|
|
Spartakist Nummer 167 |
Sommer 2007 |
|
|
KfsV-Veranstaltung im IG-Metall-Haus fordert: Freiheit für Mumia! Während Mumia Abu-Jamals für den 17. Mai anberaumte Anhörung vor dem Berufungsgericht näher rückte, organisierten das Partisan Defense Committee (PDC) in Britannien und das Komitee für soziale Verteidigung (KfsV) in Deutschland Veranstaltungen mit Rachel Wolkenstein, Mumias Anwältin von 199599, als Hauptrednerin und unter Teilnahme eines beeindruckenden Spektrums aus der Gewerkschaftsbewegung und der Linken. Die Veranstaltungen am 5. Mai in London und am 12. Mai in Berlin waren Teil einer internationalen Kampagne, Massenproteste für Mumia, die sich zentral auf die Arbeiterbewegung stützen, neu zu beleben. Mumia ist unschuldig und Amerikas herausragendster politischer Gefangener, und jetzt beginnt für ihn möglicherweise das letzte Stadium seiner rechtlichen Berufungsmöglichkeiten.
Seit Mumias Fall zu einem beschleunigten Verfahren erklärt wurde, haben wir unsere Aktivitäten für seine Befreiung verstärkt. Wir mobilisierten für seinen Fall bei Arbeiterprotesten und bei Streiks und auch bei Studentendemos. Wir trugen Mumia-Banner bei Protestdemos gegen Hartz IV wie im Juni 2006, bei Protesten gegen Bushs Besuch in Stralsund im Sommer 2006 und bei Protesten gegen den Krieg gegen Terror, gegen den Krieg im Irak, im Libanon und für die Rechte der Palästinenser. Wir präsentierten seinen Fall bei Gewerkschaftstreffen und bei Immigranten-Organisationen und Flüchtlingsgruppen. Wir sammelten Unterschriften für eine Erklärung mit dem Titel Freiheit für Mumia, sofort!, die in den USA, Britannien, Kanada, Frankreich sowie Deutschland veröffentlicht wurde. Neben vielen Gewerkschaften wie der Maritime Union of Australia (Gewerkschaft der Seeleute in Australien) oder dem südafrikanischen National Council of Trade Unions (Nationalrat der Gewerkschaften) unterzeichneten auch Linke wie Subcomandante Marcos und Antonio Negri. Andere wurden inspiriert, mit eigenen Erklärungen Mumias Freiheit zu fordern, auch diese veröffentlichten wir.
Ein massenhafter internationaler Protest, insbesondere von Gewerkschaften, war nötig, um im August 1995, als Mumia mit einem Hinrichtungsbefehl konfrontiert war, dem Henker in den Arm zu fallen. Aber die Massen, die damals ihre Stimme für Mumia erhoben, wurden in den folgenden Jahren politisch demobilisiert durch bürgerliche Liberale und reformistische Linke, die den Kampf für seine Freiheit dem Schüren von Illusionen in die kapitalistischen Gerichte unterordneten, was sich ausdrückte in der Forderung, dass er einen neuen Prozess bekommen sollte.
Für den Aufbau unserer Veranstaltung am 12. Mai in Berlin mobilisierten wir bei den Demonstrationen am 1. Mai, an Kreuzberger Schulen, an Universitäten sowie bei Berliner Großbetrieben wie Mercedes und Siemens. Wir verteilten Flugblätter bei Veranstaltungen der streikenden Telekomarbeiter, die gegen Angriffe auf ihre Löhne und Arbeitsbedingungen protestierten, bei einer spontanen Demonstration gegen die Polizeiüberfälle auf Anti-G8-Aktivisten und veröffentlichten ein Verteidigungs-Flugblatt, in dem wir die Verbindung zogen zwischen Anti-Terrorismus-Kampagnen in Deutschland und in den USA. Wir verwiesen auch auf die bundesweiten Polizeiüberfälle in den USA im Januar auf ehemalige Mitglieder der Black Panther Party, die einen Rahmen setzen sollten für das schwebende Gerichtsverfahren gegen Mumia Abu-Jamal.
Bei der Veranstaltung in London sprachen unter anderem neben der Bürgerrechtsanwältin Gareth Peirce die eine der Verteidiger der Birmingham 6 war und bekannte Verteidigerin von Opfern des Kriegs gegen den Terror ist, mit dem die USA und Britannien Afghanistan und den Irak zerstören auch Eibhlin MacDonald für die Spartacist League/Britain sowie drei Gewerkschaftsrepräsentanten: Paul Moffat, Sekretär der Region Ost der Communication Workers Union (Telefonarbeitergewerkschaft); Glenroy Watson, Vorsitzender der Ortsgruppe Finsbury Park der Gewerkschaft Rail, Maritime and Transport (RMT; Bahn-, See- und Transportgewerkschaft) und Generalsekretär des Global Afrikan Congress, und Stephen Hedley, auch ein Mitglied der RMT. Moffat hob die Pflicht, das Komplott zum vorsätzlichen kaltblütigen Mord an Mumia Abu-Jamal zu entlarven, hervor. Ein Zeichen für die breite Resonanz, die Mumias Fall unter Gewerkschaftern findet, ist eine vom Scottish Trades Union Congress im April verabschiedete Resolution, die erklärt: Dieser Kongress ist davon überzeugt, dass Mumia Abu-Jamal sofort aus dem Gefängnis freigelassen werden soll, da er unschuldig ist, und dass die von Natur aus rassistische Todesstrafe abgeschafft werden soll. In Berlin sprach der Vorsitzende des DGB-Kreisverbands Tempelhof/Schöneberg Gert Julius; Prof. Heinrich Fink hatte als Redner zugesagt, schaffte es aufgrund anderer Verpflichtungen aber nicht, zur Veranstaltung zu kommen. Der Redakteur des Spartakist, Steffen Singer, sprach für die Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD).
Beide Veranstaltungen begannen mit dem PDC-Video From Death Row, This is Mumia Abu-Jamal (Aus der Todeszelle: Hier spricht Mumia Abu-Jamal), und danach waren die aufgezeichneten Grüße Mumias an die Veranstaltungen in London und Berlin zu hören.
Die politische Debatte hatte eigentlich schon Wochen vorher begonnen, als wir Anfang April versuchten, eine Einheitsfront zu bilden mit anderen Gruppen, die Mumia unterstützen, unter den Losungen Freiheit für Mumia Abu-Jamal! und Weg mit der rassistischen Todesstrafe! Es ging um eine Demonstration am 12. Mai, aber die Einheitsfront scheiterte am Antikommunismus dieser Gruppen. Debatten gab es danach auch bei anderen Aktivitäten, so bei einer Kundgebung zu Mumias Geburtstag am 24. April und bei der Demonstration und Kundgebung am Nachmittag des 12. Mai. Unterstützer des KfsV und der SpAD hatten zu einem Block mobilisiert, der auf seinem Höhepunkt ein Drittel der 300-köpfigen Menge umfasste. Ein Hauptverantwortlicher der Protestkundgebung war Michael Schiffmann, der bewirkte, dass die klassenkämpferischen Ansichten des KfsV und der SpAD nicht von der Rednerbühne der Kundgebung gehört werden durften. Auf einem neben der Tribüne deutlich sichtbar angebrachten Banner war zu lesen: Stoppt die Hinrichtung von Mumia Für einen fairen, neuen Prozess.
Mehr als 100 Leute strömten in das IG-Metall-Haus zu unserer Veranstaltung, viele kamen direkt von der Mumia-Demo. Trotz der weit auseinandergehenden Ansichten stimmten alle Sprecher der Forderung nach Mumias Freiheit zu, weil er unschuldig ist an der Ermordung des Polizisten Daniel Faulkner im Dezember 1981 in Philadelphia und weil sein Leben noch immer in Gefahr ist. Eine weitere Forderung war: Nieder mit der rassistischen Todesstrafe! Innerhalb dieses Rahmens sollte es ein Maximum an politischer Debatte geben über den Weg vorwärts im Kampf für Mumias Freiheit. Dieses Ziel steht in starkem Kontrast zu anderen Treffen oder Veranstaltungen, die die Diskussionen zu begrenzen suchten mit dem Zweck, die Teilnehmer zu disziplinieren, damit sie einen Aufruf für einen fairen Prozess akzeptieren. Die Forderung nach einem fairen Prozess ist ein Programm des Vertrauens in genau die Gerichte, die Mumia in die Todeszelle geschickt haben für einen Mord, von dem sie wissen, dass er ihn nicht begangen hat. Gegen diesen Kurs haben wir politisch gekämpft und ihm eine Politik entgegengesetzt, die auf Klassenkampf basiert. Die Diskussionen um diesen Kurs reduzieren sich letztlich immer darauf, welche Haltung man zu dem kapitalistischen Staat hat und seinen Bullen und Gerichten, die Mumia 25 Jahre seines Lebens gestohlen haben und ihn immer noch mit der Hinrichtung bedrohen.
Als Hauptrednerin bei unseren Veranstaltungen wies Rachel Wolkenstein, Anwältin des Partisan Defense Committee in den USA (verbunden mit der Spartacist League/U.S.), mit Nachdruck auf die Entschlossenheit des Staates hin, Mumia umzubringen oder lebenslänglich einzusperren. Wolkenstein war von 1995 bis 1999 Mitglied von Mumias Verteidigungsteam, zusammen mit Jonathan Piper, einem weiteren Rechtsanwalt des PDC, und sie war maßgeblich daran beteiligt, Beweise für Mumias Unschuld aufzudecken. Dazu gehörte vor allem das beeidete Geständnis von Arnold Beverly, dass er, und nicht Mumia, Faulkner erschossen hat. Die beiden Punkte, die vom Dritten Bundesberufungsgericht in Philadelphia am 17. Mai angehört wurden rassistische Jury-Auswahl und Anweisungen an die Jury, die dem Angeklagten schaden sollten , gehören auch zu den Beweisen, die durch Wolkenstein und Piper aufgedeckt wurden (siehe dazu die Rede von Wolkenstein auf der Berliner Veranstaltung, Seite 23. Die Rede wurde auch durch die Neue Rheinische Zeitung veröffentlicht und aufgegriffen von Labournet und anderen Websites).
Zur KfsV-Veranstaltung kamen neben Gewerkschaftern und Linken auch mehrere Leute, die im politischen Exil leben. Es wurden Grüße des Komitees zur Unterstützung der politischen Gefangenen im Iran Berlin e. V. und des Breiten Bündnisses für Kolumbien verlesen. Das Demokratische Kurdische Zentrum Berlin-Brandenburg, ebenfalls mit Unterdrückung durch den bürgerlichen Staat nur allzu vertraut, schickte Grüße, weil seine Unterstützer nicht kommen konnten, da sie zur gleichen Zeit eine Protestdemonstration zur Verteidigung von Abdullah Öcalan durchführten, dem Führer der kurdisch-nationalistischen PKK, der in der Türkei im Gefängnis sitzt. Sie hoben aber hervor, dass wir von Strasbourg aus die Freiheit von Mumia Abu-Jamal mit all unserer Stärke unterstützen.
Werner Brand vom KfsV erläuterte die Ursprünge: Das KfsV wurde 1989 gegründet im Zusammenhang mit der internationalen Kampagne zur Unterstützung ziviler Opfer der Mudschaheddin (die ,Heiligen Krieger der CIA) im afghanischen Jalalabad. Die Kampagne wurde nach dem verräterischen Rückzug der sowjetischen Roten Armee initiiert. Er erklärte die klassenkämpferische, nichtsektiererische Verteidigung als Zielsetzung des KfsV und wies auf dessen Geschichte hin, antifaschistische Militante und Opfer der antikommunistischen Hexenjagd, die auf die kapitalistische Wiedervereinigung Deutschlands 1990 folgte, zu verteidigen. Dazu gehörten Markus Wolf, Heinz Kessler und viele andere. Seine Anmerkungen ernteten Applaus, auch von Anwesenden, die durch diese Hexenjagd besonders betroffen waren oder sind.
Gert Julius, Vorsitzender des DGB-Kreisverbands Tempelhof/Schöneberg und Vorsitzender des Bündnisses für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde e. V. (BüSGM), erwähnte eine These von Karl Marx, dass die herrschende Meinung immer die Meinung der Herrschenden sei. Er fuhr fort, Marx hätte [
] noch ergänzen müssen, dass die herrschende Rechtsprechung immer die Rechtsprechung der Herrschenden ist. Dies gilt in allen Ländern mit kapitalistischer Wirtschaftsordnung, gleich ob in rechten Diktaturen oder sogenannten westlichen Demokratien, insbesondere jedoch in den USA und der BRD (zitiert nach der von der BüSGM im Internet veröffentlichten Rede). Er lobte die Arbeit von Mumias gegenwärtigem Anwalt Robert Bryan und sprach sich dafür aus, alle menschenmöglichen Formen der Verteidigung zu nutzen, was allen im Raum Anwesenden aus dem Herzen sprach.
Die junge Welt (14. Mai) machte in ihrem Artikel von Roland Etzel, der diese Anmerkungen von Julius zitierte, ihre Unterstützung für die Forderung nach einem fairen Prozess deutlich. Während es tatsächlich eine sehr kontroverse Debatte gab, war die Ausnutzung aller rechtlichen Möglichkeiten aber nicht der Punkt der Auseinandersetzung. Die taz stellte es in einem Artikel von Peter Nowak vom 14. Mai richtig dar: Sie [die SpAD] halten die Forderung nach einem fairen Prozess für eine Illusion, und zitierte Jan Berger von der SpAD: Wir mobilisieren nur unter der Losung der sofortigen Freilassung für Mumia. Dabei ist natürlich klar, dass die Anwälte alle juristischen Mittel ausschöpfen sollen. Laut dem jW-Bericht polemisierte Wolkenstein unmißverständlich gegen die Forderung nach einem neuen Prozess und gegen die reformistische Linke, die versuche, den Protest zu begrenzen, indem sie auch an bürgerlich-liberale Kräfte um Unterstützung appelliere. Und: Sie bezeichnete hierfür den früheren Chefverteidiger Abu-Jamals, Len Weinglass, der dies auch stets forderte,
als Verräter. Rachel Wolkenstein polemisierte tatsächlich gegen die Linke und auch gegen Weinglass, weil er Mumia daran hinderte, Beweise für seine Unschuld vor Gericht zu präsentieren, und nichts tat, um die Veröffentlichung von Dan Williams (damaliges Mitglied des Anwaltteams) verlogenem Buch Executing Justice aufzuhalten, das vertrauliche Anwalt/Mandant-Diskussionen veröffentlichte, Mumias Unschuld in Frage stellte und ein Präventivschlag war gegen das Geständnis von Arnold Beverly, dass er und nicht Mumia Daniel Faulkner tötete. Mumias Versuche, dieses Buch auf juristischem Wege aufzuhalten, schlugen fehl. Nachdem er Weinglass und Williams gefeuert hatte, antwortete Mumia auf Kritik unter seinen Unterstützern: Ihr habt Anwälte gesehen, die hemmungslos ihre eigenen Regeln verletzt haben, mit dem Segen der Gerichte. Wie könnt ihr sagen, ihr habt kein Vertrauen in das System, und dann Anwälten vertrauen, die die Interessen ihres sogenannten Klienten verraten haben?
Wolkenstein bemerkte: das einzige Argument, dass die Anklage gegen den Beverly-Beweis und all die anderen eidesstattlichen Erklärungen, die Teil des ,Beverly-Beweises sind, vorgebracht hat, sind die Aussagen in dem Buch von Mumias ehemaligem Anwalt Dan Williams das ist die einzige Sache, die benutzt wurde. Über die Frage eines neuen Prozesses: Selbst die Unterlagen, die ich während meiner Zusammenarbeit mit Weinglass 95, 96 und 97 bei Gericht einreichte, konzentrierten sich nicht auf die Forderung nach einem neuen Prozess! Wir forderten, die Anklagen fallen zu lassen. Wenn das Gesetz ohne Vorurteil angewendet würde, wäre angesichts der Unterdrückung und Verfälschung von Beweisen die ganze Anklage ohne ein neues Verfahren sofort fallen gelassen worden.
Michael Czech, Mitglied des Vorstands der Berliner DKP, wurde als ein Redner bei der KfsV-Veranstaltung angekündigt. Auf der Protestkundgebung am Nachmittag hatte Czech unsere Genossen darüber informiert, dass er von seiner Partei mit falscher Begründung angewiesen worden sei, nicht auf der KfsV-Veranstaltung zu sprechen.
Die DKP ist durchdrungen vom stalinistischen Programm der Klassenkollaboration der Volksfront; die Niederlage im Spanischen Bürgerkrieg ist nur eines von vielen Beispielen dafür. Die DKP hält fortwährend Ausschau nach Einheit mit einem progressiven Teil der Bourgeoisie und bezieht sich in jedem zweiten Satz auf das Grundgesetz. Aber wie viele andere Leute mit ein bisschen Erfahrung im Klassenkampf stehen einige DKPler vor dem Widerspruch, dass sie die Losung eines fairen Prozesses nicht einfach so schlucken können. Als es zählte, rührte die DKP keinen Finger, um die DDR zu verteidigen. Wie wir Czech später schrieben:
Im Grunde konzentrierte sich die Debatte bei dieser Veranstaltung auf die Frage Reform oder Revolution. Die Bandbreite reichte von der Frage, eine Mobilisierung der Arbeiterklasse unabhängig vom bürgerlichen Staat zu organisieren, um für Mumias Freiheit zu kämpfen, in Opposition zum Vertrauen in die kapitalistischen Gerichte, über eine Debatte über die Rolle der Polizei in der kapitalistischen Gesellschaft, dass sie kein Teil der Arbeiterbewegung ist, bis zu unserem Kampf, das Proletariat gegen die kapitalistische Konterrevolution und für eine politische Arbeiterrevolution in der früheren DDR zu mobilisieren.
Fritz Dittmar, ein Mitglied des Bezirksvorstands Hamburg der DKP, der Artikel über Mumias Fall für Unsere Zeit und Rotfuchs geschrieben hat, bot sich spontan an, in seinem eigenen Namen zu sprechen. Er ging auf die Kontroverse über den fairen Prozess ein: Ich meine, ein Revolutionär kann keinen fairen Prozess vor einem bürgerlichen Gericht kriegen.
Zu dieser formalen Unabhängigkeit [der Justiz] hat ein unverdächtiger Zeuge, nämlich der frühere Reichskanzler Bismarck, erklärt: ,Ich will die Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit der Richter gerne garantieren, wenn mir nur ihre Versetzung und Beförderung bleibt. Das ist zuverlässig genug.<cKerning:30><cKerning:> Er betonte, dass der Staat nicht neutral ist: Deshalb wird das wohlwollendste und liberalste bürgerliche Gericht einem Revolutionär so viel schaden, wie es vertreten kann, und fuhr fort, dass es höchstens möglich ist, eine gerechte Entscheidung zu erreichen, wenn außerhalb des Gerichts der Druck auf den Straßen so groß wird, dass das Gericht mit knirschenden Zähnen auf die Beugung des Rechts verzichtet.
Steffen Singer, der das SpAD-Zentralkomitee repräsentierte, setzte den Kampf für Mumias Freiheit in den Kontext des Kampfes, eine revolutionäre Arbeiterpartei aufzubauen, und des Kampfes für neue Oktoberrevolutionen. Er rief die stolze Geschichte der SpAD und der Internationalen Kommunistischen Liga in Ostdeutschland und der Sowjetunion in Erinnerung, wo wir dafür kämpften, das Proletariat gegen kapitalistische Konterrevolution und für politische Arbeiterrevolution zu mobilisieren. Daraufhin gab es einige Zwischenrufe von Leuten, die wissen wollten, was das mit Mumias Fall zu tun hat. Singer antwortete:
Wovon wir hier reden, ist auch der sogenannte ,Tod des Kommunismus, dass diese Ideologie massiven Einfluss auf die Linke hat und den ganzen Kampf für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal prägt. Kann man sich vorstellen, dass vor der Zerstörung der Sowjetunion Linke ,für einen fairen Prozess auftreten, was zurückgeht hinter jede Tradition der Arbeiterbewegung seit den Haymarket-Märtyrern?
Eine wichtige Debatte fand auch über die Rolle der Polizei in der kapitalistischen Gesellschaft statt und ob sie einen Platz in den Gewerkschaften haben sollte. In seinen zusammenfassenden Bemerkungen meinte Gert Julius, dass man von seinem Gewerkschafts-Standpunkt ausgehend Polizisten nicht pauschal als Bullen bezeichnen sollte. Er meinte auch, dass er wenige Möglichkeiten sehe, das Klassenbewusstsein des Proletariats zu dieser Zeit zu erhöhen, und sagte: Gewerkschaften sind für alle. Er schloss: mein Aufruf: Linke aller Länder, beschimpft euch nicht, sondern vereinigt euch.
Singer antwortete: Als Marxisten verstehen wir, dass das Sein das, was man tut das Bewusstsein bestimmt. Und die Aufgabe der Polizei ist tatsächlich, bewaffnet die Gesetze der Bourgeoisie, ihre Herrschaft, umzusetzen. Praktisch das kann man bei jedem Streik sehen.
Singer erinnerte daran, dass bei dem Streik gegen die Firma Infineon in München ein Bulle mit gezogener Waffe gegen die Streikposten vorging. Das sind die bezahlten, trainierten und dafür ausgebildeten Streikbrecher der Bourgeoisie. Das ist ihr Job. Er fuhr fort: Wer führt die Abschiebungen durch? Wer bricht die Streiks? Wer verprügelt Demonstranten? Wer hat [Anfang Mai] die Razzien gegen die Anti-G8-Linken durchgeführt? Die Polizei! Das ist die organisierte Gewalt des Klassenfeindes. Sie hat nichts in der Arbeiterbewegung zu suchen.
Wie wichtig im Kampf für Mumias Freiheit eine klassenkämpferische Strategie ist, die sich auf die Masse an Beweismaterial für seine Unschuld stützt, hat in der Diskussion ein Gewerkschafter unterstrichen, der die Ansichten der SpAD unterstützt. Er beschrieb die Resonanz von Mumias Fall unter seinen Arbeitskollegen und wies darauf hin, dass die Jugend- und Auszubildendenvertretung des Betriebs, die politisch der sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführung nahesteht, eine Erklärung für Mumia sabotierte mit dem Argument, sie seien nicht sicher, ob er wirklich keinen Bullen getötet habe, und die Erklärung könne dem Ansehen der Gewerkschaft schaden
und dem des Unternehmens!
Die freie Journalistin Birgit Gärtner stellte in Frage, dass Arbeiter Mumias Fall aufgreifen würden, worauf Wolkenstein antwortete:
Mumias Fall zeigt in jeder Weise die Natur der kapitalistischen Justiz: Ungerechtigkeit. Aber die Rolle der Arbeiterbürokratie besteht darin, die Arbeiterklasse durch Appelle um faire Behandlung an den Klassenfeind zu binden, was der Rolle der Reformisten gleicht, die argumentieren, dass der Weg zu Mumias Freiheit durch Appelle für Gerechtigkeit an die Gerichte führt. Der Arbeiterklasse wird beigebracht, sich machtlos im Angesicht der Bourgeoisie zu fühlen, statt ihre soziale Macht als Klasse im Kampf für ihre eigenen Interessen, einschließlich Mumias Freiheit, einzusetzen. Also, im Moment angesichts der jetzigen Gewerkschaftsführung, nein: Die Arbeiterklasse wird keine Gefängnismauern einreißen und in den Streik treten, um Mumia freizubekommen. Aber wir müssen für eine klassenkämpferische Verteidigungsbewegung kämpfen, die die Herrschenden zu Tode erschreckt über das, was passiert, wenn sie Mumia für den Rest seines Lebens im Gefängnis festhalten wollen.
Gärtner fragte nach Gerüchten, denen zufolge Rachel Wolkenstein 1999 von Mumia gefeuert worden sei, und ob Mumia das Beverly-Beweismaterial ablehne. Wolkenstein widerlegte die Gerüchte klar:
Mumia wurde von Len Weinglass und Dan Williams versprochen, sie würden weiter untersuchen. Aus meiner Erfahrung mit Williams und Weinglass wusste ich, dass sie Mumia anlogen. Zu diesem Zeitpunkt gab es nichts, was ich dagegen tun konnte, außer, mich von dem Fall zurückzuziehen. Anderenfalls wäre ich ein Teil dieses massiven Verrats an Mumia gewesen. Tatsächlich hat Mumia später Weinglass und Williams gefeuert, und das Beverly-Beweismaterial wurde beim Staatsgericht von Pensylvania und beim US-Bundesgericht eingereicht. Ich wurde nicht 1999 von Mumia gefeuert. Er wollte nicht, dass ich das Anwaltsteam verlasse. Aber angesichts der Position von Weinglass und Williams konnte ich nicht im Anwaltsteam bleiben. Ich besuche Mumia weiterhin regelmäßig, er weiß über alles Bescheid, was das PDC für ihn tut, er schickte Grüße an diese Veranstaltung. Mumia weiß alles, was ich sage, was das PDC sagt über die Beweise in seinem Fall, einschließlich des Beverly-Beweismaterials, das staatliche Komplott und seine Unschuld.
Seit Mumias Fall zum beschleunigten Verfahren erhoben wurde, haben liberale und reformistische Kräfte ihre Aktivitäten zu seinem Fall gesteigert und versuchen dabei vor allem zu verhindern, dass sich eine klassenkämpferische Verteidigung auf Grundlage eines marxistischen Verständnisses vom kapitalistischen Staat und seinem Rechtssystem entwickelt. Wie wir in Klassenkämpferische Verteidigung kontra Vertrauen in kapitalistische Justiz (Spartakist-Extra, 23. Juni) schrieben, gehören zu dieser Sorte von Leuten die Autoren David Lindorff und Michael Schiffmann, die Bücher schrieben, in denen sie vorgeben, Mumias Kämpfe vor Gericht zu unterstützen, aber entscheidendes Beweismaterial für seine Unschuld in Frage stellen, vor allem das Geständnis von Arnold Beverly. Warum sollten diese selbsternannten Fürsprecher Mumias Williams darin folgen, über das Beverly-Geständnis herzufallen und der Staatsanwaltschaft die Arbeit abzunehmen? Der ganze Zweck von Lindorff und Schiffmann ist, die Tatsache von Mumias Unschuld zu unterminieren und das Ausmaß und die Tiefe des Komplotts, das durch Kräfte des Staates durchgeführt wurde, die ihn tot sehen wollen. Die kompletten Aussagen von Beverly und auch von Mumia, zusammen mit einer im Juli 2001 eingereichten eidesstattlichen Erklärung von Rachel Wolkenstein sind in der KfsV-Broschüre Der Kampf für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal Mumia ist unschuldig! enthalten (die Broschüre liegt jetzt sowohl im englischen Original als auch in Französisch und Deutsch vor).
Wie sehr die Forderung nach einem fairen Prozess tatsächlich demobilisiert, wurde bei der bundesweiten Demonstration am 12. Mai in Berlin anschaulich, deren Organisatoren auf die Unterstützung von Liberalen wie Amnesty International (ai) und die Grünen schielten. Seit der zweiten Bündnissitzung am 10. April war klar, dass man nicht einmal davon sprechen sollte, dass Mumia unschuldig ist, da ai dies nicht unterstützen würde. Erinnert euch, die Politik von ai führte dazu, dass sie nicht einmal Nelson Mandela verteidigten. Übrig bleibt ein Appell an diejenigen Liberalen, die Mumia nicht als unschuldigen Menschen sehen, Opfer eines Komplotts aufgeladen von rassischer Voreingenommenheit und politischen Motiven , sondern als isolierten Fall eines Justizirrtums. Das beschönigt das wahre Gesicht der bürgerlichen Demokratie, die nichts anderes ist als die Diktatur der Kapitalistenklasse. Der Erfolg des kleinen KfsV mit dem größten Demo-Kontingent unter den ehrlichen Losungen Freiheit für Mumia, sofort!, Nieder mit der rassistischen Todesstrafe!, Mumia ist unschuldig, und Es gibt keine Gerechtigkeit in den kapitalistischen Gerichten, brachte diese Organisatoren zum Rasen, und sie beschuldigten uns mit einem Schwall antikommunistischer Boshaftigkeiten dafür, dass nur so wenige kamen: Wir wissen durch diverses Feedback nämlich, das grosse Teile der Berliner Linken immer noch davon ausgehen, dass die Mumia-Kampagne von den politischen Trittbrettfahrer_innen der RIM/RK
und/oder den Trotz-Kisten des ,KfsV getragen sei (Newsletter vom 22. Mai der Mumia Hörbuchgruppe, Rechtschreibfehler im Original). In Wahrheit ist es die bankrotte Strategie, auf einen fairen Prozess zu vertrauen, die diejenigen demobilisiert, die eigene Erfahrung mit Unterdrückung haben und sich mit Mumias Fall identifizieren. Rachel Wolkenstein führte nachdrücklich aus:
Zur Frage des fairen Prozesses: Wie ich in meiner Präsentation klargemacht habe, richtet sich mein Feuer gegen sogenannte Linke. Religiöse Gruppen, Bürgerrechtsgruppen und Mitglieder der Demokratischen Partei fordern einen neuen fairen Prozess. Das ist ihre Politik. Schließlich glauben sie an das amerikanische bürgerliche Rechtssystem. Sie glauben, wenn jemand keinen fairen Prozess bekommt, ist das nur eine Abweichung vom amerikanischen Rechtssystem. Genauso wie sie glauben, dass Abu Ghraib nur ein Unfall war oder die Schuld eines einzelnen Kommandanten. Aber die Rolle sogenannter Linker besteht darin, Lippenbekenntnisse darüber abzugeben, dass der bürgerliche Staat der arbeitenden Bevölkerung, Linken und Minderheiten keine Gerechtigkeit verschafft, während sie Illusionen in genau diese Gerichte schüren. Nun, die Hunderten und Aberhunderten von Leuten und Gewerkschaftsorganisationen, die die PDC-Erklärung unterschrieben haben, sind überhaupt nicht Anhänger der Politik der Spartacist League oder der Internationalen Kommunistischen Liga. Ich bin sicher, dass die große Mehrheit sich nicht für Marxisten oder Sozialisten hält. Aber sie hatten kein Problem damit, eine Erklärung zu unterzeichnen, die sagt: ,Mumia ist unschuldig, dass er frei sein sollte und dass es rassische und Klassenvorurteile in dem Komplott bei diesem Prozess gab.
Was also will ich klarmachen? Mein Punkt ist, dass wir das Bewusstsein voranbringen können und eine Massenkampagne aufbauen, zentral basiert auf der Macht der Arbeiterklasse, die tatsächlich das tun kann, was wir brauchen, um Mumia zu befreien; oder man stoppt eine Bewegung, indem man den Leuten sagt, dass die Antwort in den Gerichten liegt, wodurch junge Leute demoralisiert und demobilisiert werden. Jede denkende Person, die sich Mumias Fall ansieht und seine Geschichte in den Gerichten, wird die Wahrheit sehen. Die politische Auseinandersetzung findet über die Strategie für den Kampf um Mumias Freiheit statt um eine klassenkämpferische Bewegung aufzubauen, die für das kämpft, was wir wollen. Die reformistischen linken Gruppen organisieren auf der Grundlage von Vertrauen in die kapitalistische Justiz. Sie stoppen bewusst, absichtlich, den Aufbau der Art von Bewegung, die notwendig ist, um Mumia freizubekommen.
|
|
|
|
|