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Spartakist Nummer 217 |
Sommer 2017 |
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Für Klassenkampf gegen das spanische Völkergefängnis!
Unabhängigkeit für Katalonien und das Baskenland! Für Arbeiterrepubliken!
Der folgende Artikel ist die Übersetzung eines Extrablatts der Grupo Espartaquista de México, Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga, das im April veröffentlicht und am 1. Mai in Barcelona verteilt wurde.
40 000 Demonstranten gingen an einem Montagmorgen im Februar trotz der Winterkälte in Barcelona auf die Straße, um Artur Màs und zwei Mitangeklagte zum Auftakt ihres Gerichtsprozesses zu begleiten. Angeklagt waren sie wegen der Propagierung der Unabhängigkeit Kataloniens, weil sie damit gegen eine Entscheidung von Spaniens Verfassungsgericht verstoßen haben. Bei der Demonstration am 6. März war überall die Estelada zu sehen, die Flagge Kataloniens – den Flaggen von Kuba und Puerto Rico nachempfunden. Die konservative Regierung unter der Volkspartei (Partido Popular, PP) des spanischen Premierministers Mariano Rajoy hatte das Hissen der Flagge auf Gebäuden von Stadtverwaltungen in Katalonien verboten. Und es ist wirklich empörend, dass sogar die Vereinigung Europäischer Fußballverbände (UEFA) der blaugrana (blauroten) Fußballmannschaft von Barça letztes Jahr Strafgelder auferlegte, weil enthusiastische Barcelona-Fans bei einem UEFA-Spiel Estelades schwenkten. Wir fordern: Madrid, Hände weg von Màs und seinen Mitangeklagten! Es ist kein Verbrechen, die Estelada zu schwenken!
Der spanische Staat hat die Repression gegen Katalanen verschärft und damit massenhafte Proteste in Katalonien für die Unabhängigkeit hervorgerufen. Anderthalb Millionen Menschen strömten 2010 im Herzen von Barcelona auf die Straße, um dagegen zu protestieren, dass zentrale Artikel aus dem Autonomie-Statut Kataloniens gestrichen wurden. Letzten September gingen in der ganzen Region am Diada (Nationalfeiertag von Katalonien) erneut über eine Million Demonstranten für die Unabhängigkeit auf die Straße.
Vor 80 Jahren war Barcelona das Zentrum der Spanischen Revolution und des Bürgerkriegs. Wie wir in „Trotzkismus kontra Volksfrontpolitik im Spanischen Bürgerkrieg“ (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 27, Frühjahr 2009) schrieben: „Die Maitage von Barcelona im Jahr 1937 waren der Höhepunkt eines Jahrzehnts von Revolution und Konterrevolution in Spanien, das mit dem Sturz der Militärdiktatur von Primo de Rivera 1930 und dem Sturz der Monarchie ein Jahr später begonnen hatte und mit der Zerschlagung der Republik durch General Francisco Franco 1939 endete.“ Katalanische Arbeiter standen an vorderster Front des Kampfes für sozialistische Revolution, aber durch jahrzehntelange blutige Repression unter Franco rückte die nationale Frage sowohl in Katalonien als auch im Baskenland in den Vordergrund.
Katalanen und Basken führen heute einen Kampf um die nationale Befreiung vom kapitalistischen Staat Spanien. Jahrzehntelang wechselten sich die PP von Mariano Rajoy und die Sozialdemokraten der ebenso chauvinistischen PSOE (Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens) bei der Verwaltung der kapitalistischen Herrschaft ab. Gegenwärtig ist die PP Teil einer Minderheitsregierung, die es nur schaffte, an der Macht zu bleiben, weil sie das langjährige Abkommen zwischen allen größeren Parteien umsetzt, die beiden nationalen Minderheiten Basken und Katalanen gewaltsam innerhalb der Grenzen von Spanien zu halten. Darum geht es im Wesentlichen bei der chauvinistischen, antidemokratischen spanischen Verfassung von 1978, mit der die Monarchie als bonapartistische Obrigkeit eingesetzt wurde. Der Kampf für die Befreiung der unterdrückten Nationen ist im Interesse des Proletariats! Jeder Schlag gegen den Chauvinismus des bürgerlichen Staates Spanien nützt den Arbeitern überall!
Die Nationen der Katalanen und der Basken leben auch nördlich der Grenze in Frankreich, wo sie vom chauvinistischen französischen Staat ebenfalls gewaltsam unterdrückt werden ohne irgendwelche Rechte. Die treibende Kraft für die Unabhängigkeitsbewegung kommt aus dem Süden. Würden die Basken und/oder Katalanen ihre Unabhängigkeit von Spanien erringen, ist es sehr wahrscheinlich, dass ihre Landsleute auf der französischen Seite ihnen folgen würden. In jedem Fall verteidigen wir das Selbstbestimmungsrecht der nördlichen Provinzen der Basken und Katalanen.
Für die nationale Identität der Katalanen und Basken hat die Sprache eine zentrale Bedeutung. Die chauvinistischen kastilischen Herrscher haben immer wieder versucht, die katalanische und die baskische Sprache auszulöschen und das Spanische, die Sprache der Unterdrücker, durchzusetzen. In den Jahren der grausamen Unterdrückung unter Franco, von Ende der 1930er- bis Ende der 1970er-Jahre, konnte man ins Gefängnis kommen, schon wenn man die eigene Sprache in der Öffentlichkeit benutzte. Nonnen wiesen katalanische Schulkinder an, „christlich zu sprechen“, d. h. castellà (kastilisch, also spanisch). Die Tatsache, dass sowohl die katalanische als auch die baskische Sprache jahrhundertelang die Vorherrschaft des Kastilischen überlebt haben, ist ein Beweis dafür, dass diese Völker als eigenständige Nationen leben wollen und Immigranten erfolgreich in ihrer Gesellschaft assimiliert wurden.
Die „Verfassung von 78“ schaffte die Grundlage für eine eigene Regionalregierung mit eingeschränkten Vollmachten. Ein paar Jahre nachdem es Katalonien gelungen war, Madrid ein paar Autonomierechte abzuringen, begann die Regionalregierung, Katalanisch als Unterrichtssprache in allen öffentlichen Schulen einzuführen. Heute sprechen über zehn Millionen Menschen katalanisch, darunter 38 000 in Frankreich; etwa ebenso viele Menschen sprechen schwedisch oder griechisch.
2010 demontierte das spanische Verfassungsgericht ein katalanisches Estatut [Autonomie-Statut] von 2006. Es ordnete unter anderem an, dass Katalonien Teil „der einen und unteilbaren spanischen Nation“ sei, und verkündete, Katalanisch dürfe nicht die „bevorzugte Sprache“ in der Verwaltung, den Medien und dem öffentlichen Schulwesen von Katalonien sein. Letzten November erhielt das Verfassungsgericht neue Machtbefugnisse – z. B. kann es Spanisch erneut als Unterrichtssprache im staatlichen Bildungssystem einführen. Seit 2010 hat Madrid die spanische Sprache in allen Bereichen des täglichen Lebens immer mehr durchgesetzt. Fehlt ein spanisch-sprachiges Etikett auf einem Handelsprodukt in Katalonien, kann die Strafe zwischen 15 000 und 1,2 Millionen Euro betragen. Allein im Jahr 2016 wurden 64 neue Vorschriften erlassen, aufgrund derer man in Katalonien spanisch sprechen muss, was in einer ganzen Reihe von Fällen zur sprachlichen Unterdrückung im Alltag führt. Die Sprachenfrage ist auch in Frankreich sehr wichtig, wo Basken und Katalanen absolut keine nationalen Rechte oder nationalen Sprachenrechte haben. Für das Recht aller Basken und Katalanen auf Unterricht in der eigenen Sprache! Keine Privilegien für Spanisch oder Französisch!
Kein Vertrauen in die katalanische Bourgeoisie!
Rajoy und seine Unterstützer von der PP haben zunehmend das von Madrid dominierte Gerichtssystem gegen katalanische Independentistes [Kämpfer für Unabhängigkeit] eingesetzt. Letzten November ermächtigte sich das Verfassungsgericht dazu, Staatsbeamte – natürlich Katalanen – ohne Anhörung zu suspendieren. Gegenwärtig stehen mehr als 400 katalanische Regierungsmitglieder, Bürgermeister und Stadträte wegen verschiedener Anklagen vor Gericht. Auch wenn bei dem Urteil gegen Artur Màs die Berufung noch anhängig ist, wurde er schuldig gesprochen: Er soll 36 500 Euro Strafe zahlen und darf zwei Jahre lang für kein öffentliches Amt kandidieren. Das Verfassungsgericht urteilte, Artur Màs habe gegen das Verbot „verstoßen“, ein Unabhängigkeits-Referendum abzuhalten, das 2014 stattfand, als er Präsident von Kataloniens Regionalregierung Generalitat war – ein Referendum, in dem fast 90 Prozent für die Unabhängigkeit Kataloniens stimmten! Madrid hat auch Carme Forcadell angeklagt, Sprecherin vom Parlament der Generalitat; ihr „Verbrechen“ war es, eine Debatte über den Vorschlag eines zweiten Unabhängigkeits-Referendums zuzulassen, ein Vorschlag, der von der Mehrheit der Abgeordneten im Parlament sowie vom gegenwärtigen Präsidenten der Generalitat Carles Puigdemont unterstützt worden war. Im Februar erklärte das Verfassungsgericht eine Resolution des Parlaments, das Referendum im Jahr 2017 abzuhalten, für null und nichtig.
Rajoys Regierung verkündete kürzlich, dass sie die öffentlichen Schulen in Katalonien eher absperren würde, als zuzulassen, dass die Generalitat sie als Wahllokale benutzt, wenn sie versuchen sollte ein Referendum abzuhalten. Nichts Gutes ahnen lässt die darauf folgende Drohung, die spanische Verfassung dafür einzusetzen, dass alles annulliert wird, was die Generalitat an Autonomie-Vollmachten noch hat.
Katalonien produziert mehr als 25 Prozent von Spaniens Exporten und hatte 2015 ein Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von 28 900 Euro. Das Baskenland hat mit 30 500 Euro das höchste Pro-Kopf-BIP in Spanien und produziert 8,8 Prozent der Exporte. Spaniens herrschende Klasse weiß sehr gut, dass von ihrem kleinen Völkergefängnis ohne seine beiden profitabelsten Regionen praktisch nichts mehr übrig bliebe, und deshalb wird sie eine friedliche Abtrennung von Katalonien und dem Baskenland nicht zulassen. Es ist klar, dass bei einem verschärften Konflikt zwischen Katalonien und Spanien eine militärische Intervention der brutalen Oberherrschaft gegen die unterdrückte Nation möglich wäre. Durch eine solche Machtprobe würden sofort antagonistische Klassenkräfte in den Vordergrund treten. Nur die Arbeiterklasse hat die soziale Macht, gegen Madrids unnachgiebigen Chauvinismus für die Eigenstaatlichkeit der zu einer Minderheit gehörenden Nationen zu kämpfen, wenn sie sich als unabhängige Kraft an die Spitze aller Armen und Unterdrückten stellt.
Aber aus Furcht vor einer proletarischen Erhebung würde jener bedeutende Teil der katalanischen Bourgeoisie, der die nationale Unabhängigkeit vorzieht, ohne zu zögern gemeinsame Sache mit ihren Madrider Cousins machen. Letztendlich werden sich die kapitalistischen Herrscher sowohl der Unterdrückernation als auch der nationalen Minderheiten zusammentun zur Verteidigung ihrer Klassenprivilegien gegen diejenigen, die sie um des Profits willen ausbeuten: die Arbeiter sowohl in Spanien als auch in Katalonien und im Baskenland. Für das Proletariat und die Unterdrückten in Katalonien wäre es selbstmörderisch, sich im Kampf um die nationale Befreiung auf die katalanische Bourgeoisie zu verlassen.
Wir rufen alle, die gegen nationale Unterdrückung sind, dazu auf, die CUP (Kandidatur für Volkseinheit), die für die Unabhängigkeit Kataloniens eintritt, gegen die Repression des spanischen Staates zu verteidigen. Von der CUP sind eine Reihe ihrer 16 Bürgermeister und 372 Stadträte in katalanischen Gemeinden angeklagt, weil sie die Estelada auf Rathäusern gehisst und an Spaniens gesetzlichen Feiertagen die Dienststellen der Gemeinden geöffnet haben. Fünf CUP-Mitglieder sind angeklagt wegen des aus dem Mittelalter stammenden Vergehens der „Majestätsbeleidigung“, weil sie letztes Jahr am Diada Fotos des spanischen Königs Felipe VI. verbrannt haben! Seit dieser Zeit führt die PP eine Kriminalisierungskampagne gegen die CUP, um deren Unterstützer wegzutreiben.
Der bekannte baskische Separatist Arnaldo Otegi kam letztes Jahr nach sechseinhalb Jahren Gefängnis frei; er hatte eine führende Rolle gespielt bei dem Versuch, die verbotene linksnationalistische Partei Batasuna wiederzugründen. Otegi ist es verboten, bei Wahlen für ein öffentliches Amt zu kandidieren. Außerdem war er schuldig gesprochen worden, den spanischen König beleidigt zu haben. Die einjährige Haftstrafe dafür wurde später reduziert, nachdem sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßbourg vorsichtig erklärte, diese Strafe sei „unverhältnismäßig“ hoch für das Verbrechen. Unter dem gegenwärtigen spanischen Strafrecht wird jeder, der „den König oder die Königin oder irgendeinen ihrer Vorfahren oder Nachkommen verleumdet oder beleidigt“, zu Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren verurteilt. Und nun wird jede angebliche „Drohung“ gegen den König als Terrorismus behandelt. So wurde zum Beispiel Valtonyc, ein Rapper von der Insel Mallorca, vor kurzem angeklagt, den König beleidigt und Terrorismus angestachelt zu haben, und er wurde skandalöserweise zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Nieder mit der spanischen Monarchie und ihren bonapartistischen Regierungsbefugnissen!
Gesetze gegen Beleidigung der Monarchie dienen einfach dazu, Spaniens unterdrückerischen bürgerlichen Staatsapparat zu stärken, der sich in allererster Linie gegen das Proletariat richtet. Drakonische „Anti-Terrorismus“-Gesetze wurden hart und erbarmungslos gegen Basken eingesetzt, die für Unabhängigkeit eintraten. Der Gründer und Führer von Herri Batasuna wurde 1984 von einer Todesschwadron der GAL (Antiterroristische Befreiungsgruppen) brutal ermordet. Diese Todesschwadronen wurden in der Zeit nach Franco unter Anleitung der Regierung des PSOE-Generalsekretärs Felipe Gonzales gegründet.
Die Arbeiterklasse in ganz Spanien hat ein lebenswichtiges Interesse daran, sich gegen die Verfolgung der CUP und aller Basken und Katalanen, die für Unabhängigkeit sind, zu stellen, um damit gegen nationale Unterdrückung Widerstand zu leisten und auch das eigene Recht auf Organisierung und Streiks zu erkämpfen. Das Wahlbündnis CUP – das sich selbst fälschlicherweise „antikapitalistisch“ nennt – spielt eine zentrale Rolle dabei, Puigdemont an der Spitze der Regionalregierung Generalitat zu halten, denn seine zehn (von insgesamt 135) Abgeordneten geben diesem die Mehrheit, die er im katalanischen Parlament braucht. Doch dafür wird die kleinbürgerliche CUP von Kataloniens herrschender Klasse nicht belohnt: Die Generalitat unterstützt die Verfolgung der Cupaires [CUP-Unterstützer], welche die Fotos verbrannt haben, und bekräftigt, es sei tatsächlich ein Verbrechen, Fotos des Madrider Monarchen zu verbrennen! Weg mit allen Anklagen gegen die Nationalisten der CUP! Madrid: Hände weg von der CUP!
Nieder mit der EU, dem Feind nationaler Rechte!
Nach der weltweiten großen Rezession von 2008 verhängte die Europäische Union strenge Sparmaßnahmen gegen Spanien als Gegenleistung für die Kredite. Als Ergebnis liegt heute die Jugendarbeitslosigkeit in Katalonien bei sage und schreibe 32 Prozent, die Anzahl derjenigen, die seit über zwei Jahren arbeitslos sind, ist alarmierend angestiegen, und elf Prozent der katalanischen Arbeiter, die einen Arbeitsplatz haben, fallen unter die spanische Armutsgrenze. Dennoch, angesichts der Drohungen aus Madrid betteln sowohl Puigdemont als auch Màs – der tatsächlich die EU-Austeritätsmaßnahmen in Katalonien umsetzte – bei ihren kapitalistischen Klassenkollegen in der EU um deren Unterstützung. Nach seiner Verurteilung im März erklärte Màs: „Wir werden in Spanien Berufung einlegen und dann den Fall vor europäische Gerichtshöfe tragen, falls es nötig ist.“ Mitte Januar richtete Puigdemont (der in einer Koalition mit der bürgerlich-nationalistischen Republikanischen Linkspartei regiert) bei einem Forum im Gebäude des Europaparlaments in Brüssel einen Appell an die EU, ein Referendum für die Unabhängigkeit Kataloniens zu unterstützen. In der überfüllten Halle waren … Hunderte von eingeladenen Katalanen, sie wurden aber von EU-Beamten brüskiert.
Ungeachtet der falschen Hoffnungen der katalanischen Bourgeoisie steht die EU felsenfest hinter dem spanischen Staat. Bundeskanzlerin Merkel machte das bereits 2015 klar, als sie sagte, ihre Position zu Katalonien sei der von Rajoy „sehr ähnlich“. Die EU ist ein Todfeind der nationalen Rechte der Unterdrückten. Fragt irgendeinen der verarmten griechischen Arbeiter, der aus erster Hand miterleben musste, wie die EU die nationale Souveränität Griechenlands erdrosselte. Wir sagen: Nieder mit dem Euro und der EU! Die EU ist ein instabiles Konsortium kapitalistischer Länder, dessen Zweck es ist, durch verschärfte Ausbeutung der Arbeiter in ganz Europa die Profite zu erhöhen, und die vorherrschenden Mitglieder – Deutschland und in geringerem Maße Frankreich und Britannien – nutzen es, um die schwächeren, abhängigen europäischen Länder noch stärker zu unterwerfen. Das multirassische, multiethnische Proletariat Kataloniens hat es in der Hand, gegen die Europäische Union die Freiheit vom spanischen Joch zu erringen.
Spanische Hafenarbeiter zeigten den Weg vorwärts, als sie im März einen ersten Schlag gegen die EU und Rajoy führten. Der EU-Gerichtshof erklärte 2014, die Arbeitssituation in allen spanischen Häfen – wo Ladearbeiter gewerkschaftlich organisiert sind, auch in den Häfen Kataloniens und des Baskenlands – verstoße gegen EU-Regeln über „freie Wirtschaft“ (d. h. frei von Gewerkschaften). Um ihr Diktat zu erzwingen, verhängte die EU 23 Millionen Euro Strafe gegen Spanien und dann im März zusätzlich eine täglich fällige Strafe von 134 000 Euro bei Zuwiderhandlung. Die Rajoy-Regierung erließ ein Dekret, um dieser strategisch bedeutenden gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft, die 80 Prozent von Spaniens Importen und etwa 65 Prozent seiner Exporte abwickelt, harte Bedingungen im Einklang mit den EU-Regeln aufzuzwingen. Darauf begann die spanische Hafenarbeitergewerkschaft Coordinadora Estatal de Trabajadores del Mar (CETM) zu nationalen Hafenstreiks im Februar und März zu mobilisieren, es gab weit verbreitete Pläne für Solidaritätsaktionen anderer Hafengewerkschaften rund um die Welt. Angesichts der Aussicht auf Hafenstreiks verweigerte eine Mehrheit der Abgeordneten des spanischen Kongresses diesem gewerkschaftsfeindlichen Dekret ihre Zustimmung und fügte Rajoys Minderheitsregierung eine empfindliche Niederlage zu. Es war das erste Mal seit 1979, dass ein Dekret der Regierung im Kongress niedergestimmt wurde!
Die Schlacht ist nicht vorbei. Das Ziel der EU ist es, gewerkschaftliche Organisierung in den Häfen abzuschaffen, Löhne zu drücken und durch die sich akkumulierenden Strafgelder gegen Spanien dieses Diktat durchzusetzen. Der Kampf der Hafenarbeiter unterstreicht den Charakter der EU als imperialistisches Kartell, dessen Ziel die immer stärkere Ausbeutung der europäischen Arbeiterklasse ist. Gewerkschaftlich organisierte Hafenarbeiter in vielen EU-Ländern kämpfen heute gegen ähnliche Versuche, Verladearbeiten an grausam ausgebeutete und nicht gewerkschaftlich organisierte Seeleute aus der Dritten Welt zu vergeben. Hafenarbeiter in Deutschland und einigen anderen EU-Ländern, deren Häfen ebenfalls gegen die EURegeln über „freie Wirtschaft“ verstoßen, sind bald vielleicht ebenfalls mit Angriffen der EU auf ihre Gewerkschaften konfrontiert, besonders wenn sich diese Regeln in Spanien durchsetzen.
Die spanischen Hafenarbeiter führen einen Kampf, der für das gesamte Proletariat Europas von zentraler Bedeutung ist. Um zu siegen, ist es notwendig, gegen die Gewerkschaftsbürokraten zu kämpfen, die vor den EU-Führern kapitulieren. So ruft etwa die Gewerkschaftsvereinigung International Dockworkers Council mit Hauptquartier in Spanien dazu auf, „dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu entsprechen“. Die anderen Arbeiterleutnants des Kapitals innerhalb der Arbeiterbewegung, die an der Spitze der mitgliederstärksten Hafengewerkschaft CETM stehen, sind gewillt, die Existenz der Gewerkschaft zu verraten im Gegenzug zur Sicherung der Arbeitsplätze und Renten der gegenwärtigen Belegschaft. CETM-Führer Antolin Goya betont, „die fortlaufende Anstellung der gegenwärtigen Hafenarbeiter“ sei eine der „Fragen, die der neue Kodex regeln sollte“. Hafenarbeiter Europas: Es ist dringend notwendig, eure große soziale Macht einzusetzen gegen die Angriffe der EU und der spanischen Regierung auf die CETM und alle gewerkschaftlich organisierten Hafenarbeiter Spaniens!
Populisten und Sozialchauvinisten gegen Unabhängigkeit Kataloniens
Der bürgerliche Emporkömmling Podemos [„Wir können es“] ist eine Partei kastilischer Chauvinisten, die sich mit „Anti-Establishment“-Populismus tarnen. Der Podemos-Führer Pablo Iglesias rief zu einem Referendum über die katalanische Unabhängigkeit in ganz Spanien auf, was nur bedeuten kann, die katalanische Nation zur fortgesetzten Unterdrückung durch Madrid zu verurteilen. Der Großteil der spanischen Linken teilt diese chauvinistische Perspektive, etwa die Kommunistische Partei Spaniens, die jetzt ein kleinerer Partner im Wahlblock „Unidos Podemos“ [„Vereint können wir es“] mit Podemos sind, und ebenso die diversen, teilweise mehrfachen stalinistischen Abspaltungen und Ableger der Kommunistischen Partei. (Siehe auf Spanisch: „Primero de Mayo en Barcelona – Trotskismo vs. reformismo sobre la cuestión nacional“, Espartaco Nr. 46, Oktober 2016.)
Diese chauvinistische Perspektive teilen auch die Pseudo-Trotzkisten von Izquierda Revolucionaria (Revolutionäre Linke), Anhänger des verstorbenen britischen Pseudo-Trotzkisten Ted Grant, die kürzlich eine gemeinsame Erklärung mit dem Komitee für eine Arbeiterinternationale von Peter Taaffe unterzeichneten, das mit Socialist Alternative in den USA verbunden ist [und mit der SAV in Deutschland]. Ungeachtet ihrer andauernden Beteuerungen, „für das Recht auf Selbstbestimmung“ von Katalonien und dem Baskenland zu kämpfen, stellt sich Izquierda Revolucionaria tatsächlich gegen die Unabhängigkeit der von Spanien unterdrückten Nationen. So erklärten die spanischen Grant-Unterstützer 2014 in einer Broschüre über die nationale Frage in Katalonien („¡Por el derecho a la autodeterminación, por el socialismo!“): „Die Aufgabe der Arbeiterbewegung dort wie hier, in Euskal Herria und Catalunya, im spanischen Staat insgesamt und in Europa, ist nicht, neue Staaten zu gründen und neue Grenzen zu ziehen, sondern Sozialismus weltweit aufzubauen.“ Hinter diesem zuckersüßen Gerede von „Sozialismus“ steht ein chauvinistisches Programm.
Wirkliche Trotzkisten sind für Unabhängigkeit hier und jetzt, ohne die sozialistische Revolution zu einer Vorbedingung zu machen; gleichzeitig wissen wir, dass der Kampf für nationale Befreiung eine treibende Kraft ist im Kampf für die Herrschaft der Arbeiter. Ganz anders Izquierda Revolucionaria, die der Forderung nach Unabhängigkeit für Katalonien und das Baskenland die Forderung nach einer „Föderalen Sozialistischen Republik“ von Spanien entgegenstellt! So viel zur „Selbstbestimmung“! Und was könnte wohl die erzreformistische Izquierda Revolucionaria mit „Sozialismus“ meinen? Auf dem Papier predigen sie viel über „Klassenunabhängigkeit“ gegenüber der katalanischen Bourgeoisie, aber die bürgerlich-populistische und chauvinistische Podemos ist für sie ein Hebel „zur sozialistischen Umwälzung“ (El Militante online, 3. Februar)!
Die Internationalistische Gruppe (IG) aus den USA handelt als Werkzeug der kastilischen Bourgeoisie. Tatsächlich unterstützt die IG die nationale Unterdrückung der Katalanen und gibt nicht einmal vor, das Selbstbestimmungsrecht zu unterstützen. Die IG argumentierte für die geheiligte Einheit Spaniens:
„Nicht nur ist Katalonien der reichste Teil Spaniens und dessen Bourgeoisie will ärmere Regionen im Süden nicht mehr subventionieren; und Unabhängigkeit würde nicht nur bedeuten, eine der militantesten Sektionen der Arbeiterklasse abzutrennen; sondern außerdem sprechen die meisten Industriearbeiter kein Katalanisch, da viele aus Andalusien kommen.“ („For a Scottish Workers Republic in a Socialist Federation of the British Isles“, September 2014)
Die IG schlussfolgert, dass bei einer Unabhängigkeit Kataloniens die Spanier die „Diskriminierten“ wären! Die Unterdrückung einer ganzen Nation durch die kastilische Bourgeoisie interessiert diese „spanischen Granden“ nicht. Wenn es nach der IG geht, hat das katalanische Proletariat aufgrund seines historisch hohen Niveaus von Klassenbewusstsein und Militanz jedes Recht verwirkt, je dafür zu kämpfen, sich vom kastilischen Joch zu befreien. Die IG unterstützt implizit die castellà Privilegien und leugnet auf ignorante Weise, dass die Mehrheit der Arbeiter in Katalonien katalanisch spricht, und ganz nebenbei stellt sie Katalanen als geizig und rassistisch dar – was genau der gegenwärtigen chauvinistischen Propaganda der PP entspricht.
Die Unabhängigkeit von Katalonien würde dem Kampf des Baskenlands für Unabhängigkeit einen großen Auftrieb geben und ebenso dem Kampf der jeweiligen Landsleute auf der französischen Seite. Sie würde das monarchische Spanien erschüttern, dessen Einheit die IG so sehr hochhält, und es würde dem imperialistischen Konsortium EU, das die IG auch sehr respektiert, einen Schlag versetzen.
Die Internationale Kommunistische Liga stellt sich entschieden gegen den üblen Großmachtchauvinismus solcher angeblicher Trotzkisten und zum 100. Jahrestag der Russischen Revolution betonen wir erneut die Klassenkampf-Perspektive, die entscheidend dafür war, dass die Arbeiter im russischen Völkergefängnis im Oktober 1917 den Sieg errangen:
„Die marxistische Lösung der Frage der Demokratie besteht darin, dass das seinen Klassenkampf führende Proletariat alle demokratischen Einrichtungen und Bestrebungen gegen die Bourgeoisie ausnutzt, um den Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie, den Sturz der Bourgeoisie vorzubereiten…
Wir werden in unserem Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie die Völker nicht durch die Gewalt des Rubels, nicht durch die Gewalt des Prügels, nicht durch Zwang, sondern durch das freiwillige Einverständnis, durch die Solidarität der Werktätigen gegen die Ausbeuter vereinigen und verschmelzen. Die Proklamation der gleichen Rechte aller Nationen ist für die Bourgeoisie zum Betrug geworden, für uns wird sie Wahrheit sein, eine Wahrheit, die die Gewinnung aller Nationen für unsere Sache erleichtern und beschleunigen wird. Ohne die demokratische Organisierung der Beziehungen zwischen den Nationen in der Praxis – und folglich auch ohne die Freiheit der staatlichen Lostrennung – ist der Bürgerkrieg der Arbeiter und der Werktätigen aller Nationen gegen die Bourgeoisie unmöglich.“ (W. I. Lenin, „Antwort an P. Kijewski [J. Pjatakow]“, August/September 1916)
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