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Spartakist Nummer 211

Winter 2015/16

Myriam (Fetneh) Benoît

1949–2015

Am 15. Oktober starb unsere Genossin Myriam Benoît an Krebs. Sie war mehr als drei Jahrzehnte lang ein führender Kader der Ligue trotskyste de France, der französischen Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga. Wir möchten ihren Genossen und Freunden überall auf der Welt, ihren Kindern und Enkeln, ihren Brüdern Abdi und Sadegh und deren Familien unser herzlichstes Beileid aussprechen. Ein besonders enges Verhältnis hatte Myriam zu ihrer Schwägerin Mojgan, die sie als den „bemerkenswertesten Menschen, den ich in meinem Leben gekannt habe“, bezeichnete.

Myriam wurde 1949 in Teheran, Iran, als Tochter einer persischen Familie geboren, die gebildet, atheistisch und aristokratisch war. Sie war eine geborene Rebellin, aber auch das Produkt ihrer Zeit und ihrer familiären Verhältnisse. Ihre säkular eingestellte Familie achtete Frauen; in ihrer Kindheit wurde Myriam von einer aufmerksamen Dienerschaft verwöhnt, die von dem Landgut ihrer Familie in die Stadt geholt wurde. Sie erhielt eine zweisprachige (französisch/persische) Erziehung an Teherans Jeanne-d’Arc-Schule, einer Eliteschule. Sie heiratete einen Kurden, was ein gesellschaftliches Tabu ist in einem Land, wo die herrschende Klasse aus persischen Schiiten besteht, welche die Herren sind über eine ganze Reihe unterdrückter Minderheiten, darunter Kurden, Aseris und Belutschen. Ihre spätere Scheidung galt als Skandal und war der Auslöser für ihre spätere Entschlossenheit zum Kampf gegen Frauenunterdrückung. Nach ihrem Abschluss des Sozialarbeiterstudiums an der Universität von Teheran wohnte sie im Süden des Landes, wo sie über die bittere Armut auf dem Land bestürzt war, was einen Einfluss hatte auf ihre spätere Politisierung.

Als 1978 der Iran durch gewaltige Unruhen erschüttert wurde, ging sie nach Frankreich. Eine Massenrevolte von Studenten und Streiks von Arbeitern ermunterten reaktionäre schiitische Mullahs mit Ajatollah Chomeini an der Spitze, das repressive Regime des Schahs von Persien herauszufordern, das durch die USA und Britannien an die Macht gebracht worden war. Im Iran hatte Myriam mit einer maoistischen Gruppe sympathisiert. Doch sie war abgestoßen von Linken, die Chomeini bejubelten und den Schleier zu einem angeblichen Symbol der Rebellion stilisierten. Myriam fühlte sich zur LTF hingezogen durch die Losungen der internationalen Spartacist Tendenz (Vorgängerin der IKL): „Nieder mit dem Schah! Keine Unterstützung für die Mullahs!“ und „Nein zum Schleier!“ Myriam beteiligte sich an der Übersetzung unserer Propaganda ins Farsi. 2001 besuchte sie unsere europäischen Sektionen und hielt eine eindrucksvolle Rede über „Iran 1979: proletarische Revolution oder islamische Reaktion“, die später in Workers Vanguard (Nr. 784, 12. Juli 2002) abgedruckt wurde.

Myriam wurde zu unserer internationalen Gründungskonferenz im Spätsommer 1979 eingeladen und wurde kurz darauf Mitglied der LTF. Zu dieser Zeit kam Chomeini im Iran an die Macht und begann seine linksgerichteten Unterstützer abzuschlachten. Chomeinis Machtübernahme hatte im benachbarten Afghanistan einen von den USA unterstützten Aufstand islamischer Reaktionäre in Gang gesetzt, bei dem fundamentalistische Stammeskrieger gegen die von der Sowjetunion unterstützte modernisierende nationalistische DVPA-Regierung kämpften, die eine Landreform durchgeführt, den Brautpreis verringert und Schulpflicht für Mädchen eingeführt hatte. Myriam hatte in ihrer Jugend mit der Sowjetunion sympathisiert, und unsere militärische Parteinahme für das DVPA-Regime in Afghanistan trug dazu bei, dass sie Mitglied wurde. Beeindruckt von der Geschichte der Bolschewiki, die 1917 die Russische Revolution führten und für die Befreiung der Frauen und der Völker des Ostens kämpften, war sie begeistert über unsere Losung vom Januar 1980: „Hoch die Rote Armee in Afghanistan!“, die wir aufstellten, als sowjetische Truppen zur Unterstützung des nationalistischen Regimes im Land einmarschierten.

Myriam arbeitete bis zuletzt mit ungeheurer Energie, auch an ihrer Biografie, während ihr Gesundheitszustand immer schlechter wurde. Sehr gern erinnerte sie sich an die Arbeit unserer Genossin Susan Adams, von der sie ausgebildet und geschult wurde, mit der Bemerkung: „Es ist wichtig zu verstehen, dass du ein Kader bist, ohne falsche Bescheidenheit, denn es gibt dir eine Verantwortung. Wenn man keine Verantwortung übernimmt, kann man kein Kader sein.“ Schon als relativ neues Mitglied wurde Myriam Organisatorin der Ortsgruppe der LTF in Rouen und half später dabei, in Lyon ein Organisationskomitee aufzubauen. 1985 wurde sie Vollmitglied des Zentralkomitees der LTF. Sie war eine effektive und mitreißende Aktivistin und Sprecherin der LTF und rekrutierte zahlreiche junge Menschen. Nachdem im April 1989 die sowjetischen Truppen aus Afghanistan abgezogen worden waren, führte das Partisan Defense Committee eine internationale Spendenkampagne durch mit den Losungen: „Nein zum Schleier – Verteidigt afghanische Frauen! Jalalabad: Helft den Opfern der CIA-Mörderbanden!“ Myriam erinnerte sich an die beeindruckende Unterstützung, die wir dafür auf einem Markt in einem Immigrantenviertel von Lyon erhielten, sogar bei verschleierten Frauen.

Als kurz darauf die Berliner Mauer fiel, kämpfte die IKL mit all ihren Ressourcen für die Verteidigung des ostdeutschen deformierten Arbeiterstaats und für eine proletarisch-politische Revolution. Bei einigen führenden LTF-Kadern riefen diese Ereignisse nur eine laue Reaktion hervor, doch Myriam kämpfte für die Intervention und reiste 1990 nach Deutschland, um bei der Kampagne mitzuhelfen. Nach dem Zusammenbruch der LTF-Führung 1992 war Myriam die einzige, die dazu bereit war, bei der Führung der Sektion mitzuwirken, und sie wurde beratendes Mitglied des Internationalen Exekutivkomitees.

Myriam spielte eine wichtige Rolle bei der Intervention in die riesigen defensiven Streikkämpfe der Arbeiter im öffentlichen Dienst, die im Dezember 1995 Frankreich erschütterten. Um ihr Englisch zu verbessern, arbeitete sie 1996/97 mit unserer britischen Sektion zusammen. In den 1990er- und 2000er-Jahren war sie eine zentrale Sprecherin des Comité de Défense Sociale, der rechtlichen Verteidigungsorganisation der LTF, die sich für den amerikanischen Klassenkriegsgefangenen Mumia Abu-Jamal einsetzte; sie spielte eine Schlüsselrolle, um größere Teile der französischen Arbeiterbewegung, darunter die französische Kommunistische Partei, dazu zu bringen, Mumias Fall aufzugreifen. Myriam intervenierte auch häufig bei wichtigen öffentlichen Veranstaltungen anderer linker Gruppen in Paris, um deren Opportunismus aufs Korn zu nehmen.

In den letzten Jahren war Myriam maßgeblich daran beteiligt, unsere kanadische Sektion bei der Intervention in die Studentenstreiks zu unterstützten, die seit dem Frühjahr 2012 Quebec erschütterten. Sie half dabei, junge Genossen in Montreal zu rekrutieren und unsere Ortsgruppe in Montreal aufzubauen und zu konsolidieren – eine wichtige Ausweitung für unsere Internationale auf den französischsprachigen Teil Kanadas. Was Myriam leistete, beschrieb ein kanadischer Genosse: Wie sie auf den riesigen Demos agierte und mit Leuten, die wir trafen, diskutierte, und dass sie „diese Arbeit in so ziemlich jeder Hinsicht prägte“. Ein junger Kader in Montreal schrieb ihr: „Dank deiner Arbeit sind wir bessere Kommunisten.“ Als die Ortsgruppe ihre Uni-Diskussionsveranstaltung „Marxismus oder Feminismus: Für Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution!“ ankündigte, versuchten die feministischen Studentenbürokraten es mit Zensur. Auf der erfolgreichen Veranstaltung, die Myriam trotz der Schererei auf dem Campus gab, kam es zu einer lebendigen Debatte (siehe „UQAM Feminists Fail to Gag Marxists“, Spartacist Canada Nr. 183, Winter 2014/15). Vieles davon musste sie zwischen Chemotherapie-Behandlungen erledigen, die sie in Frankreich erhielt.

Myriam hatte eine unerschütterliche Lebenslust. Wie ein ihr nahe stehender Genosse vor kurzem bemerkte, lebte sie nicht von Politik allein. Myriam war auch ohne formelle Ausbildung eine ausgezeichnete Sängerin, die oftmals Freunde und Genossen zu fröhlichem Tanz oder Tränen der Schwermut bewegte. Am Ende ihres Lebens lernte sie Noten zu lesen. Sie nahm erfolgreich an einem Vorsingen für den renommierten Bahar-Chor teil, ein UNESCO-Projekt, bei dem sie mitwirkte. Sie trat auch beim Theater auf, schrieb ein Theaterstück und übersetzte verschiedene Werke aus dem Farsi ins Französische. Eines davon war ein Gedichtband mit dem Titel Travail au Noir [illegale Arbeit] (l’Harmattan, 2015) von Mehrdad Arefani, einem säkularen iranischen Dichter und ehemaligen politischen Gefangenen, der jetzt im Exil lebt. Myriam schätzte ihre Ärzte, Pfleger und das medizinische Personal sehr, fing mit ihnen Diskussionen über Politik an und verkaufte ihnen Abonnements der LTF-Zeitung Le Bolchévik. Myriam war eine starke Person und wird schmerzlich vermisst werden.

 

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