärbündnis zu stärken, das in allererster Linie ein antikommunistisches Bündnis ist, das sich ursprünglich gegen den degenerierten Arbeiterstaat Sowjetunion richtete und heute China und Nordkorea im Visier hat. Auf der gesamten japanischen Inselgruppe sind, über 85 Militärstützpunkte verstreut, insgesamt knapp 50 000 US-Soldaten stationiert – das Bündnis hat auch das Ziel, Kämpfe der militanten Arbeiterklasse in ganz Asien zu unterdrücken.
Die japanische Bourgeoisie versucht ständig, gegen pazifistische Gefühle in der Bevölkerung anzukommen – ein andauerndes Erbe von Japans Niederlage im Zweiten Weltkrieg –, ebenso wie gegen die aus jüngerer Zeit datierende Unzufriedenheit mit der Präsenz von US-Truppen in Okinawa und anderswo, und so begrüßt die Bourgeoisie die „gemeinsame Hilfsoperation“ mit den USA während der gegenwärtigen Krise. Verteidigungsminister Kitazawa frohlockte: „Der Sicherheitsvertrag zwischen Japan und den USA wird weiter gestärkt werden“ (Yomiuri Shimbun, 4. April). Wir sagen: Raus mit den in Nordjapan eingesetzten SDF-Truppen! Wir rufen auf zur Zerschlagung des konterrevolutionären Bündnisses zwischen dem US- und dem japanischen Imperialismus durch Arbeiterrevolution auf beiden Seiten des Pazifik.
Sie wollen die Arbeiter zahlen lassen
Japan hat jetzt schon die höchste Staatsverschuldung der Welt – doppelt so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 425 Billionen Yen (etwa 3,5 Billionen Euro) –, und jetzt stehen anfängliche Wiederaufbaukosten von schätzungsweise 4 Billionen Yen (33 Milliarden Euro) an. Die meisten Straßen, Eisenbahnen und Häfen im betroffenen Gebiet sind zerstört und drei Wochen lang gab es rotierende Stromausfälle im ganzen östlichen Teil des Landes; Japans Wirtschaft hat einen Schlag abbekommen, der international Wellen schlägt.
Die Region Tohoku produzierte acht Prozent von Japans BIP. Es gab dort nicht nur Landwirtschaft und Konservenfabriken, sondern auch Fabriken, in denen Teile für riesige Firmen wie Toyota und Sony hergestellt wurden, sowie kleine und mittlere Betriebe, die Zubehör an so weit entfernte Betriebe wie Boeing, GM und Peugeot Citroen lieferten. Diese Betriebe versuchen nun hektisch, irgendwie ihre Teile zu bekommen, nachdem sie das vielgepriesene japanische Just-in-time-Wareninventarsystem eingeführt haben. Bis Ende März soll das zu einem Rückgang der globalen Autoproduktion um 600 000 Fahrzeuge geführt haben. Fabriken, die Bergbauprodukte und Bodenschätze weiterverarbeiteten, wurden stark beschädigt, etwa diejenigen, die 33 Prozent der Weltversorgung an Jod und 10 Prozent an Titan produzieren. Südkorea und Taiwan läuft nun das Wasser im Mund zusammen bei der Aussicht darauf, etwas von Japans Anteil am Weltmarkt für Halbleiter und elektronische Komponenten abzubekommen. Häfen von Rotterdam bis Asien erwarten in der nächsten Zeit verspätete Schiffslieferungen mit weniger Beladung.
Innerhalb von vier Tagen nach dem Erdbeben kippte Japans Zentralbank 23 Billionen Yen (190 Milliarden Euro) in das Bankensystem, um den zusammenbrechenden Aktienmarkt zu stützen. Die Zenekon – große Baufirmen mit engen Verbindungen zu Ministerien – freuen sich schon auf riesige Profite beim Wiederaufbau. Die Bourgeoisie ist entschlossen, für die Kosten des Wiederaufbaus die Arbeiterklasse bluten zu lassen. Viele Arbeiter haben ihre Jobs verloren oder wurden vorübergehend entlassen und kämpfen nun um Entschädigungen. Die Regierung und der mächtige Unternehmerverband Keidanren drohen mit Steuererhöhungen und mit Kürzungen bei der Unterstützung armer Familien; diese Pläne waren schon vor der Katastrophe in Arbeit. Jetzt gibt es Pläne für eine spezielle Gesetzgebung, die es der Regierung erlauben würde, für eine „schnelle Pauschalzahlung vor genauer Berechnung von Entschädigungen“ Land aufzukaufen, das von Tsunami-Opfern verlassen wurde.
Die unzähligen Vertriebenen müssen Jobs bekommen – unter Kontrolle der Gewerkschaften, mit Gewerkschaftslöhnen und Zusatzleistungen – sowie Wohnungen, Kleidung und alle anderen notwendigen Dinge. Notwendig ist ein umfassendes Programm öffentlicher Arbeitsprojekte, um Häuser, öffentliche Einrichtungen, Fabriken und die Infrastruktur wiederaufzubauen. Arbeiterkomitees müssen eingerichtet werden, um zu verhindern, dass durch schlampige Pläne oder andere unsichere, billige Maßnahmen Leben gefährdet werden. Diese Forderungen – die jetzt ganz klar nötig sind – sind Beispiele der Art von Übergangsforderungen, die Leo Trotzki 1938 im Übergangsprogramm formulierte, dem Gründungsdokument der Vierten Internationale. Ihr Zweck besteht darin, die Arbeiter ausgehend von ihrem gegenwärtigen Bewusstsein zu dem Verständnis zu leiten, dass mit dem kapitalistischen System ein für alle Mal Schluss gemacht werden muss.
Wir fordern die entschädigungslose Enteignung der Versorgungsbetriebe unter einer Arbeiterregierung. Im Gegensatz dazu drängen einige reformistische Gruppen auf Verstaatlichung unter dem Kapitalismus. Ein Blick zurück in die Geschichte ist hier lehrreich. In Japan wurde die Energieindustrie in den späten 1930er-Jahren unter direkte Regierungskontrolle gestellt, und zwar als Teil der Mobilisierung für den anstehenden interimperialistischen Konflikt, den Zweiten Weltkrieg. Die Regierung, die die breiteren Interessen der Kapitalistenklasse repräsentiert, erzwang diese Maßnahme gegen die erbitterte Opposition der bürgerlichen Eigentümer dieser Industrie, zusammen mit dem Gesetz für „allgemeine Mobilmachung für den Kriegseinsatz“. Die gegenwärtige Struktur der Industrie wurde nach dem Krieg eingerichtet.
Unter anderen Umständen werden vielleicht kapitalistische Industrien, die ums Überleben kämpfen, verstaatlicht werden, da sie als notwendig für das Funktionieren des Gesamtsystems angesehen werden oder damit sie auf Kosten der Bevölkerung aufgerüstet werden können, um moderner und profitabler zu werden. In Britannien wurden nach dem Zweiten Weltkrieg eine Reihe bankrotter Betriebe verstaatlicht, wobei ihre früheren Eigentümer einen hübschen Batzen an Entschädigung, die Arbeiter aber niedrige Löhne und hohe Steuern bekamen. Zwar sind wir gegen Privatisierungspläne, die immer mit Angriffen auf Gewerkschaften, Löhne und Arbeitsbedingungen einhergehen, aber das sozialdemokratische Programm von Verstaatlichungen unter dem Kapitalismus hat mit dem Kampf, durch eine sozialistische Revolution der Kapitalistenklasse die Produktionsmittel zu entreißen, nichts zu tun.
Die gegenwärtigen Reaktionen der Gewerkschaften unterstreichen die Widersprüche innerhalb dieser Arbeiterorganisationen. An der Gewerkschaftsbasis gab es eine überwältigende Solidarität mit den Opfern der Katastrophe, oft verbunden mit dem Impuls, unabhängig etwas zu unternehmen. Viele Gewerkschaften haben Spenden gesammelt, um ihren Mitgliedern zu helfen, und einige organisierten eigene Transporte, um Hilfe direkt zu liefern. Gleichzeitig ist es das politische Programm der obersten Führungen der drei Gewerkschaftsföderationen Rengo, Zenrokyo und Zenroren, die Interessen der Arbeiter um der „nationalen Einheit“ mit der Bourgeoisie willen zu opfern.
In diesem Sinne haben eine Reihe von Gewerkschaften angekündigt, die jährlichen Shunto-Lohnverhandlungen zu verschieben oder abzusagen. Während Arbeiter in Fukushima ihr Leben riskieren, um das Atomkraftwerk unter Kontrolle zu bringen, hat ihre Gewerkschaftsführung feige jegliche Forderung nach höheren Löhnen oder besseren und sichereren Arbeitsbedingungen zurückgewiesen (Asahi Shimbun, 31. März). Zenkowan, Gewerkschaft der Hafenarbeiter, sagte einen Streik im März ab und schloss sich der Kampagne für „nationale Einheit“ an.
Reformistische Gruppen prangern zwar regelmäßig die rechte Führung von Rengo an, die im Wesentlichen die kapitalistische Demokratische Partei politisch unterstützt, aber sie sagen nichts über die Klassenkollaboration der Führungen von Zenrokyo (verbunden mit der Sozialdemokratischen Partei) und Zenroren (verbunden mit der KPJ). Dem Spendenaufruf von Zenroren folgten viele Arbeiter im ganzen Land und international. Empörenderweise übergab die Gewerkschaft dieses Geld den lokalen kapitalistischen Behörden in den Präfekturen Miyagi, Iwate und Fukushima – also genau den Leuten, die jahrelang die Verstöße gegen die Sicherheitsbestimmungen bei Tepco abgedeckt haben. Tatsächlich begann Zenrorens Aufruf mit dem Ausdruck des „Respekts“ für die Regierung, die angeblich „Tag und Nacht“ arbeite, um mit der Katastrophe fertigzuwerden!
Es ist dringend notwendig, die Arbeiterklasse unabhängig von der Bourgeoisie und deren Staat zu mobilisieren, nicht zuletzt um schnell umfassende Hilfe in Gang zu setzen und deren Verteilung zu organisieren. Aber die falschen Führer der Gewerkschaften, die den Rahmen des Kapitalismus akzeptieren, sind Gegner dieser Perspektive. Es gibt kein gemeinsames nationales Interesse zwischen den Arbeitern und Unterdrückten auf der einen und der Kapitalistenklasse und deren Regierung auf der anderen Seite. Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Tod, Zerstörung und Not, die die arbeitenden Menschen in Japan jetzt nach der Katastrophe erdulden müssen, zeigen aufs deutlichste, wie notwendig es ist, dass das Proletariat der Bourgeoisie die Staatsmacht entreißt, weltweit. Für den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei! Für eine Arbeiterrepublik in Japan als Teil eines sozialistischen Asiens!
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