|
|
Spartakist Nummer 206 |
Januar 2015 |
|
|
Imperialisten raus aus Afrika!
Ebola-Krise und imperialistische Vergewaltigung Afrikas
Der tödlichste Ebola-Ausbruch der Geschichte verwüstet die westafrikanischen Länder Guinea, Liberia und Sierra Leone und breitet sich rapide aus, die Anzahl der Infektionen verdoppelt sich alle zwei bis drei Wochen. Seit der Ausbruch im März erstmals gemeldet wurde, beträgt die offizielle Zahl der Infizierten bei Redaktionsschluss über 19 000, etwa die Hälfte dieser Fälle verlief tödlich. Diese Zahlen sind gewaltig untertrieben, insbesondere angesichts der abgelegenen Lage vieler der betroffenen Gegenden und der unsystematischen Berichterstattung. Infektionsherde wurden in Nigeria und im Senegal entdeckt. Wissenschaftler schätzen, dass bis Anfang nächsten Jahres bis zu 1,4 Millionen Menschen infiziert sein könnten und die Krankheit das Potenzial dazu hat, permanenter Bestandteil des Lebens in Westafrika zu werden.
Elend, Armut und tief verwurzelte Rückständigkeit, das Vermächtnis der Kolonialherrschaft und imperialistischer Ausplünderung, fachen die exponentielle Ausbreitung von Ebola an. Die betroffenen Länder, von den westlichen kapitalistischen Mächten ausgeraubt, sind größtenteils bäuerlich und besitzen nur geringe Technik und Infrastruktur, begrenzte Bildungs- und nur rudimentäre Gesundheitssysteme. Die wenigen Arbeiter im Gesundheitswesen der Region kämpfen heldenhaft, mit nur wenig Ausrüstung, Räumlichkeiten und Medikamenten und mit wenig bis gar keinem Zugang zu Elektrizität und sauberem Wasser. Hunderte von medizinischen Helfern, darunter viele Freiwillige, haben sich mit dem Virus angesteckt.
Nachdem US-Präsident Obama die Bitten um medizinische Hilfe und medizinisches Personal monatelang verächtlich ignoriert hatte, kündigte er im September die Entsendung von 3000 US-Soldaten nach Liberia an. Washingtons angeblicher Gesinnungswandel hat einen bedrohlichen Hintergrund. Für Obama ist Ebola eine globale Sicherheitsbedrohung und somit Beweggrund, militärisch einzugreifen: Die mögliche politische und wirtschaftliche „Streuwirkung“ der Ausbreitung des Virus auf die Region und darüber hinaus soll eingedämmt werden. Er nennt Ebola eine „nationale Sicherheitspriorität“ und erklärt somit die Absicht der USA, die Epidemie auf Afrikaner zu begrenzen und von Amerika fernzuhalten.
Die zutiefst zynische Zusage, Ebola zu bekämpfen, schloss auch 750 Millionen Dollar für die Errichtung eines militärischen Kommandozentrums und den Bau medizinischer Behandlungseinrichtungen mit ein. Doch Militärsprecher räumen ein, dass die Behandlungszentren noch monatelang nicht einsatzbereit sein werden. Derweil geht man bei dem gerade im Senegal eingerichteten „Sammelpunkt“ zur Ausbildung von Helfern und zur Verteilung von Hilfslieferungen davon aus, dass es dort wirklich Personal gibt, das ausgebildet werden kann, und dass die notwendigen Lebensmittel, Wasservorräte und andere Güter existieren und wirklich die Menschen erreichen können. Pentagon-Pressesprecher John Kirby verkündete, die USA seien zu einem mindestens sechs Monate dauernden Militäreinsatz entschlossen, bei dem die Soldaten nicht „mit Patienten in Kontakt kommen“.
Der deutsche Imperialismus, der zur Zeit kaum ökonomische Interessen in den betroffenen Ländern hat, reagierte erst mal gar nicht. Dann preschte Kriegsministerin von der Leyen vor, sie sah eine Möglichkeit, hier die Bundeswehr im Außeneinsatz wieder ins Spiel zu bringen. Außenminister Steinmeier zog nach und schlug „Weißhelme“ vor, analog zu den von der imperialistischen Räuberhöhle UNO organisierten Blauhelmen. Ärzte ohne Grenzen, die Organisation, die den Behandlungseinsatz vor Ort hauptsächlich leitet, bemerkte trocken, das sei „derzeit nicht hilfreich“ (tagesschau.de, 22. Oktober), und „die Aktivitäten der Bundesregierung vor Ort seien weiterhin so, dass noch kein einziger Patient dort behandelt wurde“ (dpa, 21. Oktober).
In deutlichem Kontrast zu den Imperialisten reagierten die bürokratisch deformierten Arbeiterstaaten Kuba und China großzügig mit dringend benötigter Hilfe. Kuba schickt 461 Ärzte, Epidemiologen und andere medizinische Fachkräfte, es gibt keinen Mangel an Freiwilligen, die ihr volles Gehalt plus Zulage bekommen. China – nahezu 20 000 seiner Bürger arbeiten und leben in den drei am meisten betroffenen Ländern – steuert Millionen an finanzieller Hilfe bei und verstärkt die Zahl seines medizinischen Personals. Die Imperialisten dagegen bieten Militär an, d. h. weiteren Terror.
Washington richtete seine Ebola-Kommandozentrale in seinem unterwürfigsten afrikanischen Klientelstaat Liberia ein, zur großen Erleichterung der Präsidentin des Landes Ellen Johnson Sirleaf. Die US-Marionette Sirleaf stand zunehmend im Fadenkreuz von Unmut und politischer Opposition, insbesondere nachdem sie eine landesweite Ausgangssperre verhängt und Truppen zur Abriegelung des dicht besiedelten Slums West Point in der Hauptstadt Monrovia geschickt hatte. Als wütende Einwohner auf der Suche nach Lebensmitteln auszubrechen versuchten, schossen die Soldaten, ein 15-jähriger Junge starb. Liberia leidet immer noch an den Auswirkungen des 14-jährigen Bürgerkriegs, der 2003 endete und in dem eine Viertelmillion Menschen getötet wurden. Das sowieso schon verarmte Land lag seitdem in Trümmern, mit einer bitter untereinander verfeindeten und schwer bewaffneten Bevölkerung.
Jetzt erfolgt die US-Militärintervention, die von Ärzte ohne Grenzen begrüßt wird. Es ist eine groteske Lüge, dass das US-Militär, das vom Blut Abermillionen seiner Opfer auf der ganzen Welt trieft, eine „humanitäre“ Hilfstruppe sein könnte. Der gegenwärtige US-Einsatz in Westafrika ruft Erinnerungen an die vielen Plünderungen wach, die bisher immer als „Hilfe“ und „Friedenssicherung“ getarnt wurden, von der Besetzung Somalias während der Hungerkatastrophe 1992/93 bis zur Intervention in Liberia 2003. In seiner Ankündigung verwies Obama auf das Erdbeben in Haiti 2010, als Zehntausende US-Soldaten auf die verwüstete karibische Insel entsandt wurden. Sie arbeiteten mit UN-„Friedenstruppen“ Hand in Hand, um Hilfsbemühungen zu blockieren und soziale Unruhen niederzuschlagen, ihre Hauptaufgabe war, zu verhindern, dass verzweifelte Haitianer in die USA flohen. Sowohl in Liberia als auch in Haiti sind immer noch Tausende UN-Militär- und Polizeikräfte stationiert, um die imperialistische „Ordnung“ durchzusetzen.
Albtraum Ebola
Ebola ist äußerst tödlich, ein hämorrhagisches Fieber, das durch eine Gruppe von Fadenviren verursacht wird, die als Filoviren bekannt sind. Als 1976 der Zaire-Stamm des Ebolavirus erstmals Zaire heimsuchte, tötete er fast 90 Prozent seiner Opfer, oft innerhalb weniger Tage. Seither gab es etwa zwei Dutzend Ausbrüche in Zentral- und Westafrika. Das Virus ist höchst ansteckend und verbreitet sich unter Menschen durch Kontakt mit Blut, Schleim, Urin und anderen Körperflüssigkeiten. Die grippeähnlichen Frühsymptome ähneln denen der Malaria, des Denguefiebers und anderer Tropenkrankheiten. Bei Fortschreiten der Krankheit führen Blutungen zu mehrfachem Organversagen.
Obwohl Ebola schon vor fast 40 Jahren erstmals auftrat, sahen es die profitgierigen Pharmariesen nicht als lukrativ an. Es existiert noch kein erprobtes, für Menschen wirksames Medikament und kein Impfstoff. Die einzige Möglichkeit, die Überlebensraten zu steigern, liegt bisher in sofortiger Palliativbehandlung: sichere und sterile Quarantäne in Verbindung mit konsequenter medizinischer Überwachung einschließlich Flüssigkeitszufuhr und Kontrolle von Sekundärinfektionen. Beim gegenwärtigen Ausbruch wurden einfache Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit – von der Patientenisolierung und Kontaktrückverfolgung bis zur öffentlichen Aufklärung – nicht getroffen. Wäre Ebola in der entwickelten kapitalistischen Welt ausgebrochen, hätten alle Gewehr bei Fuß gestanden und es wäre nicht schwierig gewesen, das Virus einzudämmen. Zwei amerikanische Missionare, die im Juli infiziert wurden – ein Ereignis, das die Medien aus ihrem schlafwandlerischen Zustand riss – überlebten, nachdem sie in den USA eine Behandlung und im Versuchsstadium befindliche Medikamente erhalten hatten. Diese Art von Fürsorge erhielt Olivet Buck nicht, ein Arzt aus Sierra Leone, dem die Ausreise nach Deutschland verweigert wurde – er starb.
In den zerrütteten und verarmten Neokolonien der Imperialisten die notwendige hochwertige Behandlung zu bekommen ist ein unmögliches Unterfangen. In Liberia kam vor dem Ebola-Ausbruch ein Arzt auf 70 000 Einwohner, in Sierra Leone einer auf 45 000, in Guinea einer auf 10 000. Nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung hat Zugang zu ordentlichen sanitären Einrichtungen. In der Region gibt es größere Flüsse, aber wegen fehlender Wasseraufbereitungsanlagen hat ein Großteil der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser. Die Mehrheit muss mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen, und die Hälfte der Bevölkerung sind Analphabeten.
Die Region hat eine der höchsten Mütter- und Kindersterblichkeitsraten der Welt; Kinder sterben regelmäßig an Unterernährung und leicht behandelbaren Leiden wie Lungenentzündung und Durchfall. Jetzt haben sich die überlasteten und überfüllten Krankenhäuser und Behandlungszentren in Todesfallen verwandelt. Das Gesundheitswesen ist noch weiter zusammengebrochen; Malaria und andere Krankheiten bleiben unbehandelt, und Schwangere gebären auf der Straße.
Armut trug unmittelbar zum westafrikanischen Ebola-Ausbruch bei. Ohne Zugang zu sicher hergestellten Lebensmitteln sind Dorfbewohner auf Fleisch von Wildtieren wie Affen und Waldantilopen angewiesen, die das Virus in sich tragen können. Man nimmt an, dass sich diese Tiere mit dem Virus über Flughunde infizieren, die als natürliches Reservoir von Ebola gelten. Frühere Ebola-Ausbrüche fanden in entlegenen Dörfern statt, wobei das Risiko einer Ausbreitung gering war; sie führten zu relativ wenigen Todesfällen. Diejenigen, die infiziert waren, aber überlebten, trugen das Virus nicht mehr in sich. Bei dem gegenwärtigen Ausbruch jedoch gerät die Krankheit immer mehr außer Kontrolle und breitet sich auf geschäftige städtische Zentren und über Grenzen hinweg aus.
Krankheiten und Infektionen werden nie völlig verschwinden. Es ist ein Aspekt der Natur, dass Mikroben, um zu überleben, mutieren und sich weiterentwickeln, um bei Menschen und anderen Tieren eine ökologische Nische zu finden. Doch wenig an der heutigen Ebola-Krise ist „naturgegeben“, ebensowenig wie die Ausbreitung von Aids mit überproportional hohen Todesraten, was auf den afrikanischen Kontinent südlich der Sahara immer noch verheerende Auswirkungen hat. Die Bedingungen, die zur Ausbreitung dieser Krankheiten führen, haben ihre Ursache in den Jahrhunderten von Sklavenhandel, Kolonialherrschaft und imperialistischer Ausplünderung, die die wirtschaftliche Entwicklung erstickten und das gesellschaftliche Gefüge des Kontinents zerstörten.
Kolonialherrschaft in Afrika
Der atlantische Sklavenhandel, der für einen Großteil des europäischen wie auch des amerikanischen Kapitalismus die Grundlagen schuf, verwüstete vom 16. bis zum 19. Jahrhundert weite Landstriche Afrikas. Riesige Regionen wurden entvölkert, als ungefähr 12 Millionen Afrikaner gefangen genommen und über die berüchtigte Mittelpassage nach Amerika geschafft wurden.
Ende des 19. Jahrhunderts befeuerte die rasche Ausweitung des Welthandels die Konkurrenz zwischen den europäischen kapitalistischen Mächten um die Errichtung von Einflusssphären zur Kontrolle von Land, Märkten und Quellen billiger Arbeitskräfte und Rohmaterialien – das war die Morgenröte des kapitalistischen Imperialismus. Die Briten versuchten mit der Zerstörung der bäuerlichen und nomadischen Gesellschaften Afrikas ein ostafrikanisches Reich zu schaffen, das per Eisenbahn und Telegraf Kapstadt mit Kairo verband. Die Franzosen wollten das vereiteln, indem sie ihren kolonialen Ost-West-Gürtel quer durch Zentralafrika zogen, und die Italiener und Deutschen schnappten sich Stücke vom Rest. Derweil schuf der belgische König Leopold II., ein wahres Ungeheuer, im Kongo ein Terrorregime, unter dem etwa acht Millionen Afrikaner starben. Die Volksgruppe der Dinka im südlichen Sudan nennt diese Periode „die Zeit, als die Welt zerstört wurde“.
In The Race to Fashoda [Der Wettlauf nach Faschoda] (1987) beschreibt David Levering Lewis, wie das koloniale Gerangel den Kontinent in „institutionalisiertes Chaos, kollektive Panik, Krankheit und Hunger“ stürzte. Wo Gemeinschaften geografisch stabil waren, hatten einige Afrikaner gegen bestimmte tropische Krankheiten wie Malaria ein gewisses Maß an Resistenz entwickelt. Die Entwurzelung von Bevölkerungsgruppen in großem Ausmaß machte diese Resistenz zunichte. Ende des 19. Jahrhunderts machten Raubzüge, Wanderungsbewegungen und Verfall der Landwirtschaft durch das Eindringen der Europäer einen großen Teil des Kongobeckens für die Tsetsefliege zugänglich, woraufhin ganze Völkerschaften von der Schlafkrankheit heimgesucht wurden. Kurz nach der Ankunft britischer Kolonisten im heutigen Uganda gab es eine explosionsartige Zunahme von Epidemien wie Gonorrhöe und Syphilis, gefolgt von Pest und Pocken.
Soweit die Kolonialisten medizinische Vorkehrungen trafen, waren sie dazu gedacht, das Leben von Europäern, insbesondere Soldaten, zu schützen. Der „Beitrag“ der Imperialisten zu afrikanischen Seuchen setzte sich im 20. Jahrhundert fort. In The Origins of AIDS [Die Ursprünge von Aids] (2011) bemerkte Jacques Pepin, ein Professor für Mikrobiologie und Infektionskrankheiten, dass Belgier und Franzosen im Bemühen, europäische Siedler vor tropischen Krankheiten zu schützen, bei der einheimischen Bevölkerung auch unsterilisierte Spritzen und Kanülen benutzten, um Medikamente und Impfstoffe zu injizieren. Die kontaminierten Instrumente trugen wahrscheinlich zur Ausbreitung von HIV und anderen tödlichen Krankheiten bei.
Lewis stellte fest: „Nachdem die Eindringlinge Zusammenbruch und Chaos verbreitet hatten, kamen Zwangsarbeit und völlige wirtschaftliche Unterordnung – kam ein Afrika, von dem die Europäer dann sagen konnten, dass es dringend der Erhebung und Erbauung durch europäischen Einsatz bedürfe, wie in der Botschaft von der Bürde des weißen Mannes verkündet“ (The White Man’s Burden, rassistisches Gedicht von Rudyard Kipling). Kolonialherren zogen willkürlich Grenzen, die Stammesvölker auseinanderrissen und gleichzeitig historisch im Widerstreit liegende Völker in einem einzigen Staat zusammenfassten. Als die britischen Herrscher sich brüsteten, in ihrem Reich gehe die Sonne nie unter, fügte Ernest Jones, Führer der radikal-proletarischen Chartistenbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts, treffend hinzu: „Aber das Blut trocknet nie.“ Mit ihrer Politik des Teilens, um besser zu unterjochen, schürten die Kolonialherrscher ethnische, religiöse und regionale Spaltungen und bereiteten so den Boden für die blutigen Bürgerkriege in der Zeit nach Erlangung der Unabhängigkeit, die immer noch in großen Teilen des Kontinents wüten.
Das Bild Afrikas als einer unzivilisierten, von Krankheit befallenen Wildnis wird benutzt, um alles Mögliche zu rechtfertigen, von imperialistischer Intervention bis zum rassistischen Ausschluss von Migranten. Newsweek (29. August) bewarb einen Artikel über Ebola mit dem Titelbild eines Schimpansen, was die rassistische Vorstellung eines Kontinents voll affenartiger Wilder beschwor. Der Titel des Artikels „Smuggled Bushmeat Is Ebola’s Back Door to America“ [Geschmuggeltes Buschfleisch ist Ebolas Hintertür nach Amerika] verbreitete die Lüge, Afrikaner würden mit Ebola-kontaminiertem Fleisch Handel betreiben. Die haltlose Geschichte hatte keinen anderen Zweck, als Panik zu verbreiten und Furcht vor einem unmittelbar bevorstehenden Ausbruch in den USA zu verstärken. In Deutschland beschwichtigen bürgerliche Medien die von ihnen selbst geschürte Furcht, Flüchtlinge könnten Ebola ins Land bringen, nicht etwa mit der Zusicherung, diese Menschen würden sofort adäquat und anständig behandelt. Nein, ein gängiges Argument ist: Flüchtlinge seien meist monatelang unterwegs, die Inkubationszeit von Ebola liege bei drei Wochen, also stürben Infizierte eh schon auf dem Weg!
Imperialistische Unterjochung und Marionettenherrscher
Die drei westafrikanischen Länder, in denen Ebola heute verheerend wütet, sind reich an Rohstoffen, gehören aber zu den ärmsten der Welt. Die ehemalige französische Kolonie Guinea ist weltweiter Hauptexporteur von Bauxit, dem Rohmaterial für die Produktion von Aluminium, und besitzt auch eine Menge Gold, Diamanten, Uran und Offshore-Öl. Sierra Leone, eine ehemalige britische Kolonie, und Liberia haben bedeutende Kautschuk-, Eisenerz- und Diamantenressourcen. Praktisch die gesamten Rohstoffe werden von ausländischen Konzernriesen weggeschafft.
Nach dem Zweiten Weltkrieg beendeten die britischen und französischen Imperialisten die direkte Kolonialherrschaft, sie zogen neokoloniale Abhängigkeit unter örtlichen Aufsehern vor. Die korrupten, brutalen, stammesbasierten herrschenden Cliquen schwingen die Peitsche über der jeweiligen Bevölkerung im Auftrag ihrer amerikanischen und europäischen imperialistischen Herren, auf deren Schutz sie angewiesen sind. Ihre Regime verschärfen ethnischen Zwist und propagieren rückständige, manchmal entsetzliche soziale Praktiken. So verteidigte der kenianische nationalistische Präsident Jomo Kenyatta die genitale Verstümmelung von Frauen als Teil der „afrikanischen Kultur“.
Während des Kalten Krieges war die Hauptsorge der Imperialisten in Afrika die Eindämmung des Einflusses der Sowjetunion. Um sowjetischer Wirtschafts- und Militärhilfe an nationalistische Bewegungen und bürgerliche nationalistische Führer wie Ahmed Sékou Touré aus Guinea und Kwame Nkrumah aus Ghana entgegenzuwirken, stützten die USA und ihre Verbündeten jede Menge brutaler Despoten, wie Mobutu in Zaire, und finanzierten und bewaffneten reaktionäre Aufständische, zum Beispiel in Angola und Mosambik. Von ihrem Hauptquartier in Monrovia aus steuerte die CIA auf dem ganzen Kontinent Agenten, stürzte Regierungen und organisierte Putsche. Im Gefolge der Zerstörung des sowjetischen degenerierten Arbeiterstaats kappte Washington die ökonomische Hilfe. Der Internationale Währungsfonds forderte Schuldenrückzahlungen zu Hungerkonditionen und zerstörte so die fragile Wirtschaft dieser Gesellschaften noch mehr.
Die Herrschaft der USA über Liberia begann damit, dass der Staat Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem Boden gestampft wurde, als ehemalige schwarze Sklaven aus den USA dorthin verfrachtet wurden, um die Republik von Liberia zu gründen. Seitdem herrschen dort schwarze amerikanische Kolonisten und ihre Nachkommen (Ameriko-Liberianer) über die einheimische Bevölkerung. In den 1920er-Jahren übernahm die Firestone Rubber Company praktisch Liberia und führte es wie eine Sklavenplantage.
Die damalige Bong Mining Company (BMC) in Liberia, eine deutsch-italienische Kooperation, wurde hauptsächlich getragen von Thyssen, Krupp und Hoesch. Die BMC stellte in den 1960er-Jahren die größte Einzelinvestition des deutschen Imperialismus überhaupt dar und galt in den 70er-Jahre immer noch als größte Einzelinvestition in Afrika südlich der Sahara. Unter dem Titel „Deutsche Pioniere in Liberia – Das Vorbild der Bong Mining Company“ schwärmte Gräfin Dönhoff in der Zeit: „Wie jene Schmiede, die der Uranfang der Kruppschen Werke war, fiel mir plötzlich ein“ (13. August 1965). „Nostalgische“ Stories aus dieser Zeit beinhalten etwa: „Unser damals einziger Arzt auf der Bong hatte aber auch seine Eigenheiten, und als sich einmal in der Nähe des Gates ein Autounfall ereignete, durften die verletzten Schwarzen nicht mit der neuen Ambulanz zum Hospital abtransportiert werden, sondern nur mit einem LKW. Die neue Ambulanz sollte sauber bleiben!“ (http://www.bong-town.com).
In den vergangenen Jahrzehnten waren Diamanten und Holz die finanzielle Grundlage von Kriegsherren wie Charles Taylor, der am Ende des liberianischen Bürgerkriegs als Präsident abgesetzt wurde. Ellen Johnson Sirleaf unterstützte Taylor anfänglich, wandte sich dann gegen ihn und wurde schließlich 2005 mit dem Versprechen, die Korruption zu beenden und das Land wiederaufzubauen, zur Präsidentin gewählt. Als einziges afrikanisches Staatsoberhaupt bot Sirleaf den USA Land an zum Bau eines Hauptquartiers für ihr Afrika-Kommando (Africom), das von Deutschland aus operiert. 2011 wurde ihr der Nobelpreis verliehen, nachdem sie mehr als ein Drittel von Liberias Terrain an private Abholzungs-, Gruben- und Agrarindustrieunternehmen vergeben hatte.
Unter Obama verstärkten die USA ihre Militärpräsenz in Afrika, von der führenden Rolle bei der NATO-Bombardierung Libyens 2011 bis zu wiederholten Einsätzen von Sondereinsatztruppen und Raketenangriffen in Somalia. Sorgen bereitet den Imperialisten auch der wachsende Einfluss von China, Afrikas größtem Handelspartner. Das Unternehmen China Union betreibt heute beispielsweise die Bong-Mine in Liberia und verschiffte im Februar 2014 die erste Ladung Eisenerz. Im Rahmen seines Handels zur Versorgung seiner verstaatlichten Industrien mit Öl und anderen Bodenschätzen baute China in vielen afrikanischen Ländern Krankenhäuser, Schulen und weitere Infrastruktur auf. Dies steht in scharfem Kontrast zur Hinterlassenschaft der imperialistischen Mächte: extreme Armut, soziale Rückständigkeit, Stammes- und ethnische Kriege.
Krimineller Kapitalismus
Die westafrikanischen Regierungen reagierten auf den Ebola-Ausbruch mit Leugnen, Gleichgültigkeit und krimineller Verschleierung des großen Ausmaßes der Krankheit. Ein Koordinator von Ärzte ohne Grenzen bezeichnete die anfängliche Reaktion als „reine Improvisation“. Er fuhr fort: „Es gibt seit Beginn der Krise keinen, absolut keinen, der Verantwortung übernimmt.“ Guineas Präsident Alpha Condé sagte auf einem Treffen mit Funktionären der Weltgesundheitsorganisation im April: „Im Moment ist die Lage ganz gut unter Kontrolle, und wir drücken die Daumen, dass keine neuen Fälle auftreten.“ Viele Regierungsfunktionäre in Liberia flohen einfach aus dem Land.
Als sich die Seuche unkontrolliert ausbreitete, verhängten Regierungen brutal einen Cordon sanitaire, eine mittelalterliche Praxis, die in Europa in der Ära des Schwarzen Todes angewendet wurde. Wie bei einer jüngsten dreitägigen landesweiten Abriegelung in Sierra Leone wurden hungrige, verängstigte Menschen scharenweise vom Militär in ihrem Elend eingeschlossen.
Derweil setzen örtliche Gesundheitsarbeiter an vorderster Front ihren selbstlosen Kampf in einem heruntergekommenen Gesundheitssystem fort, von ihren verängstigten Familien aufgegeben und von ihren Nachbarn gemieden. Viele quält es, dass sie Patienten an den Toren von Behandlungszentren zurückweisen müssen, während in den Straßen verfaulende Leichen liegen. Die New York Times (10. August) beschrieb die Lage in Guineas Hauptstadt Conakry:
„Der Behandlungsraum im Krankenhaus Donka war spärlich beleuchtet und hatte kein Waschbecken. Es gab nur einige Kübel mit Chlorlösung, und das Personal sah keine Möglichkeit, sich zwischen den Patientenbehandlungen die Hände zu waschen… Handschuhe, die in den Krankenhäusern Mangelware sind, waren am freien Markt für fünfzig Cent das Paar zu haben, eine enorme Summe für Menschen, die oft von weniger als einem Dollar am Tag leben. In Wohnungen, wo Familien für die Patienten sorgten, gab es nicht einmal Plastikeimer für Wasser und keine Reinigungsmittel zum Händewaschen und zur Desinfektion von Bettwäsche.“
Einer Klinik in Dolo Town östlich von Monrovia war seit April bis Mitte August nur eine einzige Schachtel Handschuhe geliefert worden. Diese Stadt, die in der Nähe der Firestone-Kautschukplantage liegt, ist abgeriegelt – ein Ebola-„Gefängnis“ in den Worten von Firestone-Arbeitern, die dort wohnen. Arbeiter eines staatlichen Krankenhauses in Sierra Leone streikten wiederholt mit der Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen, Schutzkleidung und Lohn, den viele seit Wochen nicht erhalten haben.
Misstrauen und Hass gegen Regierungsfunktionäre sind so groß, dass viele Menschen Ebola für eine Verschwörung halten oder einfach seine Existenz leugnen. In panischer Angst warfen Einwohner Gesundheitsarbeitern vor, das Virus zu verbreiten, oder beschuldigten sie, Organe zu stehlen. Mitte September wurde in Guinea ein achtköpfiges Team, das Dorfbewohner über vorbeugende Maßnahmen aufklären wollte, von einem Mob getötet.
Wenn alles, was an Gesundheitswesen überhaupt existierte, zusammenbricht, schießt Aberglauben aus dem Boden, um die Lücke zu füllen. Im Glauben, Ebola sei ein böser Zauber oder Hexenwerk, wenden sich viele Menschen an „traditionelle Heiler“. In Sierra Leone steckte sich eine Heilerin bei Hilfesuchenden mit Ebola an und starb. Die Begräbnisbesucher wuschen ihren Leichnam per Hand, um ihn für die Beisetzung vorzubereiten, ein übliches Ritual. Dabei infizierten sie sich, was zu einer explosionsartigen Kettenreaktion von Todesfällen, Beerdigungen und weiteren Infektionen führte.
Die New York Times (23. Oktober) berichtet, dass schon vor fast einem Jahrzehnt ein Ebola-Impfstoff entwickelt und an Affen als 100 Prozent wirksam getestet worden war. Aber es wurde nicht an Menschen getestet, da die Pharmagiganten keinen Profit erwarteten von einem Impfstoff, der hauptsächlich das Leben verarmter Afrikaner retten würde. Doch angesichts der drohenden Ausbreitung von Ebola über seine afrikanischen Grenzen hinaus haben Pharmaunternehmen die Pläne zur Entwicklung eines Impfstoffes aus der Versenkung geholt und sind dabei, sie im Schnellverfahren einer Kommerzialisierung zuzuführen. Der wahrscheinlichste Markt dafür wäre das US-Militär, ein Massenabnehmer von Impfstoffen.
Die Ebola-Krise ist ein weiterer Indikator für den kriminellen und irrationalen Charakter der kapitalistischen Ordnung. Das Budget der Weltgesundheitsorganisation wurde im Gefolge der globalen Finanzkrise stark gekürzt, daraufhin die Abteilung zur Bekämpfung von Epidemien und Pandemien aufgelöst und nur ein einziger technischer Experte für hämorrhagische Krankheiten beibehalten. Gleichzeitig lässt die herrschende Klasse der USA Milliarden in die Abwehr des Gespenstes „Bioterrorismus“ fließen. Wie der Journalist Arthur Allen in Vaccine: The Controversial Story of Medicine’s Greatest Lifesaver [Impfstoff: die kontroverse Geschichte des größten Lebensretters der Medizin] (2008) schrieb: „Kein Preis war zu hoch für alles, dem das Zauberwort ,Terrorismus‘ angeheftet worden war. Der Kongress war bereit, 1,9 Milliarden Dollar für den Aufbau und die Aufrechterhaltung eines Vorrats an Pockenimpfstoff und 1,4 Milliarden zur Entwicklung und Bevorratung eines neuen Milzbrandimpfstoffes zu bewilligen.“
Für die Vergesellschaftung
des Gesundheitswesens!
Die Ebola-Epidemie in Westafrika ist ein eindrückliches Beispiel dafür, dass das kapitalistische Profitsystem auf weiten Teilen des Erdballs ein Hindernis für die Bereitstellung des Lebensnotwendigen, darunter einer Gesundheitsversorgung, darstellt. Kontrolle von Krankheiten ist genauso eine gesellschaftliche Frage wie eine wissenschaftliche. Unter dem Kapitalismus sind die Profite der Pharma- und Versicherungsunternehmen fast immer wichtiger als das öffentliche Gesundheitswesen, das wiederum unauslöschlich mit der reaktionären Engstirnigkeit der kapitalistischen Gesellschaft behaftet ist. Der Kampf um eine anständige medizinische Versorgung für alle muss mit dem Kampf gegen das kapitalistische System verbunden werden. Einen kleinen Blick auf die Möglichkeiten eines vergesellschafteten Gesundheitssystems bietet das Beispiel von Kuba, einem bürokratisch deformierten Arbeiterstaat. Nach der Niederlage des von den USA gestützten Batista-Regimes 1959 wurde dort der Kapitalismus gestürzt. Trotz weniger Rohstoffquellen und eines erstickenden US-Embargos hat Kuba mehr als zweimal so viele Ärzte pro Kopf der Bevölkerung wie die USA und eine niedrigere Kindersterblichkeit, und auch fast die doppelte Arztdichte wie Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt). China, ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat seit der Revolution von 1949, schickte nach Ausbruch der Ebola-Krise verstärkt medizinisches Personal und materielle Hilfe. Schon zuvor betrieb China in Liberia und anderen Ländern studentische Austauschprogramme, errichtete Hospitäler und lokale Schulen sowie ein Ebola-Behandlungszentrum in Monrovia, schickte medizinische Helfer und bildete Helfer aus, renovierte Liberias Gesundheitsministerium. Wir treten für die bedingungslose militärische Verteidigung von Kuba und China gegen Imperialismus und innere Konterrevolution ein und für eine proletarisch-politische Revolution zum Sturz der stalinistischen Bürokratie in diesen Ländern.
Und wir kämpfen für sozialistische Revolutionen weltweit: Die unmenschlichen Bedingungen, die der Kapitalismus seinen halbkolonialen Sklaven auferlegt, zeigen auf drastischste Weise die Notwendigkeit dafür. Es gibt in Afrika wichtige proletarische Konzentrationen – von den mächtigen Industriearbeitern in Südafrika und Ägypten bis zu den Ölarbeitern in Nigeria und den Hafen- und Eisenbahnarbeitern in Kenia – mit der potenziellen sozialen Macht, all die im Elend lebenden Verarmten und Unterdrückten im revolutionären Kampf zu führen. Entscheidend für diese Perspektive ist der Kampf, in den imperialistischen Kernländern die kapitalistische Herrschaft hinwegzufegen, wobei die schwarzen Arbeiter in den USA, Nachkommen afrikanischer Sklaven, eine außerordentlich wichtige Rolle spielen werden.
Schon Mitte des 19. Jahrhunderts erkannten Karl Marx und Friedrich Engels, dass das Aufkommen der modernen Wissenschaft und Industrie die Möglichkeit schuf, Hunger und Entbehrung, die das Leben der Massen weltweit so sehr beeinträchtigen und hemmen, zu beseitigen. Doch dies kann nicht unter einem System erreicht werden, in dem für den Profit produziert wird. Nur durch den Sturz des kapitalistischen Systems und die Errichtung einer kollektivierten Planwirtschaft auf Weltebene wird die Grundlage für eine qualitative Ausweitung wissenschaftlicher Forschung und technologischer Entwicklung im Dienste der menschlichen Bedürfnisse geschaffen und schließlich der materielle Mangel überwunden werden.
Nach Workers Vanguard Nr. 1053, 3. Oktober 2014
|
|
|
|
|