Documents in: Bahasa Indonesia Deutsch Español Français Italiano Japanese Polski Português Russian Chinese
International Communist League
Home Spartacist, theoretical and documentary repository of the ICL, incorporating Women & Revolution Workers Vanguard, biweekly organ of the Spartacist League/U.S. Periodicals and directory of the sections of the ICL ICL Declaration of Principles in multiple languages Other literature of the ICL ICL events

Abonniert Spartakist, Zeitung der Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands

Archiv

Druckversion dieses Artikels

Spartakist Nummer 189

Juli 2011

Kritische Anmerkungen zum „Tod des Kommunismus“ und den ideologischen Bedingungen der nachsowjetischen Welt

von Joseph Seymour

Nachfolgend veröffentlichen wir leicht redigiert ein Dokument von Joseph Seymour, Mitglied des Zentralkomitees der Spartacist League/U.S., vom 14. März 2009. Das Dokument war ein Beitrag zu den Diskussionen und Debatten im Vorfeld der 13. Nationalen Konferenz der Spartacist League, amerikanische Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga (Vierte Internationalisten). Ein Bericht über die Konferenz findet sich in „Dog Days of the Post-Soviet Period“ [Hundstage der nachsowjetischen Periode] (Workers Vanguard Nr. 948, 4. Dezember 2009).

Auf dem Plenum unseres Internationalen Exekutivkomitees Anfang 2008 gab es eine Diskussion und, wie ich glaube, rudimentäre Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung des Begriffs „Tod des Kommunismus“, der ein Schlüsselbegriff für das Verständnis der politisch-ideologischen Rahmenbedingungen der nachsowjetischen Welt ist. Damals argumentierte ich:

„Für die Diskussion der Arbeit in Südafrika und Mexiko ist es von Bedeutung, … ob und inwiefern diese und andere Länder – China wurde erwähnt, Griechenland – eine Ausnahme zu dem darstellen, was wir ,Rückschritt im Bewusstsein‘ und die Ideologie vom ‚Tod des Kommunismus‘ nennen. Doch der Begriff ,Ausnahme‘ impliziert eine Regel. Was also ist die Regel? Die überwiegende Mehrheit unserer Tendenz ist in den fortgeschrittenen kapitalistisch-imperialistischen Ländern Westeuropas und Nordamerikas ansässig… Genau hier begegnen wir täglich der allgegenwärtigen Ideologie vom ‚Tod des Kommunismus‘. Dies hat, so glaube ich, zu einer gewissen verzerrten und entstellten Sichtweise der weltweit radikal veränderten ideologischen und politischen Konturen und Trennlinien geführt.

Fast immer, wenn wir den Begriff ‚Tod des Kommunismus‘ benutzen, bringen wir ihn mit bürgerlichem Siegergehabe in Verbindung. Es geht nicht um das Siegergehabe der Bourgeoisie von Indien oder Ägypten oder Brasilien. Es geht um den Triumphalismus der westlichen imperialistischen, vor allem der amerikanischen, Bourgeoisie. Doch Zweifel an der Möglichkeit einer zukünftigen internationalen kommunistischen Gesellschaft – und das ist der Kern vom ‚Tod des Kommunismus‘ – in Ländern der Dritten Welt sind nicht amerikanisch-imperialistischer Triumphalismus und Herrschaftsanspruch und können nicht damit gleichgesetzt werden. In diesen Ländern beobachten wir vielmehr ein Anwachsen recht bedeutsamer politisch-ideologischer Bewegungen mit breiter Unterstützerbasis, die behaupten, sich dem amerikanischen Triumphalismus zu widersetzen. Das auf der Hand liegende Beispiel ist natürlich der nationalistische Populismus in Lateinamerika, verkörpert durch Hugo Chávez. Doch es gibt das gleiche Phänomen auch in einer ganz rechtsgerichteten Version, nämlich den Aufstieg des antiwestlichen islamischen Fundamentalismus im Nahen Osten. Osama bin Laden, Hugo Chávez, Tony Blair und Bill Clinton verkörpern alle auf verschiedene Art und Weise und in unterschiedlichen nationalen Milieus den ‚Tod des Kommunismus‘.“

Der Kern der Ideologie vom „Tod des Kommunismus“ ist genau das: Zweifel an der historischen Möglichkeit einer globalen kommunistischen Zivilisation im marxistischen Sinn. Dies ist eine grundlegende Gemeinsamkeit verschiedener politischer Tendenzen mit oft diametral entgegengesetzten Standpunkten gegenüber dem westlichen Imperialismus, parlamentarischer Demokratie, einer kapitalistischen Marktwirtschaft und anderen kontroversen Fragen (z. B. Umweltzerstörung), in denen sich die sogenannten Linken und Rechten voneinander unterscheiden.

Um sicherzugehen, dass wir alle den gleichen Sprachgebrauch haben, werde ich noch einmal kurz die Hauptmerkmale einer vollständig ausgebildeten weltweiten kommunistischen Gesellschaft ausformulieren. Wirtschaftlicher Mangel ist überwunden und hat zur Beseitigung der Lohnarbeit geführt („Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“). Entfremdete Arbeit wurde durch schöpferische, wissenschaftliche und kulturelle Arbeit ersetzt (Marx nannte einmal das Komponieren von Musik als Beispiel für letztere). Der Staat ist abgestorben, so dass, in Engels’ Worten, die politische Regierung über Menschen durch eine Verwaltung von Dingen ersetzt wurde. Nationale, ethnische und Rassenzugehörigkeiten sind durch umfassende interethnische Fortpflanzung und globale Mobilität verschwunden („Die Internationale wird alle Menschheit sein“). Die Familie wurde durch kollektive Einrichtungen für Hausarbeit und für die Betreuung und Erziehung der Kinder ersetzt.

Die überwiegende Mehrzahl der vorgeblichen Linken über, sagen wir, 40 oder 50 betrachtet eine zukünftige Gesellschaft, wie sie oben beschrieben wurde, als utopisch. Die überwiegende Mehrzahl jüngerer Linker, wie sie z. B. im Milieu der „Sozialforen“ anzutreffen sind, kennt das marxistische Konzept einer globalen kommunistischen Zivilisation einfach nicht und steht ihm gleichgültig gegenüber. Ihre Anliegen sind defensiv und minimalistisch – Unterstützung der demokratischen Rechte unterdrückter Völker (z. B. der Palästinenser), Beendigung der Demontage des „Sozialstaates“ in Westeuropa, Verhinderung weiterer Umweltzerstörung (globale Erwärmung).

Ich möchte meine Argumentation unter Bezugnahme auf Lenins Staat und Revolution noch einmal anders formulieren. Bei der Veröffentlichung dieses Werkes 1918 und in den darauffolgenden Jahrzehnten bezog sich der grundlegende Unterschied zwischen revolutionären Marxisten und anderen linken Tendenzen auf die Thematik, die in Kapitel I („Klassengesellschaft und Staat“) behandelt wird. Darin fasst Lenin zusammen,

„dass die Lehre von Marx und Engels von der Unvermeidlichkeit der gewaltsamen Revolution sich auf den bürgerlichen Staat bezieht. Dieser kann durch den proletarischen Staat (die Diktatur des Proletariats) nicht auf dem Wege des ,Absterbens‘ abgelöst werden, sondern, als allgemeine Regel, nur durch eine gewaltsame Revolution.“ [Hervorhebungen im Original]

In der nachsowjetischen Periode bezieht sich die grundlegendste Differenz zwischen uns und anderen linken Tendenzen auf die Thematik, die in Kapitel V („Die ökonomischen Grundlagen für das Absterben des Staates“) behandelt wird, zusammenfassend erklärt in dem folgenden Abschnitt:

„Die ökonomische Grundlage für das vollständige Absterben des Staates ist eine so hohe Entwicklung des Kommunismus, dass der Gegensatz von geistiger und körperlicher Arbeit verschwindet, folglich eine der wichtigsten Quellen der heutigen gesellschaftlichen Ungleichheit beseitigt wird, und zwar eine Quelle, die durch den bloßen Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum, durch die bloße Expropriation der Kapitalisten keinesfalls mit einem Schlag aus der Welt geschafft werden kann.

Diese Expropriation wird eine enorme Entwicklung der Produktivkräfte ermöglichen. Und wenn wir sehen, wie schon jetzt der Kapitalismus in unglaublicher Weise diese Entwicklung aufhält, wie vieles auf Grund der heutigen, bereits erreichten Technik vorwärtsgebracht werden könnte, so sind wir berechtigt, mit voller Überzeugung zu sagen, dass die Expropriation der Kapitalisten unausbleiblich eine gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte der menschlichen Gesellschaft zur Folge haben wird.“ [Hervorhebungen im Original]

Der nachsowjetischen Generation linker Aktivisten sind die oben dargelegten Auffassungen nicht ohne weiteres einsichtig, denn sie ziehen sie gar nicht in Erwägung.

Der amerikanische imperialistische Triumphalismus ist nicht das Problem

Obgleich Klarheit in der Frage vom „Tod des Kommunismus“ unsere Probleme nicht lösen wird, wird anhaltende Unklarheit darüber unsere Probleme weiter verschärfen. Bei den immer wieder auftretenden politischen Problemen in der Partei war ein wichtiger zugrundeliegender Faktor die Tatsache, dass wir es nicht schafften, den prinzipiellen Unterschied zwischen uns und dem Rest der Linken zu erkennen, nämlich, dass sie nicht das gleiche Endziel haben wie wir.

Als Jan Norden [gegenwärtig Mitglied der zentristischen Internationalist Group] noch Redakteur von Workers Vanguard war, war für ihn der „Tod des Kommunismus“ ausdrücklich und durchweg vor allem eine Erscheinung des ideologischen Triumphgehabes des US-Imperialismus. Deshalb hielt er den von den Zapatisten angeführten Aufstand armer indianischer Bauern in Südmexiko von 1994 für einen machtvollen Gegenschlag, der die ideologischen Auswirkungen des Falls der Sowjetunion zumindest in Lateinamerika abschwächen würde. Seit Nordens Abgang aus unserer Organisation 1996 gab es in unserer Partei eine Neigung dazu, unter der Rubrik „Rückschritt im Bewusstsein“ (ein Terminus, den ich im Kampf mit Norden geprägt habe) sowohl die Zweifel an einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft als auch westlich-imperialistischen Triumphalismus und althergebrachten sozialdemokratischen Reformismus zusammenzuwerfen. Einige Genossen vertraten die Auffassung, unsere grundlegende Differenz mit dem Rest der Linken bestehe in der Frage der Reformierbarkeit des kapitalistischen Staates, als befänden wir uns noch immer in der Zeit von Lenin kontra Kautsky unmittelbar nach der Oktoberrevolution.

Eine Standardformulierung sowohl in unserer veröffentlichten Literatur als auch im internen Diskurs ist die Feststellung, dass die Auswirkungen des „Tod des Kommunismus“ international „ungleichmäßig“ seien. Der Begriff „ungleichmäßig“ impliziert, dass die Auswirkungen auf einer linearen Skala quantitativ messbar sind: ziemlich hoch in den USA und Frankreich, viel niedriger in Mexiko und Südafrika. Als ehemaliger Student und späterer Lehrer der Wirtschaftswissenschaften stelle ich mir ein Balkendiagramm vor, das z. B. das Bruttosozialprodukt pro Kopf in verschiedenen Ländern misst und vergleicht. Doch die unterschiedlichen internationalen Auswirkungen des „Tod des Kommunismus“ kann man so nicht erfassen. Wir haben es mit verschiedenen Arten und nicht mit verschiedenen Niveaus nachsowjetischer Ideologie zu tun.

Man betrachte in dieser Hinsicht Russland. Wenn wir den Begriff „Tod des Kommunismus“ erklären, benutzen wir häufig die Formulierung, dass die ehemalige Sowjetunion bestenfalls als ein „gescheitertes Experiment“ angesehen wird. Für Westeuropa und Nordamerika ist das grundsätzlich richtig. Für große Teile der Dritten Welt stimmt es weniger. Und für Russland ist es gänzlich falsch. Die durch Wladimir Putin verkörperte politisch herrschende Fraktion der neuen russischen Kapitalistenklasse betrachtet ganz im Gegenteil die ehemalige Sowjetunion gewissermaßen als das erfolgreichste Experiment russlandzentrierter Staatsbildung aller Zeiten. 2005 erklärte Putin, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion „die ‚größte geopolitische Katastrophe‘ des 20. Jahrhunderts“ gewesen sei (zitiert in Edward Lucas, Der Kalte Krieg des Kreml: Wie das Putin-System Russland und den Westen bedroht). Ich vermute, dass eine ähnliche Haltung gegenüber der ehemaligen UdSSR in der ganzen russischen Gesellschaft weit verbreitet ist.

In den letzten Jahren haben Putin und die russische Elite insgesamt versucht, Stalins historisches Ansehen als oberster Führer einer russisch dominierten Weltmacht im 20. Jahrhundert wiederherzustellen. Der russische NATO-Botschafter hat ein Bild Stalins in seinem Büro hängen. Die beliebte Fernsehshow „Der Name Russlands“ zählt Stalin zu den fünf größten historischen Persönlichkeiten des Landes (Economist, 27. November 2008). In einem offiziell geförderten Leitfaden für Geschichtslehrer von 2007, Neueste Geschichte Russlands, 1945-2006, wird Stalin wohlwollend mit Peter dem Großen verglichen: „Stalin folgte der Logik Peters des Großen: Verlange das Unmögliche, … um das bestmögliche Resultat zu erhalten.“ Es heißt dort weiter:

„Er [Stalin] wird als einer der erfolgreichsten Führer der UdSSR angesehen. Das Territorium des Landes reichte bis an die Grenzen des ehemaligen Zarenreichs (und in manchen Gegenden sogar darüber hinaus). Ein Sieg in einem der größten Kriege wurde errungen; die Industrialisierung der Wirtschaft und die kulturelle Revolution wurden erfolgreich abgeschlossen und brachten nicht nur eine allgemeine Schulbildung, sondern auch das beste Bildungssystem weltweit mit sich. Die UdSSR wurde zu einem führenden Land auf dem Gebiet der Wissenschaft; die Arbeitslosigkeit war praktisch abgeschafft.“ (zitiert in Lucas, Der Kalte Krieg des Kreml)

Das ist nicht gerade die Beschreibung eines „gescheiterten Experiments“.

In gewisser Weise tun wir uns schwerer damit, mit der Form zurechtzukommen, die der „Tod des Kommunismus“ im heutigen Russland angenommen hat, als in Westeuropa und Nordamerika. In letzteren Ländern wird die Sowjetunion noch immer hauptsächlich mit „Sozialismus“ identifiziert, nicht mit „russischem Imperialismus“. Stalin wird dort als Schüler von Marx und Engels angesehen und im Allgemeinen als solcher geschmäht. In Russland wird Stalin als der Erbe Peters des Großen und Katharina der Großen angesehen und nicht selten gepriesen. Für viele Russen ist der Kommunismus nicht gestorben, weil er für sie überhaupt noch nie lebendig war.

Schon bevor das ganze Ausmaß des gegenwärtigen Abschwungs der Weltwirtschaft im vergangenen Herbst offensichtlich wurde, war das Triumphgehabe des „freien Marktes“ selbst in den USA keine wichtige Strömung des bürgerlichen Meinungsspektrums mehr. Heute rechnen anerkannte und angesehene Wortführer des amerikanischen Finanzkapitals, wie der ehemalige Chef der Federal Reserve [US-Notenbank] Paul Volcker, mit einem anhaltenden globalen Abschwung. Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise der 1930er sind gang und gäbe. Der Tory-Bürgermeister von London bemerkte, dass die Lektüre der Londoner Financial Times derzeit der Beschäftigung mit einem Weltuntergangs-Selbstmordkult gleichkommt. Dennoch macht sich zurzeit keine Strömung des bürgerlichen Meinungsspektrums Sorgen wegen einer irgendwo drohenden sozialistischen Revolution oder des Wiederauflebens kommunistischer Massenparteien, die die marxistisch-leninistische Tradition für sich beanspruchen.

Über Zwecke und Mittel: eine historische Reise

In Kapitel V von Staat und Revolution schrieb Lenin im Abschnitt „Die höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft“:

„Vom bürgerlichen Standpunkt aus ist es leicht, eine solche Gesellschaftsstruktur als ,reine Utopie‘ hinzustellen und darüber zu spotten, dass die Sozialisten jedem das Recht zusichern, von der Gesellschaft ohne jegliche Kontrolle über die Arbeitsleistung des einzelnen Bürgers eine beliebige Menge Trüffeln, Autos, Klaviere u. dgl. m. zu erhalten. Die meisten bürgerlichen ,Gelehrten‘ beschränken sich auch bis auf den heutigen Tag auf dieses Spotten und verraten dadurch nur ihre Ignoranz und ihre eigennützige Verteidigung des Kapitalismus.“

Mit „bürgerliche Gelehrte“ meinte Lenin diejenigen Intellektuellen, die erklärtermaßen das kapitalistische Wirtschaftssystem unterstützten und rechtfertigten. Die ideologischen Wortführer der Sozialistischen (Zweiten) Internationale, wie Karl Kautsky, der sich als orthodoxer Marxist verstand, zählte er nicht zu dieser Kategorie.

Ob 1917/18 die rechtsgerichteten Führer der sozialdemokratischen Massenparteien (z. B. Friedrich Ebert in Deutschland, Albert Thomas in Frankreich, Emile Vandervelde in Belgien) persönlich noch immer an eine zukünftige sozialistische Gesellschaft glaubten, ist eine andere Frage. Aller Wahrscheinlichkeit nach taten sie das nicht. Doch sie distanzierten sich auch nicht öffentlich von dem traditionellen Ziel der sozialistischen Bewegung als einem utopischen Vorhaben.

Zu Beginn der deutschen Revolution, im November 1918, legte die zentristische Unabhängige Sozialdemokratische Partei eine Reihe von Bedingungen (Forderungen) für eine Koalitionsregierung mit der Sozialdemokratischen Partei (SPD) auf Grundlage der bestehenden Arbeiter- und Soldatenräte vor. Die erste davon war: „Deutschland soll eine sozialistische Republik sein.“ Darauf antwortete die SPD-Führung: „Diese Forderung ist das Ziel unserer eigenen Politik, indessen hat darüber das Volk durch die konstituierende Versammlung zu entscheiden“ (Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Dietz Verlag Berlin, 1957). Bei ihren Angriffen auf die bolschewistische Revolution und die im Entstehen begriffene Kommunistische Internationale prangerten die sozialdemokratischen Führer die Diktatur des Proletariats vor allem als eine Missachtung der Demokratie an, unter der sie eine durch allgemeines und gleiches Wahlrecht gewählte parlamentarische Regierung verstanden.

Hier ist es hilfreich, sich das Buch Moskau zu Lenins Zeiten anzusehen, die Ende der 1940er/Anfang der 1950er geschriebenen Erinnerungen von Trotzkis Mitarbeiter und Freund Alfred Rosmer. Bevor Rosmer Anhänger der neu gegründeten Kommunistischen Internationale wurde, war er Anarchist und dann ein führender revolutionär-syndikalistischer Intellektueller in Frankreich. In diesen Erinnerungen gibt Rosmer die anfängliche Reaktion auf Lenins Staat und Revolution unter „orthodoxen“ Sozialdemokraten wie Kautsky und Jean Longuet (Marx’ Enkel) einerseits und unter Anarchisten andererseits wieder:

„Es war ein außerordentliches Buch, und sein Schicksal war sonderbar: Lenin, Marxist und Sozialdemokrat, wurde von den Theoretikern der sozialistischen Parteien – die sich auf den Marxismus beriefen – verhöhnt: ,Das hat nichts mit Marxismus zu tun‘, schrien sie, – das sei eine Mischung von Anarchismus, Blanquismus – ,Blanquismus mit tatarischer Soße‘, schrieb einer von ihnen, um geistreich zu erscheinen. Demgegenüber waren dieser Blanquismus und seine Soße für Revolutionäre außerhalb des orthodoxen Marxismus, für Syndikalisten und Anarchisten, eine angenehme Überraschung. Noch niemals waren aus dem Munde von Marxisten, die sie kannten, derartige Worte gekommen.“

Louis-Auguste Blanqui (1805–1881) war der letzte bedeutende Vertreter der jakobinischen kommunistischen Tradition, die auf Babeufs Verschwörung der Gleichen in den späten Tagen der Französischen Revolution zurückging. Bei der (in einer vorindustriellen Gesellschaft entstandenen) babeufschen Auffassung von Kommunismus ging es um Verteilung und Verbrauch, nicht um Produktion und die Überwindung wirtschaftlichen Mangels. Doch wenn Kautsky, Longuet und andere Lenin einen „Blanquisten“ nannten, so bezogen sie sich nicht auf diesen Aspekt der jakobinisch-kommunistischen Anschauung. Mit Lenins „Blanquismus“ meinten sie den gewaltsamen Sturz des kapitalistischen Staates durch einen von einer revolutionären Avantgardepartei organisierten und geführten Aufstand.

Wie Rosmer betonte, wurde Staat und Revolution von vielen Anarchisten und Syndikalisten positiv aufgenommen, von denen einige glaubten, Lenin entferne sich vom Marxismus und nähere sich ihrem eigenen politischen Lager an. Ideologisch besser geschulte Anarchisten verstanden jedoch, dass Lenin mit ihnen zwar in der Notwendigkeit übereinstimmte, den bürgerlichen Staat durch einen Aufstand gewaltsam zu stürzen, aber immer noch an dem marxistischen Programm der Diktatur des Proletariats als Übergang zu einer vollausgebildeten kommunistischen Gesellschaft festhielt, ja es sogar betonte. Dahingehend zitiert Rosmer den inhaftierten deutschen Anarchisten Erich Mühsam, der 1919 schrieb:

„Lenins theoretische und praktische Anweisungen für die Durchführung der Revolution bis zur Verwirklichung der kommunistischen Ziele des Proletariats schufen neuen Boden, gaben dem revolutionären Kampf um die Befreiung vom Kapitalismus neue Formen… Der Einigung des wahrhaft revolutionären Proletariats stehen keine unüberwindlichen Schranken mehr im Wege. Wir kommunistischen Anarchisten mussten allerdings einen wichtigen Differenzpunkt zwischen den beiden hauptsächlichen sozialistischen Schulen, Bakunins Widerstand gegen eine Diktatur des Proletariats, zugunsten Marxens preisgeben.“

Für Mühsam betraf der „Differenzpunkt“ zwischen Bakunin und Marx bezüglich der Diktatur des Proletariats das Mittel, um ein gemeinsames Endziel zu erreichen: eine klassenlose, egalitäre Gesellschaft ohne Staat.

Wir wissen alle, dass in einer politischen Polemik diejenigen Ideen und Positionen, gegen die man nicht argumentiert, auf ihre Weise genauso wichtig sind wie diejenigen, gegen die man argumentiert. Man argumentiert nicht gegen Positionen, die der Gegner nicht vertritt, und schon gar nicht, wenn es eine gemeinsame Basis gibt. Zum Beispiel weisen wir bei Polemiken gegen schwarze Liberale und linke Radikale in den USA nicht die falsche Auffassung zurück, die von einigen rechtsgerichteten Rassisten vertreten wird, dass Schwarze „minderwertiger“ seien als Weiße. In den Jahren 1918–20 schrieben Lenin und Trotzki je eine ein ganzes Buch umfassende Polemik gegen Kautsky. Nirgendwo, sei es in Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky oder in Terrorismus und Kommunismus, argumentieren sie gegen die Position, eine kommunistische Gesellschaft im marxistischen Sinne sei utopisch, da Kautsky so eine Position nicht vertrat.

Lasst uns in die späten 1930er vorspulen, als die internationale kommunistische Bewegung schon völlig stalinisiert war. Lasst uns besonders den jungen Maxime Rodinson betrachten, einen jüdisch-französischen Intellektuellen, der später ein bekannter linksgerichteter Wissenschaftler wurde, der über den Nahen Osten und die islamische Gesellschaft schrieb. In dem Essay „Selbstkritik“ von 1981 erinnerte er sich an die geistige Haltung, die ihn 1937 dazu bewogen hatte, der französischen Kommunistischen Partei beizutreten (er verließ sie 1958):

„Anhänger des Kommunismus zu sein bestand und besteht immer noch darin, sich einem Kampf zu verpflichten, der die Menschheit dazu befähigen soll, einen wesentlichen und äußerst segensreichen Sprung nach vorn zu machen: mit einem System Schluss zu machen, das ständig Armut und Verbrechen hervorbringt, das Millionen von Menschen auf der ganzen Welt unterjocht und zu einem grauenvollen Leben oder sogar zum Tode verurteilt. Man ist entschlossen, eine befreite Menschheit zu schaffen, in der alle im vollen Umfang ihrer besten Fähigkeiten erblühen können, in der die Gemeinschaft freier Individuen die Verwaltung von Dingen regelt und das Mindestmaß an Regeln festlegt, das für ein harmonisches Zusammenleben der Menschen unerlässlich ist.“ (Cult, Ghetto and State: The Persistence of the Jewish Question, 1983 [Kult, Ghetto und Staat: Das Fortbestehen der jüdischen Frage])

Als Intellektueller konnte Rodinson die befreienden Ziele des Marxismus besser ausdrücken als die vielen Millionen jungen Arbeiter, die während der Stalin-Ära den Kommunistischen Parteien in Frankreich, Italien, Indien, Vietnam und anderswo beigetreten waren. Dennoch waren viele – sicher nicht alle – dieser Arbeiter ebenfalls von einer Zukunftsvision allseitiger sozialer Befreiung motiviert. Sie betrachteten die Kommunistischen Parteien nicht nur als politische Agenturen zur Verteidigung und Förderung ihrer wirtschaftlichen und anderen sozialen (z. B. nationalen) Interessen innerhalb des bestehenden kapitalistisch-imperialistischen Systems.

Im Allgemeinen teilten politisch fortgeschrittene Arbeiter und linke Intellektuelle, die die sozialdemokratischen Massenparteien unterstützten, nicht den marxistischen Entwurf einer wirklich kommunistischen Gesellschaft. Aber auch sie strebten nach einer radikal anderen und besseren Gesellschaft als ihre eigene. 1961 veröffentlichte der linke sozialdemokratische britische Intellektuelle Ralph Miliband ein gegenüber der Labour Party äußerst kritisches Buch mit dem Titel Parliamentary Socialism: A Study of the Politics of Labour. Das Buch erschien unmittelbar nach dem missglückten Versuch der rechtsgerichteten Parteiführer, Clause IV [Abschnitt IV] aus Labours Satzung von 1918 abzuschaffen. Clause IV wurde gemeinhin als Labours Maximalprogramm betrachtet: „Den Arbeitern von Stirn und Faust die vollen Früchte ihres Fleißes und deren gerechteste Verteilung zu sichern, auf der Basis des Gemeineigentums an den Mitteln der Produktion, der Verteilung und des Handels.“ In seiner Beschreibung des Kampfes um Clause IV von 1959/60 schrieb Miliband: „Angesichts des heftigen Widerstandes [der proletarischen Basis der Partei], auf den dieser Vorschlag stieß, musste er fallengelassen werden.“ In den 1980er-Jahren hätte niemand mehr den Ausdruck „parlamentarischer Sozialismus“ benutzt, um das Programm oder auch nur die offizielle Doktrin der britischen Labour Party zusammenzufassen. Und 1995 wurde Clause IV trotz des Widerstands einiger großer Gewerkschaften auf einer Sonderkonferenz aus dem formellen Programm der Partei gestrichen.

Anfang bis Mitte der 1960er gab es in den USA eine linksgerichtete Radikalisierung unter jungen Studenten und einigen älteren Intellektuellen. Ein institutionalisierter Ausdruck davon war die jährliche Socialist Scholars Conference [Konferenz sozialistischer Wissenschaftler] in New York. 1966 luden die Organisatoren der Konferenz den marxistischen Historiker Isaac Deutscher ein, einen Vortrag über den „sozialistischen Menschen“ zu halten. Damals hatten junge linke Intellektuelle nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt großes Interesse an der Frage, wie eine wahrhaft sozialistische Gesellschaft in kultureller und psychologischer Hinsicht beschaffen sein würde, wie die Menschen denken und handeln würden. Zum Beispiel schrieb Anfang der 1960er-Jahre Che Guevara über die Abschaffung der entfremdeten Arbeit im „sozialistischen“ Kuba. Eine rückblickende Analyse von Guevaras Überlegungen in dieser Frage findet sich in „Radical Egalitarian Stalinism: A Post Mortem“ [Radikal-egalitärer Stalinismus: Eine Autopsie] in Spartacist, englische Ausgabe Nr. 25 (Sommer 1978). In seinem Vortrag über den „sozialistischen Menschen“ sprach Deutscher eine Menge Fragen an, über die sich die nachsowjetische Generation linker Aktivisten überhaupt keine Gedanken macht.

Noch einmal: Huntington kontra Fukuyama

Meine Ansichten zum „Tod des Kommunismus“ und den ideologischen Bedingungen der nachsowjetischen Welt entwickelten sich anfangs vornehmlich im Verlaufe informeller Diskussionen mit Norden zwischen 1991 und seinem Weggang aus unserer Organisation 1996. Wie schon erwähnt, sah Norden im „Tod des Kommunismus“ vor allem einen Ausdruck des amerikanischen imperialistischen Triumphalismus. So brachte er den Begriff oft mit George Bushs Formel von der „neuen Weltordnung“ in Verbindung, die zur Zeit des Golfkriegs gegen den Irak 1991 ausgerufen wurde. Norden hielt es für eine Kapitulation gegenüber dem Druck des amerikanischen imperialistischen Triumphalismus, als der Hauptteil der Führung unserer Tendenz anerkannte, dass die nachsowjetische Periode durch einen historischen Rückgang des politischen Bewusstseins der Arbeiterklasse international gekennzeichnet ist.

Nordens Herangehensweise an diese Frage war von den Ansichten des rechtsgerichteten (damals neokonservativen) amerikanischen Intellektuellen Francis Fukuyama beeinflusst, der erklärte, der Zusammenbruch des Sowjetblocks markiere das „Ende der Geschichte“. Eine grob vereinfachte Form von Fukuyamas These vom „Ende der Geschichte“ wurde weithin bekannt unter Leuten, die man die gebildete amerikanische Öffentlichkeit nennen könnte, die Art von Leuten, die die New York Review of Books abonniert haben und gelegentlich Foreign Affairs lesen. Ich weiß nicht, ob Norden Fukuyama wirklich gelesen hat. Ich habe ihn gelesen und auch diese rechts der Mitte angesiedelten amerikanischen bürgerlichen Ideologen, vor allem Samuel P. Huntington und Zbigniew Brzezinski, die Fukuyamas optimistischer Darstellung der nachsowjetischen Welt heftig widersprachen. Ich gehe noch einmal auf diese Debatte ein, weil sie nützlich ist, die Beziehung zwischen dem „Tod des Kommunismus“ und verschiedenen anderen Strömungen nachsowjetischer bürgerlicher Ideologie, insbesondere (doch nicht nur) in den westlichen kapitalistischen Ländern, zu verstehen.

Fukuyama übernahm Bezeichnung und Konzeption vom „Ende der Geschichte“ von dem deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Hegel gebrauchte diesen Ausdruck, um die welthistorischen Folgen der Schlacht von Jena 1806 zu beschreiben, bei der die Armee des napoleonischen Frankreich das Königreich Preußen besiegt hatte. Danach besetzten und regierten die Franzosen West- und Süddeutschland. Hegel war einer von wenigen prominenten deutschen Intellektuellen, der das napoleonische Regime, das er für historisch fortschrittlich hielt, unterstützte und mit ihm zusammenarbeitete.

Hegels Konzeption vom „Ende der Geschichte“ hatte sowohl eine negative als auch eine positive Komponente. Die negative Komponente war, dass die herrschende Ideologie des spätfeudalistischen Europa – von den christlichen Kirchen sanktionierter und unterstützter monarchischer Absolutismus – ihre einstige Macht verloren hatte, den zukünftigen Gang der Geschichte zu bestimmen. Die positive Komponente war, dass die liberalen Prinzipien der Französischen Revolution, wie Hegel sie verstand (und Napoleon sie für ihn verkörperte), im Bereich der Ideen allesbestimmend geworden waren und dass in Übereinstimmung mit dem neuen Zeitgeist in ganz Europa allmählich eine neue soziopolitische Ordnung errichtet werden würde.

Auf ähnliche Weise hatte auch Fukuyamas Version vom „Ende der Geschichte“ negative und positive Komponenten. Die negative Komponente war natürlich der „Tod des Kommunismus“:

„Es gibt zwar noch kommunistische Mächte auf der Welt, aber der Kommunismus hat seine Dynamik und Anziehungskraft verloren. Wer sich heute Kommunist nennt, sieht sich in ein permanentes Rückzugsgefecht verwickelt und versucht verzweifelt, einen Rest von Macht und Status zu bewahren… Die Kommunisten befinden sich heute in der wenig beneidenswerten Lage, dass sie eine alte und reaktionäre Sozialordnung verteidigen müssen, deren Zeit längst abgelaufen ist, ähnlich wie die Monarchisten, die sich ins 20. Jahrhundert hinübergerettet haben.“ (Das Ende der Geschichte, 1992)

Fukuyama bringt hier eine gängige Ansicht unter allen Strömungen nachsowjetischer bürgerlicher Ideologie zum Ausdruck.

Der Kern seiner These vom „Ende der Geschichte“ liegt in den positiven Schlüssen, die er aus dem Zusammenbruch des Sowjetblocks zog. Er vertrat die Ansicht, dass die soziokulturellen Werte und die dazugehörigen wirtschaftlichen und politischen Institutionen der westlichen kapitalistischen Welt sich letzten Endes weltweit durchsetzen würden:

„Auf diesem Hintergrund kommt der weltweiten Verbreitung der liberalen Revolution besondere Bedeutung zu. Sie ist ein weiterer Beweis dafür, dass hier ein fundamentaler Prozess wirksam ist, in dem alle menschlichen Gesellschaften in ein gemeinsames Entwicklungsschema gezwungen werden – kurz gesagt eine Art Universalgeschichte der Menschheit, die sich auf die liberale Demokratie zu bewegt…

Wenn wir heute an einem Punkt angelangt sind, wo wir uns keine Welt vorstellen können, die sich wesentlich von der unseren unterscheidet, wo anscheinend keine grundsätzliche Verbesserung gegenüber unserer derzeitigen Ordnung mehr denkbar ist, dann müssen wir auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Geschichte an ihrem Ende angelangt ist.“ [Hervorhebung im Original]

Fukuyamas Vorstellung von einer allseits siegreichen „liberalen Revolution“ wurde von einigen prominenten intellektuellen Wortführern des amerikanischen Imperialismus heftig angegriffen. Sein Hauptkontrahent war Samuel P. Huntington, der seine eigene These vom „Kampf der Kulturen“ Fukuyamas „Ende der Geschichte“ entgegenstellte. Dementsprechend bemerkte er unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Fukuyama: „Der Augenblick der Euphorie am Ende des Kalten Krieges erzeugte eine Illusion von Harmonie, die sich bald als ebendiese erweisen sollte“ (Kampf der Kulturen – Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert). Gewiss, Huntington war mit Fukuyama einer Meinung, dass es nie wieder mächtige Staaten oder eine internationale politische Massenbewegung geben würde, die wie der Kommunismus als eine allumfassende Alternative zu Kapitalismus und „Demokratie“ westlicher Prägung auftreten würden. Doch er war der Ansicht, dass ein Großteil der Welt – vor allem Russland, der islamische Osten und China – von antiwestlichen Regierungen und politischen Bewegungen auf der Grundlage nationaler und religiös-kultureller Werte und Traditionen beherrscht sein würde:

„In dieser Welt werden die hartnäckigsten, wichtigsten und gefährlichsten Konflikte nicht zwischen sozialen Klassen, Reichen und Armen oder anderen ökonomisch definierten Gruppen stattfinden, sondern zwischen Völkern, die unterschiedlichen kulturellen Einheiten angehören…

Der Westen ist und bleibt auf Jahre hinaus der mächtigste Kulturkreis der Erde. Gleichwohl geht seine Macht in Relation zur Macht anderer Kulturkreise zurück. In dem Maße, wie der Westen versucht, seine Werte zu behaupten und seine Interessen zu schützen, sind nichtwestliche Gesellschaften mit einer Alternative konfrontiert. Einige versuchen, den Westen nachzuahmen und sich dem Westen anzuschließen, ,mitzuhalten‘. Andere konfuzianische und islamische Gesellschaften versuchen, ihre wirtschaftliche und militärische Macht auszuweiten, um dem Westen zu widerstehen, ,dagegenzuhalten‘. Eine zentrale Achse der Weltpolitik nach dem Kalten Krieg ist daher die Interaktion der westlichen Macht und Kultur mit der Macht und Kultur nichtwestlicher Gruppierungen.“

Die Debatte zwischen Fukuyama und Huntington unterstreicht die Notwendigkeit, dass wir zwischen dem Glauben an den „Tod des Kommunismus“, der allgegenwärtig und immer noch weit verbreitet ist, und dem begrenzten und kurzlebigen amerikanischen imperialistischen Triumphalismus unmittelbar nach dem Fall der Sowjetunion unterscheiden.

Kurze Schlussgedanken

Eine sehr wichtige Frage, die sich uns stellt, kann folgendermaßen formuliert werden: Ist es möglich, dass ein spontaner Aufstand gegen eine rechtsgerichtete Regierung, an dem sich ein wesentlicher Teil der Arbeiterklasse beteiligt, zu einer vorrevolutionären oder sogar revolutionären Situation (d. h. zu Organen der Doppelherrschaft) führt, obgleich die Masse der beteiligten Arbeiter und anderen Werktätigen nicht den Sozialismus anstrebt? Ich denke, die Antwort lautet ja. Wir haben zwar noch keine solche Entwicklung erlebt, sollten sie aber auch nicht ausschließen. Im Moment ist unsere Hauptaufgabe, die marxistische Weltanschauung zu verbreiten, in der Erwartung, eine relativ geringe Anzahl von linken Intellektuellen und fortgeschrittenen Arbeitern zu rekrutieren. In Anlehnung an John Maynard Keynes: Wenn sich die Fakten ändern, dann werden sich auch unsere Perspektiven ändern.

 

Spartakist Nr. 189

Spartakist Nr. 189

Juli 2011

·

Berliner Wahl 2011: Nichts zu wählen für Arbeiter, Unterdrückte

SPD/LINKE-Senat: Sozialkahlschlag, Angriffe auf Gewerkschaften

·

Nieder mit der rassistischen Festung Europa!

Flüchtlinge ertrinken, Imperialisten verschärfen Krieg gegen Libyen

·

Spartakist-Jugend

Kanada: Trotzkisten protestieren gegen antipalästinensische Hexenjagd

·

USA: Bundesberufungsgericht ordnet neue Anhörung zum Strafmaß an

Mumia Abu-Jamal ist unschuldig! Freiheit sofort!

·

Kritische Anmerkungen zum "Tod des Kommunismus" und den ideologischen Bedingungen der nachsowjetischen Welt

von Joseph Seymour