|
|
Spartakist Nummer 189 |
Juli 2011 |
|
|
Nieder mit der rassistischen Festung Europa!
Flüchtlinge ertrinken, Imperialisten verschärfen Krieg gegen Libyen
Der nachfolgende Artikel unserer italienischen Genossen von der Ltd‘I wurde zuerst in Workers Vanguard Nr. 981 (27. Mai), Zeitung der SL/U.S., veröffentlicht.
Mailand – Unter den Hauptopfern des imperialistischen Krieges gegen Libyen befinden sich fast zwei Millionen ausländische Arbeiter. Seit Beginn des begrenzten Bürgerkriegs zwischen der bürgerlichen Regierung des nationalistischen Machthabers Muammar al-Gaddafi und einer von den Imperialisten unterstützten Opposition sind bis zu 750 000 von ihnen aus Libyen geflohen. Die meisten gingen nach Tunesien oder Ägypten, doch an die 12 000 haben nach Schätzungen der Vereinten Nationen versucht, Italien oder Malta per Boot zu erreichen, zusätzlich zu den vielen Tausend Tunesiern, die bereits nach dem Sturz der Ben-Ali-Diktatur die italienische Insel Lampedusa erreicht hatten.
Die von den Imperialisten zur Beschönigung ihres Angriffs heuchlerisch geäußerten „humanitären“ Phrasen werden durch die Behandlung, die sie den Flüchtlingen angedeihen lassen, Lügen gestraft. Die Vereinten Nationen – die von Dieben und Mördern angeführte Körperschaft, die im Namen des „Schutzes von Zivilisten“ für die Bombardierung grünes Licht gab – mussten nach grauenvollen Augenzeugenberichten über Ertrinkende und Verhungernde zugeben, dass schätzungsweise 1200 Flüchtlinge vermisst und wahrscheinlich tot sind.
Der Londoner Guardian (8. Mai) berichtete, dass Ende März 72 Menschen auf dem Weg nach Lampedusa verdurstet und verhungert sind, als ihr Boot vor den Augen von NATO-Einheiten, darunter einem Hubschrauber und einem Flugzeugträger, abtrieb. Sie wurden trotz ihrer verzweifelten Hilferufe einfach dem Tod preisgegeben. Am 6. April sank ein Boot mit 350 Flüchtlingen, darunter viele Frauen und Kinder, zwischen Malta und Sizilien, wobei 250 Menschen umkamen. Einen Monat später sank ein weiteres Schiff mit 600 Menschen auf der Flucht aus Tripolis, nachdem es unter heftiges NATO-Bombardement geraten war. In einem kleinen Meeresgebiet vollgestopft mit NATO-Schiffen, Schiffen der EU-Grenzschutzbehörde Frontex und verschiedener Küstenwachen und anderer Einheiten kann man dies nur als Massenmord bezeichnen. Gleichzeitig helfen NATO-Schiffe, die Libyen blockieren, den Rebelleneinheiten, militärischen Nachschub von einer Küstenstadt zur anderen zu befördern. Wie der Kapitän eines Rebellenschiffs der New York Times (23. Mai) erzählte, „kommt nichts ohne die Erlaubnis der NATO durch“.
Diejenigen Flüchtlinge aus Nordafrika, die die Reise überleben und in Malta oder Süditalien landen, werden unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt. Italiens rechtsgerichtete Berlusconi-Regierung ließ sie anfangs tagelang in Lampedusa schmoren, abgesondert im Internierungslager oder einfach verwaist im Ort oder an der felsigen Küste ohne Unterkunft oder Nahrungsmittel. Dann „löste“ sie das „Problem“, indem sie die Immigranten in Militärlager auf dem italienischen Festland steckte, vornehmlich im Süden.
In der Folge versuchte die Regierung das neue tunesische Militärregime dazu zu zwingen, Massenabschiebungen aus Italien zu akzeptieren. Als sich schließlich herausstellte, dass die meisten Tunesier nach Frankreich gelangen wollten, wo sie Verwandte oder Freunde haben, erhielten sie eine auf drei Monate beschränkte vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung, in der Hoffnung, sie würden über Italiens Nordgrenze nach Frankreich durchsickern. Die Sarkozy-Regierung in Frankreich wiederum führte in der Grenzstadt Ventimiglia die Grenzkontrollen wieder ein und zwang so Hunderte von Immigranten, tagelang rund um den örtlichen Bahnhof abzuwarten. Diejenigen, die es nach Paris oder in andere Teile Frankreichs schafften, wurden dann zum Ziel von Ringfahndungen der Polizei, um sie abzuschieben.
Die Lega trotskista d’Italia fordert zusammen mit der Ligue trotskyste de France: „Schließung der Internierungslager! Keine Abschiebungen! Für das Recht auf Asyl für alle Flüchtlinge aus Libyen! Volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten!“ In der jüngsten Eskalationsstufe des NATO-Krieges gegen Libyen sind Frankreich und Berichten zufolge auch Britannien dabei, Kampfhubschrauber loszuschicken, um den Druck auf Gaddafis Regime zu erhöhen und der schmutzigen Opposition unter die Arme zu greifen. Zusammen mit allen Genossen in der Internationalen Kommunistischen Liga (Vierte Internationalisten) rufen wir zur militärischen Verteidigung Libyens gegen die Imperialisten und die Oppositionsstreitkräfte, die als deren Bodentruppen dienen, auf, ohne Gaddafis bonapartistischem kapitalistischem Regime irgendwelche politische Unterstützung zu geben.
Der verhältnismäßig kleine Zustrom von Immigranten und Flüchtlingen aus Nordafrika nach Italien im Zuge der tunesischen Revolte und des Krieges gegen Libyen wird von kapitalistischen Regierungen in ganz Europa dazu benutzt, um eine hysterische rassistische Kampagne zu führen, die das Ziel hat, die Einwanderungskontrollen der „Festung Europa“ weiter zu verschärfen und staatliche Befugnisse anderweitig auszubauen. Auf einem Treffen am 25. April in Rom forderten Sarkozy und Berlusconi eine „grundlegende Überarbeitung“ des Schengen-Abkommens, das angeblich den Bewohnern von EU-Staaten Freizügigkeit in den Mitgliedsländern garantieren soll. Am 12. Mai wurde auf einem Treffen der EU-Innenminister beschlossen, es den Regierungen zu erlauben, Grenzkontrollen wiedereinzuführen, die Überwachung der europäischen Grenzen zu verstärken und Abkommen mit den nordafrikanischen Regierungen über die Kontrolle des Zustroms von Einwanderern über das Mittelmeer wieder in Kraft zu setzen. Am selben Tag verkündete die dänische Regierung einseitig die Wiedereinführung von Polizeikontrollen an den Grenzen zu Deutschland und Schweden.
Italien, Griechenland, Portugal und Spanien gehören zu den ärmeren EU-Mitgliedern, die fortgeschritteneren kapitalistischen Ländern traditionell als Quelle für billige Arbeitskraft dienen. Doch in den letzten zwei Jahrzehnten mussten diese Staaten eine große Menge an ausländischen Arbeitern importieren, um eine sinkende Geburtenrate auszugleichen. Dies schuf eine bedeutende Schicht in der Arbeiterklasse, die keine Bürgerrechte besitzt und leicht abzuschieben ist, wenn die Wirtschaft stagniert und Arbeitsplätze rar werden. Diese Arbeiter sind oft Opfer mörderischer rassistischer Angriffe und sie werden von der Bourgeoisie als Sündenböcke benutzt, um Verdrossenheit in der Bevölkerung vom wirklichen Feind, der Kapitalistenklasse, abzulenken. Gleichzeitig bilden diese neuen Schichten der Arbeiterklasse ein lebendiges Bindeglied zu den Kämpfen der geknechteten Massen in der neokolonialen Welt.
Während sich die Weltwirtschaftskrise hinzieht, versprühen die kapitalistischen Herrscher rassistisches Gift, um die Arbeiterklasse und ihre Gewerkschaften weiter zu spalten und deren Widerstand gegen die von ihren Regierungen verhängten umfassenden Austeritätsmaßnahmen zu schwächen (siehe „Italy: Unions Must Defend and Organize Immigrant Workers!“ [Italien: Arbeiter müssen eingewanderte Arbeiter verteidigen und organisieren] WV Nr. 961, 2. Juli 2010). Die Verteidigung von Immigranten gegen rassistische Unterdrückung ist ein Schlüsselelement des Kampfes, die Existenz und die Löhne aller Arbeiter zu schützen. Die Arbeiterbewegung muss eingewanderte Arbeiter organisieren und für ihre Staatsbürgerrechte kämpfen. Doch die Umsetzung dieser äußerst wichtigen Aufgabe erfordert einen Kampf gegen die chauvinistische Politik der pro-kapitalistischen falschen Gewerkschaftsführer, die sich die nationalen Interessen „ihrer“ Kapitalisten zu eigen machen. So fördert die italienische Gewerkschaftsbürokratie Protektionismus á la „Made in Italy“, der Gift für das Klassenbewusstsein des italienischen Proletariats und eine Waffe gegen seine Klassenbrüder in Osteuropa sowie den chinesischen deformierten Arbeiterstaat ist.
Rifondazione Comunista und die übrige reformistische Linke Italiens vergossen Krokodilstränen über das Schicksal von Immigranten und Flüchtlingen unter der Berlusconi-Regierung und verurteilten vom Gaddafi-Regime in Libyen begangene rassistische Grausamkeiten. Was Rifondazione Comunista und Co. gerne unter den Tisch kehren würden, ist die Tatsache, dass die Vereinbarungen zwischen Gaddafi und Berlusconi von 2010 über Zusammenarbeit gegen Immigranten tatsächlich die Zustimmung zu einem vorhergehenden Übereinkommen darstellten, das die Regierung von Romano Prodi im Dezember 2007 unterschrieben hatte, in der Rifondaziones gegenwärtiger Sekretär Minister war. Und Massenmord an Immigranten und Flüchtlingen auf See ist nicht das alleinige Privileg von rechtsgerichteten Regierungen. Wir vergessen nicht den tragischen Untergang der Kater i Rades, eines mit albanischen Flüchtlingen beladenen Schiffs, das 1997 von dem italienischen Kriegsschiff Sibilla versenkt wurde, wobei über 100 Menschen umkamen. Zu dieser Zeit wurde Italien von einer Volksfrontregierung regiert, die von Rifondazione unterstützt wurde.
Die Reformisten tragen auch durch ihre Unterstützung der UN/NATO-Angriffe auf Libyen und/oder ihre Lobpreisung der in Bengasi ansässigen Opposition, die als Bodentruppen der Imperialisten fungiert, für das gegenwärtige imperialistische Massaker in Libyen und für den Massenmord an Immigranten auf See unmittelbare Verantwortung. Ahmed Dschibril, ein Sprecher des Nationalen Übergangsrates in Bengasi, sagte in der Fernsehsendung „Porta a Porta“, sie seien mit gemeinsamen Patrouillen mit EU-Truppen an der libyschen Grenze „völlig einverstanden und würden sie begrüßen“ und schimpfte, dass „illegale Einwanderer nach Libyen kamen und monate- und jahrelang blieben und dabei Krankheiten verbreiteten und Zusammenstöße mit der libyschen Bevölkerung provozierten“. Oppositionsstreitkräfte haben Menschen, die sie für Gaddafi-Unterstützer hielten, zusammengetrieben, gefoltert und getötet, vor allem Schwarzafrikaner, die angeblich seine Söldner sein sollen.
Dass die Arbeiterklasse sich zur Verteidigung Libyens bekennt, ist besonders in Italien von entscheidender Bedeutung, einem Land, dessen Bourgeoisie lange Zeit das libysche Volk ausgesaugt hat und immer noch einer der Hauptnutznießer seiner Unterdrückung ist. Das einzige „Menschenrecht“, das die imperialistischen Herren wirklich anerkennen, ist ihr eigenes „Recht“ zur Ausbeutung von Libyens riesigen Gas- und Ölvorräten. Vor dem Krieg erhielt Italien 25 Prozent seiner Ölimporte und 13 Prozent seines Gases aus Libyen, und die größten Unternehmen Italiens (allen voran der Eni-Ölkonzern) haben dort führende Positionen inne. Dieses Jahr markiert ein Jahrhundert imperialistischer Ausplünderung Libyens durch die italienische Bourgeoisie, die das Land 1911 besetzte. Nachdem sie die osmanische Armee vertrieben hatten, gingen italienische Streitkräfte daran, jeglichen Widerstand im Keim zu ersticken. Mit Hilfe von Giftgas, Konzentrationslagern und durch Massenmord töteten sie über 70 000 Menschen und ganze 80–90 Prozent des Viehbestandes. Unsere Verteidigung Libyens gegen den Imperialismus steht in der besten Tradition des italienischen Proletariats, das sich 1911 in vielen Städten gegen die blutige imperialistische Besetzung erhob.
Um mit dem imperialistischen System von Krieg, neokolonialer Vorherrschaft und rassistischer Unterdrückung Schluss zu machen, muss das Proletariat das kapitalistische System zerschlagen und durch eine kollektivierte Planwirtschaft auf internationaler Ebene ersetzen. Nur durch den revolutionären Sturz der herrschenden Kapitalistenklassen wird das Proletariat in der Lage sein, die Produktionsmittel der Gesellschaft rational einzusetzen und weiterzuentwickeln, auf der Basis seiner eigenen Staatsmacht und zum Nutzen aller. Dieser Kampf erfordert die Wiederschmiedung der Vierten Internationale, der Weltpartei der sozialistischen Revolution, als unabdingbares Instrument.
|
|
|
|
|